Ist Einwanderung tatsächlich eine Frage von Links und Rechts, von Gut und Böse, von Dunkel und Hell? Gauck sagt dazu in Davos: Nein. Während Merkel in Wildbad Kreuth in ihrem „Wir schaffen das“ stecken bleibt, rückt Gauck von der moralischen Selbstüberhöhung der aggressiven Einwanderungswoller ab.
Der Bundespräsident ist wetterfühlig. Er fühlt die Großwetterlage der Stimmung in der Bevölkerung ziemlich genau. Gauck hat ein feines Gefühl dafür, wann er dem Strom zustimmt und wann es opportun ist, den Gegenschwimmer, den Gegen-den-Strom-Schwimmer, zu geben.
Auf dem größten und bedeutendsten Stammtisch der Welt, der alljährlichen „Elefanten“-Runde in Davos, wo sich die Weltelite aus Wirtschaft, Politik, Kunst und Konsorten die Ehre gibt, hat Gauck gerade die Eröffnungsrede gehalten: Nicht alle, wer hätte das denn nun gedacht, Menschen, die sich auf Völkerwanderung begeben und in Europa und speziell in Deutschland das bessere Leben vermuten, könne Europa, könne Deutschland auch aufnehmen.
So sein gewendetes Credo.
Die Begrenzung von Flüchtlingen und Migranten sei nicht „per se unethisch“. Soll Moral also doch eine Frage der Zahl sein?
Gauck widerspricht der Kanzlerin
Gauck, der Erfinder der Vokabel des „Dunkeldeutschen“ hat in Davos seine höchst persönliche Form des Opportunismus offenbart. Vielleicht unfreiwillig. Gauck weiß, wie jeder andere auch, dass das Potenzial der Menschen, die ihre Heimatländer verlassen und in den Westen auswandern wollen, in die Milliarden geht. Schönrednerisch wird aller Orten von 60-100 Millionen Menschen gesprochen, die auf der Flucht wären. Und die Zahl derjenigen die sich dem weltweiten Modetrend gen Westen aufzumachen anschließen, wächst rapide.
Wenn Gauck jetzt das Lager gewechselt und sich zu den Begrenzern des Zuzugs dazu gesellt hat, dann sagt er, notdürftig verklausuliert: Schluss jetzt oder Schluss alsbald. Letztlich redet er nun nicht weit entfernt von seinen Dunkeldeutschen: Die Zuwanderung muss von einem bestimmten Punkt an auf Null oder nahe Null herunter gedrosselt werden. Sonst hätte er sich nicht an exponierter Stelle gerade so geäußert – seine Aussagen aus dem legendären Interview vom 10.Oktober 2010 bleiben ja auch in Erinnerung. Gauck gab sich damals als Sarrazin-Versteher, betonte in Abgrenzung zu Christian Wulffs „Der Islam gehört zu Deutschland“, dass die kulturellen und religiösen Aspekte der Einwanderung wichtig wären.
Jetzt setzt er in Davos auf die Notwendigkeit der Akzeptanz der Einwanderung durch die deutsche Bevölkerung und dies als eine Maßgabe. Sehr dunkel. Merkel mit ihrem, wir schaffen erst jedes Jahr Millionen und dann, wenn jedes Jahr zweistellige Millionenzahlen von Menschen kommen, auch das, scheint Gauck abzulehnen. Insofern widerspricht er der Kanzlerin in Davos, die gerade auf der CSU-Klausur in Wildbad Kreuth starrsinnig an ihrem „Wir schaffen alles – wer wenn nicht wir Deutschen“ festgehalten hat.
Jokerkarte Asylbewerber
Die Einseitigkeit der deutschen Einwanderungsdebatte, in der immer wieder der Asylbewerber oder der Bürgerkriegsflüchtling als Jokerkarte gespielt wird, scheint keine Obergrenze zu kennen. Das moralische Scheinargument der Mainstreamer, in Österreich gerade angesichts des Beschlusses der Begrenzung der Aufnahme von Einwanderern lautstark gespielt, lautet bekanntlich: Asyl kennte keine Obergrenzen und sei nicht quotenfähig.
Natürlich hat auch der freiwillig gewährte Asylanspruch, den der Westen in seinen Humanitätskatalog aufgenommen hat, seine Obergrenze, nämlich dort, wo das Asyl gewährende Land in seiner Existenz gefährdet wird und so schlussendlich auch gar kein Asyl mehr gewähren könnte und zwar mangels funktionierender staatlicher Existenz.
Aber vor allem geht es denen, die aus welchem Grunde und welcher Moral heraus auch immer den absolutistischen Asylbegriff vor sich hertragen, um Ablenkung von der Tatsache, dass die wirklich Asylbedürftigen tragischer Weise kaum eine Chance haben, die Freiheit zu erreichen. Es geht also mithin um die Ablenkung von der Tatsache, dass es wirkliche Asylberechtigte in nennenswerter Zahl unter den Einwanderern kaum gibt.
Seit Jahrzehnten sieht die Asylwirklichkeit anders aus, als sie eigentlich vom Grundgesetzgeber konstruiert wurde. Menschen werden zur Geltendmachung von Asyl von den gigantisch vielen, die hierzulande von der Einwanderung leben, industriell angeleitet. Oder auch zum gewerbsmäßigen Asylmißbrauch und dies teilweise von ganz Oben.
Trickreich verlangte die Bundesumweltministerin Barbara Hendricks erst im November, auch Klimaflüchtlingen Asyl zu gewähren, die zudem meist als „Wirtschaftsflüchtlinge denunziert“ würden.
Klimaflüchtling ist dann endgültig jeder auf der Welt. Dem einen ist es zu warm, dem anderen zu kalt, dem dritten zu nass, dem vierten zu trocken. Wer einmal von einem Spielkasino zum anderen in der Glitzerstadt Las Vegas zu Fuß gegangen ist, weiß, wie unzumutbar das Klima in der Wüste Nevadas ist.
Nicht nur auf der tatsächlichen Seite wird im Asylkomplex gechincht, dass sich die Balken biegen, auch auf der rechtlichen Seite, auf der Rechtsanwenderseite sind die Gottspieler auf der Seite der befassten Anwälte und Richterseite aktiv, hyperaktiv. Würde auch nur ein Bruchteil der Mittel und der Manpower, die seit Jahrzehnten in den Asylkomplex fehl investiert wurden, in die Entwicklungshilfe geflossen sein, wäre sehr viel mehr Menschen, die es auch verdient hätten, geholfen worden und dies vor Ort, in den Herkunftsländern der Einwanderer, was zudem der großen Entwurzelung vieler Menschen vorgebeugt hätte. Auch dass der Asyltatbestand im Prinzip ein zeitlich begrenzter Tatbestand ist, nämlich auf die Zeit, während der Asylgrund in den Herkunftsländern vorhanden ist, ist gänzlich aus dem Blickfeld geraten.
Und nur am Rande, was auch schon allerorten seit Monaten immer wieder bemängelt, aber immer wieder neu ignoriert wird: Das Wort „Flüchtling“ wird im öffentlichen Diskurs ähnlich missbräuchlich verwendet wie das Wort Asyl. Das Asylrecht bedarf in der Tat einer Neuregelung, die der neuen Einwanderungsrealität Rechnung trägt. Es ist gut und schön, dass die Bundesrepublik das Asyl in ihrer Verfassung hat und die Menschen, die ein Asylrecht in Anspruch nehmen können, müssen Aufnahme in der Bundesrepublik finden. Das dürfte im Übrigen der Konsens aller sein.
Eher muss man von verschiedenen Dunkelheitsgraden sprechen
Es geht um die Einwandererströme, die nach Europa und nach Deutschland drängen. Und da sagen eben die einen: No Limit, koste es was es wolle. Dies sagen sie aus sehr widersprüchlichen und moralisch sehr unterschiedlich zu beurteilenden Motiven. Die Deutschlandhasser haben andere Motive als diejenigen, die sich mehr heimlich als offen als demographische Bevölkerungsauffüller betätigen. Und dann gibt es auch noch die große Gruppe derjenigen, die sich einfach nur öffentlich profilieren wollen.
Die Rechtsaußen-Leute, was immer rechts und außen bedeuten soll, wollen mehr oder weniger keinen Einwanderer in die Bundesrepublik hineinlassen. Die Linksaußen-Menschen, was immer links und außen heißt, wollen am liebsten die ganze Welt auf deutschem Grund und Boden versammelt sehen. Dazwischen gibt es alle möglichen Abstufungen.
Länder wie die USA oder Kanada, die die Regel aufgestellt haben, dass jeder ins Land kann, der sich nach den Marktgesetzen des Landes an der Volkswirtschaft beteiligen kann, sprich mit seiner Qualifikation eine Bereicherung für den Arbeitsmarkt ist, und dass alle anderen Menschen ohne Qualifikation nicht ins Land gelassen werden, sind fein raus. In solchen Ländern mit derartigen Einwanderungsgesetzen stellt sich die Frage von Moral, Scheinmoral und Unmoral nicht.
Es ist weder eine völkerrechtliche noch eine verfassungsrechtliche Frage, ob ein Land den Wünschen von Bürgern anderer Länder, die am besseren Lebensstandard des Landes teilhaben wollen, entspricht und sie ins Land lässt oder nicht. Der Wunsch nach wirtschaftlicher Teilhabe am Wohlstand eines anderen Landes ist sehr nachvollziehbar, aber die Nachvollziehbarkeit hat keine Moral begründende Wirkung. Und dies vor allem auch deswegen nicht, weil die Selektion nach dem von Gauck angesprochenen Prinzip, du darfst noch ins Land und du darfst nicht mehr ins Land, keine moralische Kategorie sein kann.
Weil der Bundespräsident, der hinten rum jetzt plötzlich der Obergrenze das Wort redet, ein paar mehr Einwanderer ins Land lassen will, als diejenigen, die er die Dunkeldeutschen gescholten hat, kann er kraft der bloßen von ihm nicht näher genannten höheren Zahl mitnichten zum Helldeutschen werden. Eher muss man da wohl von verschiedenen Dunkelheitsgraden sprechen, wenn man in den Kategorien des Bundespräsidenten überhaupt denken oder reden will.
Gauck ist ein Schönredner, der sich nie ganz festlegt, aber er ist ein erfolgreicher Mainstreamschwimmer mit pastoralem Widerstandsimage. Er hat sich in der Einwanderungsfrage nie ganz festgelegt. Auch das ist keine moralische Leistung. Jedoch andere Menschen als dunkeldeutsch zu verteufeln, das ist eine unmoralische Leistung.
Merkel handelt gegenüber ihrem eigenen Land unmoralisch
Sind deutsche Bürger verpflichtet, für Einwanderung zu sein? Sind deutsche Bürger verpflichtet, sich für Einwanderung gegen andere Menschen, die gegen Einwanderung sind, aktiv einzusetzen? Gehört das Thema Einwanderung zur Entscheidungsfreiheit des bundesrepublikanischen Bürgers und ist das Für und das Wider unter der garantierten Meinungsfreiheit diskutierbar? Ist Einwanderung tatsächlich eine Frage von Links und Rechts, von Gut und Böse, von Dunkel und Hell?
Während Gauck sich in Davos in der Einwanderungsfrage bewegt hat, ist Merkel in Wildbad Kreuth in ihrem „Wir schaffen alles“-Trip stecken geblieben und hat nach wie vor kein Argument zu bieten. Merkel handelt also moralfrei (gegenüber den Einwanderern eben) und hat nur ein sehr aufgesetztes freundliches Gesicht und sie handelt gegenüber ihrem eigenen, von ihr auf sehr lange Sicht überlasteten Land, unmoralisch. Jedenfalls ist ihre Einwanderungspolitik kaum von dem Gedanken der Menschlichkeit oder Mitmenschlichkeit getragen, sondern reine Realpolitik, wenn auch eine real falsche Politik.
Zugutehalten muss man der Kanzlerin, dass sie sich mit moralischer Selbstüberhöhung zurückhält, dieses Geschäft erledigen andere massenhaft. Gauck, der sich im Hinblick auf die merkelsche Politik und den gesamtpolitischen Kontext jetzt in Davos äußerte, liegt übrigens in einem neuen Trend. In den Mainstream-Medien taucht plötzlich ein Wort auf, das bis eben noch als Dunkeldeutsch gegolten hat. Frenetische Einwanderungsbegrüßer, die von der Bundesrepublik alles und von den Einwanderern nichts verlangen, insbesondere keine Einwanderungskultur, reden plötzlich alle von einem möglichen Sturz der Kanzlerin.
Die Medien thematisieren plötzlich den Sturz der Kanzlerin. Warum?
Rechtsradikale Straftaten gegen Einwanderer sind dunkel, wie jede Straftat dunkel ist. Auch Einwandererkriminalität ist dunkel. Hass und Hetze gegen andere Menschen sind dunkel, gleich unter welcher Fahne Hass und Hetze vorgetragen werden.
Aber Gaucks Dunkeldeutsche sind bisher ausschließlich Rechtsextremisten, aber keine Linksextremisten, die mancherorts ganze Stadtviertel in aller Öffentlichkeit, in den Städten wie Berlin, Hamburg oder auch Leipzig im Prinzip 365 Tage im Jahr, terrorisieren und die über ein gigantisches Gewaltpotenzial verfügen, siehe zum Beispiel den aktuellen Fall in Magdeburg, wo ein rechter Demonstrant mit gefährlichem Werkzeug lebensgefährlich verletzt wurde.
Die Linksextremisten verfügen über eine teils uralte, perfektionierte Logistik und sind objektiv natürlich Dunkeldeutsche, aber es gibt sie im öffentlichen Diskurs nicht, in dem findet diese Realität nicht statt. Linksextremisten werden zur Bekämpfung der Gefahr von Rechts als Hilfssheriffs öffentlich alimentiert und Gauck meinte sie nicht. Auch die deutschen Islamisten o.Ä. sind nach der Gauck‘schen Definition Dunkeldeutsche, aber er nennt sie nicht so.
Entsprechend dieser präsidialen Selektion verfolgt ein Bundesjustizminister nur sehr selektiv die Hass-und Hetzkommentare in den sozialen Medien, wobei er es unterlässt, konsistente Definitionen von Hass und Hetze vorzulegen.
Die Behandlung des Einwanderungskomplexes durch Kanzlerin und Präsident, aber auch durch die politischen Parteien, durch Medien, durch Verbände, Kirchen, Gewerkschaften, aber auch durch den gigantischen Kunstsektor, ist im wahrsten Sinne des Wortes „ver-rückt“.
Der Bundespräsident ist in Davos ein Stück dunkler geworden. Viele werden das als Lichtblick empfinden.
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