Stefan Aust – Journalist des Jahres 2016?

Zum Jahreswechsel übernimmt Stefan Aust die Chefredaktion der Welt-Gruppe. Seine Ankündigung die Fakten und die Realität wieder zur Basis des Journalismus machen zu wollen, kommt in diesen Zeiten einer kleinen Revolution gleich.

“Eine Million Flüchtlinge in Deutschland, eine Koalition, bei der jeder in der Öffentlichkeit etwas anderes sagt als unter vier Augen (…)”.

Mit dieser Feststellung kündigt Stefan Aust als neuer “kommissarischer” Chefredakteur der Welt-Gruppe einen journalistischen Paradigmenwechsel (hoffentlich) auf der blauen Schiene des Springerkonzerns an. Sein Chef Mathias Döpfner hatte vor kurzer Zeit vorgelegt.

Was Aust vergessen hatte festzustellen, ist die Tatsache, dass eben nicht nur jeder, der mit Politikern spricht, das “Vier-Augen”-Erlebnis” hat, sondern auch jeder, der mit Journalistenkollegen ins Gespräch kommt, sehr oft feststellt, dass zwischen deren öffentlichen Äußerungen und deren privater Meinung und auch deren privatem Lebensstil manchmal große Widersprüche bestehen.

Wenn Aust es schaffen sollte die seriöse Springerlinie wieder auf die Fakten und damit auf die Informationen einzuschwören, dann erwiese er dem Journalismus insgesamt einen ungewöhnlich großen Dienst. Selektive Faktenwahrnehmung, die Negation entscheidender Fakten und die Substitution von Fakten durch Ideologie, Mainstream und oft genug Agitprop hat sich in den Leitmedien der Bundesrepublik in den letzten zwei Jahren allzu breit gemacht und das betrifft ganz vornehmlich die Themenfelder Einwanderung und Integration.

Zwischen der Ankündigung die Realität abzubilden und damit auch dem mündigen Leser ein Stück weit eine eigenen Meinung zu ermöglichen und der weit verbreiteten und schon sehr tief in die Köpfe eingedrungenen manipulativen Selbstverständlichkeit, mit der sich allzu viele Medien und Journalisten einen bequemen Mainstreamlenz machen, liegen Welten.

Das Austsche Versprechen ist in Wahrheit eine Herkulesaufgabe

Der Bubi-Journalismus, der die Welt-Gruppe unter dem on/off-Chefredakteuer Jan-Eric Peters ziemlich fest im Würgegriff hatte, ist aus einem so großen Apparat wie der Welt nicht leicht zu entfernen. Da wird Aust, der schon seit zwei Jahren als Herausgeber der Welt fungiert, einige Ungeister abschalten müssen, damit die vernünftigen Kräfte und Ideen, die es in der Welt auch gibt, wieder mehr zum Zuge kommen.

Die überrepräsentierten medialen Zerrbilder der Medien, die die Menschen seit ein paar Monaten notorisch-zwanghaft in drei Gruppen einteilen, nämlich in den idealtypisierten guten reinen Einwanderer, den bösen deutsch-deutsch Rassisten und den antifaschistischen deutschen Kämpfer gegen den Rassismus der bösen Deutschen, hat sich im veröffentlichten Raum so festgefressen, dass der Realität und auch der vernünftigen Analyse kaum noch Raum bleibt.
Die dritte Gruppe der antifaschistischen Helden, die sich gerne selber feiert, ist, und das bleibt natürlich anzumerken, die zahlenmäßig erdrückend größte Gruppe, deren Vertreter zudem alle Machtpositionen im Staate und in der Gesellschaft besetzen. Diese dritte Gruppe besteht ganz selbstverständlich aus den oberen Zehntausend, aus der politischen und gesellschaftlichen oder, wie man heute leicht irre sagt, der zivilgesellschaftlichen Nomenklatura, also aus den Fürsten in Politik, Medien, Kultur, Justiz, der Wirtschaft, der Kirchen, Gewerkschaften, Vereine und wo sonst, und ergeht sich in ihrem wohlfeilen “Kampf gegen Rechts”.

Der allerdings ist zwar ein Kampf einer großen Mehrheit gegen zumeist selbst ernannte Feinde, hat aber wenig mit einem seriösen Kampf gegen Rechts zu tun und ist oft nicht einmal in der Lage ist zu definieren, was überhaupt Rechts oder was Rassismus genau ist.

Wenn sich der neue Chefredakteur der Welt also mit dem Beginn seiner Amtszeit quasi als sein verkündetes Programm jetzt dahingehend äußert, die Faktenbasierung, die dem Journalismus in den letzten Wochen allzu locker flocking abhanden gekommen ist, wieder in den Focus zu rücken, dann darf man das angesichts der journalistischen Realität bereits als ziemlich mutig bezeichnen. Sehr viele Freunde kann man sich mit einer solchen Ankündigung bei denen, die sich in dem durchaus verderbt zu nennenden journalistischen Mainstream ganz persönlich perfekt eingerichtet haben, nicht machen.

Es bedarf also großen Mutes und großen Stehvermögens und großer persönlicher Unabhängigkeit. Aust ist ein alter Hase auf seinem Gebiet, und seine Feinde werden mit ihrem eigenen Respekt zu kämpfen haben. Stefan Aust feiert 2016 sein fünfzigjähriges journalistisches Dienstjubiläum. Und in diesen fünfzig Jahren war er fünfzig Jahre lang erfolgreich. Das knallt. 1966 begann Stefan Aust bei dem linken Zeitgeistmagazin “Konkret”, so von mir beschrieben in meinem Buch “So macht Kommunismus Spaß”.

Insofern wird Aust auf seine alten Tage zu einem jungen Hoffnungsträger, wenn er denn seine Ankündigung wahr machen kann, den Journalismus, wie er sich gehört, als kritische Begleitung der Realität und der Macht wieder zu beleben.


Stefan Aust und Bettina Röhl

RedaktionBettina Röhl kennt Stefan Aust seit ihren Kindertagen, als der Abiturient Aust 1966 in die Konkret-Redaktion ihres Vaters Klaus Rainer Röhl eintrat. 1970 befreite der damals 23jährige Aust Bettina Röhl und ihre Schwester mit finanzieller Unterstützung des Spiegelherausgebers Rudolf Augstein aus einem sizilianischen Versteck, wohin die damals gerade entstandene RAF die siebenjährigen Zwillinge vier Monate lang verschleppt hatte.

Stefan Aust übergab die Zwillinge im September 1970 Klaus Rainer Röhl in Rom. Die RAF bedrohte Aust und seinen Mitstreiter Peter Homann nach der geglückten Befreiung mit Mord. Bettina Röhl blieb Stefan Aust trotz späterer persönlicher Differenzen ihr Leben lang verbunden. Sie schrieb im Auftrage von Stefan Aust im Juli 1995 die Spiegeltitelgeschichte “Und seid nicht traurig” und arbeitete mit Aust als Chefredakteur ein paar Jahre für Spiegel TV. 2007 drehte sie für Spiegel TV den gleichnamigen Film zu ihrem Buch “So macht Kommunismus Spaß”.

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