Österreich steht vor einer Richtungswahl

Kann Sebastian Kurz seinen Kurs fortsetzen? Wird die FPÖ unter Norbert Hofer zur staatstragenden Volkspartei? Ein Gastbeitrag von Stephan Baier, Die Tagespost.

JOE KLAMAR/AFP/Getty Images

„Schnaps, ÖVP, Schnaps!“ So skizzierte vor vielen Jahren ein frommer steirischer Kirchgänger sein Wahlverhalten. Schon damals gab es in Österreich nicht „die“ katholische Partei. Das Klischee, dass Arbeiter und Angestellte SPÖ wählen, während Bauern und konservative Katholiken ihr Kreuz bei der ÖVP machen, ist mehr nostalgische Erinnerung als politische Wirklichkeit. Unter Jörg Haider wurde die FPÖ zur alternativen Arbeiterpartei, unter H.C. Strache auch zu einer Alternative für konservative Katholiken. Die Grünen sprechen gezielt die Umweltbesorgten aller Stände und Lager an, die liberalen NEOS jene, die individueller Leistung und Unternehmergeist mehr vertrauen als Übervater Staat.

„Die“ katholische Partei gibt es auf dem Wahlzettel nicht

Heute jonglieren alle Parteien Themen unterschiedlicher Interessens- und Wählergruppen. Dass es „die“ katholische Partei auf dem Wahlzettel nicht gibt, liegt aber an den Katholiken selbst, die – wenig überraschend – mehrheitlich nicht nach Weisungen des kirchlichen Lehramts oder christlichen Werthaltungen wählen. Auch Kirchgänger haben, wie alle Bürger, unterschiedliche Interessen: als Steuerzahler oder Sozialhilfeempfänger, Unternehmer oder Angestellter, Bauer oder Selbstständiger, Hausbesitzer oder Mieter, Pensionist oder Student, Single oder Familienvater, Karriere- oder Hausfrau. Mit dezidiert christlichen Positionen – etwa gegen die jüngst eingeführte Ehe für gleichgeschlechtliche Paare oder gegen die politisch tabuisierte Fristenregelung – ist im immer noch mehrheitlich von Christen besiedelten Österreich keine Wahl zu gewinnen, ja nicht einmal der Einzug ins Parlament zu schaffen.

Fast alle präsentieren sich als werthaltige Optionen für Christen

Umso erstaunlicher, dass fast alle Parteien sich irgendwie auch als werthaltige Option für Christen präsentieren: die SPÖ unter dem Banner der Gerechtigkeit, die Grünen unter dem von Umweltschutz und Klimawandel (ins Christliche übersetzt: Schöpfungsverantwortung), die NEOS unter jenem von individueller Verantwortung und Freiheit. Am deutlichsten haben sich zuletzt christliche Bekenntnisse bei ÖVP und FPÖ verdichtet, auch unter dem Eindruck, dass das Wachsen eines zerstrittenen, doch selbstbewusst auftretenden Islam eine Selbstvergewisserung der Österreicher nötig macht. „Ja, wir wollen unsere kulturelle Identität aufrechterhalten. Wir sind stolz auf unsere Bräuche, Traditionen und Kultur“, sagte ÖVP-Chef Sebastian Kurz jüngst im Wahlkampf. Wer zuwandert, der müsse sich daran halten.

Österreich wählt an diesem Sonntag
Wer mit Sebastian Kurz?
Im ÖVP-Wahlprogramm steht: „Unsere österreichische Gesellschaft ist von der jüdisch-christlichen Tradition und der Aufklärung geprägt. Zu diesem Wertefundament gehören auch die Achtung der Menschenwürde, Freiheit, Demokratie, Gleichberechtigung, Rechtsstaatlichkeit und die Wahrung der Menschenrechte.“ Um Zuwanderern aus anderen Kulturkreisen dies alles zu vermitteln, hat die ÖVP/FPÖ-Regierung Deutschförderklassen eingeführt, weil Sprachkompetenz als Schlüssel zur Integration gilt. Die ÖVP tritt für ein Kopftuchverbot für Lehrerinnen und für Schülerinnen bis 14 Jahre ein, für die Kürzung der Sozialleistungen für Familien bei Vernachlässigung der Erziehungspflichten und für eine Dokumentationsstelle für (genauer: gegen) den politischen Islam.

Am politischen Islam arbeitete sich auch der neue FPÖ-Chef Norbert Hofer beim Parteitag am vergangenen Samstag in Graz ab: Als er auf die Welt kam, lebten 20.000 Muslime in Österreich, heute seien es 800.000, meinte Hofer leicht aufrundend. „Mohammed“ sei in Wien der drittbeliebteste Vorname. „Es braucht eine Partei, die alles tut, um diesem Trend der völligen Veränderung unseres christlichen Abendlands entgegenzutreten“, rief Hofer. „Der Islam war niemals ein Teil unserer Kultur, und er wird niemals ein Teil unserer Kultur sein. Wir wollen unsere Werte nicht aufgeben! Es ist unser Land!“

Instrumentalisierung der Religion zur Abgrenzung von „den Anderen“?

Bereits in den 1990er Jahren unter Jörg Haider, hatte die FPÖ mit der Angst vor ausländischer Überfremdung Wahlkampf gemacht und Stimmen maximiert. Bedient Norbert Hofer heute ähnliche Ängste, wenn er fordert, Hass-Prediger auszuweisen und „Hass-Moscheen zu schließen“, wenn er warnt, es werde bei Einführung eines Ausländerwahlrechts „eine Islam-Partei“ geben? Dient, wie FPÖ-Kritiker meinen, die Berufung auf das christliche Abendland vor allem zur Abgrenzung von einem muslimischen Morgenland, das in Gestalt von Migranten Österreich zu fluten droht? Geht es also um eine Instrumentalisierung der Religion zur Abgrenzung von den Anderen, von den Ausländern, mit ihrem fremden Glauben und ihren fremden kulturellen Gepflogenheiten – um ein Spiel mit der Angst der autochthonen Bevölkerung vor Überfremdung?

Ex-Innenminister Herbert Kickl bediente – anders als der zum Protestantismus konvertierte Hofer – beim FPÖ-Parteitag die alten antiklerikalen Reflexe der FPÖ, als er das Kirchenasyl zum „Modell der Vergangenheit“ erklärte, das im Rechtsstaat des 21. Jahrhunderts nichts zu suchen habe. Die Kirche dürfe nicht Leute in ihren Klöstern verstecken, die es sonst mit dem Christentum so gar nicht haben, wetterte Kickl. Dabei hat die FPÖ im Parteiprogramm mit Christentum und Judentum längst ihren Frieden gemacht: „Europa wurde in entscheidender Weise vom Christentum geprägt, durch das Judentum und andere nichtchristliche Religionsgemeinschaften beeinflusst und erfuhr seine grundlegende Weiterentwicklung durch Humanismus und Aufklärung.“ Weiter heißt es da: „Wir bekennen uns zu den daraus resultierenden Grundwerten und zu einem europäischen Weltbild, das wir in einem umfassenden Sinn als Kultur-Christentum bezeichnen und das auf einer Trennung von Kirche und Staat beruht.“

Der alte und neue Bundeskanzler Österreichs?
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Was bedeutet das nun, angewandt auf konkrete Fragen? ÖVP, FPÖ und sogar die liberalen NEOS sind dagegen, dass Abtreibungen von den Krankenkassen finanziert werden. SPÖ, Grüne und „Jetzt“ sind dafür. ÖVP, FPÖ und NEOS sehen es als Anliegen, die Zahl der Abtreibungen zu reduzieren. Politiker von ÖVP und FPÖ haben die Vorschläge von „fairändern“ und „Aktion Leben“ zur Verbesserung des Lebensschutzes unterstützt, wenngleich sich keiner an eine Reform der Fristenregelung wagt. Die von den Bischöfen geforderten „flankierenden Maßnahmen“ haben nur bei einer Fortsetzung der ÖVP/FPÖ-Regierung eine Chance, wie Äußerungen von Kurz und Hofer zeigen. SPÖ-Politiker wiederholen stets das rote Mantra, Abtreibung sei ein hart erkämpftes Frauenrecht, an dem unter keinen Umständen gerüttelt werden dürfe. SPÖ, Grüne und „Jetzt“ würden Abtreibung gerne ganz aus dem Strafgesetzbuch tilgen.

SPÖ, Grüne und „Jetzt“ sehen „traditionelle Familie“ als rotes Tuch

Für SPÖ, Grüne und „Jetzt“ ist das, was sie „traditionelle Familie“ und „klassische Rollenbilder“ nennen, ein rotes Tuch. Kritik an der Gender-Ideologie und der LGBTI-Lobby wagen nur Politiker von ÖVP und FPÖ. Auch wenn beide Parteien die von den Höchstrichtern erzwungene Homo-„Ehe“ nicht verhinderten, bekennen sie sich zum Leitbild der Ehe von Mann und Frau, zur Familie aus Vater, Mutter und Kindern. Die NEOS wehren sich immerhin gegen die von Rot-Grün ersehnte Verstaatlichung der Kindererziehung. Eine Ausweitung des sogenannten „Schutzes vor Diskriminierung aufgrund der sexuellen Orientierung“ über die Arbeitswelt hinaus lehnen nur ÖVP und FPÖ ab. Das wäre eine drastische Einschränkung der Vertragsfreiheit und der Privatautonomie, heißt es aus der ÖVP. Der Diskriminierungsschutz sei bereits ausreichend, heißt es aus der FPÖ. Dass Privatpersonen etwa ein schwules Paar als Mieter ablehnen dürfen oder ein Bäcker keine Hochzeitstorten für Homo-Hochzeiten machen will, würden alle anderen Parteien gerne gesetzlich verbieten.

Im Wahlkampf und in der Wahlzelle geht es jedoch weniger um Ehe, Familie und Lebensschutz. Auch kaum um Steuern, Pensionen und die Zukunft der Pflege. Eine moralische Bewertung der kurzen ÖVP/FPÖ-Regierung unter Bundeskanzler Sebastian Kurz dominiert zumindest die mediale Debatte. Ob die österreichischen Leitmedien damit Recht behalten, oder doch FPÖ-Chef Hofer, der die gescheiterte Regierung als die beliebteste aller Zeiten preist, das wird sich am Abend des 29. September zeigen. Die FPÖ würde jedenfalls gerne mit der Kurz-ÖVP weiter regieren. Kurz selbst lobt die inhaltliche Arbeit der vergangenen eineinhalb Jahre, hält sich aber zunächst alle Optionen offen. Bei Umfragewerten um die 35 Prozent – knapp 15 Prozent vor SPÖ und FPÖ – kann sich der ÖVP-Chef diesen Luxus leisten.

Dieser Beitrag von Stephan Baier erschienen zuerst in Die Tagespost. Katholische Wochenzeitung für Politik, Gesellschaft und Kultur, der wir für die freundliche Genehmigung zur Übernahme danken.


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Kommentare ( 21 )

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21 Comments
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Skeptischer Zukunftsoptimist
5 Jahre her

„Ja, wir wollen unsere kulturelle Identität aufrechterhalten. Wir sind stolz auf unsere Bräuche, Traditionen und Kultur“, sagte ÖVP-Chef Sebastian Kurz jüngst im Wahlkampf. Wer zuwandert, der müsse sich daran halten.“ Es hat den Anschein, als ob der Zug für Österreich auch schon lange abgefahren ist, egal wen sie wählen. Beim diesjährigen Urlaub in der Gegend Kaprun/Zell am See hatte gefühlt die Mehrheit der Frauen ein Kopftuch drauf bzw. war verhüllt bis runter. Abends im Park, – vorn spielt die österreichische Folkloretrachtengruppe/kapelle-drehte man sich um, dachte man auf den ersten Blick, man ist im Orient zu Gast. Ein sehr gewöhnungsbedürftiger Kontrast… Mehr

Hans Wurst
5 Jahre her

Schnaps, ÖVP, Schnaps! – das österreichische Pendent zu „Auge zu, Ohren zu, zähneknirschend CDU.“

Iso
5 Jahre her

Wer 800.000 Türken im Land hat, sollte wichtigere Dinge zu tun haben, als seine Regierung mit der FPÖ platzen zu lassen. Aber wie in der Politik mit schmutzigen Tricks gearbeitet wird, erleben wir gerade wieder beim angedachten Amtsenthebungsverfahren für Trump, oder wie das Parlament in England mit dem Brexit umgeht.

Matth Mo
5 Jahre her

In einer ÖVP-NEOS-GRÜ Koalition hat die ÖVP ein gigantisches Risiko, nämlich bei der Migrationspolitik einzuknicken. Die FPÖ kann es wohl abwarten. Weil die Gegensätze zwischen ÖVP und Grünen in diesen Punkten extrem sind, so wird bei der wohl anstehenden Wirtschaftskrise mit neuer Migrationswelle wohl bald der Haussegen schief hängen.
Von der SPÖ sprich keiner mehr … sie hätte wohl nur mir einer den dänischen Sozialdemokraten nachvollzogenen Wende punkten können, die sie -ähnlich der deutschen SPD – aber aufgrund der ideologischen Vernagelung ihres Funktionärskörpers nicht mehr hinbekommt.

Am Sonntag wissen wir mehr.

Thomas Hellerberger
5 Jahre her

ÖVP- und CDU-Wähler ähneln sich ziemlich stark: Sie wählen eigentlich nichts. Sie sind zu feige, zu bequem, zu bräsig oder es geht ihnen zu gut (aber nicht ZU gut) als daß sie politische Farbe bekennen wollten, auch und vor allem vor sich selbst. Linke und Rechte eint, daß sie eine klare Vorstellung von der Welt haben. In der Regel gefällt sie ihnen nicht, so wie sie ist, also streben sie nach Herrschaft, um die Welt zu ihrem Wohlgefallen zu ändern. Nun ist es sowohl ein Grundrecht als auch keine Schande, unpolitisch zu sein. Dennoch gibt es von dieser Sorte immer… Mehr

Walter Kraus
5 Jahre her

Der Herbst in Österreich ist gut geeignet für die Abwehr des Islam, siehe 1529 und 1683 bei den gescheiterten Belagerungen von Wien und auch die entscheidende Seeschlacht bei Lepanto 1571 war Anfang Oktober. Führer der Christen war Juan d’Austria, der Sohn Karls V., habsburgischer Herrscher über Spanien und Deutschland (inklusive Österreich). Ja, ja, ich weiß, lang vorbei, aber man könnte sich schon vorstellen, was aus Mitteleuropa unter den Osmanen geworden wäre. Bulgarien, Rumänien und Griechenland lassen grüßen.

Marc Hofmann
5 Jahre her

Ich bin auf das wahre Gesicht dieses Hr Kurz nach der Wahl gespannt..welche Prinzipien leiten ihn…welchen Charakter hat…welchen Weg wird er gehen

manfred_h
5 Jahre her

Zitat: „Bereits in den 1990er Jahren (….) hatte die FPÖ mit der Angst vor ausländischer Überfremdung Wahlkampf gemacht und Stimmen maximiert. Bedient Norbert Hofer heute ähnliche Ängste, wenn er fordert, Hass-Prediger auszuweisen und „Hass-Moscheen zu schließen“, wenn er warnt, es werde bei Einführung eines Ausländerwahlrechts „eine Islam-Partei“ geben? (………) Geht es also um eine (…..) Abgrenzung von (….) den Ausländern, mit ihrem fremden Glauben und ihren fremden kulturellen Gepflogenheiten – um (…..) Überfremdung?“ > Also ich finde es richtig u. legitim so -auch- Wahlkampf zu machen. HINZU und UMSO MEHR, wenn andere Politiker u. Parteien Weltoffenheit, Multikulti und offenen Grenzen… Mehr

joseph
5 Jahre her

Auffallend wie leiste plötzlich die rechten Medien in Deutschland zum Thema Ibiza geworden ist, jetzt wo sich mehr und mehr herauskristallisiert, dass es sich in erster Linie um einen FPÖ internen Fall handeln dürfte 😉

Fundamentiert
5 Jahre her

Wer vor den islam warnt kann also nur Ängste bedienen? Es ist also nicht eine mathematische Gewissheit was passiert wenn sich nichts ändert? Das sich dann die Mehrheitsverhältnisse und Kultur verändert? Hierbei geht es eindeutig um Fakten und nicht um Angst. Schlimm ist es diese Fakten zu ignorieren, noch schlimmer sie zu kennen und in „Angst machen“ umzudeuten, damit spielt man den Betreibern dieser Politik doch vollends in die karten.

Ursula Schneider
5 Jahre her
Antworten an  Fundamentiert

Seltsam auch, dass z. B. mit klimabedingtem Weltuntergang k e i n e Ängste bedient werden.
Nur rechte Parteien spielen offensichtlich mit der Angst und „instrumentalisieren“ für ihren Wahlerfolg. Fakten sind da völlig nebensächlich. Ich kann’s nicht mehr hören!