Deutschland ist ein souveräner Staat – auf dem Papier

Nun schmeißt man einem türkischen Potentaten Hoheitsrechte vor die Füße.

Patrik Stollarz/AFP/Getty Images

Im Jahr 1949 wurde die Bundesrepublik Deutschland als (halb-)souveräner Staat gegründet. Eine weitreichende Souveränität gab es erst 1955 mit dem Ende des Besatzungsregimes der drei Westalliierten. Die volle Souveränität folgte dann 1990 mit dem Zwei-plus-Vier-Vertrag und der Wiedervereinigung. Jedenfalls sind in der Bundesrepublik allein die Gewalten der Legislative, Exekutive und Judikative zu hoheitlichem Handeln befugt. Das schließt die Ausübung hoheitlicher Befugnisse anderer Staaten auf deutschem Staatsgebiet aus.

Und die Soldaten?
Erdoğans Kaserne?
So weit, so gut? Nein, denn im Zusammenhang vor allem mit der Türkei des dortigen Potentaten Erdogan gibt die Bundesrepublik regelmäßig hoheitliche Befugnisse preis. Es begann im Grunde im Jahr 2000 mit der neuen Regelung der doppelten Staatsbürgerschaft. Folge ist unter anderem, dass rund 530.000 in Deutschland lebende Türken den sog. Doppelpass haben und damit für Deutschland und für die Türkei wahlberechtigt sind. Zwar gibt es keine gesonderte Auswertung, wie in Deutschland lebende Türken mit und ohne Doppelpass wählen, aber von allen in Deutschland lebenden Türken, die ihre Stimme abgaben, wählten im Juni 2018 exakt 64,8 Prozent die AKP Erdogans; sie stimmten damit der Umwandlung der Türkei in ein autokratisches Präsidialsystem zu. Mit ihrer Stimmabgabe bei Wahlen in Deutschland beeinflussen sie zugleich die Art und Weise, wie die Bundesrepublik mit der Türkei resp. mit Erdogan umgeht.

Unbeabsichtigt
Erdogan als Augenöffner
Welch seltsame Folgen die Preisgabe von Souveränitätsrechten hat, zeigte sich jetzt anlässlich des mit viel Pomp begangenen „Staatsbesuches“ Erdogans in Berlin und in Köln. Dass Erdogan sogar bei dem vom Bundespräsidenten gegebenen Staatsbankett die Contenance verlor und pöbelte? Dass er die Bundesregierung aufforderte, kritische türkische Journalisten auszuliefern? Geschenkt! Jeder blamiert sich, so gut er kann. Aber auch die Einladenden blamierten sich. Während sonst gerne und inflationär „Zeichen gesetzt“ werden, duckte man sich lieber weg. Die Einladenden hätten wissen können, was auf sie zukommt, bevor sie die roten Teppiche ausrollen ließen. Eilfertig hinterhergeschobene Erklärungen, hinter verschlossenen Türen habe man Erdogan die Meinung gegeigt? Ebenfalls geschenkt!

Unterwerfung
Offenbarungseid von Journalisten
Was aber sehr seltsam anmutet, ist, welche Rechte sich Erdogan und sein Tross herausnahmen bzw. welche Hoheitsbefugnisse der Ex-ZDF-Journalist und Regierungssprecher Steffen Seibert dem Besucher aus der Türkei vor die Füße wirft. Seibert ließ einen kritischen – durchaus schon mal kriminell gewordenen, aber dafür bestraften – türkischstämmigen Journalisten aus der von Merkel und Erdogan gegebenen Pressekonferenz von Sicherheitsleuten hinausführen, weil er auf seinem T-Shirt mit einer entsprechenden Aufschrift Freiheit für Journalisten in der Türkei forderte. Und in Köln nahmen Erdogans Sicherheitsleute eigenmächtig Absperrungen an der von Erdogan neu eröffneten Moschee vor, ehe deutsche Sicherheitsbehörden diese Absperrungen aufhoben. Davon, dass Erdogan bereits kurz nach seiner Ankunft gestisch das Zeichen der extremistischen und vom Verfassungsschutz beobachteten Muslembruderschaft zeigte, sollte ebenfalls aufhorchen lassen. Immerhin lauten deren Leitgedanken: „Der Prophet ist unser Führer. Der Koran ist unsere Verfassung.“

Klare Ansage
Erdoğan tritt wie ein Eroberer auf
Erdogan sieht sich mittlerweile als eine Art Statthalter „seiner“ Türken in Deutschland, einschließlich des Fußballmillionärs Özil. Die Bundesregierung und deutsche Behörden haben es ihm leicht gemacht, in diese Rolle hineinzuschlüpfen. Zum Beispiel ist Erdogans Türkisch-Islamische Union der Anstalt für Religion e. V. (Diyanet İşleri Türk İslam Birliği  = DITIB) in Deutschland allgegenwärtig. Sie betreibt hier fast eintausend Moscheen wie zum Beispiel die soeben von Erdogan eröffnete DİTİB-Zentralmoschee in Köln-Ehrenfeld und untersteht zugleich der Kontrolle und Aufsicht des staatlichen Präsidiums für religiöse Angelegenheiten der Türkei; diese ist unmittelbar dem türkischen Präsidiumsamt unterstellt. Deutsche Behörden und Parteien machen mit DITIB auf Schmusekurs; man beruft sie in Beiräte, ja man macht mir ihr Staatsverträge zum Beispiel zum Religionsunterricht. So etwa im September 2012 die Freie und Hansestadt Hamburg unter dem damaligen Bürgermeister Olaf Scholz.

Einen ersten Höhepunkt der Preisgabe hoheitlicher Befugnisse und bundesdeutscher Selbstachtung übrigens stellte der Umgang mit dem tragischen Tod von neun Türkischstämmigen bei einem Wohnhausbrand am 3. Februar 2008 in Ludwigshafen dar. Die Medien in Deutschland und in der Türkei, auch Erdogan, gingen von einem Brandanschlag aus. Das bestätigte sich freilich nicht. Vermutlich war der Brand einem fahrlässigen Umgang mit Kabeln geschuldet. Das hinderte Erdogan nicht daran, eigene Kriminalbeamte nach Ludwigshafen zu schicken. Und die Bundesregierung schwieg schon damals dazu.

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Kommentare ( 44 )

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44 Comments
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Werner Brunner
6 Jahre her

Ich weiß wirklich nicht , warum sich “ alle “ so aufregen …..
Weiß denn keiner , dass wir in einer Bananenrepublik leben ?
Lediglich über den Begriff “ Republik “ lässt sich noch streiten …
Man / frau schaue sich nur das Personal an , das uns angeblich vertritt ….
Eine Lachnummer nach der anderen …
Namen erspare ich mir , denn bei der Aufzählung derselben , wird mir
jedes Mal speiübel …..

schwarzseher
6 Jahre her

Deutschland war schon seit dem Ende des Ersten Weltkriegs kein souveräner Staat mehr. Erst von den Siegermächten geknebelt, dann von einem Tyrannen tyrannisiert, danach geriet ein Teil unter die Knute der Sovietunion, der andere ( immerhin glücklichere ) unter die Vormundschaft der USA, und seit einiger Zeit ist das ganze Land vereint unter der Herrschaft von bunten Harlekinen, opportunistischen Paladinen und “ Deutschland verrecke “ Schreiern. Und in ca. 50 Jahren oder etwas später wird aus Deutschland dann letztlich Deutscharialand. Herr Sieferle hat leider recht.

Sabine W.
6 Jahre her

Eine Moschee wurde in einer deutschen Großstadt eröffnet und kein Deutscher war anwesend. Das ist ein steiles Stück und beispiellos. Egal, aus welchen Gründen kein Deutscher dort war – der Effekt ist der gleiche. Eine islamische Großveranstaltung unter der Federführung eines türkischen Diktators. Das muss man sich mal auf der Zunge zergehen lassen. Wie weit geht es noch abwärts? Wie weit bietet Deutschland im Namen dieser unterwürfigen ‚Regierung‘, die nicht einmal mehr die Hälfte der Wählerschaft repräsentiert, noch den Bauch dar und schmeißt sich auf den Rücken vor einem weiter wachsenden Islam, und hier noch insbesondere unter der Oberherrschaft eines… Mehr

Th.F.Brommelcamp
6 Jahre her
Antworten an  Sabine W.

Bin mir sicher das genügend Leute mit deutschen Ausweis da waren.

bfwied
6 Jahre her
Antworten an  Sabine W.

Wir sollten das Abkommen bez. der Migration ernst nehmen. Nur leider tut das fast niemand in Deutschland, obwohl dort so weitgehende Dinge festgeschrieben werden, dass wir unweigerlich verarmen und zum 3.-Welt-Land werden. Das ist krank, ein verzweifelter Versuch, die Explosion durch die verrückte Fortpflanzungsrate hinauszuzögern. In vielen afrikanischen Ländern sind nach Erhebungen der UN (s. veröffentl. Studien) bis 40 % ausreisewillig. In kaum über 20 Jahren haben sie sich verdoppelt, der Druck wird also immer größer, so dass hunderte Millionen auszuwandern versuchen. Die Explosion, der Kampf um Lebensraum, um Existenzmöglichkeit, wird kommen. Sie können sich nicht einfügen aus kulturellen und… Mehr

bkkopp
6 Jahre her

Türkische Sicherheitsleute in Begleitung Erdogans sollen auch in Washington wegen der Verletzung amerikanischer Gesetze – Verletzung des staatlichen Gewaltmonopols – vor Gericht stehen. In den Niederlanden soll es ähnliche Vorfälle bei Besuchen von Regierungsmitgliedern gegeben haben. Die sind also öfter so. Hierzulande ist offensichtlich, dass viel das als ‚Ausländerfeindlichkeit‘ daherkommt und so kategorisiert wird, tatsächlich Zorn auf unseren eigen Duckmäuser und Toleranzakrobaten ist.

Sonny
6 Jahre her

Vielleicht war die volle Souveränität für Deutschland keine besonders gute Idee… Die Deutschen sind immer so anfällig für das Hinterhermarschieren von Rattenfängern, egal, welcher Coloeur. Außerdem tuen sie sich verdammt schwer Fehler einzugestehen und zu revidieren, ich hätte die Einreise eines Diktators im Vorfeld verhindert, ganz zu schweigen von dem Bau einer Moschee mitten in Köln. Aber das sind ja nur zwei ganz kleinee Punkte unter vielen, die da wären: Grenzöffnung für jeden Doppelpass Energiewende Euro Bankenrettung Extremausweitung der Abgabenlast Steuerverschwendung in Höchstform Pervertierung der Renten- und Krankenbeiträge Aushebelung des Parlamentarismus Aushebelung des Rechtsstaates Überbordende Bürokratie Aushebelung der freien Meinungsäußerung… Mehr

zaungast
6 Jahre her

Dieser Staatsbesuch dürfte als Markstein in die Geschichte eingehen – ein Land bekennt sich zur eingeschränkten Souveränität und ist auch noch stolz darauf. Die Frage ist nicht: hat das Erdogan- Regime Einfluss auf die deutsche Politik, sondern: wie geht es weiter. Ideologen kümmern sich intensiver um die Jugend als Demokraten. Der nächste Schritt wird die „Hilfe“ im kollabierenden Bildungswesen sein. Es wird türkisches Lehrpersonal gerne akzeptiert werden – wahrscheinlich bald auch auf den Erwerb der deutschen Sprache verzichtet. Von Grünenpolitikern und ihren SPDCDUFDP-Nachsprechpuppen als einzigartiges Beispiel kulturellen Pluralismus bejubelt. Dann setzt sich das Spiel in den akademischen Lehranstalten fort –… Mehr

R.J.
6 Jahre her
Antworten an  zaungast

Danke, das wirft natürlich die Frage nach den Antrieben oder zumindest begünstigenden Faktoren auf. Ist es eine v.a. durch „Bildung für Alle“ kaschierte individuelle intellektuelle Insuffizienz? Dergestalt, dass Leute, die früher als Dienstboten ihr zufriedenes Auskommen gefunden hätten, heute als sog. Intelligenz zutage treten, als Anti-Rassisten-Rassisten, Gendereligiöse usw. sich hochstänkern? Ist es ein tiefer liegender, ein intrinsischer Mangel der westlichen Kultur, ihrer zunehmenden Anforderungen, ihrer zunehmenden Differenzierung, der die Mehrheit nicht gewachsen ist? Die sich daher mit gemeinschaftsstiftenden (Zusammenhalt! Solidarität!) Simplizismen, von der NS-Lehre über die Ökoharmonistische Lehre bis zur Koran-Lehre, eher zurechtfindet? Vermutlich kommen viele Faktoren zusammen, das Bedürfnis… Mehr

Kairo
6 Jahre her

Sehr geehrter Herr Kraus,
die von Ihnen hier thematisierte Souveränität Deutschlands erfordert tiefe Recherche.
Ihrer Darstellung der 1990 erlangten vollen Souveränität muss aus Tatsachengründen widersprochen werden.
Es ist trockene Kost, aber äußerst akribisch und gründlich erarbeitet:
„Überwachtes Deutschland“ von
Dr. Josef Foschepoth, Prof. em. der Freiburger Albert-Ludwigs-Universität und der profundeste Forscher zur Alliertenbesatzung und deren Aus- und Fortwirkungen bis zum heutigen Tage.
Beste Grüße und vielen Dank für viele sehr geschätzte Beiträge.

Porcelain by Nocken-Welle
6 Jahre her

+

..und ich werde das Gefühl nicht los, dass die heftigsten Kritiker der Harten Hand eines Türkei-Präsidenten darunter leiden, keinen Solchen in den eigenen Reihen zu haben, sondern sich einer Watschelente namens Angela und eines Zweireihers mit Steinerner Miene unterzuordnen haben.

Den Opfern gilt meine Anteilnahme.

+

Moses
6 Jahre her

„Jeder blamiert sich, so gut er kann„ und so weit wie es jeder nicht versteht.

Mozartin
6 Jahre her

Herr Kraus, warum lassen Sie Solingen 1993 weg?
Dennoch bin auch ich für einen vorsichtigeren Umgang mit der Türkei und gegen eine Aufnahme in die EU.
Es wird evtl. keinen schnellen Weg zu einer „säkularen“/befreiten und fortschrittlichen Türkei geben.
In Europa hingegen gehe ich trotz evtl. anderweitiger Bemühungen von Frau Dr. Merkel „Spielt Blockflöte“ nicht von Gottesstaaten aus.
Europäer haben einen Hang nachzudenken, nicht aber nachgedacht zu werden.

R.J.
6 Jahre her
Antworten an  Mozartin

Naja, es kommt nicht auf den Hang an, sondern auf die Macht und den Willen, diesen zu realisieren, sonst wird eben dann doch im wörtlichen Sinne nachgedacht, wenn nicht umgebracht, schließlich ist das auch eine Form von Nach-Denkzustand. So könnte man bereits Wetten darüber abschließen, wer wann hierzulande ganz und gar (über sein Fortkommen) nachdenkend zur Herrenreligion konvertieren wird. Übrigens glaube ich nicht einmal, dass Ihr Spruch in dieser Allgemeinheit auch nur ansatzweise haltbar ist. Sie verwechseln eine historisch und aktuell in Wenigen manifestierte Idealität mit der Realität. Merkel, Maas, Nahles, Steinmeier, Göring-E., Kleber, Kahane und unzählige, unzählige andere pumili… Mehr

friedrich - wilhelm
6 Jahre her
Antworten an  Mozartin

…….bullshit! was hat solingen mit der aufgabe von dt. souveränität zu tun?