Anti- und Postheroismus, wohin man schaut

Der klassische Held, der für andere oder eine Idee die Schädigung seiner Gesundheit und den Tod einkalkuliert, ist heute suspekt. Denn er widerspricht der Gleichheitsideologie. Ein neues Buch von Burkhard Voß klärt auf.

Jacopo Raule/Getty Images

Burkhard Voß hat ein gesellschaftspolitisch markantes Buch geschrieben. Der Titel lautet: „Wenn der Kapitän als Erster von Bord geht.“ Gemeint ist damit Francesco Schettino, der zu diesem Zeitpunkt 51-jährige italienische Kapitän, der das Kreuzfahrtschiff „Costa Concordia“ am 13. Januar 2012 an der ostitalienischen Insel Giglio auf einen Felsen setzte und als erster von Bord ging, während 32 Passagiere und Besatzungsmitglieder ertranken. Eine noch klarere Vorstellung vom Buch bekommt man allerdings mit dem Untertitel „Wie Postheroismus unsere Gesellschaft schwächt.“

Es ist dies nicht Voß’ erstes Buch. Schon zuvor hat er sich einen Namen mit Klartextbüchern gemacht. Etwa mit den Titeln „Albtraum Grenzenlosigkeit: Vom Urknall bis zur Flüchtlingskrise“ (2017) und „Deutschland auf dem Weg in die Anstalt: Wie wir uns kaputtpsychologisieren“ (2015).

Weder seine vorausgegangenen Bücher noch das aktuelle entsprechen auf den ersten Blick seinem „Brotberuf“. Voß ist Facharzt für Psychiatrie und Neurologie. Das hat eigentlich nichts mit Politik zu tun. Oder doch? Klar, denn die real existierende Politik in Deutschland samt ihren medialen Hofberichterstattern und Einflüsterern kann man oft nur noch mit dem Diagnose- und Begriffsrepertoire der Psychiatrie halbwegs erfassen.

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Das tut Voß denn auch in einer beeindruckenden Verbindung politischen Durchblicks und psychiatrischer Expertise. Er lässt dabei erfreulicherweise nichts aus. Als Antihelden kriegt neben dem Havariekapitän eine illustre Schar ihr Fett ab: Jörg Kachelmanns Ex-Geliebte Claudia Simone Dinkel; Karl-Theodor zu Guttenberg; Albert Speer; Scientology-Begründer Lafayette Ron Hubbard; Che Guevara; die Gender-Päpstin Judith Butler; Carsten Maschmeyer. Und als Pseudoheldin: Greta Thunberg.

Diesen „Anti-Heroes“ stellt Voß echte Helden entgegen: Sokrates; Claus Schenk Graf von Stauffenberg; den polnischen Kinderarzt Janusz Korczak; die italienische Publizistin Oriana Fallaci, die sich mit dem Buch „Die Wut und der Stolz“ ihre hellsichtige Einschätzung des Islam und des Islamismus von der Seele schrieb; Giordano Bruno; Roald Amundsen; Sophie Scholl; Stanislaw Jewgrafowitsch, der 1983 als Oberstleutnant der russischen Luftverteidigung einen Fehlalarm richtig zu deuten wusste, ihn nicht weiterverfolgte und damit wahrscheinlich einen Nuklearkrieg verhinderte.

Nach diesen Charakterologien wendet sich Voß grundsätzlichen Fragen zu: Was ist Heroismus? Was ist Postheroismus? Was bedeutet Nanny-Staat? Was bringen Kuschelpädagogik und Kuscheljustiz? Auch die „Feminisierung der Gesellschaft“ und die „Mimose Mann“ spießt der Autor auf. Markante, schier aphoristische Sätze formuliert er überdies:

„Eine Epoche ohne Helden ist seelenlos und leidet an chronischer Depression“.

„Für die Linke ist die Bewältigung der Migrationswellen eine Art heroischer Akt, für den überwiegenden Teil der Rechten ein masochistischer.“

„Ausgesprochen verlockend ist auch die Unanfechtbarkeit des Opferstatus.“

„Dass Helden der Leistung die Schulen verlassen, davon ist bei Ausbildern und Professoren nichts zu hören.“

„So etwas wie Burn-out gibt es immer so lange, wie eine Gesellschaft es sich erlauben kann.“

„Am Ende steht die bindungslose, überalterte Gesellschaft mit maskulinen Frauen und testosteronneutralisierten Männern.“

„Die Biologie hat das Sagen. Die Soziologie plappert nur dusseliges und gefährliches Zeug.“

„In den säkularen Überflussgesellschaften des Spätkapitalismus wird erwachsen werden als Zumutung erlebt.“

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Mit solchen Diagnosen macht man sich keine Freunde. Das will Voß auch nicht. Und das wollen die TE-Autoren (darunter gelegentlich Burkhard Voß) auch nicht. Sonst wären Voß und die auf TE Schreibenden überflüssig. Das ist der Grund, warum ich gerne bereit war, für dieses Buch ein Vorwort zu schreiben. Hier ist es:

„Die Erde sähe anders aus, gäbe es unter den Menschen keinen Wettbewerb. Wettkampf, Wissensdurst, Explorations- und Expansionstriebe, die Eroberung von Welt und Weltall durch Wissenschaft und Technik, Rationalität anstelle von Mythos – all das gäbe es nicht ohne den agonalen Charakter, den Wettkampf als Teil des Strebens. Es war kein geringerer als der große Baseler Kulturhistoriker Jacob Burckhardt, der die Bedeutung des über zwei Jahrtausende hinweg gepflegten agonalen Prinzips insbesondere europäischer Menschen hervorhob und der Friedrich Nietzsche, seinen Baseler Schützling, damit zu Gedanken über den ‚Willen zur Macht‘ inspirierte.

Das Agonale freilich, das ja auch das Männliche/Väterliche ist, tritt kaum noch in Aktion. Vor allem in Deutschland, mehr und mehr auch in ganz Europa entwickelt sich ein androgyner Antiheroismus, ist eine wohlfühlige, aber im Kern autoaggressive Bußfertigkeit angesagt. In Deutschland kommt eine postpatriotische, bisweilen sogar illusionäre militant-pazifistische Grundstimmung hinzu. Mit einer solchen Grundhaltung aber ist keine Zukunft zu machen. Wenn Deutschland und Europa nicht weiter zurückfallen wollen, muss die Bereitschaft zum Agonalen, zum Wettkampf wiederbelebt werden. Für dieses Ziel ist das vorliegende Plädoyer von Dr. Voß für eine Überwindung des Postheroismus ein guter Augenöffner.“

Alles in allem: Man wird das neue Buch von Burkhard Voß mit einem grimmigen Vergnügen und einem geschärften Blick für die Vertrottelung des Westens, vor allem Deutschlands lesen.


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Kommentare ( 16 )

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Karlsruher
5 Jahre her

Danke für den Hinweis.

Jan
5 Jahre her

Das Buch werde ich mir kaufen, weil ich seit einigen Jahren über solche Dinge jeden Tag nachdenke: die über die Jahrzehnte zugenommene Unmännlichkeit und Verweiblichung der Gesellschaft, die sich besonders in der Flüchtlingskrise deutlich gezeigt hat. Es ist für mich als Mann völlig unankezptabel, Millionen fremder junger Männer aufs Staatsgebiet zu lassen, die ich von meinem Steuergeld aushalten muss und die dann noch als zusätzliche Konkurrenten auf dem Paarungsmarkt auftreten. Erst letzten Samstag in der Disco: ca. 10 Schwarzafrikaner im Club, die versuchten, deutsche Frauen kennenzulernen, aber kein weibliches afrikanisches Gegenstück dazu. Halt, doch – es gab eine (ältere) Schwarzafrikanerin:… Mehr

Marc Hofmann
5 Jahre her

Was braucht der Mensch zum Überleben… Wasser, Luft, Sonne, Dunkelheit, Essen, Gesellschaft/Sex, ein Dach über dem Kopf und Feuer.
Was braucht der Mensch um vom Überleben ins Leben zu kommen…die Industrie Gesellschaft, Aufklärung, Naturwissenschaften, Energie/Strom im Überfluss und billig…also er braucht auf jeden Fall das CO2… für das Leben und Überleben!

Frank v Broeckel
5 Jahre her

Wir befinden uns ALLE seit dem Jahre 2015 ff bereits im NEUEN, dem demographischen Zeitalter, das in Wahrheit ein mathematisches Zeitalter sein wird, und in dem Sie zukünftig mit IHREN gesamten althergebrachten Politikverständnis absolut NIX mehr anfangen können, da es nun einmal WEDER eine konservative, sozialdemokratische, liberale, rechte, linke oder mittige Mathematik gibt! Ja, Mathematik!!! Und JEDER, der im zukünftigen demographischen Wandel unser gesamtes Gemeinwesen auch weiterhin aufrecht erhalten, was in Wahrheit eine WAHRE Herkulesaufgabe darstellt, wird zukünftig auch automatisch(!!!) zum neuen Heros, und wer das halt EBEN NICHT kann, den schiebt der Gevatter demographischer Wandel SOWIESO vollständig automatisch auf… Mehr

giesemann
5 Jahre her
Antworten an  Frank v Broeckel

Düster, aber leider wahr. Man denke allein an die 650 Millionen Kinderehen, wobei 650 Mio. Mädchen mit 13/14/15 schwanger sind – Jahr für Jahr. Ein gewaltiger Schub allein das für den demogr. Wandel. Der Klimawandel ist ein Nichts dagegen.http://www.preda.org/de/fr-shays-artikel/kinderehen-eine-tarnung-von-kultureller-padophilie/. Das geschieht in einschlägig bekannten Kulturen, nicht bei uns. Wir haben die 1,5-Kind-Euro-Durchschnittsfrau – kein Problem.

giesemann
5 Jahre her
Antworten an  giesemann

Zur Semantik vielleicht: Ein demogr. „Wandel“ ist ja eigentlich eben nicht zu beobachten – die machen einfach weiter wie bisher, Lärm und Hitze. Und wir müssen uns das vom Leibe halten, wollen wir nicht „verbrennen“ – ganz ohne CO2. Wie wünschte ich den demogr. Wandel herbei, mit dem Ziel: Vier Milliarden bis 2100 global, in DE so ca 40 bis 50 Mio. – also besiedelt so wie FR heute, wär das was? Das Paradies auf Erden, weniger ist mehr.

Wittgenstein
5 Jahre her

Lieber Herr Kraus,

gegen die Vertrottelung hilft ein gutes Buch, z. B. „Das Ende des Alterns“ des Harvard Profs. David Sinclair. Das will ich natürlich wissen, noch rechtzeitig vor der Vertrottelung natürlich.

Wettbewerb, Wettbewerb, Wissensdurst, Welt, Weltall und auch noch Exploration? Das sind wohl eher Anwärter auf das Unwort des Jahres.

Unter dem nächsten BK Robert Habeck werden erst einmal all diese grauenvollen Bücher von alten weißen Männern gendergerecht umgeschrieben oder besser gar nicht mehr aufgelegt und aus dem HGB das Wort Gewinnerzielungsabsicht gestrichen.

Pichtlektüre wird nicht Nietzsche, sondern Precht: „Wer bin ich – und wenn ja wie viele?“

Alexis de Tocqueville
5 Jahre her
Antworten an  Wittgenstein

Hauptsache sie streichen das Wort auch aus dem EStG.

Farbauti
5 Jahre her

Vielen Dank, das Lesevergnügen werde ich mir gönnen. Vor ca. 3 Jahren fing ich an Tichys zu lesen. Da war es noch verpönt irgendwelche Vorkommnisse oder deren Ausführende psychologisch zu betrachten oder zu benennen. Diagnosen schon gar nicht. Die Luft wird immer dünner und es ist notwendig krankes Verhalten auch als solches zu bennen. Gerade auch bei Politikern, es handelt sich ja auch schon lange nicht mehr um die erste Garde. Wenn Mutter oder Vater den eigenen Kindern Schaden zufügen, ist Diagnostik selbstverständlich. Wenn Politiker dem eigenen Volk und der Volkswirtschaft Schaden zufügen, soll das auch so sein. Es darf… Mehr

Wolfgang
5 Jahre her

„…Stanislaw Jewgrafowitsch, der 1983 als Oberstleutnant der russischen Luftverteidigung einen Fehlalarm richtig zu deuten wusste, ihn nicht weiterverfolgte und damit wahrscheinlich einen Nuklearkrieg verhinderte.“

Kleine Korrektur :
Im russischen verweist der zweite Name auf den Vornamen des Vaters. Der Nachname des kaum bekannten Helden lautet Petrow.

Heiner Mueller
5 Jahre her

Sie haben einen vergessen: Martin Luther!!

Denis Diderot 2018
5 Jahre her
Antworten an  Heiner Mueller

Als Held oder Anti-Held?

giesemann
5 Jahre her

Ich weiß nicht, was Leistungswille, wissenschaftliche Anstrengung etc. mit „Heroismus“ zu tun haben soll. Mut ist gut, solange er sich nicht als zweite Form von Dummheit entpuppt. Das mit dem feigen Kapitän ist kein gutes Beispiel, allein deshalb schon, weil der wohl auch angetrieben worden war von seiner Gesellschaft, seinem AG, den Passagieren eine tolle Show zu bieten – sowas geht eben manchmal schief. Das ist wie auf dem Jahrmarkt – Nervenkitzel ja, aber bloß nicht da oben wo hängen bleiben, wenn was falsch läuft. Schuld sind eh die Anderen, warum nicht einfach mal sagen: Kreuzfahrt nein danke, Achterbahn dito.… Mehr

Denis Diderot 2018
5 Jahre her
Antworten an  giesemann

Wäre Schettino ein Held gewesen, hätte er seiner AG eine Absage erteilt und den Passagieren aus Verantwortungsbewusstsein die Show nicht erteilt. Leistungswille und wissenschaftliche Anstrengung gehen einher mit Heroismus, weil sie heutzutage bedeuten, sich von der Hängematte zu erheben und ein Teil des Lebens für andere zu opfern. Wer in der Leistungsspitze etwas leisten will, muss sein Leben unterordnen. Dies betrifft die Partnerschaft, die Familie, die Freunde, die Freizeit, die Gesundheit. Anerkennung bekommen solche Helden nicht. Vielmehr ziehen sie den Unmut und den Neid der vom Gleichheitswahn Befallenen auf sich – insbesondere solcher, die in der Hängematte des öffentlichen Dienstes… Mehr

mmn
5 Jahre her

Interessant scheint mir, daß unsere links-grünen Gutmenschen/Gesellschaftsveränderer/“gegen Rechts“-Kämpfer ihr Tun als heldenhaft sehen. Dabei wären sie nicht der „klassische Held, der für andere oder eine Idee die Schädigung seiner Gesundheit und den Tod einkalkuliert“. Sie handeln ja nicht nur uneigennützig, sondern gefallen sich in der Pose des moralisch Überlegenen. Und insbesondere kalkulieren sie nicht die Schädigung ihrer Gesundheit bzw. ihren Tod ein, sondern die Schädigung unserer Finanzen, Gesundheit, körperlichen Unversehrtheit (bis hin zu unserem Tod). Postheroismus träfe es demnach auch nicht. Wenn man sie als Antihelden einordnen würde, wäre jedenfalls zu beachten, daß sie als solche nicht (wie i.d.R. in… Mehr