Ein Land der Aufsteiger

Nicht mehr nur die Geringverdiener müssen daher im Alter auf staatliche Transferleistungen vertrauen, sondern auch die Normalverdiener. Diese Ziele finden im deutschen Parteienspektrum nur einen rudimentären Niederschlag.

© Getty Images

Als Freier Demokrat muss ich die Sozialdemokraten nicht verstehen. Auch zu viel Mitleid ist nicht angebracht. Auch meine Partei hat zumindest in Bayern nur knapp den Einzug in den Landtag geschafft. Aber – die Sozialdemokraten haben zweifellos ein sehr grundsätzliches Problem. Da ist nicht nur das historisch schlechteste Ergebnis in Bayern, wo sie mit 9,7 Prozent nur noch fünftstärkste Kraft sind, sondern auch das drohende Debakel in Hessen. Dort waren sie früher staatstragend. Am übernächsten Sonntag rutscht sie vielleicht sogar hinter die Grünen unter 20 Prozent.

Das ist wahrlich dramatisch. Doch es ist nicht ungewöhnlich. Überall in Europa verlieren sozialdemokratische Parteien. In Italien waren die Sozialdemokraten 2008 noch bei 33 Prozent, bei der jüngsten Parlamentswahl mussten sie sich mit 18,7 Prozent zufrieden geben. In Frankreich waren die Sozialisten der PS 2012 noch mit 29,35 Prozent stärkste Partei. Bei der Parlamentswahl im letzten Jahr erreichten sie nur noch 7,44 Prozent. In Spanien sind die Sozialdemokraten der PSOE 2008 noch mit 43,85 Prozent ins Parlament eingezogen, 2011 waren es dann 28,76 Prozent und 2015 dann nur noch 22 Prozent. Und in Griechenland waren die Sozialdemokraten über viele Jahre die dominierende Kraft im Lande. 2003 erreichten sie noch 40,55 Prozent. 2015 marginalisierte sich die PASOK auf 6,28 Prozent. Das 21. Jahrhundert ist bislang wahrlich kein sozialdemokratisches.

Wenn jetzt Finanzminister Olaf Scholz den Einstieg in eine Arbeitslosenversicherung der EU vorschlägt, dann macht er das nicht ohne eine weitergehende Absicht. Er will sich warmlaufen für eine mögliche Kanzlerkandidatur.

Das mag sich heute noch etwas lächerlich anhören, doch Sozialdemokraten sind Optimisten. Ob dieser Vorschlag ihn seinem Ziel näher bringt, lässt sich jedoch bezweifeln. Denn sein Vorschlag eines Rückversicherungssystems für die nationalen Arbeitslosenversicherungen ist eigentlich ein Schlag ins Gesicht der Arbeitnehmer im eigenen Land. Warum sollen Arbeitnehmer in Deutschland mit ihren Arbeitnehmerbeiträgen das Arbeitslosengeld in Italien, Griechenland oder Spanien finanzieren?

Die Arbeitslosenquoten in Griechenland (20,1 Prozent), in Spanien (15,3 Prozent) und in Italien (10,8 Prozent) sind ja nicht vom Himmel gefallen. Sie sind vielmehr ein Ergebnis falscher politischer Rahmenbedingungen. Auf diese Rahmenbedingungen haben die deutsche Regierung, der Deutsche Bundestag oder die Sozialversicherungsträger in Deutschland keinen Einfluss. Warum sollen sie dann dafür geradestehen?

Früher wären sozialdemokratische Spitzenpolitiker niemals auf die Idee gekommen, für sachfremde Leistungen die Arbeitslosenversicherung zu plündern. Sie hätten sich auch nicht für eine Kollektivierung aller Risiken in Europa ausgesprochen. Sie hätten sich um die Menschen im eigenen Land gekümmert. Was der Sozialdemokratie heute abgeht, sind Aufsteigergeschichten. Und Personen, die diese Aufsteigergeschichten glaubhaft vertreten können. In den 1970er Jahren haben die Sozialdemokraten für die Durchlässigkeit in der Gesellschaft gekämpft. Im Bildungssystem sollten auch Arbeiterkinder Abitur machen und anschließend studieren können. Gerhard Schröder war dann der letzte Sozialdemokrat und glaubhafte Repräsentant dieser Aufsteigergeneration. Er stammte aus ärmlichsten Verhältnissen, machte sein Abitur über den 2. Bildungsweg, studierte anschließend und schaffte es später sogar bis zum Bundeskanzler. Mehr Aufstieg geht nicht!

Mit ihrem Abstieg hinterlassen die Sozialdemokraten im deutschen Parteienspektrum eine Lücke, die hochinteressant ist. Es handelt sich dabei nämlich um die Menschen, die etwas schaffen wollen, die aufsteigen wollen und die aus ihren Verhältnissen ausbrechen wollen. Diese Gruppe will wie in den 1970er Jahren den Bildungsaufstieg schaffen, sie will eigenen, bescheidenen Wohlstand schaffen. Sie arbeitet dafür, dass sie im Alter nicht von der Fürsorge abhängig ist und sie will ihren Kindern eine bessere Zukunft hinterlassen. Eigentlich ist es doch ein gesellschaftlicher Skandal, dass ein Normalverdiener es heute nicht mehr schafft, sein eigenes Pflegerisiko ausreichend abzusichern. Nicht mehr nur die Geringverdiener müssen daher im Alter auf staatliche Transferleistungen vertrauen, sondern auch die Normalverdiener. Diese Ziele finden im deutschen Parteienspektrum nur einen rudimentären Niederschlag. Das ist bedauerlich und gleichzeitig eine Chance für eine Partei, die die Aufsteiger in den Blick nimmt. Das erfordert nicht mehr Intervention des Staates, sondern ganz im Gegenteil, mehr Freiräume. Aufsteigen kann man nur, wenn Hürden abgebaut werden, wenn eine Gesellschaft durchlässiger wird und wenn mehr finanzieller Spielraum beim Arbeitnehmer und beim Einzelnen bleibt. Nur dann hat dieser die Chance, seine Wünsche und Lebensziele selbstständig zu erreichen.

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Kommentare ( 60 )

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jansobieski
6 Jahre her

Gut analysiert Herr Schäffler, aber warum macht das Ihre Partei, die FDP nicht?

Absalon von Lund
6 Jahre her

Herr Schäffler, mit dem Aufstieg dieses Landes hatte die jetzige Generation wenig zu tun. Das waren unsere Väter und Mütter. Der Bodensatz unserer Generation versucht seit 50 Jahren aktiv, das Land zu zerstören, und die Angepassten haben nichts in der Hose, um hier dagegenzuhalten. Wer zu schnell aufsteigt, steigt auch schnell wieder ab: siehe Eintracht Braunschweig oder Darmstadt 98.

kostanix
6 Jahre her

„Land der Aufstocker“, wäre die korrekte Überschrift.

Harry Krishna
6 Jahre her

Sozialdemokraten?

Sind das nicht die, die gemeinsam mit Ihrem Koalitionspartner B’90/Grüne und der Bundesratsmehrheitsopposition von CDU/CSU und FDP mal ebenso die Arbeitslosen in einen Topf mit den Sozialhilfeempfänger geschmissen haben?

Dann paßt das doch wie Ar*** auf Eimer.

Dreiklang
6 Jahre her

Die Umverteilung findet grenzüberschreitend nach Europa hin statt und diese gigantische Umverteilungsmaschine, genannt EU und Eurozone, MUSS zwangsläufig Folgen im Inland haben. Es ist ein umfassendes Deinvestment, das wir in den letzten 15 Jahren hier erleben und das wird zwangsläufig in einem verdeckten Staatsbankrott enden. Der Target-Saldo der Bundesbank ist dabei nur die Spitze des Eisbergs. Aber die Bundesregierung, der gesamte Staatsvorstand inklusive der Parlamente leben in der Filterblase der selbst geschaffenen Narrative. Jeder, der diese Narrative in Frage stellt, wird ausgegrenzt und der Verbreitung von „Falschmeinungen“ bezichtigt. obwohl in einem demokratischen Staat „Falschmeinungen“ audrücklich erlaubt sind; schließlich könnten sich… Mehr

walter werner
6 Jahre her

Jetzt muss ich hier aber Herrn Schäffler doch unterstützen.Dass er
Mitglied der FDP ist bedeutet ja nicht, dass er in seinem Kommentar
etwas falsches gesagt hat. Im Gegenteil, alles was er im Kommentar
beschreibt kann ich nachvollziehen und unterschreiben.
Bevor jetzt die “ Klick-Asse “ sofort in Minustaste drücken, ich bin kein
Mitglied der FDP und diese wird auch nicht durch mich gewählt.
Aber was Recht ist soll auch Recht bleiben.Soviel Fairnis sollte sein.
Wir fordern hier im Forum täglich die Demokratie aufs neue und hierzu gehört auch die Meinung des anderen zu akzeptieren.

Old-Man
6 Jahre her
Antworten an  walter werner

Meine Unterstützung haben Sie,nur weil einer einer Partei angehört,die nicht auf Rosen gebettet ist kann auch der Recht haben.
Ich war früher FDP und auch CDU Wähler aber seit Merkel und ihre Bande das Recht aushebelt nicht mehr!
Und wenn der Christian Lindner wieder zur alten Form zurück käme,dann könnte man auch wieder über die FDP nachdenken,aber nicht im Moment,da marschieren die mir zu viel mit der „Einheitsfront“,aber eventuell merken die ja noch etwas bevor es zu spät für sie ist!

humerd
6 Jahre her

Ja, die SPD ist schon gut in der Plünderung der Sozialkassen. Und vor allen Dingen in der Erhebung neuer Abgaben. Manchmal nennt die SPD dies dann Umlagen. Aktuell hat die SPD eine neue Steuer im Visier:“Umweltministerin prescht vorNeue CO2-Steuer: SPD-Ministerin will Autofahren und Heizen teurer machen“ https://www.focus.de/auto/elektroauto/umweltministerin-prescht-vor-neue-co2-steuer-spd-will-autofahren-noch-teurer-machen_id_9783812.html und sicherlich können die Konzerne mit Ausnahmen rechnen, wie sie Gabriel, auch SPD, bei der EEG-Umlage festschrieb. Mein Vorschlag an die SPD: zur Minimierung der Altersarmut einfach das Pfand erhöhen. Vielleicht mit einem Umweltgrund versehen, das zieht ja immer. So können dann die Armutsrentner ihre Einnahmen ein wenig erhöhen und auch die Obdachlosen… Mehr

Old-Man
6 Jahre her

Herr Schäffler,der letzte Absatz ihres Artikels ist eigentlich der Kernsatz.Denken Sie doch bitte einmal an die erfolgreichen sozial-liberalen Koalitionen zurück,und dann wäre es doch an der FDP sich diese Eigenschaft zunutze zu machen und die abwandernden SPD Wähler an sich zu binden. Die Perspektiven für die Wähler müßte die FDP schon anbieten,wobei ein Christian Lindner doch mit seinem ungeheurem Redetalent die Speerspitze sein könnte. Aber diese Überlegung und der Ansatz sind hier leider nicht vorhanden,man läßt diese „Herrenlosen“ Wähler lieber zur Grünen Katastrophe abwandern,oder sehe Ich da etwas falsch? Nach meinem Dafürhalten sollte die FDP im Bund aber auch auf… Mehr

GUMBACH
6 Jahre her

Es geht bei all diesen absurden Kapriolen – egal, ob sie von Grüner oder SPD/Union-Seite kommen- nur um eins: Abschaffung des Nationalstaates, und zwar mit allen (!) Mitteln. Dafür wird dieses Land überschwemmt mit Migranten; dafür wird die traditionelle Familie mittels Genderismus zerstört; dafür wird die AfD verteufelt; dafür werden Rentnergenerationen in Armut leben; dafür wird eine untote Währung am Leben gehalten; dafür wird die Polizei militärähnlich aufgerüstet etc. p.p. Ich frage mich: Wer hat entschieden, dass es in Zukunft einen EU-Staat geben soll, in dem die vormaligen Nationalstaaten dann nur noch Siedlungsräume für die sind, die da noch nicht… Mehr

Yuminae
6 Jahre her

Der wichtigste Satz in dem Artikel, der leider eigentlich das große Problem abbildet: „Sie arbeitet dafür, dass sie im Alter nicht von der Fürsorge abhängig ist und sie will ihren Kindern eine bessere Zukunft hinterlassen.“ Bei meinen Eltern war es ganz deutlich so zu spüren, beide Arbeiter, beide nur eine mittlere Reife, aber sie bemühten sich mit allen Kräften ihre Kinder ein Abitur zu ermöglichen, zu studieren, Chancen zu ergreifen und besser dazustehen als sie selbt. Im Grunde haben sie uns Kindern alle Möglichkeiten gegeben, dass wir es einmal besser haben als sie. Bei meinen Kindern versuche ich es auch,… Mehr