Nun ist also Kodak pleite, der Foto-Gigant. Das ist schade für die Beschäftigten und die Filmkultur. Aber mehr noch – es ist wunderbar.
Die Festplatten, auf denen unsere ältere Vergangenheit gespeichert ist, tragen Namen, an die sich Viele kaum mehr erinnern: Die Film-Hersteller Kodak, Orwo, Perutz oder Agfa. Sie stehen für grandiose Meisterleistungen der Chemie; zu Recht drucken die Feuilletons Rührseliges über die untergehende Filmkultur. Es mag herzlos klingen – aber es ist eben vorbei. Die Digitalisierung feiert ihren totalen Sieg. Ist das neu oder schlimm? Am Kiosk, im Supermarkt, wo auch immer Angebot auf Nachfrage triff, herrscht Wettbewerb. Seine brutalstmögliche Steigerung ist der Substitutionswettbewerb, ein Begriff, den Walter Eucken in den Dreißigerjahren geprägt hat: Dabei müssen sich traditionelle Angebote der Herausforderung durch völlig neue Verfahren oder Produkte stellen, die sie ersetzen. So, wie die Digicam die Film-Kamera, nun ja, platt macht.
Walter Eucken war ein grandioser Analytiker wirtschaftlicher Macht. Er hat jede Machtballung verabscheut, weil ihre Folge Ausbeutung, Unfreiheit und Armut ist. Das beste Mittel gegen Macht sah er im Wettbewerb. Die Geschichte hat ihm Recht gegeben – immer wieder wurden unangreifbar erscheinende Machtbastionen durch neue Wettbewerber zerstört. In den 70er Jahren war eines der Feindbilder der Kapitalismuskritiker IT&T – International Telephone und Telegraph, das größte Firmenkonglomerat der Welt. Als “International Thief & Thief” von allen Linken dieser Welt bekämpft, erwirtschaftet es mit Backpulver, Hotels und Telefongesellschaften 17 Milliarden US-Dollar. Filetiert wurde der Koloss schließlich aber nicht von Kapitalismus-Melancholikern, sondern von Hard-core-Kapitalisten wie Private Equity- Fonds und Firmen-Raidern. Von den heute noch existierenden Resten wie der Bremsenfabrik Alfred Teves, den Wasserhähnen von Friedrich Grohe oder den Dosensuppen von Eugen Lacroix kann sich nicht einmal eine sozialistische Paranoikerin wie Sahra Wagenknecht bedroht fühlen. Oder IBM – es galt einst als das Gehirn der Welt, das drohte in seinen Riesencomputern bald das gesamte Weltwissen zu sammeln und zu manipulieren. Dann erfand Steve Jobs in der Garage den Mac und “BigBlue” war entthront. Daran sollte unsere putzige Facebook-Feindin Ilse Aigner denken die glaubt, dass der Teufel via Facebook oder Google daherkommt: Besser wäre es, in Aktien desjenigen zu investieren, der in irgendeiner Garage daran arbeitet, um auch diese Giganten mit einer genialen Erfindung zu zerstören – den schöpferischen Zerstörer im Sinne Josef Schumpeters. Im Kurzzeitgedächtnis flimmert vielleicht noch Boris Becker auf, einst Werbefigur (“Ich bin drin”) des Internet-Pioniers AOL: Aufgestiegen zum weltgrößten Medienkonzern; längst abkonkurrierenziert in die Bedeutungslosigkeit. Siemens, einst als Herzstück des militärisch-industriellen Atomkomplexes gefürchtet und bis hin zum Mord an seinen Vorständen bekämpft; dieses Siemens baut heute brav Bohrer für Zahnärzte, Kraftwerke ohne Atom sowie schnelle Züge; das Äußerste, was man daran als gesellschaftliche Bedrohung fürchten kann, ist, dass sich deren Türen angeblich unbeabsichtigt öffnen.
Der Dämon der Märkte bewirkt, dass aus guten Ideen riesige Imperien entstehen, die Fortschritt und Wohlstand produzieren – und durch noch Schlauere ersetzt werden. Dies setzt voraus, dass man neuen Konkurrenten den Zugang ermöglicht, alte sterben lässt. In Europa macht sich dagegen der Irrglaube breit, dass nur Politiker und Beamte den Wohlstand sichern, indem sie die Märkte zügeln, uns die Wahl der richtigen Glühbirne, des besten Duschkopfs, der maximalen PS-Zahl, der erlaubten Maissorte oder gar der Zinshöhe vorschreiben. Dabei erleben wir doch gerade, dass die mächtigen Investmentbanken, die vermeintlichen “Masters of the Universe”, zu besseren Sparkassen schrumpfen – weil der Markt sie aussondert.
Eucken hat allen aufgeregten Wirtschaftspolitikern empfohlen: Ruhe statt “nervöser Unrast”, für stabile Preise und offene Märkte sorgen. Genau das – tun sie nicht. So drängen sie unseren Wohlstand dahin, wo Kodak ruht. Auf den Friedhof.
(Erschienen auf Wiwo.de am 21.01.2012)
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