Rechtsruck? Linksruck? Beides! In Thüringen implodierte die Mitte

Im Ergebnis der Wahl in Thüringen wird am deutlichsten klar, was der Süden des Ostens schon begriffen hat und der Süden des Westen vielleicht noch wird lernen müssen: die Zeiten ändern sich gerade rasant - Heimat ist regional.

Sean Gallup/Getty Images

Der letzte Rotkäppchensekt wurden in Thüringen wohl sehr spät getrunken. Die letzten Feengrotten – Bitter wohl schon kurz nach 18 Uhr. Die Thüringer haben gestern zwei Parteien gestärkt: die Linke und die AfD. Sie haben außerdem noch die FDP äußerst knapp wieder aus der politischen Versenkung geholt. Da knallten die Sektkorken. Die Parteien CDU, SPD und Grüne konnten sich nach ihren Verlusten hingegen nur noch einen kräftigen einheimischen Bitterlikör einschenken. Die Linke und die AfD erhielten insgesamt mehr Stimmen als die anderen vier Parteien CDU, SPD, Grüne und FDP zusammen. Da man davon ausgehen darf, dass die meisten Thüringer die Wahlkabinen nüchtern betreten haben, stellt sich nun die Frage, warum sie so entschieden. Aus westdeutscher Sicht wirkt das schon etwas irrational. Ist es aber nicht.

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Bodo Ramelow, der amtierende Ministerpräsident Thüringens hatte es geschafft, wie seine Amtskollegen in Sachsen und Brandenburg zuvor, sich zu einem Landesvater zu entwickeln, der über Parteigrenzen hinaus Zuspruch erhielt. Er hat aus der Thüringer Linken eine SPD neuen Typs geformt. Die eigentliche SPD, nach 1989 neu im Osten gegründet, verschwindet langsam. Im Westen kennt man das Phänomen Landesvater einer neueren Partei von Winfried Kretschmann von den Grünen in Baden-Württemberg. Die ostdeutschen Landesväter dieses Wahljahres kommen aus der SPD (Brandenburg), der CDU (Sachsen) und von der Linken (Thüringen). Eine wirkliche ostdeutsche Parteienpräferenz kann man da nicht ausmachen. Vielleicht entwickeln sich in Zukunft auch Regionalparteien. Auffällig ist die Konstante in allen drei Ländern, dass die AfD ihre Wahlergebnisse mindestens verdoppeln konnte, unabhängig von der favorisierten Regierungspartei. Alle drei Länder haben ansonsten sehr unterschiedliche allgemeine Wahlpräferenzen. Man erkennt auch, dass die „fünf neuen Länder“ sehr verschieden sind und sich stärker ausdifferenzieren. Es gibt euch einen Nord-Süd-Unterschied wie im Westen Deutschlands. Aber das findet der Rest der Republik ja nicht so interessant. Die Bundesrepublik Deutschland möchte gerne mit besorgtem Blick wissen, was für Regionen sie da vor 30 Jahren angeschlossen hat.

Die Brandenburger, die Sachsen und die Thüringer bestätigten alle ihre Regierungschefs. Die Erfahrenen sollen schon dran bleiben, aber die sollen eine andere Politik machen bzw. in Berlin erzwingen. Deren Koalitionen hingegen bestätigten sie nicht. Da gibt es jetzt in allen drei Ländern Neuland. Brandenburg hat sich zügig für Kenia entschieden. In Sachsen sind für die selbe Konstellation lange Verhandlungen angesetzt worden, denn dort entspricht sie nicht dem Wählerwillen. Allerdings wäre dem Westen Kenia vertraut und angenehm. In Thüringen wird man die Quadratur des Kreises schaffen müssen. Deshalb sprach Bodo Ramelow schon im Vorfeld von einer Minderheitenregierung. Das hätten sich manche Sachsen von Michael Kretschmer auch gewünscht.Vielleicht kommt das noch, wenn sich die Verhandlungen als sehr schwierig erweisen oder die SPD der GroKo noch vor Weihnachten in Berlin den Stecker zieht.

Altbundespräsident Gauck hat empfohlen, dass sich die Linke und die CDU in Thüringen einig werden sollen. Das setzte die CDU, die nun in der Tat zwischen Linke und  AfD, zwischen Skylla und Charybdis ihren Weg neu wird erkämpfen müssen, einem großen Stresstest aus. Es hilft, sich vor Augen zu führen, dass die Linke im Osten Deutschlands ehemals eine staatstragende Partei war. Über den damaligen Staat gibt es demokratisch und ökonomisch viel zu sagen, aber Arbeiter genossen in ihm Respekt. Es war klar, wer das kleine Volksvermögen täglich neu schuf. In Thüringen hat die Linke daran erfolgreich angeknüpft. Sie ist dem Kurs Katja Kippings zur links-grünen Großstadtpartei nicht gefolgt – auch aus Ermangelung von Großstädten. Die Landeshauptstadt Erfurt hat etwas mehr als 200.000 Einwohner. Städte wie Leipzig oder Dresden in Sachsen mit mehr als einer halben Millionen Einwohner gibt es nicht. Und auch einen Speckgürtel wie den um Berlin, von dem Brandenburg profitiert, gibt es nicht. Thüringen ist klassisches Mitteldeutschland: klein, aber fein.

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Dass eine AfD unter einem Mann an der Spitze wie Björn Höcke eine Verdopplung ihres Wahlergebnisses erreichen konnte, lag nicht an Björn Höcke. Eher im Gegenteil: die AfD wurde trotz Björn Höcke gewählt. Es muss sich etwas ändern in der deutschen Politik, damit sich in der regionalen Heimat nicht mehr so viel von außen ändert, aber vieles für viele besser wird. Die Protestwahlen gegen Berlin gehen also weiter. Und es waren insbesondere Arbeiter und Selbständige, die die AfD wählten. Und es waren viele junge Leute, die die AfD wählten. Die AfD hat in allen Altersgruppen unter 60 Jahren die meisten Stimmen erhalten. Die Älteren verhalfen der Linken zu ihrem Wahlerfolg. Die Parteien der Mitte, die implodierte, sind in Thüringen Mittelstadtparteien, die von vielen Angestellten und Beamten gewählt wird. Denen sind diese Parteien dann kommod. Da leben viele vom Staat und vom Steuergeld.

Im Ergebnis der Wahl in Thüringen wird am deutlichsten klar, was der Süden des Ostens schon begriffen hat und der Süden des Westen vielleicht noch wird lernen müssen: die Zeiten ändern sich gerade rasant – Heimat ist regional. Die eigene Bevölkerung erwartet mehr. Eine Stillstandskoalition wie die in Berlin, die seltsam aus der Zeit gefallen scheint, ist keine Option. Eine Hinwendung zu den Grünen, deren Politikansatz so wirkt, als habe Deutschland noch einmal auf die Schlummertaste gedrückt, um seinen Traum vom erwünschten Leben zu verlängern, bevor die Wirklichkeit wieder einmal brutal zuschlägt und der Arbeitstag ruft, ist hier keine Option. In den größeren und Großstädten finden sie ihre Latte-Macchiato-Milieus, aber es gibt insgesamt viel zu wenig Betuchte und Studenten, um daraus in der Regel zweistellige Ergebnisse zu machen. Wenn eine Bevölkerung Linke und AfD derart stark wählt, dann ist es ihr um die Tatsache zu tun, dass diese beiden Parteien am ehesten den Eindruck vermitteln, die Belange der einfachen Leute ernst zu nehmen. Die Wirklichkeit liegt im Jetzt und Hier. Das haben die Wähler in Thüringen der implodierten Mitte ins Stammbuch geschrieben.


Antje Hermenau ist Unternehmerin und Beauftragte des BVMW für den Landeswirtschaftssenat Sachsen. 


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Kommentare ( 118 )

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FlyingHorse
5 Jahre her

„Dass eine AfD unter einem Mann an der Spitze wie Björn Höcke eine Verdopplung ihres Wahlergebnisses erreichen konnte, lag nicht an Björn Höcke. Eher im Gegenteil: die AfD wurde trotz Björn Höcke gewählt. “

Woher wissen Sie das?

Schonclode
5 Jahre her

Frau Hermenau, woher wissen sie – „lag nicht an Björn Höcke. Eher im Gegenteil“. Bauchgefühl, oder nur nachplappern?
Also ich mag den Mann gar nicht. Sowie 99,999999 % Der Bevölkerung.

Alexis de Tocqueville
5 Jahre her
Antworten an  Schonclode

Die haben Sie alle gefragt? Respekt.

j.heller
5 Jahre her

Die CDU kann und will keine Sicherheit mehr bieten, und die SPD kann und will keine soziale Gerechtigkeit, seit Schröder.
Beides kann glaubwürdiger von AfD und Linke angeboten werden.

Mit „Mitte“ hat das nichts zu tun. Ich kann „Mitte“ nicht mehr hören. Alle Demokraten sind Mitte.

mac4ever
5 Jahre her

Zu Plasberg, Frau Hermenau: Ich habe mich sehr gefreut, Sie dort zu sehen. Sie haben einige Punkte angesprochen, die sonst unter „Tabu“ fallen und die auch in dieser Sendung bei allen anderen, einschließlich Moderator, wieder außen vor blieben. Zum Beispiel, dass es im Osten eine Mehrheit gegen die unkontrollierte Einwanderung und (Achtung, Unwort!) schleichende Überfremdung gibt. Die will man bei sich eben nicht so, wie man sie im Westen erlebt. Vielen Dank dafür! Sie haben wesentlich mehr und Kompetenteres zum Osten zu sagen als Frau Geipel beispielsweise. Auch das Narrativ vom „abgehängten Osten“ greift eben nicht mehr, auf das die… Mehr

Lu Ziffer
5 Jahre her

Nach Bertolt Brecht: „Das Volk hat das Vertrauen der Regierung verscherzt. Wäre es da nicht doch einfacher, die Regierung löste das Volk auf und wählte ein anderes?“
Gerade die ungebrauchten Bundesländer erleben wohl gerade so etwas wie ein Déjá-vu, nur mit dem großen Unterschied, dass sie wirklich wählen können und dies auch tun. Sehr guter Artikel, Frau Hermenau und die Ossis sind eben nach 30 Jahren nicht nur solche und die anderen wollen das nicht aufgeben wofür sie 1989 auf die Straße gegangen sind.

Franz Schroeder
5 Jahre her

………..Da man davon ausgehen darf, dass die meisten Thüringer die Wahlkabinen nüchtern betreten haben, stellt sich nun die Frage, warum sie so entschieden…….. Nüchtern schon, aber eben ungebildet. Wenn man die unverschämte Äußerung in einem Interview einer Politwissenschaftlerin im Mainstream TV vom Montagabend übersetzt, dann sind alle Bürger Thüringens komplette Politidioten, die nicht wissen was sie in der Wahlkabine tun. Denn die Thüringer hätten gerade mal 1,8 % politische Bildung im Lehrplan der Schulen und wären somit in Deutschland auf dem letzten Platz. Die Schlappe, die die Etablierten eingefahren haben, ist also der Unwissenheit der Wählerschaft zuzuschreiben. Schuldige sind erkannt… Mehr

Horst Hauptmann
5 Jahre her

Prima Beitrag, vielen Dank dafür! Latte-Macchiato-Milieu, Links-grüne Großstadtpartei und der Hinweise auf viele Wähler, die vom Steuergeld der anderen leben – sehr treffsicher. Im Rahmen der Energiewende sei noch auf die Profiteure derselben hingewiesen, die ebenfalls den Status-quo wählen, weil er Ihnen das Geld der Stromverbraucher fleißig in die Kassen spült. Es stellt sich die Frage, wann die Mehrheit derer, die nicht zu den Profiteuren der verlogenen, heuchlerischen, langjährigen Merkel-Politik gehören, dies bundesweit begreifen und dem Spuk ein Ende bereiten. Das Stammbuch würde überquellen, wollte man die gravierenden Versäumnisse und Fehlentscheidungen der letzten mindestens 15 Jahre auflisten und selbst der… Mehr

Gerro Medicus
5 Jahre her

Nachtrag, Seit der Europawahl gilt das Wahlrecht für betreute Menschen generell! Nur zur Vermeidung von Missverständnissen…

Gerro Medicus
5 Jahre her

Menschen mit einer gerichtlich angeordneten Betreuung dürfen nun doch bei der Europawahl am 26. Mai erstmals abstimmen. Allerdings nur auf Antrag, wie das Bundesverfassungsgericht am 15.04.2019 auf einen Eilantrag aus den Reihen der Bundestagsfraktionen von Grünen, Linken und FDP. https://rsw.beck.de/aktuell/meldung/bverfg-wahlrecht-fuer-betreute-menschen-gilt-schon-bei-der-europawahl Wer hat‘s im Eilverfahren beschlossen: das BverfG unter Vorsitz seines Präsidenten Voßkuhle, einem SPD-nahen Systemunterstützer. https://rsw.beck.de/aktuell/meldung/bverfg-wahlrecht-fuer-betreute-menschen-gilt-schon-bei-der-europawahl Betrachtet man weiterhin nur die Hochaltrigen (ab 80 Jahre), dann zeigen sich die höchsten Anteile im Altenburger Land (7,1 %), in der Stadt Gera (6,7 %), gefolgt vom Landkreis Greiz und Saalfeld-Rudolstadt (je 6,6 %). In diesen Städten/Regionen war die LINKE besonders stark. Pflegebedürftig… Mehr

Twitter @KonservativD asGuteBewahren
5 Jahre her

In Thüringen wurden die „Deutschland-Zerstörer“ abgestraft !

Richtig so !

;-(

Die Globalisten führen ihre Spaltung der Gesellschaft immer weiter. So profitieren sie vom Kampf beider Seiten gegeneinander und die Gesellschaft wird geschwächt. Allerdings wird die Seite der „Befürworter“ immer kleiner, wie man sieht in Thüringen. Die Menschen haben erkannt, dass die perverse Spaltung Kinder gegen Eltern, Frauen gegen Männer, Illegale Migranten gegen Einheimische immer bedrohlichere Formen annimmt. Die Gesellschaft wird dadurch „zermahlen“. Das müssen wir stoppen ! Weg mit Denk- und Sprechverboten, Anpreisen von Kindstötung, Klima-Idiotie und Frauen-Herrschaft über die Männer in Politik und Wirtschaft.