Asyldebatte – Zehn Jahre zu spät

Die Asyl- und Migrationsdebatte, wie wir es etwa derzeit beim Wer-wird-die-nächste-Merkel-Kasperletheater aufgeführt bekommen, wäre vor zehn oder zwanzig Jahren adäquat gewesen.

Jugendstil-Fassade

Das Haus brennt, man sieht die Flammen drei Straßenzüge weit, und was tut der kluge deutsche Politiker? Richtig, er kassiert erstmal seine Diäten, dann stellt er vier Brüder als Berater ein, dazu zwei Cousins und einen senilen Dackel, und schließlich, wenn schon längst die ersten Setzlinge ihre Wurzeln in die Asche des niedergebrannten Stadtteils getrieben haben, beschließt die Kommission vorläufig, dass es eine gute Idee wäre, eine Feuerversicherung zu kaufen, und in der nächsten Wahlperiode vielleicht sogar ein Feuerwehr-Auto!

Viel zu spät

Der Kanzlerkandidatkandidat Friedrich Merz hat, und dann hat er auch nicht, das deutsche Asylrecht zur Debatte gestellt (siehe z.B. welt.de, 22.11.2018). Es ist ein Skandal, was ihn Schwäche zeigen und dann doch zurückrudern lässt (siehe z.B. focus.de, 22.11.2018). Es ist auf traurige Weise lächerlich, denn es beweist, wie aus der Zeit und Realität gefallen die politisch-mediale Kaste ist.

Heute das Asylrecht zu diskutieren, das ist ein wenig wie wenn die Titanic schon zur Hälfte unter Wasser ist, die Schiffsoffiziere aber noch immer diskutieren, wie man mit Eisbergen umgehen soll.

Die Regierung will, etwa eine Woche nach der Unterwerfung unter den UN-Migrationspakt, im Kabinett das »Fachkräfteeinwanderungsgesetz« abnicken lassen (spiegel.de, 22.11.2018) – derweil gibt es an ersten Erstklassen-Jahrgängen einen Daheim-nicht-Deutsch-Sprecher-Anteil von, ja, mehr als 99% (bild.de, 20.11.2018).

Heute zu debattieren, in der Zukunft die Einwanderung zu regulieren, das ist wie wenn der Zeppelin Hindenburg längst lichterloh brennt, doch die klugen Herren an Bord des Zeppelins im Rauchersalon (ja, den gab es) zu erwägen beginnen, die Gefahr von Korona-Entladungen für das Wasserstoff-Luft-Gemisch mit Regulierungen in den Griff zu bekommen.

Das Adjektiv »absurd« bedeutet, laut Duden: »dem gesunden Menschenverstand völlig fremd«. In Südafrika werden weiße Farmer ermordet während die ANC-Führung reich und reicher wird, während der deutsche Präsident an der Realität vorbei von der »Regenbogennation« Südafrika redet – eine doch etwas absurde Schönfärberei.

Wie ver-rückt ist die Weltwahrnehmung Berliner Eliten? Sogar die der Realität nicht unbedingt jederzeit nahe Hillary Clinton rät den Europäern, die Einwanderung zu begrenzen. So abgedreht zu sein, dass sogar Hillary Clinton dich zurückpfeift, das ist keine geringe Leistung!

Anti-Gretzky

Die Probleme, die heute debattiert werden, wurden ja auch schon vor buchstäblich über einem Jahrzehnt gesehen und diskutiert – ob von Helmut Schmidt, von Friedrich Merz oder von der großen Kaputtmacherin selbst!

Die Berliner Elite läuft nicht dahin, wo der Puck sein wird, sondern dahin, wo er vor 10 Jahren war. Sie öffnen die Grenzen und debattieren dann die Einwanderung. Sie zünden das Haus an und debattieren dann den Feuerschutz.

Betrunkener, der unter Laterne sucht

Wenn wir uns schon an alten, halb-durchgetragenen Berater-Metaphern erfreuen, hier ist noch eine: Ein Polizist sieht einen Betrunkenen, wie er auf allen Vieren um eine Laterne herumkrabbelt.

»Was treiben Sie?«, fragt er.

»Meinen Schlüssel«, lallte der Besuffski.

Der Polizist ahnt etwas. »Ja, wo haben Sie ihn den verloren?«, fragt er.

»Drüben im Gebüsch«, sagt der Kriechende.

»Und warum suchen Sie dann hier?«

»Na, ist doch klar«, erklärt der Suchende, »drüben ist es dunkel und hier ist Licht!«

So ähnlich ist es mit der Berliner Elite. Sie debattieren die Fragen, die vor 10 Jahren anstanden – weil ihnen schlicht die Kapazitäten, die Perspektiven und der Mut fehlen, zu diskutieren, was heute wirklich ansteht.

Die Berliner Elite diskutiert über Regeln und Grenzen und Sicherheit, weil ihre Weisheit und Reflexionsgabe kaum mehr Tiefe als eine Schuhschachtel haben. Sie reden von Gesetzen und Initiativen, weil sie schlicht zu blind sind, zu sehen, was Menschen wirklich bewegt,

Die nächsten Fragen sind philosophisch

Die drängendsten Fragen der Zukunft sind philosophisch. Ob in der Technik: Wer trägt Verantwortung, wenn ein selbstfahrendes Auto einen Menschen plattfährt – und wen soll ein »allwissendes« Auto, wenn es sich nicht vermeiden lässt, umfahren – die Großmutter oder das Kleinkind? Wie gehen wir damit um, dass Teile einer ganzen Generation (die »Social Justice Warriors«) durch Soziale Medien den Bezug zu den realen Mechanismen der Welt verloren hat, und ihre ethischen Meinungen anhand von »Clickbait« formt (Clickbait sind an basale Reaktions-Instinkte appellierende Internet-Meldungen) – ist das ethische Urteil eines dopaminsüchtigen Social-Media-Junkies wirklich gleich viel wert wie etwa das Urteil eines gefestigteren Menschen, der im Leben etwas erfahren und etwas aufgebaut hat?

Die drängendste, und teilweise buchstäblich brennendste, Frage aber, an die sich die Großkopferten nicht herantrauen, lautet: Wie geht eine säkulare Gesellschaft mit Religionen um, wenn »Ungläubiger« für die Gläubigen ein maximal abwertendes Schimpfwort ist?

Was bringt die Ehe für alle, wenn öffentlich schwul zu sein gefährlich wird? Was bringt schnelleres mobiles Internet, wenn auf den Smartphones der Hass auf die »Ungläubigen«, die das Internet bereitstellten, verbreitet wird? Was nutzt eine Innenstadt ohne Stickoxide, wenn Messer die eigentliche Todesgefahr darstellen? Was bringt es, Schulen zu digitalisieren, wenn die digitalisierten Kinder außerhalb der Schule ebenso digital lernen, den Westen zu verachten?

Das Eis wird bereits abgetaut

Das Haus brennt, man sieht die Flammen drei Straßenzüge weit, und die Berliner Elite diskutiert, ob man nächstes Jahr einen Feuerwehr-Gründungsausschuss andenken sollte.

Die Asyl- und Migrationsdebatte, wie wir es etwa derzeit beim Wer-wird-die-nächste-Merkel-Kasperletheater aufgeführt bekommen, wäre vor zehn oder zwanzig Jahren adäquat gewesen. Berlin fährt dem Puck hinterher, doch das Eishockey-Spiel ist längst abgepfiffen, die Schlittschuhe sind ausgezogen und das Eis wird abgetaut.

Die nächste große Frage ist, ob und wie man gemeinsame ethische Werte fürs Zusammenleben findet, wenn die eine Seite in archaischen Gläubiger-Ungläubiger-Mustern denkt und die andere sich in infantil debiler Naivität eingerichtet hat.

Ich war bereits vor zehn Jahren der Meinung, dass die große Zukunftsfrage der Gesellschaft die Frage nach der Entstehung ethischer Meinungen ist – deshalb widme ich alle meine Kraft dem Schreiben und Reden genau darüber (und versuche, »Relevante Strukturen« auf die Nachttische der Republik zu bekommen!) – ich halte es heute mehr denn je für die dringlichste und umfassendste der Zukunftsfragen. Andere Themen wie Digitales oder Künstliche Intelligenz ändern die Frage nach der Entstehung ethischer Gefühle nicht, sondern verschärfen vielmehr ihre Dringlichkeit um ein Vielfaches.


Dieser Beitrag erschien zuerst auf dushanwegner.com.

Dushan Wegner (geb. 1974 in Tschechien, Mag. Philosophie 2008 in Köln) pendelt als Publizist zwischen Berlin, Bayern und den Kanaren. In seinem Buch „Relevante Strukturen“ erklärt Wegner, wie er ethische Vorhersagen trifft und warum Glück immer Ordnung braucht.

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Kommentare ( 35 )

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Michael Theren
6 Jahre her

Herr Frisch; Giscard d`E staing hat sich ähnlich (und noch deftiger) geäußert, nur was schließen wir daraus, wenn die scheinbaren Chefs sich gegen ominöse Kräfte in elementaren Fragen nicht durchsetzen können?

Mir zumindest ist es inzwischen wurscht wer hier Kanzler ist….

Timur Andre
6 Jahre her

Asyldebatte Anfang 90er: keine einheitliche Erfassung da unterschiedliche IT Systeme in den Ländern, 2018 nichts hat sich geändert

Ali
6 Jahre her

Wissen Sie Herr Wegner, es geht nicht um Asylsuchende. Es geht auch nicht um Migration. Der Denkfehler, dem wir alle noch immer unterliegen „wollen“, ist der, das wir annehmen möchten, die Politik verhalte sich dumm oder naiv oder moralisierend. Das Gegenteil ist der Fall. „Wir“ sind das Problem. Die sich in Jahrzehnten gebildete, starke -und vor allem „souveräne“ Mittelschicht. Wir die wir nicht mehr bereit waren aufgrund unserer Bildung und unseres aufgeklärt sein, wie zu Zeiten des Manchester Kapitalismus, jeden Tag als Wanderarbeiter und Tagelöhner, pardon seit der Schröder-SPD heißen die ja Leiharbeiter und geringfügig Beschäftigte, von der Hand in… Mehr

HeHeWi
6 Jahre her
Antworten an  Ali

Daumen hoch für Ihre gelungene Zusammenfassung des alltäglichen Wahnsinns. Den Begriff Mutti im Zusammenhang mit Merkel zu nennen, gibt allerdings einen Punktabzug.

Ralf Poehling
6 Jahre her

Die Regierung, weite Teil der Opposition, wie auch breite Teile der Bevölkerung, sind in einem friedlichen und wohlhabenden Biotop aufgewachsen, in dem der ungeschönte Blick auf die Welt durch das Öffentlich-Rechtliche TV meist zu einem geschönten Blick zusammengefiltert wurde und deshalb fälschlicherweise zur „Wahrheit“ geworden ist. Um diese „Wahrheit“ zu erhalten, das echte (harte) Leben will man gar nicht kennenlernen, dröhnt man sich selbst und den Rest der Gesellschaft mit immer stärker werdender Propaganda zu. Was wiederum dazu führt, dass man meint, Strom käme aus der Steckdose, Geld könne man ohne Konsequenzen nachdrucken und alle Probleme dieser Welt ließen sich… Mehr

chino15
6 Jahre her

Alles richtig, aber: Die philosophische Debatte über unsere Werte und relevanten Strukturen wird sich bald von selbst erledigen, wenn weiterhin jeden Monat mindestens 10.000 unkontrollierte Neuankömmlinge hier einwandern, die mehrheitlich nicht vorhaben, diese Werte zu achten. Insofern bin ich nach wie vor der Meinung, dass alle anderen Themen sekundär sind, solange unsere Grenzen und Sozialsysteme sperrangelweit offen stehen. Und ich kann derzeit KEINEN erkennen, der dies sowohl ändern könnte als auch ändern will.

Waehler 21
6 Jahre her

Das einzige was wirklich hilft, wären die Kosten für das Asyl offen zu legen. Manche würden sich die Augen Reiben.

petrasperling
6 Jahre her
Antworten an  Waehler 21

Die echten Kosten, inkl. aller Nebenkosten die für die erhöhte Justiz, Polizei, Lehrer usw. usw , veurscht werden.

Ali
6 Jahre her
Antworten an  Waehler 21

Das glaube ich leider nicht. Oder haben Sie irgendwo „Aufstände“ erlebt, als rauskam, das Merkels „freundliches Gesicht 2015“ ca. 60 Milliarden EUro kostet? Und das weis eigentlich jeder. Nein, nein, aufregen tun sich -trauriger weise ausgerechnet die jüngeren Deutschen- nur über Themen wie Erweiterung der Mütterrente oder angeblich gefährlich Diesel-Motoren.

Timur Andre
6 Jahre her
Antworten an  Waehler 21

Die bevorstehende Rezession wird die Steuereinnahmen um 20/30% sinken lassen. Mit ca 600 oder gar 550 Mrd werden die zur Zeit 50+ Mrd im Jahr schwer wiegen, die 100 Mrd die ich voraussage wenn die Familien nachkommen bis zur Bundestagswahl bedeuten dann: Privatisierung, Sozialabbau und tiefe gesellschaftliche Spaltung, alles Ziele der Hintermänner (USA, Bertelsmann Stiftung et al)

Deutschland wird in die zweite Reihe der Nationen übergeben

PS ein weiteres 1929 wird dann das endgültige Aus bedeuten

Oblongfitzoblong
6 Jahre her

Um in Deutschland Asyl beantragen zu können, muss die betreffende Person schon mit einem Fallschirm über Deutschland abspringen. Da unser Land von sicheren Drittstaaten umgeben ist, hat nach GG16a keine Person ein Recht in Deutschland Asyl zu beantragen. Gegen diese rechtliche Vorgabe wird seit Jahren verstoßen und man hat sich um Folgen nicht gekümmert. Jetzt ist das Gebinde an Problemen da und die Regierung versucht durch einen selbstgebauten Migrationspakt die Rechtsverletzungen zu reparieren. Es wird leider nicht gelingen, die Lasten bleiben unseren Kindern und Enkeln.

Eberhard
6 Jahre her

Wer redet vom Abschaffen des Asylrechts aus dem Grundgesetz. Sofort wenn eine andere Meinung, als die der gerade an der Macht befindlichen an die Öffentlichkeit kommt, wird versucht diese sofort verletzend zu diffamieren. Natürlich läuft da etwas mit dem deutschen Recht auf Asyl ganz gewaltig aus dem Ruder. Kein Staat dieser Welt kann unbegrenzt Asylsuchende aufnehmen. Wenn wie zur Zeit in Deutschland Hunderttausende oder sogar Millionen illegal einreisen und nur das Wort Asyl kennen, von denen dann bei wenigstens 99% das Asyl auf dem Rechtsweg abgelehnt wird, dann stimmt etwas nicht. An so etwas haben die Väter des nicht gedacht… Mehr

Donald G
6 Jahre her

Asyldebatte? Viel Rauch um nichts oder mehr als flüssig. Grundrechte abzuschaffen ist perse ein heikles Thema. Warum ein Friedrich Merz sich nun grade auf diese Tretmine setzen musste, ist nicht nachzuvollziehen. Hat er gedacht die linksgrün versi… Qualitätsmedien würden ihm das durchgehen lassen, nur weil er Mitglied der CDU sei. Dann muss er sehr dumm sein. Hat er nicht aufgepasst, wie es seinem Mitkonkurrenten Spahn ergangen ist, als über den Migrationspackt lediglich eine Debatte in der eigenen Partei anregen wollte? Grade Merz ist für die linksgrüne Meute ein noch schönerer Happen den es mit Wonne in der Luft zu zerreißen… Mehr

Thorsten
6 Jahre her
Antworten an  Donald G

Merz will die konservativen Teile der CDU gewinnen, da AKK die Merkel-Truppen auf ihrer Seite hat.

Es ist sowas wie eine „Mini-Wahl“, da der Posten so ziemlich die Weichen stellt.
Vermutlich Richtung Abgrund…

Gisela Fimiani
6 Jahre her

Ihr Beitrag trifft, Herr Wegner. Ist nicht aber eine Voraussetzung, zur Beantwortung der von Ihnen beschriebenen Fragen, das „sapere aude“? Ist nicht das (klare, unvoreingenommene) Denken unentbehrlich?