Italiens Budget: Lackmustest für die Einhaltung der EU-Regeln

Angela Merkel spricht im Bundestag von „soliden öffentlichen Finanzen“ und „Selbstverantwortung jedes Mitgliedsstaats“: Sonntagsrede oder Appell an Italien?

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Wenige Stunden vor dem abendlichen EU-Gipfel, bei dem auch die Stärkung des Europäischen Stabilitätsmechanismus auf der Tagesordnung steht, wartete mancher am Mittwochnachmittag gespannt darauf, ob die deutsche Kanzlerin in ihrer Regierungserklärung auch ein direktes Wort zum italienisches Budget-Entwurf verliert. Nach einem einleitenden Loblied auf den Euro – „Seien wir froh, dass wir mit dem Euro eine gemeinsame Währung haben“ -, das von den beiden Regierungsfraktionen begeistert beklatscht wurde, konnte man eine Passage ihrer Rede zumindest als indirekte Botschaft an Italien verstehen. Sie sprach von der Notwendigkeit solider öffentlicher Finanzen, sprach von den „zwei Seiten einer Medaille, die aus Verantwortung und Solidarität, aus Haftung und Kontrolle“ bestehen: „Jeder Staat ist zunächst selbst für sich verantwortlich!“

Zwar wird es beim EU-Gipfel keine Entscheidungen zur Stärkung des EU-Stabilitätsmechanismus oder zur Bankenunion geben, sondern nur einen Sachstandsbericht. Aber es ist kaum vorstellbar, dass der von Italien gerade vorgelegte Budget-Entwurf keine Rolle hinter verschlossenen Türen spielt. Nimmt man das Wort der Kanzlerin im Bundestag ernst, dann müsste sie der EU-Kommission und dem italienischen Regierungschef unmissverständlich klarmachen, dass Deutschland diesen eklatanten Verstoß gegen die vereinbarten Stabilitätsregeln nicht billigen wird. Doch zwischen Reden und Handeln besteht bekanntlich auf EU- wie nationaler Ebene oft ein gewaltiger Dissens.

Da es bestimmte Regularien gibt, wie die EU-Kommission mit den von allen Mitgliedsstaaten bis zum 15. Oktober vorzulegenden Haushaltsentwürfen umgeht, wird man spätestens bis Ende Oktober sehen, wieviel Druck auf Italien von der Kommission zu erwarten ist. Denn sollte die Kommission Verstöße gegen EU-Regeln geltend machen, dann muss sie das innerhalb von zwei Wochen, also spätestens bis Ende Oktober, gegenüber der italienischen Regierung erklären und diese auffordern, innerhalb von maximal drei Wochen einen überarbeiteten Haushaltsplan vorzulegen. Noch während ich diesen Text schreibe, kommt die Meldung, dass Brüssel Italiens Budget zurückweist. Man darf jetzt gespannt sein, welches Eskalationsdrama sich daraus entwickelt und wie kreativ Rom und Brüssel bis Ende November nach Lösungen suchen.

Für Italien wird es aber schon am 26. Oktober spannend. An diesem Tag werden die Rating-Agenturen Standard & Poors sowie Moodys ihre neuen Kredit-Ratings für das hochverschuldete Land abgeben. Außerdem ist auf diesen Tag die nächste Auktion italienischer Staatsanleihen terminiert. Ein Rating auf Ramsch-Status würde Italien zwingen, Investoren höhere Zinssätze zu bieten. Aktuell liegt die durchschnittliche Verzinsung italienischer Staatspapiere bei 3,21 Prozent. Schon bei diesem Wert wachsen die Kosten der italienischen Staatsverschuldung deutlich schneller als seine Wirtschaftsleistung. Die niederländische Robobank hat kürzlich öffentlich gemacht, dass sich das erst ändert, wenn die durchschnittliche Verzinsung auf 2,63 Prozent sinken würde. Man darf spekulieren, wie sich die europäischen Akteure in den Monaten vor der nächsten Europawahl im Zweifel positionieren werden. Eine Zuspitzung der Euro-Krise, gar einen Exit Italiens, werden sie nicht zulassen wollen. Also wird Mario Draghis EZB flankierend „What ever it takes“-Politik betreiben. Und die EU-Kommission wie die deutsche Regierung werden EU-Regeln wieder einmal beugen, wenn es ernst wird. Schon an den ersten Tagen nach dem Vorliegen des italienischen Budgetentwurfs war an den Finanzmärkten ein leichtes Aufatmen zu spüren. Denn die Renditen der italienischen Staatsanleihen sind gesunken. Die Märkte scheinen darauf zu spekulieren, dass Brüssel alle Augen zudrückt und die EZB als „lender of last resort“ wie gewohnt bei Fuß steht. Nach der schnellen Zurückweisung des Budgets durch die EU-Kommission, die der deutsche EU-Kommissar Günther Oettinger dem SPIEGEL heute Nachmittag bestätigte, ist allerdings eine neue Lage entstanden. Die Marktreaktionen der kommenden Tage und Wochen versprechen Spannung.

Das populistische italienische „Wohlfühlprogramm“

Ein paar Details will ich noch auflisten, die zeigen, wofür Italiens Regierung die massive Erhöhung seines Staatsdefizits auf 2,4 Prozent des BIP im kommenden Jahr verwenden will. Es wird, wie von Cinque Stelle seit Jahren gefordert, ein Grundeinkommen von 780 Euro im Monat geben, allerdings in abgespeckter Form für Menschen ohne Arbeit, Einkommen und Vermögen. Außerdem wird eine Mindestrente in gleicher Höhe eingeführt. Rund 6 Millionen Menschen sollen nach Angaben der Regierung davon profitieren. 7 Milliarden Euro sind dafür im ersten Jahr etatisiert. Experten erwarten deutlich höhere Ausgaben.

Ab Februar 2019 können die Italiener wieder früher in Ruhestand gehen. Die 2011 durchgeführte Rentenreform wird zumindest teilweise wieder rückgängig gemacht. Wer 62 Jahre alt ist und mindestens 38 Jahre lang Beiträge bezahlt hat, kann abschlagsfrei in Rente gehen. Damit wird das schlechte deutsche Vorbild der abschlagsfreien Rente mit 63 und 45 Versicherungsjahren noch deutlich getoppt. Bereits im nächsten Jahr soll diese Renteneintrittsalter-Absenkung 7 Milliarden Euro kosten. Mittel- und langfristig ist das italienische Rentenpaket der mit Abstand teuerste Teil der kreditfinanzierten Konsumorgie der neuen Regierung.

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Kommentare ( 26 )

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H. Hoffmeister
6 Jahre her

Herr Metzger, ich verstehe Ihre Kritik an Italien nicht: Auch wir Deutschen, die Franzosen und viele andere haben die Maastricht-Kriterien missachtet, als es galt hausgemachte Probleme zu vertuschen. Dies ist kein Alleinstellungsmerkmal einer „populistischen“ italienischen Regierung. Letztlich werden wir den Italienern dankbar sein, wenn Sie diese Lügengebilde zum Einsturz bringen, erst dann wird es sich zum besseren wenden können. Wir müssen uns befreien von dem rein ideologisch – oder gar machtpolitisch – begründeten Festhalten an ganz offensichtlich nicht funktionierenden Konstruktionen (Euro als gemeinsame Währung, immer engeres Zusammenpferchen von Völkern unterschiedlicher Kultur in einer gemeinsamen, die Luft zum Atmen raubenden Euro-Bürokratie… Mehr

Axel Jung
6 Jahre her

Offen bleibt natürlich mal wieder die Frage, wieso Stabilität immer nur im Sinne von Geldwertstabilität verstanden wird. In einem ganzheitlicheren Blickwinkel sind stabile Verhältnisse in anderen Bereichen nicht minder wichtig – und wenn man sich die Arbeitslosigkeit in Italien anschaut, kommt man wohl nicht umhin, zuzugestehen, dass enormer Handlungsbedarf besteht. Und wenn der Preis dafür ein paar Schulden mehr sind, dann ist das eben so.

Und ehrlich gesagt: Leute, die ihren Mitmenschen nicht mal 780 Euro (Mindest-)Einkommen gönnen, kann ich nicht erst nehmen.

Il Jolly
6 Jahre her

Schön informativ der Vortrag! Danke! Und damit Vorhang auf für ganz großes EU-Kino! M5SLega wird es der EU nicht einfach machen. Im Gegensatz zu den Vorgängerregierungen, werden sie ein großes Theater machen und der Zustimmung einer Mehrheit der Italiener können sie sich dabei sicher sein. Dazu kommt noch, dass, vermutlich wird Salvini es machen, die Italiener in Richtung Frankreich zeigen können und darauf verweisen werden: „Hört mal, denen habt ihr das durchgehen lassen, also fordern wir jetzt die gleiche Nachsicht!“ Frechheit siegt bekanntlich! Und die EU? Wird einknicken und Draghi wird leise weinend die Staatsanleihen aufkaufen (müssen). Was soll sie… Mehr

Peter Gramm
6 Jahre her

Alles schön aufgezählt. Jetzt wissen wir was die Italiener machen wollen und wieviel dies kosten soll und woher das Geld kommen soll. Wo sind aber die Lösungsvorschläge? Was sollen die Italiener anders machen? Ich finde, die Italiener tun genau das Richtige. Sie zeigen uns, den Wohlbestallten auf, dass es noch ein Volk gibt für das es sich einzusetzen gilt. In Verbindung mit dem verzinsten Schuldgeldsystem reicht es eben nie für alle ein auskömmliches Leben zu haben ohne permanente Verschuldung. genau dies ist die Botschaft, die wir erkennen sollten. Die leeren und altbekannten Sprechblasen unserer Kanzlerin helfen da nicht weiter. Die… Mehr

Lux Patriae
6 Jahre her
Antworten an  Peter Gramm

Sehr gut gesehen von Ihnen !

walter werner
6 Jahre her

Sehr verehrter Herr Metzger, Sie sind für mich gerade das Paradebeispiel wie “ Grüne “ und“ CDU “ Philosophie sich geradezu ergänzen. Als ehemaliger Grüner und jetziges CDU Mitglied haben Sie natürlich auch eine Bring- schuld an unsere Kanzlerin. Folglich interpretiere ich auch Ihren Artikel dementsprechend. Zum Thema Italien ist festzuhalten, dass die immensen Schulden die Italien angehäuft hat, sind Schulden aller Vorgängerregierungen vor der jetzigen. Diese jetzt der neuen Regierung anzulasten ist geradezu unredlich.Das wissen Sie ja am besten. Der neue Ministerpräsident Italiens hat auch klar gesagt, wenn es um EU -regeln geht, steht für ihn als erstes Italien… Mehr

MG42
6 Jahre her

Herr Metzger,
setzten 6 und ein ganz großes Lob an die Italienische Regierung, die eine abschlagsfreie Rente mit 62 bei 38 Beitragsjahren durchsetzt. Da tut eine Regietung etwas für Ihre arbeitenden Bürger, während unsere Verbrecher, ja das ist mittlerweile meine Meinung, unsere hart verdienten Gelder an Illegale Einwanderer und Straftäter ausschüttet. Motivation der arbeitenden Menschen in diesem Land geht anders. Deutschland hat ein EU-Verfahren verdient, wegen Rechtsbeugung, Meineid und Veruntreuung durch Merkel. Zudem erledigt sich die EU in dieser Form von alleine, so ein undemokratisches Bürokratiemonster mit einem Säufer an der Spitze braucht keiner.

Protestwaehler
6 Jahre her

Phoenix Runde: „SPD Affinität“, hahaha…. Kinnladenschock, HR sieht Rot 🙂
Köstlich, wie simpel man das Schema der Sendung doch aufzeigen kann, Danke !

GUMBACH
6 Jahre her

Wer etwas auf die Worte der Politikdarstellerin Merkel gibt, der hat das letzte Jahrzehnt unter einem Stein verbracht – mindestens aber die letzten drei Jahre. Auch hier wieder: „Jeder Staat ist zunächst selbst für sich verantwortlich“. Eine vollkommen wertlose Aussage, denn das „zunächst“ pflastert den Weg für neue EU-Geldspritzen.

Roland Mueller
6 Jahre her

Die Vorgängerregierungen haben immer Budgets eingereicht, welche in Brüssel genehm waren, diese aber stets überschritten. Das hat aber in Brüssel niemanden gestört, weil immer die Parteien mit der richtigen Haltung in Rom das Zepter geschwungen haben.

T. Pohl
6 Jahre her

Das Lackmuspapier wird sich verfärben, was ist nochmal die Frage ?
Die EU funktioniert eben nicht, bis auf lauter faule Kompromisse.
Aber die Barley wird jetzt ja EU Spitzenkandidatin. Lach !! Echte Oiropäerin ohne Ahnung.
ESSPEEDEE – Ade! (reimt sich).