Die Deutschen – wo sind sie?

Der „Tag der Deutschen Einheit“ wurde 1990 eingeführt und erinnert an die Wiedervereinigung der – wie man damals sagte – Deutschen bzw. des Deutschen Volkes. Heute sind beide Ausdrücke politisch „verdächtig“.

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Reichstag Innenhof

Die Wiedervereinigung Deutschlands wird gern als politischer „Glücksfall“ bezeichnet. Außenpolitisch stimmt das. Aber die außenpolitische Konstellation – Ende des Kalten Krieges, Zustimmung der Sowjetunion, Unterstützung durch die USA usw. – kam nur zum Tragen, weil eine Menschengruppe, nämlich die Deutschen, den Willen hatte, in einem gemeinsamen Staat zusammenzuleben. Entsprechend heißt es in der 1990 neu formulierten Präambel des Grundgesetzes:

„Die Deutschen in den Ländern [es folgt eine Aufzählung aller 16 Bundesländer] haben in freier Selbstbestimmung die Einheit und Freiheit Deutschlands vollendet. Damit gilt dieses Grundgesetz für das gesamte Deutsche Volk.“

Eine merkwürdige Sprachveränderung

2019, eine Generation später, klingen diese Sätze wie aus einer anderen Welt: Das Deutsche Volk – ist das nicht „populistisch“ (von lateinisch populus „Volk“), ja „nazi“? Und die Deutschen – gibt es die noch? Jedenfalls kommt das Wort im Regierungsdiskurs nicht mehr vor, man spricht von Menschen in Deutschland. Wie konnte es zu dieser Sprachveränderung kommen?

Die Standardantwort lautet: Sprache, hier: der Wortschatz, wandelt sich. Neue Wörter treten hinzu, vorhandene werden ausgemustert und vergessen: Welcher unter 30-Jährige aus Sachsen oder Brandenburg kennt noch Wörter wie Abschnittsbevollmächtigter, Bausoldat, Diversant oder Kombinat? Der politische Fachwortschatz der DDR wurde durch die Wiedervereinigung kommunikativ wertlos und deshalb von der jungen Generation nicht mehr gelernt.

Aber weder Deutsche noch Volk sind politische Fachwörter. Sie gehören zum allgemeinen Wortschatz und waren schon im Althochdeutschen in Gebrauch: diutischin liute „deutsche Leute“ ist erstmals 1090 belegt als Sammelname für die verschiedenen Stämme des ostfränkischen Reiches, die Deutsch sprachen. Aus dieser ethnisch-sprachlichen Grundbedeutung von Deutscher entwickelte sich in der Goethezeit eine kulturelle Bedeutung, nämlich „Angehöriger der deutschen Kulturnation“, und schließlich, mit der Reichsgründung von 1871, eine politische: die Deutschen im Sinne von „Angehörige der deutschen Staatsnation“, und sie meint die Präambel des Grundgesetzes.

Kein Sprachwandel, sondern Sprachlenkung

Dass zentrale Wörter wie Deutsche oder Volk aus dem öffentlichen Sprachgebrauch in drei Jahrzehnten verschwinden, kann nicht mit einem allmählichen und natürlichen Sprachwandel erklärt werden. Die Deutschen gibt es ja noch, auch sprachlich: Als the Germans, les Allemands, los Alemanes usw. treten sie in ausländischen Medien häufig auf, und in Deutschland werden sie im privaten Sprachgebrauch durchaus Deutsche genannt. Wenn dieser Volksname in Deutschland öffentlich unüblich geworden ist, beruht dies auf Sprachlenkung, hier: einer stillen Sprachlenkung.

Zum 3. Oktober
„ … dem Wohle des deutschen Volkes …“
Niemand hat gefordert, Formulierungen wie „die Deutschen“ oder „das deutsche Volk“ zu unterlassen; sie werden einfach im herrschenden politischen Diskurs vermieden: In den Wahlprogrammen 2017 der traditionellen Parteien Union, SPD, FDP, Grüne und Linke kommt auf 550 Seiten der Ausdruck das deutsche Volk überhaupt nicht vor und das Wort Deutsche (immerhin die Wähler) nur fünfmal. Auch im „Koalitionsvertrag zwischen CDU, CSU und SPD“ (7. Februar 2018; 177 Seiten bzw. 8.370 Zeilen) gibt es kein deutsches Volk; die Deutschen werden noch dreimal erwähnt, und zwar in historischen Bezügen: Als „Deutsche in Mittelosteuropa und den Nachfolgestaaten der Sowjetunion“ , gegenüber denen und deren kulturellem Erbe Deutschland eine „besondere Verpflichtung“ hat, sowie als „wir Deutsche“, die nach dem Dritten Reich „eine immerwährende Verantwortung im Kampf gegen den Antisemitismus haben“. Sprachliches Fazit: Die Deutschen sind ein geschichtlicher Nachlassposten und ansonsten kein Thema. Der aktuelle politische Diskurs kommt gut ohne sie aus.

Deutschenfreier Diskurs

Wie ist diese Ausblendung der Deutschen zu erklären? Es geht hier, wie beim Genderdeutsch, um politische Korrektheit, konkret: um „Sichtbarkeit“. Das Genderdeutsch will eine „benachteiligte“ Gruppe, die Frauen, sprachlich sichtbar machen („Wer hat seine oder ihre Handtasche vergessen?“); der deutschenfreie Diskurs macht eine „bevorzugte“ Gruppe, die Deutschen, unsichtbar: sie werden zu „Menschen mit deutschem Pass“, „Menschen, die schon länger hier leben“ u. Ä. Die neue politische Botschaft lautet: „Wir kennen keine Deutschen mehr, wir kennen nur noch Menschen.“

Deutschland, einig Menschland

Der „Tag der Deutschen Einheit“ wurde vor neunundzwanzig Jahren eingeführt. Damals waren die Ausdrücke Deutscher und deutsches Volk sprachlich selbstverständlich. Heute müsste dieser Feiertag politisch korrekt heißen: „Tag der Menschen in Deutschland“.

Bei den Feiern am 3. Oktober 2019 wird vom „deutschen Volk“ nicht die Rede sein. Diese Formulierung gilt inzwischen beim Verfassungsschutz als Anzeichen rechtsextremer Gesinnung. Und „die Deutschen“? Darf man grundsätzlich noch sagen, aber Vorsicht: sie sind ein „Prüffall“.

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Kommentare ( 107 )

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Dedaidn
5 Jahre her

Ich habe da mal eine Frage: Warum lassen wir DEUTSCHEN (egal ob mit oder ohne Migrationshintergrund) uns das eigentlich gefallen?
Wir, die dieses Land noch aufrecht erhalten, die noch Steuern zahlen, die hier sind und auch vorhaben zu bleiben….

Stefan L.
5 Jahre her

Er hat Deutscher gesagt!

mr.kruck
5 Jahre her

Man erinnere sich an den Vergewaltigungs -Vorfall des sogenannten‘ DEUTSCHEN RUDELS ‚ in Mallorca.
Wie schnell war ein Großteil der hiesigen Medien mit der Aussage, Deutsche hätten das Verbrechen begangen. Als dann in der Auslandspresse u.a. die Namen Yakub , Serhat und Azad kommuniziert wurden, haben sich die meisten Medien blitzschnell aus der Berichterstattung ausgeklinkt. Ein Fall von vielen.
Das zeigt die Medienrealität hierzulande. Der Begriff Deutsch oder deutsches Volk wird nur noch kommuniziert, wenn man eine negative Assoziation damit verbinden kann.
Und dieser Fakt ist politisch genau so gewollt oder sogar geplant.

manfred_h
5 Jahre her

Moderne u. fortschtrittliche Kulturen zerstören sich scheinbar immer wieder selber…..

Nach dem Untergang von Rom, folgt der Untergang von Berlin.

manfred_h
5 Jahre her

Zitat: „Und die Deutschen – gibt es die noch? Jedenfalls kommt das Wort im Regierungsdiskurs nicht mehr vor“

> Bei einer im DDR Sozialismus aufgewachsene und erzogene Merkel, die dann als BK auch noch öffenlich eine Deutschlandflagge angewidert in die Ecke schleudert und wo dies ihre anwesenden CDU Genossen auch noch schweigend hinnahmen, ist/war dieser Deutschenhaß doch erwartbar und kein Wunder.

ICH B I N DEUTSCHER -und DARAUF, sowie auch auf U N S DEUTSCHE, bin ich STOLZ DRAUF!

mac4ever
5 Jahre her

Zu diesem (sehr guten) Artikel fällt mir nur ein Wort ein: SELBSTVERZWERGUNG. Und ich habe nur noch ein Gefühl dafür: WUT.

Es ist seit jeher das Ziel der Linken, den deutschen Nationalstaat und damit auch das “deutsche Volk“ abzuschaffen, und mit der gegenwärtigen Migrationspolitik und der immer weiteren Machtübernahme im gesamten politischen Raum sind sie diesem Ziel näher als je zuvor. Man ist entweder links oder deutsch, beides zusammen geht schon lange nicht mehr.

Sugar-Ray
5 Jahre her

Der Staatsratsvorsitzenden Wahlverein, auch bekannt als CDU, ist mich für auf Lebzeiten unwählbar geworden!

Ole Pederson
5 Jahre her

„… die Deutschen – gibt es die noch? Jedenfalls kommt das Wort im Regierungsdiskurs nicht mehr vor“ Ähnlich ja die berüchtigte Ansprache einer gewissen Stefanie v. Berg „…ich bin der Auffassung, dass wir in 20, 30 Jahren gar keine ethnischen Mehrheiten mehr haben in unserer Stadt“ sowie ein (ausnahmsweise von der sog. Kanzlerin nicht als „Nicht hilfreich“ bezeichnetes) Buch zum Thema, online abrufbar, mit einer Liste von in 50 Jahren überflüssigen Worten, darunter „Migrationshintergrund“: weil bis dahin jeder einen Migrationshintergrund hat. Klarer könnte es sich kaum zeigen: man nennt es Genozid. Wird es in „20, 30, Jahren“ noch Deutsche geben?… Mehr

RauerMan
5 Jahre her

Die einfachen Beispiele im Jahresverlauf welche fast jeder bewußt oder unbewußt erlebt
sind Zeugen einer Gesellschaft welche durch Indiktronation bis ins Mark getroffen ist.
Zwei Beispiele, eine Klassenkameradin aus Volksschulzeiten sich über die derteitigen Zustände beschwerend, mein Rat sie solle doch richtig wählen, sie was denn, ich AfD, sie bist du ein Nazi? Ich, weißt du was Nazi ist, sie, hört man doch überall.
Ein TÜV-Ingenieur bei Öl-Sicherheits-Hausbesuch beschwerte sich über die Politik, so gehe es nicht weiter, ich dann solle er doch richtig wählen, er, was denn soll ich radikal werden?
Noch Fragen ? —

manfred_h
5 Jahre her
Antworten an  RauerMan

Zitat: „sie bist du ein Nazi? Ich, weißt du was Nazi ist, sie, hört man doch überall.“

> GENAU HIER zeigt sich eines der Probleme welche wir in Deutschland haben:
SELBER (Nach-/Mit-)Denken scheint heutzutage viele im Wahlvolk schwer zu fallen und zu überfordern.

Fui Fujicato
5 Jahre her
Antworten an  manfred_h

Ich bin NAZI : NICHT AN ZUWANDERUNG INTERESSIERT !

Olivia
5 Jahre her
Antworten an  RauerMan

Das Gespräch hatte ich mit meiner Schwester auch, ihre Antwort war:“ AFD wähle ich nicht, die sind mir zu rechts.“ Ich fragte sie daraufhin was sie wählen würde, hätte sie die Wahl zwischen – Deutschland den Deutschen – oder – Deutschland dem Islam – sie hat mich mit großen Augen ungläubig angesehen und verzagt mit den Schultern gezuckt. Ich lasse nicht locker, ich werde sie weiter mit Informationen füttern, bis sie begreift was hier abgeht und dann kann sie wählen, etwas Zeit bleibt mir ja noch.

manfred_h
5 Jahre her
Antworten an  Olivia

Mhh, es ist natürlich abhängig vom Wohnort. Doch wenn möglich, vllt wäre es ja auch etwas heilsam mit dem Schwesterchen mal in ein sehr buntes Stadtviertel zu fahren und sich dann dort mal mitten in der Buntheit stehend erklären zu lassen, was daran nun so toll u. schön ist, ob sie dort wohnen und ihre evt Kinder auf eine der Problemschulen geben will und wie u wann die dortigen „Fachkräfte“ jemals die Rentenkassen auffüllen sollen!?

Olivia
5 Jahre her
Antworten an  manfred_h

Es ist nicht so, dass sie nicht mitbekommt, was hier passiert. Sie macht jedoch, aus lauter Angst, lieber die Augen zu und lebt in ihrer eigenen Blase. Ich denke, so geht es vielen Deutschen, sie stehen in der Mitte und Wissen nicht, wen oder was sie wählen sollen. Die Linksgrünen sind radikal und die Rechten werden, von den ÖR und den anderen Parteien, als Nazis dargestellt. Medien wie Tichys und achgut werden ebenfalls als rechtslastig abgestempelt und wenn man auf die einst seriösen Medien vertraut, tappt man in die Framingfalle. Es braucht Zeit und Mut, um sich der Wahrheit zu… Mehr

Ali
5 Jahre her

Großartiger Artikel. Allerdings gibt es immer häufiger eine Gruppe, bei der der Begriff „Deutscher“ dafür umso häufiger Verwendung findet. Allerdings auch nur, um das „deutsch sein“ im Unterbewusstsein der „Bevölkerung“ als schlechtes darzustellen. Das ist die Gruppe straffällig gewordener eingebürgerter (SPD Pass-Deutsche) „Menschen“. Sogenannte Deutsch-Marokkaner, oder Deutsch-Iraker oder, oder… Wann immer wieder einer dieser Neudeutschen mit dem Gesetz in Konflikt gerät, sind es auf einmal für Medien, Politik, Staatsanwaltschaften oder Polizei dann reflexartig umgangssprachlich wieder „Deutsche“. Wann immer man also den „Deutschen“ etwas negativ konnotiert unterjubeln kann macht man mit Verzückung Gebrauch davon. Das fällt umso mehr auf, als das… Mehr