Ali Ertan Toprak ist Deutsch-Kurde und politischer Berater in Hamburg. In seinem Gastbetrag liest er all jenen die Leviten, die sich anmaßen, sich als Gouvernanten „nicht-weißer“ Deutscher und in Deutschland lebender Ausländer aufspielen zu wollen.
Die unerträgliche Relativierung der frauenverachtenden Einstellungen von bestimmten Männergruppen vor allem durch die weißen, linken Feministinnen und ihre Unterstützer ist ein Schlag ins Gesicht aller unterdrückten Frauen und Frauenbewegungen in den islamischen Ländern! Welch ein anmaßendes und erst recht kolonialistisches, übergriffiges Denken ist es, dass Ihr Denk- und Sprechverbote zu den teilweise zutiefst faschistischen Verhältnissen in diesen Ländern aussprechen wollt?!
Ihr dürft gern und ungehindert Euren eigenen Faschismus und Sexismus bekämpfen – wir aber dürfen die Missstände in unseren Herkunftsländern nicht ansprechen, weil sonst Euer Weltbild ins Wanken gerät, wonach nur und immer der weiße Mann an allem schuld sein muss? Habt Ihr Euch schon einmal mit der Sklaverei und dem Imperialismus der muslimischen Welt beschäftigt?
Kulturen und Zivilisationen sind vernichtet worden, nicht ausschließlich vom „weißen Mann“. In der Region, in der eine der großen Weltreligionen, das Christentum entstanden ist, ist das christliche Leben heute fast ausgelöscht. Die andere monotheistische Religion, das Juden- und das Jezidentum wird täglich mit Auslöschung konfrontiert.
Warum spricht niemand darüber?
Indem Ihr die gesellschaftlichen Verhältnisse in islamischen Gesellschaften nicht infrage stellen lassen wollt, unterstützt ihr die Unterdrückung jeder Art von Pluralität, vernichtet das, was an Menschen- und Frauenrechten in diesen Ländern im Entstehen ist! Seid Ihr Euch eigentlich im Klaren darüber, mit wem Ihr Euch verbündet? Mit den dort und auch hier unterdrückten Frauen sicherlich nicht!
Und hört endlich auf uns ständig zu beleidigen, indem Ihr uns andauernd unterstellt, wir könnten nicht unterscheiden zwischen Rassisten, die all diese Themen für sich instrumentalisieren, und denjenigen, die eine konstruktive Kritik ausüben und damit für Aufklärung sorgen!
Unsere und Eure Verbündeten sollten die vielen Millionen aufgeklärter Musliminnen und Muslime sein, die tagtäglich für freie, demokratische muslimische Gesellschaft kämpfen und die dafür vielfach mit ihrem Leben bezahlen müssen. Indem Ihr mit Euren ewigen und unerträglichen Relativierungen ständig dem faschistischen, politischen Islamismus den Rücken stärkt, fallt Ihr all denen – und vor allen anderen – den Frauen in den Rücken!
Ist Euch das in eurer postkolonialen Überheblichkeit überhaupt bewusst? Offenbar nicht. Denn Eure moralische Eitelkeit und überhebliche Arroganz ist stärker als Eure Empathie mit den Opfern des Islamismus! Dort wie hier. Und Eure Versuche der Unterscheidung zwischen dem Faschismus im Westen und im Osten finde ich, um es ganz deutlich zu sagen, zum kotzen! Faschismus ist überall Faschismus!
Ja, niemand wird als Vergewaltiger oder Rassist geboren! Aber die Menschen werden in bestimmte gesellschaftliche Verhältnisse hineingeboren, die sie dazu sozialisieren.Wenn in den islamischen Ländern Männer mit der Überzeugung groß werden, dass Frauen weniger oder gar nichts wert sind, dann behandeln sie die Frau auch dementsprechend. Wenn eine Religion die Frau zu einem Sexobjekt degradiert, über die der Mann jederzeit frei verfügen kann; wenn sogar im „fortschrittlichsten“, muslimisch geprägten Land Türkei die staatliche Religionsbehörde fast täglich widerliche, religiöse Fatwas herausgibt, die der Frau ausschließlich die Rolle eines beliebig zu gebrauchenden Sexobjektes zuweisen – muss man sich dann nicht fragen, was diese höchstlegitimierte Religionsauslegung in den Köpfen der Männer bewirkt, was sie für die Sichtweise muslimischer Männer tatsächlich für eine Rolle spielen könnte?
Faschismus ist überall Faschismus
Was daran ist falsch, wenn aufgeklärte Menschen diese absurden Sichtweisen benennen und damit in Frage stellen? Muslime, die Ihre Religion lieben und zu recht Respekt für sich und ihren Glauben erwarten, müssen in erster Linie dafür kämpfen, wieder die Deutungshoheit über Ihre Religion gegenüber den Vertretern des politischen Islam zu gewinnen.
Dumme Rassisten oder Pegidisten können Euch und auch die christliche Religion gar nicht so unerträglich in den Dreck ziehen, wie der politische Islam es tagtäglich mit der seinen tut. Und selbstverständlich gebührt jedem Menschen als Mensch zunächst Respekt. Seinen Gedanken aber gebührt Kritik. Das eine zu tun – den Islam zu kritisieren, wie auch das Christentum, der Kapitalismus, der Kommunismus, der Hinduismus, das AfD-Programm und so fort ständig kritisiert wird – heißt doch nicht, das andere – die Gläubigen als Menschen zu respektieren – zu lassen!
Fragt Euch doch: Wie viele islamisch geprägte Länder gibt es, deren politische und gesellschaftlichen Verhältnisse sich an Demokratie, Menschenrechten, Rechtsstaatlichkeit, Gewaltenteilung, Aufklärung, Religionsfreiheit orientieren? Kennt Ihr nur ein einziges Beispiel? Ich finde keines.
Warum wohl haben die Flüchtlingsbewegungen auf dieser Erde alle diese eine Richtung, die sie haben – nach Westen? Ist es wirklich nur der Reichtum? Oder vielleicht auch unsere liberale Lebensweise, die Möglichkeit sein Leben nach seinen eigenen Wünschen und Vorstellungen zu leben? Denn wenn es nur ums Geld ginge – es gibt doch genug sehr reiche islamische Länder, die Arbeitsmigranten brauchen. Was also zieht die Menschen, die nach ihrer persönlichen Freiheit ohne Diktat der weltlichen und religiösen Despoten suchen, zu uns?
Europa, das war uns und ist immer noch der in der Ferne strahlende Leuchtturm einer freien, selbstbestimmten Welt. Ich, liebe Relativierer und uns bevormundende, weiße Feministinnen, möchte unsere freie, pluralistische Gesellschaft erhalten. Die erste Voraussetzung dafür ist aber die Freiheit des Denkens! Die zweite ist die Freiheit des Wortes! Egal ob Mann oder Frau.
Also hört endlich auf uns Sprech- und Denkverbote zu erteilen! Wir sind erwachsen genug, um selbst Sprechen und Denken zu können. Wir brauchen niemanden, der uns wie eine Gouvernante an die Hand nimmt um uns den rechten – linken Weg zu zeigen.
Ali Ertan Toprak wurde 1969 in Ankara geboren und kam im Alter von zwei Jahren nach Hamburg. Der Rechtswissenschaftler und Erdogan-Kritiker ist Mitglied von Bündnis 90/Die Grünen und im Vorstand der Kurdischen Gemeinde in Deutschland.
Sein für Tichys Einblick geschriebener Beitrag erschien gestern bei Emma, der wir gerne den Vortritt ließen.
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