Als Bundeskanzlerin punktet Angela Merkel bei den Wählern – die aber der CDU in den Ländern davonlaufen. Wie lange geht das gut?
Der grau gewordene Bürgerschreck Daniel Cohn-Bendit hat genau beobachtet, warum die Spitzen der CDU mit den Grünen flirten: “Wir Grünen und die CDU treffen uns immer auf Vernissagen und Opernpremieren. Da sind die Sozialdemokraten, diese Banausen, nie dabei.” So schön würde es Angela Merkel nie formulieren. Aber sie hat ihre Politik auf dieses neue schwarz-grüne Lebensgefühl in den Metropolen ausgerichtet – dort soll Ursula von der Leyen die jüngeren Frauen abfischen und Norbert Röttgen die neureichen Umweltbewussten im SUV zum Kreuz bei der Union bewegen. Es ist ein kluges Rezept gegen das langsame Verdämmern der CDU, die von älteren Menschen in Kleinstädten gewählt wird. Das Dumme ist nur: Die alten Wähler der CDU haben das Gefühl, dass sie von ihrer Partei nicht mehr gewollt werden, dass sie allenfalls noch Brückenwähler sind, bis die CDU endgültig bei den urbanen, emanzipierten Lebensstilgrünen angekommen ist. Die Traditionswähler der Union warten vergeblich auf ein politisches Projekt, das ihnen klarmacht, warum sie weiterhin die Union wählen sollen. Stattdessen müssen sie zuschauen, wie die Union sich zum Vollender der Programmatik macht, die die Grünen vor 30 Jahren erfunden haben: Atomausstieg, Energiewende zu Sonne und Wind, Abschaffung der Wehrpflicht, Frauenquote und ein Abtragen jener letzten Vorrechte, die bislang Familien geschützt haben. Nun tragen die Konservativen ja Veränderungen mit – wenn man sie mitnimmt und ihnen das Gefühl gibt, dass es ihre eigene Einsicht war.
Aber Vermittlung ist keine Stärke von Angela Merkel. Für sie ist Politik am liebsten so “alternativlos” wie ein physikalisches Gesetz, gegen das Überzeugung nichts ausrichtet; Bedenkenträger werden niedergeblafft und entsorgt. Selbst die Energiewende inszeniert sie als persönliches Saulus-Paulus-Erweckungserlebnis, nicht aber als gemeinsame Einsicht: Parteitage und Parlament sind nicht Teil eines Veränderungsprozesses, sondern werden nur noch zur notariellen Beurkundung benötigt. Dieser forsche Stil hat seine Fans – in der Euro-Krise vermittelt Merkel die Sicherheit, dass schon alles in guten Händen ist und vielleicht nicht gut, aber bestmöglich gewendet wird. Ansonsten sind Ministerpräsidenten oder auch Großstadtbürgermeister mit CDU-Parteibuch eine aussterbende Spezies: Hamburg, NRW, Baden-Württemberg, bald das Saarland und vielleicht Bayern: Die Wähler flüchten aus dem Hotel Mutti wie Studenten, denen es im Hotel Mama unheimelig wird.
Und nun also wieder NRW, oft politisches Laboratorium Deutschlands genannt: Weil die FDP als Bündnispartner kleingehackt wurde, ist die CDU auf gnädige Gunst der Grünen angewiesen. CDU-Spitzenkandidat Norbert Röttgen schmeichelt sich bei ihnen als Mister Atomausstieg ein. Aber dabei vergisst er, dass solche Bündnisstrategien vom Wähler nicht goutiert werden – das Original ist immer beliebter als die Kopie. Zudem hat die CDU schon die letzte Landtagswahl in den Ruhrgebietsstädten verloren – da, wo Arbeitslosigkeit und Elend wachsen und durch den Wegfall der energieintensiven Industrien sich gerade jetzt täglich beschleunigen. Darauf aber bleibt er jede Antwort schuldig, und auch sonst klappt es nicht so recht mit dem neuen Lebensgefühl der schwarzen Smarties: Die frisch arbeitslose Schlecker-Verkäuferin begreift, dass ihr eine Frauenquote für den Dax-Vorstand allenfalls einen Job als Putzfrau bei der Karrierefrau bringt. Die derzeitige Partnerin der Grünen, Hannelore Kraft, warnt frech vor einer drohenden Katastrophe durch Röttgens verstolperte Energiewende und rechnet genüsslich vor, wie viel die Bewohner der alten kollektiven Wohnsiedlungen an der Ruhr für die Solardächer der bayrischen Bauern und ergrünten schwäbischen Lehrer blechen. Da ist der schwarze Flirt mit den Grünen in der Oper nur für eines gut: die Wiederbelebung längst tot geglaubter sozialdemokratischer Milieus.
(Erschienen auf Wiwo.de am 17.03.2012)
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