12 Jahre nach Zoran Đinđić will Aleksander Vučić Serbien in die EU führen. Folgt dann der NATO-Beitritt? Russland fühlt sich durch die Verwestlichung des Balkan herausgefordert.
Der eine oder andere mag sich noch an Zoran Đinđić erinnern. Der 1952 im heutigen Bosnien-Herzegowina geborene Offizierssohn war der erste, wirkliche Oppositionspolitiker, der im Nach-Bürgerkriegs-Serbien 2001 zum serbischen Ministerpräsidenten gewählt wurde. Đinđić, der nach einer langjährigen Haftstrafe im Jugoslawien – übersetzt „Südslawien“ – des Kroaten Tito in Deutschland Philosophie studiert hatte, wollte sein vom nationalen Sozialisten Milosevic zerrüttetes Land nach Westen führen, strebte den EU-Beitritt an. Gleichzeitig hatte er den sozialistischen Altkommunisten und den korrupt-mafiösen Strukturen seines Landes den Kampf angesagt.
Am 12. März 2003 wurde Đinđić von einem Scharfschützen gezielt ermordet. Dieses Mordes angeklagt und zu langjährigen Haftstrafen verurteilt wurden Mitglieder einer kriminellen Polizei-Sondereinheit, die dereinst unter dem direkten Befehl des Milosevic gestanden hatte. Mit dem Tod von Đinđić kam es innerhalb Serbiens zu heftigen Auseinandersetzungen über den künftigen Kurs des Landes, in deren Folge sich die frühere jugoslawische Teilrepublik Montenegro von Serbien löste und als fünfter Nachfolgestaat Südslawiens ihre Unabhängigkeit erklärte.
Serbien und Russland
Serbien ist ein Land, das sich traditionell an Russland orientiert. Der erste Weltkrieg brach maßgeblich deshalb aus, weil das zaristische Russland sich als Schutzmacht der Serben definierte, welche wiederum durch das in seinen Führungsetagen gebilligte Attentat auf den österreichischen Kronprinzen Franz Ferdinand dem großen Nachbarn den Grund zur Kriegserklärung geliefert hatten. Trotz des unabhängigen Kurses des Jugoslawien Titos gingen die engen serbischen Bindungen zu Russland nie verloren. So ist heute bekannt, dass beispielsweise jener Igor Girkin alias Strelkow, der 2014 mit Rückendeckung der russischen Geheimdienste den Separationskrieg in die ukrainischen Ostprovinzen trug, bereits im 1995 endenden Bosnien-Krieg auf Seiten der Serben kämpfte.
Der bekennende Geheimdienstler Girkin vertrat 2013 öffentlich die Auffassung, dass Kriege außerhalb Russlands als sogenannte „spezielle Präventivoperationen“ durchgeführt werden müssten, zu denen beispielsweise auch der Mord an gegnerischen Führern gehören könne. Gut vorstellbar also, dass dieses Konzept, welches ebenfalls 2013 vom russischen General Gerassimow als „hybride Kriegsführung“ definiert wurde, bereits vor 1914 zum Inventar der zaristischen „Sicherheitsabteilung“ (Ochrannoje otdelenie) gehörte und deren serbische Blutspur von Franz Ferdinand bis Zoran Đinđić reicht.
Balkan, NATO, EU und Russland
Anfang dieser Woche nun begannen die offiziellen Verhandlungen zum Beitritt Serbiens in die Europäische Union. Serbiens Ministerpräsident Aleksander Vučić unterstrich dabei das Ziel seines Landes, bis 2019 Teil der EU zu werden. Er hat es eilig – und das aus gutem Grund.
Wladimir Putin betrachtet diese Entwicklung mit allem anderen als mit wohlwollendem Kopfnicken. Das Kreml-Organ „Sputnik“ wird nicht müde, den Serben eine pro-russische Haltung als einzigen Weg in die Zukunft zu predigen. Liebevoll wird mit einem nur noch rhetorischen Fragezeichen darauf verwiesen, dass Putin „Vorbild und einzige Hoffnung“ für die Balkanländer sei.
Bei seinem Serbien-Besuch anlässlich der 70-Jahr-Feiern der Befreiung Jugoslawiens von deutscher Besetzung lobt Putin im Oktober 2014 die Waffenbruderschaft zwischen den Ländern in den höchsten Tönen – und warnt gleichzeitig vor dem „nazistischen Virus“, der beispielsweise in den baltischen Staaten bereits „Alltagserscheinung“ sei.
Der russische Präsident unterstreicht in aller Deutlichkeit die „gemeinsame Pflicht, die Versuche der Revision der Ergebnisse des Zweiten Weltkriegs vehement zu unterbinden“ und zu bekämpfen. Mit anderen Worten: Alles, was seit 1989 auf dem europäischen Kontinent an Veränderungen stattgefunden habe, sei letztlich irrelevant. Konkret: Ob deutsche Wiedervereinigung und Ausscheren der mittelosteuropäischen Staaten aus russischer Sowjethegemonie, ob Unabhängigkeitserklärungen ehemaliger Sowjetkolonien wie Baltikum und Georgien, aber auch jener Zerfall des Nachkriegs-Jugoslawiens – sämtlich zu bekämpfende „Revisionen“ der stalinistischen Nachkriegsordnung. Putin sieht dabei Serbien an vorderster Front, erklärt das Land zum „Schlüsselpartner“ an der Seite des großen Bruders Russland.
Als Anfang Dezember die ehemalige Teilrepublik Montenegro auf ihren ausdrücklichen Wunsch von der NATO die Einladung zum Beitritt erhält, berichtet Russland Propganda-TV „RT“ umgehend über massive Proteste der pro-serbischen Opposition. Die häufig prorussisch argumentierenden „Deutschen WirtschaftsNachrichten“ (DWN) sprechen von „2.000 bis 5.000“ Demonstranten – allein diese Spanne von 3.000 „vielleicht-oder-vielleicht-auch-nicht“- Demonstranten lässt bei einem vorgeblichen Sockel von nur 2.000 Menschen erhebliche Fragen offen. Umso erstaunlicher, dass die DWN bereits wenige Tage später nun auch von „Massenprotesten“ gegen den NATO-Beitritt Montenegros spricht. Ein Beitritt, der gemäß DWN laut „Umfragen nur von 50,2 Prozent der Montegriner“ unterstützt werde – was immerhin noch einer Mehrheit der Bevölkerung entspräche.
Noch bedeutsamer für die DWN aber ist: „Der russische Einfluss in Montenegro ist weiter stark“ – und es kämen alljährlich „hunderttausende russische Besucher“. Da werden unwillkürlich Erinnerungen wach an jene russischen Militärangehörigen, die während eines offiziellen Urlaubs gut organisiert und in Scharen in den ukrainischen Donbass strömten, um dort auf der Seite der Terroristen gegen die Zentralregierung zu kämpfen.
Moskaus postimperialer Phantomschmerz
Flankierend kommt aus Moskau das ganz große Geschütz der zunehmend mehr unter heftigem postimperialem Phantomschmerz leidenden Russen: Außenminister Lawrow definiert einen NATO-Beitritt Montenegros f als „Bedrohung“ Russlands.
Die nun in ihre heiße Phase eintretenden Verhandlungen zwischen Serbien und EU werden in Moskau voraussichtlich ähnliche Reaktionen hervorrufen. Denn sollten sie zu einem erfolgreichen Abschluss geführt werden – woran derzeit beide Seiten ein hohes Interesse haben – dann dürfte das Nachdenken über Serbiens NATO-Beitritt nur noch eine Frage der Zeit sein. Also legen auch hier die DWN schon einmal kräftig Kohlen auf den Argumentationsrost. Russland solle isoliert werden – deshalb werde einmal mehr der europäische Steuerzahler bluten dürfen, um ein Land, in dem „erhebliche Korruption herrscht“ und dessen Wirtschaft in „einer schlechten Verfassung“ sei, von Russland zu entfremden. Da fragt man sich doch: Was will Russland eigentlich mit so einem „failed state“? Wollen die Russen so ein vergiftetes Geschenk?
Ohnehin eigenartig – noch vor einem Jahr hatte der oberste Russe überhaupt kein Problem damit, dieses am Boden liegende, durch und durch korrupte Land mit mehr als zwei Armen fest an seine Brust zu drücken und die ewige Bruderschaft zwischen den beiden slawischen Völkern zu feiern. Doch so schnell kann das gehen mit dem Putin‘schen Liebesentzug, wenn man sich nun als „der letzte Verbündete Russlands in Europa“ (so DWN) vom Kreml ab- und dem Westen zuwendet.
Stalin-Doktrin und grüne Männchen
Für Vučić bedeutet es, künftig nur noch mit schusssicherer Weste und großgewachsenen Bodygards durch die Gegend zu laufen. Denn sonst könnte es leicht geschehen, dass er das fast schon vergessene Schicksal des ersten Demokraten Serbiens teilt.
Die NATO sollte ein Auge darauf haben, dass nicht demnächst auch in Serbien und Montenegro kleine grüne Männchen auftauchen, die „regionale Patrioten“ in ihrem „gerechten Kampf gegen den nazistischen Virus“ aktiv unterstützen.
Kremlsprecher Peskow, der bei seiner Hochzeit mit Eisprinzessin Tatjana Nawka mit einer mindestens 500.000 Euro teuren Uhr am Arm für Aufsehen sorgte, hat es ja bereits unmissverständlich gesagt: Die NATO-Einladung an Montenegro gefährde die Sicherheit und die Interessen Russlands und werde „eine deutliche Antwort“ erhalten. Der feste Wille Serbiens, die EU den Russen vorzuziehen, wird aus Moskauer Sicht ebenso verstanden werden.
Und so wird das zunehmend einsamere Moskau weiter nach seiner Stalin-Doktrin verfahren und die Reaktivierung der imperialen Weltpolitik des neunzehnten Jahrhunderts rücksichtslos zu Lasten jener Völker vorantreiben, die selbst über ihr Schicksal entscheiden möchten statt sich einem mafiösen Großreich zu unterwerfen.
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