Wer zu viele Anglizismen im Deutschen beklagt, der verkennt die historisch gewachsene sprachliche Allgegenwart unserer direkten Nachbarn aus Frankreich. Das Deutsche ist voll mit unkaputtbaren Franz-Worten – eines davon ist besonders degoutant ...
Liebe Tichy-Gemeinde, darf ich Ihnen etwas anvertrauen? Etwas Persönliches, leicht Unangenehmes? Zur Abwechslung mal etwas völlig Unpolitisches? Ich habe ein Problem mit dem Wort „Toilette“. Ich mag dieses Wort nicht! (Nur zur Sicherheit: Es geht mir um die eingedeutschte Variante mit dem ausgesprochenen Vokal am Ende – schrecklich!) Das Wort „Toilette“ im Deutschen ist mir einfach zu konkret, ich verwende es nicht gern, ich höre es nicht gern, weil ich die damit im Kopf entstehenden minuziösen Bilder oft nur schwer verkraften kann. All meine Versuche, eine Ausweichmöglichkeit zu etablieren, sind gescheitert, „Toilette“ ist in Deutschland alternativlos! Moment mal, vielleicht steckt darin ja doch etwas Politisches …
Gehen wir der Sache mal auf den Grund: Das französische Originalwort umfasst weit mehr als seine Lehnversion im Deutschen; wenn unsere Nachbarn von „Toilette“ sprechen, so geht es ihnen eher um Hygiene, um Reinheit und dergleichen. Meine Oma hat mir das mal sehr schön verdeutlicht mit dem Satz „Lütteken, ein ‚Eu de Toilette‘ ist keine WC-Ente!“ Viele Sprachen zeigen eine wohltuende Tendenz zum Euphemismus: „Restroom“ sagt man in den USA. Hier wird sich also ausgeruht! In L.A. durfte ich sogar mal den Ausdruck „Convienience Room“ bestaunen, und als Frau kannst du dort überdies immer auf das neckische „Näschen pudern“ ausweichen. Toll! „Lavatory“ steht gern auf den Türen in britisch geprägten Ländern sowie in Flugzeugen, ergo: Hier waschen wir uns (die Hände), und über alles andere bewahren wir Stillschweigen. In Spanien spricht man von „el baño“, dieser Ausdruck steht für Badezimmer. Wenn also eine Frau offenbart „Yo voy al baño“, so ist der Gedanke, dass sie sich gleich duscht und einseift, zumindest zulässig und immer irgendwie anregend. Doch was sagt der Deutsche? „Toilette“, und dieser Ausdruck gilt bei uns nur für die Keramik. Basta! Hier wird nicht entspannt, hier wird nicht gebadet oder gewaschen, hier geht es ausschließlich um Nahrungsabfuhr. Verspielte Varianten sind grundsätzlich nichts für den Teutonen, und als ob das allein nicht schon furchterregend genug wäre, benutzen wir im Deutschen auch noch eine jede Restillusion raubende Präposition …
Nur wenige sagen „Ich gehe jetzt ZUR Toilette“. Das wäre ja noch annehmbar, denn der Ausspruch „ZUR Toilette gehen“ lässt zumindest die Möglichkeit offen, dass die entsprechende Person sich ihr Vorhaben kurzfristig nochmal anders überlegt und wieder umkehrt. Doch was sagen wir stattdessen? Richtig: „AUF die Toilette“. Sind wir uns nicht bewusst, welche Horrorphantasien wir damit täglich heraufbeschwören? Nein, wir haben jegliche Scham verloren und denken gar nicht an Läuterung, im Gegenteil …
Neulich hatte ich in meinem Duisburger Autohaus einen Termin und meldete mich höflich vorne an: „Guten Tag, ich hätte gern Frau Hintz gesprochen.“ Antwort: „Tut mir leid, die SITZT grad auf der Toilette.“ Und weiter: „DAS KANN DAUERN!“ Bestürzt nahm ich im Wartebereich Platz und hatte fortan geschlagene 30 Minuten die kackende Frau Hintz im Schädel. Irgendwann kam sie dann, drückte mir die Hand und sprach: „Aah, Sie sind hier wegen dem Abgastest, oder?“ Ich war den Tränen nah.
Auf einem alten Grundriss im Keller meiner Mutter fand ich mal eine mir bis dato unbekannte Bezeichnung: „Abort“. Offenbar war dieses Wort bis in die frühe Bundesrepublik hinein geläufig, und es ist doch auch nicht schlecht, oder? Es ist kurz, ist klar, und trotzdem angenehm abstrakt. Ein perfekter deutscher Ausdruck. Warum musste er sterben? Ich glaube, hier haben wir wie so häufig unser Wohlergehen außerhalb des Eigenen gesucht, haben uns vereinnahmen und täuschen lassen vom Wohlklang des Nichtdeutschen, ohne uns je über die Folgen bewusst geworden zu sein. Vielleicht geben sich die Deutschen von Natur aus einfach gerne auf. „In dieser Spracherscheinung treten die alten Erbfehler des deutschen Volkes wieder hervor: Überschätzung des Fremden, Mangel an Selbstgefühl, Mißachtung der eigenen Sprache.“ Hermann Dunger (deutscher Sprachliebhaber, 1899)
Dieser Beitrag ist ein Ausschnitt aus Ludgers neuem Kabarett-Programm „Was Nietzsche über Merkel wusste – Uralte Schriften entlarven unsere Gegenwart“. Premiere am 9.4.2016 in Hannover (www.tak-hannover.de)
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