Der Balken im Auge

Im regierungsnahen NTV meinte die 12jährige Schülerin Arife, dass sie gerne in Deutschland Medizin studieren und dann vielleicht auch deutsche Staatsbürgerin werden würde. Das Kind sorgte im fernen Morgenland für Aufruhr.

Screenprint: NTV

Manch geneigter Leser mag in den letzten Tagen mit amüsierter Genugtuung in einigen Zeitungen einen Artikel gelesen haben, bei dem er sich gedacht hat: Oh, wie schön, Kindermund tut Wahrheit kund.

NEIN, es geht nicht um die Prophezeiungen der heiligen Greta, bei der sich die deutsche Elite uneins ist, ob das autistische Kind eher gottgleich oder nur Prophet ist. Nein, in dem Artikel geht es darum, dass im fernen Morgenland, also der Türkei, wo der böse Sultan herrscht, dem Herrscher das Schicksal einen bösen Streich gespielt hat.

In der Türkei gibt es ein „Fest des Kindes“, an dem Kinder sagen dürfen, was sie schon immer einmal sagen wollten. Sie können sich dann sogar auf den Thron des Sultans setzen und werden, natürlich, vom Fernsehen interviewt. Die Türkei will so seine Zukunft feiern.

Nun wurde in einer Live-Sendung des regierungsnahen NTV auch die 12jährige Schülerin Arife nach ihren Zukunftsplänen befragt. Diese meinte, dass sie gerne in Deutschland Medizin studieren und dann vielleicht auch deutsche Staatsbürgerin werden würde. Nervös kichernd überspielte die Moderatorin die peinliche Situation. Die Sage des Kindes sorgte im fernen Morgenland für Aufruhr.

Nun mag der geneigte Leser spontan gedacht haben: Ha, das geschieht den Herrschenden recht. Kinder und Narren sagen eben die Wahrheit. Wenn schon Kinder sagen, dass sie am liebsten das Land verließen … dann können wir mit wollüstiger Selbstgewissheit sagen: Kindermund tut Wahrheit kund. Und der Schreiber dieser Zeilen muss gestehen, zwischen Kaffee und Kuchen ging es ihm genauso: Schadenfreude mischte sich zwischen Sahne und Torte, ergab zusammen mit Selbstgerechtigkeit ein unvergleichliches Aroma, der mit einem Schluck türkischen Mokkas erst das richtige Aroma erhielt.

Aber irgendetwas hakte in mir nach und nach der dritten Tasse Kaffee dachte ich dann: Am besten tut nicht Kindermund die Wahrheit kund, sondern die Gegenprobe sagt, was Sache ist.

Bei unseren öffentlichen Sendern fühlen sich ja die Journalisten, ganz anders wie im fernen Morgenland, der Meinungsvielfalt verpflichtet. Und der Sinn der Meinungsfreiheit ist ja die Hoffnung, dass die Journalisten einen Querschnitt der Gesellschaft abbilden und so alle Schichten und Lager ihre Meinung wiederfinden.

Nun malte ich mir also mit den Kaffee-Liebhabern an meinem Tisch die Gegenprobe aus: Wir stellen uns also vor, wie die Szene in Deutschland ablaufen würde. Wir hätten also auch einen „Tag des Kindes“ und unsere öffentlichen Sender, bei denen sich die Journalisten, ganz im Gegensatz zum fernen Morgenland, der Meinungsvielfalt verpflichtet fühlen, hätten eingeladen. Nachdem, ganz wie im Morgenland, vorab die Meinung der Kinder überprüft wurde, würde in der Live-Sendung etwas ganz Unvorhergesehenes passieren. Ein Kind würde auf die Frage nach seiner Zukunft sagen: Ich sehe meine Zukunft in Australien, wo in meiner Schulklasse keine Islamisierung droht und der Einfluss der arabischen und der afrikanischen Kultur minimal ist. Diese Aussagen, so malten wir uns aus, wären ähnlich unwillkommen wie jene im fernen Morgenland.

Man stelle sich die Konsterniertheit der Kindershow-Journalistin vor. Ganz wie im fernen Morgenland würde sie die „Peinlichlichkeit“ nervös wegplappern … Anschließend müssten die Journalisten für den Lapsus vor ihren Vorgesetzten Rede und Antwort stehen. Sie würden mit Recht darauf hinweisen, dass bei einer Live-Sendung eben nicht alles kontrolliert und vorab wegzensiert werden könne und solche „Ausrutscher“ der falschen freien Meinungsäußerung eben passieren könnten.

Ganz wie im fernen Morgenland würde sich ein Shitstorm der Selbstgerechten im Internet ergießen und die verantwortlichen Journalisten würden hoffen, dass sie von diesem Sturm nicht hinweggefegt werden.

Und ganz wie in den Artikeln im Abendland über das Morgenland würden dann im Morgenland überheblich und selbstgerecht die schlimmen Zustände im fernen Deutschland beklagt. Bei einer Tasse Mokka würden viele Morgenländer den Kopf schütteln und dem Nachbarn zuraunen: Haben wir´s nicht immer schon gesagt. Die da drüben! Das ist bei uns gaaanz anders …

Und keiner würde an Jesus denken. Im Islam immerhin Prophet und Gottgesandter und im christlichen Abendland der Sohn Gottes. Und der sagte:

Warum siehst du den Splitter im Auge deines Bruders, aber den Balken in deinem Auge bemerkst du nicht? (Math 7)

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Kommentare ( 28 )

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friedrich - wilhelm
5 Jahre her

…nur eine persönliche frage: ist der autor etwa mit hans georg gadamer verwandt?
d e n habe ich damals in tübingen kennen gelernt!

W aus der Diaspora
5 Jahre her

nee, das ist eher die Abwägung wegen welcher Gäste ihnen der Laden zu Klump geschlagen wird.

Ich habe noch nicht gehört, dass ein Lokal zerschlagen wurde weil dort die Antifa verkehrt, umgedreht ist es aber üblich.

Ruud
5 Jahre her

„Ein Kind würde auf die Frage nach seiner Zukunft sagen: Ich sehe meine Zukunft in Australien, wo in meiner Schulklasse keine Islamisierung droht und der Einfluss der arabischen und der afrikanischen Kultur minimal ist.“

Ich finde es immer wieder erstaunlich, wie viele Deutsche immer noch meinen, im westlichen Ausland wäre es mit der Islamisierung weniger schlimm.

Einfach mal das folgende Video der Kanadierin Lauren Southern anschauen, die in einer australischen No Go Area versuchte zu drehen, und dabei vom weissen Polizisten gleich mal mit einem Platzverweis bedroht wurde, da sie angeblich“unerlaubt“ auf islamischen Hoheitsgebiet filmte:
https://www.youtube.com/watch?v=LqY4Z1fTrMc

Rudolf Stein
5 Jahre her

Ich denke mal, in D wäre die öffentliche Antwort viel gravierender: zunächst würde man das Kind einer Familie zuordnen, dessen Eltern AfD wählen und dessen Großeltern oder Ur-Großeltern Hitlerwähler oder Schlimmeres waren. Man würde auch diskutieren, ob der betreffende Junge einen Scheitel trägt oder das Mädchen Zöpfe. Blondes Haar der Kinder wäre auch nützlich. Wenn der Artikel über diese Kinder fertig ist, würde sich die Volksseele nichts dringlicher wünschen als dass die Kinder in eine „demokratische“ Familie gesteckt würden, zwecks Umerziehung zu einem echt brauchbaren Staatsbürger.

berlden
5 Jahre her

Würde sich ein ähnliches Szenarium in Deutschland abspielen, wäre die „Analyse“ messerscharf und alternativlos: „Das Kind ist ungebildet, weil die Eltern nur aus einer bildungsfernen Schicht stammen können. Nur wer dämlich ist, empfindet Deutschland nicht als Paradies und meint, dass Demokratie keine fast vollständig gleichgeschaltete Presse oder sogar Meinungsfreiheit braucht. Auch Kita und Schule haben versagt, weil man dort nicht erkannt hat, dass das Kind immer öfter die Fratze des Hasses trägt. Hier erleben wir einen neuen Beweis, wie wichtig ein Leitfaden der Amadeu-Antonio-Stiftung ist, um solche Kinder zu erkennen, umzuerziehen und vor allem die Eltern bestrafen zu können.“

Thomas
5 Jahre her

Wir brauchen weder die Türkei noch brauchen wir Türken. Alles was damit zu tun hat ist ein Minusgeschäft für uns. Ich freue mich über jeden Erdogan Kopftuchtürken der wieder nach Hause geht.

Old-Man
5 Jahre her
Antworten an  Thomas

Sie treffen das ziemlich genau egal1966,dem kann Ich mich anschließen!

friedrich - wilhelm
5 Jahre her
Antworten an  Thomas

……..jaaaa, vielleicht deutschland, aber wer sonst?

Jan Frisch
5 Jahre her
Antworten an  Thomas

Wissen wie viel ein Studienplatz in Deutschland den hiesigen Steuerzahler kostet? Mit welchem Recht wird eben dieser Steuerzahler verpflichtet die Träume jenes Kindes zu bezahlen?

horrex
5 Jahre her

Ist es im nahen Deutschland vielleicht eher so,
dass das „Kind auf dem Thron“ (vulgo „der Narr“) weit eher zum „bösen Nazi“ abgestempelt werden würde und zum „Scheiterhaufen“ verdammt werden würde, als zum Weisen „Hofnarren“ der den „Herrscher“ zu Nachdenklichkeit auffordert???

imapact
5 Jahre her

Weit beklemmender noch wäre hier die Frage, mit welchen Konsequenzen ein solch mutiges Mädchen in Deutschland zu rechnen hätte. Gespräch mit dem Schulpsychologen, Eltern würden einbestellt, Druck von linksgrünen Lehrern, Mobbing durch „weltoffene“ Klassenkameraden, Anfeindungen durch die gesamten Mainstreammedien, evtl. Besuch durch die „Antifa“ … – ich glaube, die Folgen wären im ach so liberalen Deutschland schlimmer als in Erdogan Türkei.
Soweit sind wir hier schon gekommen.

Ich
5 Jahre her

Inzwischen ist Deutschland im Status der DDR angekommen. Meine Kinder, ich habe drei zwei davon gehen noch zur Schule, erfassen inzwischen instinktiv wo und wann sie offen ihre Meinung äußern können und wo nicht. Dass die Schule nicht zu diesem Hort der „Wahrheit/ kritischen Austausch gehört – muss ich hier nicht erwähnen. Erst neulich sagte mein Sohn “ ist eher nicht so gut, wenn ich Artikel aus der Jungen Freiheit für mein Schulprojekt verwende. Mama, hast du bitte Geld für den Spiegel…..

Andreas aus E.
5 Jahre her

Schönes Beispiel dafür, daß es mit mangelnder Laberfreiheit im Morgenland wohl doch nicht so arg ist, wie immer behauptet.
Ist so ähnlich beim Russenland des bösen Putin: Andauernd kommt mir der Deutschlandfunk mit irgendwelchen regierungskritischen Anti-Putin-Sendern daher. Nanu? Denke ich, dürfte es dort doch gar nicht geben…

Wie auch immer: Das Mädel soll mal schön in ihrer Türkei bleiben, dort Medizin studieren, dort als Ärztin arbeiten (Vollzeit!) und alles wird gut.