Ist der Islam Demokratie-tauglich?

Die fundamentalistische Koran-Auslegung, die nicht nur von „Islamischem Staat“ und sa’udischen Wahabiten (und ihren europäischen Ablegern der Salafisten) vertreten wird, ist alles andere als eine Minderheitenströmung der weltweiten Umah.

Viel wird geschrieben über die Gefahr, die dem christlich-jüdisch geprägten Abendland vorgeblich durch den Islam drohe. Islamvertreter wie der ewige Kämpfer für das Kopftuch, Ajman Mazyek, aber auch liberale Islamlehrer wie Mouhannad Khorchide, werden nicht müde zu betonen, dass der Islam eine friedliche Glaubenslehre sei – und dass Muslime selbstverständlich auch Demokraten sein können. Letztlich, so ist häufig zu hören, sei das ähnlich wie im Juden- und Christentum eine Sache der Auslegung und der Interpretation und der Islam als Religion des Friedens vorbildlich.

Selbstverständlich: Religiös geprägte Philosophien entwickeln sich über die Jahrhunderte weiter. Der Gottesstaatsanspruch, den der jüdische Tanach – das christliche Alte Testament – an zahlreichen Stellen und dort ausschließlich für das Volk des Jahwe erhebt, ist mit Ausnahme kleiner, orthodoxer Gruppen längst nicht mehr Inhalt und Ziel des gelebten Mosaismus. Der Staat Israel ist eine säkulare Demokratie – und immer noch die einzige echte Demokratie zwischen Bosporus und Indischem Ozean. Nur am Rande: Genau aus diesem Grunde erkennen einige fundamentalistisch-orthodoxe Juden „ihren“ Staat Israel nicht an. Für sie ist er eine weltliche Fehlinterpretation des göttlichen Willens. Doch damit stehen sie recht einsam da in ihrer Gemeinschaft – und bis auf ganz seltene Wirrköpfe halten sie sich an die Grundprämisse, ihren innerjüdischen Konflikt auf friedlichem Wege regeln zu wollen.

Die Evangelien, die das Leben Jesu wiedergeben sollen, sind deutlich anders angelegt. Jesus zog demnach bereits zu Lebzeiten eine klare Linie zwischen „Glauben“ und weltlicher Politik. Der bekannte Spruch „Gebt dem Kaiser, was des Kaisers ist, und Gebt Gott, was Gottes ist“, der in Markus 12 zitiert wird, definiert konsequent eine Trennung von Staat und Kirche. Es ist nicht Jesu Verschulden, dass christliche Kleriker später die politischen Möglichkeiten von Religion erkannten und das Säkularismus-Gebot der Evangelien auf den Kopf stellten.

Ursprünge des Islam

Wie nun aber sieht es im Islam aus? Anders als jenem Jesus, der kein Reformator sondern ein bewusster Neuerer des Mosaismus war und der sich deshalb gezielt mit den in der hasmonäischen Tradition des Gottesstaatsgebots stehenden Pharisäern überwarf, schwebte dem arabischen Kaufmann, als er seine Vorstellungen als göttliches Gebot verkündete, von vornherein ein realpolitisches Ziel vor. Der Islam, der aus einer regionalen Stammestradition heraus entwickelt wurde, kennt keinen weltlichen Staat. Vielmehr ist es sein grundlegendes Ziel, alle Stämme und Völker unter einer einzigen Idee zu einen, die als „Umah“ („Gemeinschaft“) mit dem Dar-al’Islam eine einheitliche „Region des Schutzes“ (abgeleitet vom semitischen Wortstamm S-L-M) schafft.

Historisch ist dieses Ziel nachvollziehbar und konsequent in einer Welt, in der jeder Stamm gegen jeden kämpfte und Kaufleute wie Mehemed nie sicher sein konnten, bei ihren Kauffahrten nicht Opfer räuberischer Beduinen zu werden. Anders aber als das Judentum, das seinen Geltungsanspruch nur auf seine Anhängerschaft bezieht, und als das Christentum beschränkte der Araber seine Umah nicht auf bestimmte Gruppen oder Regionen. Sein Ziel war letztlich die Weltherrschaft im Rahmen der Umah – eine allumspannende Zone des Schutzes von – hätte er darum gewusst – Nordpol bis Südpol.

Eine bipolare Welt

Die Rechtsgelehrten des Islam teilen daher die Welt in zwei Gebiete auf: Jenes bereits erwähnte Dar al’Islam als im Sinne Mehemeds befriedete Zone und das Dar al’Charb als Region des Krieges, in der der Umah erst noch Geltung verschafft werden muss. Wer im Dar al’Charb als Nicht-Muslim lebt, gilt als „Ungläubiger“, der zum „wahren Glauben“ zu bekehren ist. Verweigert er diese Bekehrung, so darf er als Feind betrachtet und entsprechend behandelt werden. Das bedeutet unter anderem, dass er selbst vertrieben oder auch getötet, sein Eigentum von den wahren Gläubigen übernommen werden darf. Da zum traditionellen Eigentum der Wüstenherren auch die Frauen gehörten, galten nicht-islamische Frauen grundsätzlich als unverheiratet. Die islamischen Herren konnten sie – wie dereinst Mehemed selbst – als Gattinnen ehelichen, als (Sex)Sklavinnen ihrem eigenen Haus eingemeinden oder bei Bedarf veräußern. Der „Islamische Staat“, der nicht nur die Regionen des Irak und Syriens terrorisiert, macht von diesem Recht ausgiebig Gebrauch, wenn er beispielsweise ezidische Frauen und Mädchen in die Sexsklaverei bestimmt.
Islamische Ausnahmen

Womit wir bei den Ausnahmen sind, die Mehemed vorgesehen hat. Da sein Koran ein anti-jüdisches Konglomerat von Verdrehungen der ursprünglichen Quellen ist (so wird beispielsweise die Erbfolge Abraham/Ibrahim zu Isaak und Ismail konsequent umgekehrt), ist Mehemed die jüdisch-christliche Basis seines Elaborats ständig bewusst. Auch aus machtpolitischen Erwägungen – die arabische Halbinsel war zu seiner Zeit von jüdischen Stämmen geprägt, der nordafrikanische und nahöstliche Raum von christlichen Bewohnern besiedelt – räumte er den Anhängern sogenannter „Buchreligionen“ – vorrangig Juden und Christen – eine Sonderstellung ein. Sie gelten in islamischer Anschauung als Anhänger des wahren und einzigen Gottes, die (noch) einer unvollendeten Vorgängerreligion und damit folglich falschen Glaubensinterpretation folgen, und denen daher als „dhimi“ das Recht eingeräumt werden kann, sich gegen Zahlung einer Sondersteuer unter den Schutz der Umah zu stellen. Verweigern sie sich der Zahlung, so entfällt die Schutzfunktion – was quasi einem Todesurteil gleich kommt und im freundlichsten Fall „nur“ mit umgehender Ausweisung bestraft wird.

Noch schlimmer ergeht es einer anderen Gruppe, die der Islam als Nicht-Mitglieder der Umah kennt: Den Charbi. Charbi sind jene, die sich als im Kriegszustand mit der Gemeinschaft der islamischen Gläubigen befindlich begreifen müssen. Als „Ungläubige“ gehören zu ihnen alle Nicht-Muslime, die sich nicht als Dhimi dem Islam unterworfen haben oder außerhalb des Gebietes des islamischen Schutzes leben. Charbi befinden sich in einem andauernden Kriegszustand mit der Umah – und spätestens, wenn ihnen seitens der Gläubigen unterstellt werden kann, gegen die Interessen der Umah zu verstoßen, sind sie als Kriegsgegner zu behandeln. Da eine solche Situation faktisch bereits mit der Nicht-Anerkennung des Islam als einzig herrschender Lehre gegeben ist, befindet sich die Umah in einem erst dann endenden Kriegszustand mit der nicht-islamischen Welt, wenn es diese nicht mehr gibt. Allerdings können  Charbi, so sie nicht umhin können, islamische Gebiete zu bereisen, einen befristeten Schutzvertrag abschließen, der sie zum Musta’mim macht und sie zeitweilig in den Rechtszustand des Dhimi versetzt. Faktisch schließt jeder Nicht-Muslim, der beispielsweise nach Sa’udi-Arabien reist, einen derartigen Vertrag ab, ohne dass dieses heute explizit institutionell vollzogen würde.

Tod den Abtrünnigen

Die aus islamischer Sicht „übelste“ Menschengruppe sind die Murtad. Ein Murtad ist ein Abtrünniger, jemand, der vom wahren Glauben des Islam abgefallen ist. Da der Islam keine Initiation als Ritus kennt, sondern einerseits jeder, der von einer muslimischen Frau geboren wird – Zwangsmuslim ist, und anderseits jeder, der sich auch nur einmal zum alleinigen, vorgeblich gemeinsamen Gott von Muslimen, Juden und Christen bekennt oder mit diesem von einem Muslim konfrontiert wurde, bereits als Muslim betrachtet wird, ist der Weg hin zu der Auffassung, auch Juden und Christen als Abtrünnige zu begreifen, recht kurz. Unter dem Islam geborene Kinder sind ohnehin chancenlos, sich der Umah zu entziehen – als Abkommen von Muslimen haben sie keinerlei Entscheidungsrecht über ihre Glaubenszugehörigkeit. Als Apostaten – also Menschen, die dem Islam entsagen – verweigern sie sich dem Schutzvertrag und sind als Abtrünnige und Gotteslästerer umgehend zu exilieren.

Kurz gesagt: Der klassische Islam ist ein faustischer Vertrag. Er bietet den Schutz der Gemeinschaft gegen den Verkauf der Seele und die absolute Unterwerfung unter die Gebote Mehemeds. Den Siegeszug des Islam in den jüdisch-christlichen Gebieten des Mittelalters erklärt beispielsweise Egon Flaig genau mit dieser Herangehensweise: Unterworfene Völker und Stämme hatten häufig nur die Wahl, sich entweder umgehend zu islamisieren oder in die Sklaverei zu gehen. Aus dieser heraus führte der Weg ausschließlich über das Bekenntnis zum Islam – und die Nachkommen dieser Zwangskonvertiten waren bereits mit Leib und Seele Muslime, für die es ein Entrinnen nur über den Tod gab.

Bestrebungen der Neuerung

Soweit dieser kurze Einblick in die Historie und die Gedankenwelt des Islam. Dabei soll nicht unterschlagen werden, dass es im Islam auch Entwicklungen gab und gibt, die diesem letztlich ausschließlich machtpolitisch begründeten Alleinherrschaftsanspruch nicht folgen. Jener bereits erwähnte Mouhanad Khorchide, der an der Münsteraner Universität den Lehrstuhl für Islamische Religionspädagogik innehat, sucht gezielt nach einer anderen, den totalitären Anspruch des Islam überwindenden Interpretation. Von den traditionellen Muslimen auch in Deutschland wird er deshalb vehement bekämpft.

Gleichwohl darf nicht verkannt werden, dass die fundamentalistische Koran-Auslegung, die nicht nur von „Islamischem Staat“ und sa’udischen Wahabiten (und ihren europäischen Ablegern der Salafisten) vertreten wird, eben alles andere als eine Minderheitenströmung der weltweiten Umah ist. Die Frage, ob dieser Islam tatsächlich demokratie-tauglich sein kann, beantwortet sich insofern von selbst.

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