Eine hilflose CDU, der der Glauben an die große Wagenlenkerin abhanden gekommen ist, eine mit allen Flügeln hilflos schlagende SPD und eine FDP, die mit dem rechten Flügel schlägt: Das Thema Neuwahlen ist bei Hart aber Fair auf dem Tisch.
Aller guten Dinge sind drei? Schön wär’s ja, wenn Frank Plasberg nach zwei gelungenen Sendungen zum Thema Masseneinwanderung einen Hattrick klar machen kann. Eine Hoffnung, die sich freilich am meisten aus dem rapide sinkenden Anspruch der Fernsehzuschauer nährt. Die Distanz zur Parallelgeschwätzigkeit bei Maischberger über Illner bis Will, macht Plasberg zur Wahrheitssinfonie – dieses mal nur, wenn man nicht so ganz genau hinhörte. Thomas Oppermann, Fraktionschef von der SPD, machte zum Einstieg auf die große Krise: Bis zu 1,5 Millionen Flüchtlinge in diesem Jahr, so seine Prognose. Aber irgendwie hörte das am Talk-Tisch keiner. Denn die Talks folgen automatisch einem Muster: Bloß keine Panik. Die Panik-Tür wird erst am Ende der Sendung geöffnet.
Die Horrorzahl geht unter. Merkel ist noch da.
Christian Lindner von der FDP darf vorbeischauen. Gut, immerhin stehen fünf Landtags- und 2017 obendrein die Bundestagswahl an. Ja, das sind die, die sich jetzt durch diese fragwürdige Cannabis-Konsens-Legalisierungskampagnen hervorgetan haben. Aber die Horrorzahl? Ging irgendwie unter. Allerdings: Linder hatte seinen eigenen ersten Satz dabei: „Die Kanzlerin leidet an Realitätsverlust, denn sie hat unser Land mit ihrer Willkommenspolitik ins Chaos gestürzt.“
Los geht’s. Das Thema: „Angezählt – wie viel Zeit bleibt Merkel noch?“ Untertitel: „Die Union tief zerstritten, die letzten Verbündeten in Europa wenden sich ab.“ Man könnte nachlegen: … und sie machen ihre Grenzen dicht. Mitten in Europa.
Melanie Amann vom Spiegel meint zunächst mal in Richtung Thomas Oppermann von der SPD, man wisse in diesen Tagen überhaupt nicht mehr, was seine Partei vertrete. Sie sagt es eloquent. Es ist einer der lichteren Punkte der Debatte. Denn was die SPD will, weiß keiner. Amann arbeitet es schön heraus – ehe sie versucht, die Rolle des Moderators zu übernehmen und links und rechts Fragen zu stellen, statt sauber zu antworten. Die Debatte gerät sofort aus dem Ruder, wenn einer der Vorgeladenen seine Rolle wechselt.
Lindner nutzt eine zu lange Denkpause bei Oppermann: „Die Politik, die Frau Merkel formuliert hat, hat uns in Europa isoliert. Sie steht vor den Scherben ihrer Politik.“ Allmählich versteht man, warum SPD-Obermann Oppermanns Horrorzahl gar nicht mehr wie Horror wirkt: Es gibt längst mehr Fronten; Merkels Politik hat viele Gespenster gerufen. Wer kritisiert die Kanzlerin härter, ihr derzeitigen Koalitionspartner, die schillernde SPD oder der möglicherweise zukünftige, die FDP?
Lindner ist besorgt, dass viele Menschen das Vertrauen in die Handlungsfähigkeit des Staates verlieren: „Mit Schuldzuweisungen und Blockaden macht man die Rechten groß. Mit Problemlösungen macht man sie wieder klein.“
Lindner beschwert sich zunächst, dass er zuletzt zweimal aus der Sendung wieder ausgeladen wurde, weil Regierungsmitglieder wichtiger waren. OK, jetzt weiß man zumindest, warum er heute eingeladen ist: schlechtes Gewissen.
Lindner gibt Gas: Maximal acht Jahre für Regierungschefs, Kriegsflüchtlinge sind nur vorübergehend da. Merkel muss zurück zu Dublin. Wer aus sicheren Ländern kommt, muss abgewiesen werden.
Ist eigentlich überhaupt jemand am Tisch, der Merkels Welcome-Kultur noch mitträgt? Der Jurist Thomas Kreuzer, CSU-Fraktionsvorsitzender im Bayerischen Landtag, gehört ganz sicher nicht dazu: Für ihn gilt Artikel 16 Absatz 2, wer aus einem sicheren Drittland kommt, wird abgewiesen – Dublin ist widerrechtlich ausgesetzt. Kreuzer ist staubtrocken, aber hilfreich. Die Lage in den Ländern ist dramatisch, nur in Berlin im Regierungs-Ghetto merken sie es nicht.
Wenn nichts passiert, werden wir im April wieder jeden Tag 15.000 Zuwanderer haben. Oppermanns Melodie kann die CSU schon lange. Und die Wähler der Oppermanns wohnen nicht fein, sondern auf Etage oder im Reihenhaus. Neben dem Ghetto für Flüchtlinge. Das wird zunehmend klarer.
Die Zweifel in der Union an der Kanzlerin
Elmar Brok, CDU, seit mehr als 35 Jahren Mitglied des Europäischen Parlaments, weiß, wenn die Migranten erst in der Europäischen Union sind, ist es zu spät. So nebenbei räumt er die Berlin-offizielle Hoffnung ab, dass Abschieben klappen könnte. Schengen hätte doch seit 10 Jahren keinen Grenzschutz mehr. Da hätte man sich einen schönen Lenz gemacht. Er sagt es unwesentlich vornehmer. Regierungskrisen sind Zeiten der Selbstbezichtigung und der vorsichtigen Absetzbewegung. Jetzt kommen die Einträge, die man später gut brauchen kann: „Wie ich schon bei Plasberg sagte….“, unausgesprochen dazu: Aber leider nicht sehr laut, weil ich habe mich nicht getraut.
Auch Oppermann gibt jetzt den Oppositionsführer. „Kriminelle türkische und andere Schleuserorganistionen dürfen nicht bestimmen, wer ein Land betritt und wer nicht. Wir brauchen Außengrenzen, die nicht frei passierbar sind. Das heißt nicht, das es keine Türen gibt, keine humanitären Verpflichtungen.“ Auch einer, der sich absetzt, wenn man nur wüsste: Wohin flattert die zerflatternde SPD?
Die Wahrheit der Bilder annehmen
„Wer Außengrenzen will, wird Elendbilder ertragen“ – diese Wahrheit zeigt Plasberg. „Ich lass‘ mich durch ein solches Bild nicht einschüchtern!“ sagt Lindner bestimmt. Er nimmt die Wahrheit an, dass es nicht nur mit nettem Gesicht wird zugehen können. Dafür Bravo. Wer zweimal ausgeladen wird, muss beim dritten Mal Gas geben. Law and Order statt Cannabis und freundliches Gesicht? Eine neue Melodie. Mehrstimmig. „Europa bekommt ein Männerproblem.“ Sogar damit setzt er noch nach und gibt Plasberg die Vorlage: „Ist das nicht AfD?“ fragt Plasberg spitz. Aber die Provokation versandet. In der Not frisst der Teufel Fliegen.
Der CDU-Europapolitiker Elmar Brok setzt auf die Türkei. Immer wieder im Laufe der Sendung. Eine türkische Litanei. Ein Stoßgebet nach dem anderen. Und er setzt auf diese ominösen Sammellager, die „Hotspots“, auf deren schnelles Zustandekommen die Leute in Deutschland längst keinen Pfifferling mehr setzen. Und dann noch Julia Klöckner – die ist in der CDU jetzt auch nicht mehr nur beliebt.
Die falsche Freundin, und wer ist das Hühnchen?
Frau Amann nimmt die Kanzlerin in Schutz, jeder würde ihr Knüppel in den Weg schmeißen, wenn sie ihre Pläne umsetzen will. Lindner flankt dazwischen: „Welche Pläne?“ Die anwesenden Unions-Politiker und der GrokoPartner von der SPD, Oppermann, widersprechen nicht einmal.
Und dann wird erst klar, welche Rolle Lindner freiwillig oder unfreiwillig eingenommen hat: Er ist das Anti-Kanzlerin-Sprachrohr aller Anwesenden, die noch ein Hühnchen mit ihr zu rupfen haben – aber Angst, sie selbst können vorher noch das Hühnchen sein.
Kanzlerdämmerung dank Lindner. Er merkt es ja selber und wird von Minute zu Minute aufgeregter. Das ist bei Christian Lindner so, der Mann ist selbstsicher in Niederlagen; wenn’s flutscht, wird er sichtbar nervös. Dabei kann er jetzt auf Sieg spielen.
Die Spiegel-Journalistin ist also die letzte auf dem sinkenden Merkel-Schiff: Das hätte sich Helmut Kohl, der ewige Spiegel-Verweigerer auch nicht träumen lassen. Weiter von ihrem Ziehvater kann sich Angela Merkel nicht entfernen: Kohls Europa zerhämmert, die Grünen via Atomausstieg zwangsumarmt, und jetzt noch die Herzens-Partnerin der Nachfolger Augsteins. Und wenn schon so viel psychologisiert wird an Frau Merkel: Liegen die Fachleute am Ende ganz falsch und wir erleben hier einen ausgewachsenen Vaterkomplex mit Selbstzerstörungstendenzen? So ein Borderline-Ding? Endphase? Zerstört hier die Tochter absichtsvoll das Lebenswerk des Vaters? Quatsch, das weiß nur der liebe Gott; dessen Vertreter sind aber bei Plasberg heute ausgeladen.
Noch 15, 20 Minuten. Man sehnt jetzt wirklich das Ende herbei. Plasberg hat einfach falsch eingeladen. Ein AfDler fehlt, Sahra Wagenknecht hätte ebenfalls dabei sein müssen, um endlich zu erklären, wie denn nun Oppositionsarbeit aussieht, wenn man die Schuld an der Masseneinwanderung nicht immer nur dem State Department geben will.
Absoluter Tiefpunkt der Sendung, als Oppermann den Schulterschluss mit Lindner sucht und findet: „Ich gebe ihnen absolut recht“ und man weiß gar nicht mehr, worin eigentlich. Oppermann sagt, die jungen Männer kommen nicht, weil sie flüchten, sondern weil sie Arbeit suchen. Alle jetzt auf AfD-Kurs. Mit dem Europaabgeordneten einigte sich Oppermann schnell noch, dass das aber mindestens für die Marokkaner gilt, wenn schon nicht für jeden Syrer. Lindner erinnert an die Fachkräftelüge der Union. Lindner aus dem vollen Rohr feuernd, alles raus, was raus muß, er schaute vorher auf die Uhr und sah die Sendezeit ablaufen: „ Das Asylgesetz ist kein Ersatz für die Strategische Einwanderung.“ Wow!
Ein letzter Einspieler noch, wie Schröder seine Neuwahlen-Rede hält wegen Hartz4 und Agenda-2010-Protesten: Eine klare Unterstützung der Bevölkerung sei jetzt unabdingbar. Ob Merkel jetzt gleichziehen müsse, will keiner so recht beantworten. Dann kommt auch schon der Schlussgong für diese Talkshow, in der sich außer der Spiegelfrau alle einig waren. Plasberg muss die nächste Runde kontrovers komplettieren.
Was bleibt? Die CDU kann nicht mehr, die SPD kann, aber man weiß gerade nicht, welcher Flügel schlägt, die FDP schlägt mit dem rechten Flügel und stellt die Neuwahlen-Frage. Jetzt ist sie gestellt. Ab sofort wird sie jeden Tag lauter werden.
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