Hat die Wiedereinreisesperre kaum Auswirkungen?

Quadratur des Kreises : Politik lernt langsam mit Reizen zu geizen. Seehofer’s Erlass hat kaum Auswirkungen? Da irrt die Presse, zum Glück.

Christof Sache/AFP/Getty Images

Vier Monate hat man die Füße still gehalten und meint nun erfreut feststellen zu müssen, dass die „Wiedereinreisesperre“ von Horst Seehofer ja überhaupt nichts bewirke. Die ganze Aufregung, vom Asylstreit in der Union, bis hin zum Aufstand gegen Angela Merkel, also scheinbar vergeblich, ein vierfacher Anlass, aufzutrumpfen: Offene Grenzen doch kein Problem, Kontrollen überflüssig, der Ruf der Kanzlerin wiederhergestellt, die ganze „rechte Asylpanik“ nur ein Sturm im Wasserglas.

n-tv motzt „…nur drei Fälle in vier Monaten…..an der deutsch-österreichischen Grenze würden nur wenige Migranten aufgrund einer Wiedereinreisesperre zurückgewiesen…. Zwischen 19. Juni und dem 17. Oktober habe es nur 89 solcher Fälle gegeben…und unter denen seien sogar nur drei gewesen, in denen der Betroffene erfolglos einen Asylantrag gestellt hätte…“.

Das Nachrichtenportal zitiert Burkhard Lischka (SPD), der der Funke Mediengruppe gegenüber geäußert hatte: „die Rückführungszahlen seien hier „selbst hinter pessimistischen Prognosen“ zurückgeblieben. Zudem habe Seehofer schon vor einem Monat einen Vertrag mit Italien als unterschriftsreif bezeichnet… doch bis heute fehlten die Unterschriften der Italiener – von einem Inkrafttreten ganz zu schweigen“.

Aber hier irrt n-tv. Man mag von den Auftritten Seehofers halten was man mag, aber eine Überzeugung scheint bei dem Minister offenbar tief eingesunken zu sein: Es geht um einen Paradigmenwechsel in einem Spiel, dessen Regeln man auch nach dem Tabubruch des Sommers 2015 kaum verstanden hatte und deshalb auch nicht zu kontrollieren in der Lage war. Fremde machten die Regeln, man war gezwungen mitzuspielen.

Die Schlepper, die vielen afrikanischen und asiatischen Einflüsterer, die Netzwerke aus Hörensagen und Gerüchten, und nicht zuletzt eine europäische Allianz aus gutmeinenden, allzu toleranten und geschwätzigen politischen Leichtgewichten, spielten eine betörende Hintergrundmusik: Das Land, wo reichlich Milch und Honig fliessen, zum Greifen nahe, ein paar tausend Dollar reichen und ein Vielfaches wird der Lohn sein. Europa wurde mit Engelszungen sturmreif geplappert, die Spatzen pfiffen es von den Bäumen: Jetzt oder nie, auf in eine neue Welt.

Das haben Männer wie Seehofer, genau wie Kurz, Orban, Babis und vor allem Salvini verstanden. Europa steht heute vor der harten Aufgabe, die Mär vom gelobten Land, geschaffen aus tausend scheinbaren „Erfolgsgeschichten“ Angekommener und Geduldeter, nun Stückchen für Stückchen zu widerlegen und einzuordnen, die hundertausendmal in den sozialen Medien der 3. Welt geteilten Märchen zu entzaubern. Für diese Erkenntnis, und vor allem die Konsequenz, diesen neuen Kurs gegen alle Stürme der Entrüstung durchzuhalten, gebührt ihnen tatsächlich Dank.

Der goldene Westen hat nicht ansatzweise verstanden, wie der Geflüchtete tickt oder möchte es nicht wahrhaben. Weil viele Migrationsmotive denen ähneln, die unsere Vorfahren nach Amerika lockten?

Udo Jürgens hat sie bereits 1982 in aller Tiefe besungen, diese Lust auf Änderung, den Überdruss am alten Trott: „Ich war noch niemals in New York, ich war noch niemals auf Hawaii, ging nie durch San Francisco in zerrissenen Jeans… Ich war noch niemals in New York, ich war noch niemals richtig frei… einmal verrückt sein und aus allen Zwängen fliehen…“ und der Fliehende von heute braucht in seinen zerrissenen Hosen nicht mal mehr einen Pass oder die Eurocard dazu.

Bevor man den Schleuserpreis ( „Für 4.000 Euro nach Spanien“, Morgenpost v. 24.10.18) bezahlt, hat man das Leben in den überforderten, überbevölkerten Staaten irgendwo im afrikanischen, südamerikanischen oder asiatischen Niemandsland völlig satt. Dazu verurteilt, täglich das zuckersüsse Glück, die Übersättigung und Selbstzufriedenheit Europas und Nordamerikas auf kleinen Bildschirmen vorüberflattern zu sehen. (In Burkina Faso, dem “Land der ehrlichen Männer“, laut World Food Programme eines der ärmste der Welt, funktioniert vieles nicht, aber es gibt ein belastbares Mobilfunknetz.)

Die so gerne zitierte Suche nach dem „besseren Leben“ ist aber eine absichtliche Verniedlichung. Es geht dabei vielmehr, ausgehend von dem unterirdischen Ausgangspunkt vieler Fluchten in den goldenen Westen, in Wirklichkeit um die Erfüllung des Traums auch jeden Europäers: Tellerwäscheraufstieg innerhalb einer Dreitagesreise.

Viele in Europa werden sich primitive Neidgefühle angesichts der Fluchtbewegungen ungern eingestehen; die Reisenden erhalten unter Einsatz relativ bescheidener Mittel (lebensgefährliche Routen ausgenommen) eine Bereicherung, die in Geld nicht aufzuwiegen ist: Zugang zu funktionierender Infrastruktur, einem Sozialsystem, hochtechnisierter Medizin, Bildung – und nicht weniger wertvoll: Freiheit vor Gängelung, Ausbeutung und Willkürherrschaft in den Herkunftsländern. Und ja: Damit verbunden auch Frieden und die Freiheit sich in Gesellschaften zu bewegen, in denen der friedliche Ausgleich, unter Anwendung eines erprobten Rechtssystems, die Norm darstellt. Zahllose, nicht nur Gaumenfreuden und anderer eitler Tand, runden die Versuchung ab.

Todsünde: sich unter Wert verkaufen

Die Sünde der Gutmeinenden, die den Zorn der Gegner dieser Wanderungsbewegungen in grenzenlos überlegene Systeme noch anfacht, ist die herablassende Selbstverständlichkeit, mit der man den Neuzugängen aus den zerrütteten und verarmten Teilen der Welt die teuren Segnungen dann „gratis“ vor die Füsse kippt. Ungewollter Nebeneffekt: Diese Lässigkeit, die so großzügig und liberal erscheinen soll, ist geeignet, alle Bereicherungen in den Augen vieler Empfänger gleich wieder abzuwerten.

Die Möglichkeit, ganz neu anzufangen. Mit einem neuen Namen, vielleicht mit dem ersten richtigen Namen, dem ersten Ausweis überhaupt. Mit einem Job, auch wenn es bedeutet, nur zu kellnern oder zu putzen. Viele hatten zu Hause nicht einmal die Chance, Teller zu waschen – tagtägliches Däumchendrehen war angesagt. In Europa winkt dagegen der Luxus einer eigenen Wohnung, jeder Etagenschlafplatz in einer Turnhalle ist oft mehr, als man sich jemals im Herkunftsland erträumt hätte. Europäische Parlamentarier können das nicht verstehen – Ausschussreisen führen selten durch Elendsviertel.

Besonders unbeliebt: Kassandrarufe in der Wüste

Es gab die Festung Europa nie. Die Tore standen immer weit offen. Erst 2015 hat man das seitens der Schleuser bemerkt und sofort rücksichtslos ausgenutzt.

Die wenigen europäischen Politiker, die nun bereit dazu sind, die Träume aller Wanderungsbereiten zum Platzen zu bringen, die erstmals seit Jahren wieder den Versuch wagen, die hohle Floskel von der Festung Europa mit Fakten zu untermauern, stehen deshalb als Spielverderber der übelsten Sorte da. Niemand mag sie, denn sie reißen nicht nur die Wolkenkuckucksheime der Migrationsbereiten ein, sondern auch die Gespinste derer, die meinen, die Welt durch Umschichtung und Schaffung einiger „Glückspilze“ besser und schöner zu machen. Die sich bei jeder geglückten illegalen Einreise an der zweifelhaften Freude ergötzen, dass wiedermal ein Pechvogel einen Hauptgewinn ziehen durfte.

Horst Seehofers Signale weisen in die richtige Richtung: Wir passen auf. Wir wissen, wo die Grenze liegt. Wir lassen uns nicht überfahren und es liegt uns etwas daran, unsere Grenzen zu beobachten. Nicht mehr, aber auch nicht weniger. Wenn das dazu führt, dass nun der erste Schleuser seinen Laden in Nordafrika schließen muss, wenn Boote wieder zum Fischfang benutzt werden, wenn die Söhne afrikanischer Bauern, Handwerker und Viehzüchter ihre Energien wieder der eigenen Wirtschaft zuwenden, wenn die hasardischen Fahrten über das Mittelmeer aufhören, dann werden endlich viele falsche Träume verabschiedet – auch in Europa.

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Kommentare ( 27 )

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Cethegus
6 Jahre her

Dieser ganze seehofersche Ansatz ist und bleibt nix anderes als ein Placebo!
Dies jetzt als Versuch zu adeln bei dem der Grundsatz dieses Migrationswahns
konterkariert wird, ist doch nichts weiter als eine Luftblase und dass
selbst solche Petitessen von den kreischen und heulenden Linksgrünen inkl.
unser unkündbaren Gottkanzlerin sofort und rigoros sabotiert werden zeigt
doch genau wie hier der Hase läuft!

Absalon von Lund
6 Jahre her

Etwas Satire zu Beginn: das deutsche Außenministerium verhandelt mit Burkina Faso über die Ansiedlung mehrer Millioneen Deutscher in der Nähe von Christoph Schlingensiefs Operndorf bei Quagadougou. Häusre und Wohnungen solllen nach dem Vorbild der Plattenbausiedlung Hall-Neustadt entstehen. Noch gibt man sich sehr reserviert. Die Architketur von Francis Kere ist so viel schöner. Jetzt im Ernst: ein Frankfurter Banker, wohnhaft im Schwarzwald, sagte mir kürzlich im Bus: es ist sogar wichtig, in welcher Strasse du aufgewachsen bist und mit wem du gespielt hast. Ich bin geneigt, mir seien Sichtweise z eigen zu machen. Was für den Schwarzwälder gilt, gilt dann auch… Mehr

j.heller
6 Jahre her

Es wäre extrem wichtig die Motive und Erwartungen der Immigranten wirklich zu verstehen. Das wird hier natürlich auch nur angerissen. Man müsste sicher Gruppen bilden, wovon eine wäre die davon ausgeht dass er ihr schlicht zusteht hier mit allem versorgt zu werden. Dann gibt es da die Islamisten die bewusst Europa unter Kontrolle bringen wollen, usw.. Es würde einem sicher vom Hocker hauen wenn man realistische Einblicke in die Köpfe bekäme. Auch die Veränderung der Sicht auf uns nach dem Ankommen hier ist interessant. Es ist typisch für die kolossale Blödheit unseres Umgangs mit dem Thema dass bis heute niemand… Mehr

chino15
6 Jahre her

Bestand Seehofers Migrationsplan nicht aus >60 Punkten? Nachdem eine der sinnvollsten Maßnahmen bis zur Wirkungslosigkeit verwässert wurde, was wurde aus den anderen (Sachleistungen statt Geld usw.)? Ich hätte gern etwas Aufklärung hierüber.

Karl Napp
6 Jahre her

„Politik lernt langsam mit Reizen zu geizen. Seehofer’s Erlass hat kaum Auswirkungen? Da irrt die Presse, zum Glück.“ Sehr geehrter Herr Kalkofen, in Zeiten von Lücken- und Lügenpresse irrt diese bei der Beurteilung der Seehoferchen Leistung zu unser aller Pech gerade einmal und ausnahmsweise nicht. Der nicht ohne eigenes Zutun so genannte „Bettvorleger Drehhofer“ ist nichts weiter als das, was man ihm vorwirft: ein völlig rückgratloser politischer Opportunist, ein Ankündigungsminister, ein „tönend Erz oder eine klingende Schelle“, wie es in der Bibel heißt, einer der sich ministerialer Erfolge rühmt (e.g. Flüchtlingsabkommen mit Salvini), die sich in Wahrheit als Nullnummer herausstellen.… Mehr

Joachim
6 Jahre her

Insbesondere wird ja nur an 3 Übergangsstellen kontrolliert. Und nur dort kann somit eine unerlaubte Wiedereinreise festgestellt werden.

Wer eine Einreisesperre hat, und dann über einen dieser 3 Grenzübergänge versucht erneut einzureisen, muss eh die nicht gerade hellste Kerze auf der Torte sein.

Gerro Medicus
6 Jahre her

Ein Land, dessen Regierung alle Grenzen geöffnet hat und sich weigert, diese wieder zu schließen oder zu kontrollieren, braucht keine Diskussion um Abschiebungen, illegale Einreisen und Wiedereinreiseverbote. Denn das ist dann alles Kappes!

Seehofer hätte als Innenminister die Macht, die Grenzen wieder zu dem zu machen, was sie sind: Schutz gegen unberechtigte Eindringlinge! Aber er tut es nicht! Warum wohl?

giesemann
6 Jahre her

Eso es, sagt der Spanier: So ist es. Und: Con algo hay que empezar – mit irgendwas muss man anfangen. Saludos amigos, buena suerte.

Sabine W.
6 Jahre her

Horst Seehofers ‚Initiativen‘ betreffen ausschließlich die Grenze Bayern/Österreich. Sein lächerliches Vorpreschen in Bezug auf Migranten, die bereits in Spanien registriert waren und dann über Österreich nach D einwandern wollen, ist ein Treppenwitz der Geschichte. Klar, wer in Spanien ankommt, reist auch garantiert über Italien nach Österreich ein, um dann nach D zu kommen. Und alle anderen ‚Projekte‘, die dieser Mann verfolgt, sind mehr als lustig: Er reist also durch Europa, um eigentlich nur Dublin III einzufordern. Man muss ‚Abkommen‘ mit Drittstaaten schließen, damit sie Migrsanten zurücknehmen? Warum? Das alles ist über Dublin III geregelt, und dazu braucht es keinen Bundesinnenminister,… Mehr

Eberhard
6 Jahre her

Leider ist mein Beitrag beschädigt rausgegangen. Daher hier noch einmal neu: Einseitigkeit und Meinungseinheit sind der Tod jeden Fortschritts und damit auch die Sargnägel einer Demokratie. Wenn Politik alternativlos wird, bereitet sie damit ihr Ende vor. Meinungsvielfalt ist erforderlich, um aus unterschiedlichsten Erfahrungen und Erkenntnissen für anstehende Probleme vernünftige Lösungen zu finden. Im heutigen Deutschland bedurfte es erst einer ganz neuen Partei, um das wieder unter das Volk zu bringen. Nun beginnen viel zu spät erst die Auseinandersetzungen zu vielen fragwürdigen Politikentscheidungen der Vergangenheit und Gegenwart. Entscheidungen die sehr großen Einfluss auf unser derzeitiges Leben, aber auch die Zukunft unserer… Mehr