Höchste Vorsicht, wenn Sie Wörter wie „solidarisch“, und „nachhaltig“ in Zusammenhang mit Sozialpolitik hören. Dann geht es darum, dass Leute, die es nicht brauchen, viel Geld von denen kriegen, die es nicht haben, und so der Sozialstaat nachhaltig ruiniert wird. Eigentlich ist der Sozialstaat eine der wertvollsten Erfindungen Kontinentaleuropas. Aber er wird zerstört von denen, die sich als seine Freunde ausgeben – den Sozialpolitikern aller Parteien.
Nehmen wir die Rentenversicherung – die Krise in Permanenz wegen steigender Beiträge und sinkender Leistungen. Dabei würde die ursprüngliche Rentenformel aus dem Jahre des Herrn 1957 wunderbar funktionieren – wenn nicht die Bundeskanzler aller Zeiten daran herumgefummelt hätten wie die Panzerknacker an Onkel Dagoberts Tresor: Konrad Adenauer erkaufte die Zustimmung der damals noch mächtigen Bergbau-Gewerkschaft durch besonders hohe Renten für alle, die unter Tage schuften – und oben die Angestellten erhielten die Schwerstarbeiterzulage gleich mit. Bei Helmut Schmidt war die Rentenkasse richtig klamm, weil daraus Wahlgeschenke an SPD-Wähler und die der Union gleichermaßen finanziert wurden. Deswegen wurden zu Spottbeiträgen Selbstständige in die Kasse gelockt. Das hat kurzfristig Geld gebracht. Aber auch Langfristlasten, die wir noch heute abzahlen. Helmut Kohl hat die Soziallasten der Wiedervereinigung ausschließlich den Beitragszahlern und ihren Kassen aufgebürdet. Unter Angela Merkel wurde entschieden, dass die Löhne fallen dürfen, die Renten aber nicht – im Irrglauben, dass man Manna verteilen kann, das uns der liebe Gott per Direktanweisung an die Deutsche Rentenversicherung in 10704 Berlin-Wilmersdorf refinanziert.
Noch läuft die große Illusionsmaschine der Sozialpolitik. Noch arbeiten die geburtenstarken Jahrgänge von 1955 bis 1965 und zahlen Beiträge. Aber demnächst wechseln sie Jahr für Jahr von der Seite der Zahler auf die Seite der Empfänger. Nur noch kurze Zeit leben wir im demografischen Schlaraffenland. Bloß blöd, dass die gebratenen Tauben nun auf die rote Liste aussterbender Tierarten geraten.
Die Dummen sind die Jungen. Wenn die Generation Praktika auch nur für ein paar Monate einen Job findet – gleich wird sie ausgenommen. Reden Sie mal mit denjenigen, die unter 30 sind. Diese Generation ist illusionsfrei. Sie erwartet nichts von der Rentenversicherung – außer steigenden Beiträgen. Wer heute jung ist, lebt oft von der Großzügigkeit der Rentner-Großeltern, um netto überleben zu können. Nach der staatlichen Umverteilungsorgie wird man doch wieder auf den Zusammenhalt in der Familie zurückgeworfen – schade nur, dass die Forderung „Reiche Eltern für alle“ nur ein ironisches Protestplakat bleibt.
So gerät der gesamte Sozialstaat in Gefahr. Er gilt nicht mehr als Errungenschaft – sondern als Entreicherungsmaschine. Nun lassen sich Generationenvertrag, Arbeitslosenversicherung und Pflichtbeiträge nicht einseitig kündigen. Aber davonlaufen – das kann man ‧versuchen, und das wollen auch immer mehr. Längst befinden wir uns im Wettlauf zwischen immer stren‧geren Kontrollen und immer neuen Fluchtversuchen. Langfristig wird der Sozialstaat dabei verlieren – man kann nicht ein Volk nur mit Bajonetten regieren und auch nicht einmauern. Der Staat lebt vom gesellschaftlichen Konsens über Sinnhaftigkeit und der Akzeptanz seiner Regeln. Dass die Leistungsgerechtigkeit mittels eines unfairen Sozialstaats einer Gleichheit in Armut geopfert wird – das wollen die Deutschen nicht.
Wer den Sozialstaat retten will, muss ihn vor seinen falschen Freunden bewahren.
(Erschienen am 21.11.2009 auf Wiwo.de)
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