Einen „Aufschrei“ richten Altersheime an die Politik – ohne Pflegekräfte aus dem Ausland droht der Pflegenotstand. Die kirchlichen Einrichtungen zitieren den Kirchenvater Augustinus. „Gott versprach Deiner Reue Vergebung, nicht aber Deiner Saumseligkeit einen neuen Tag“. Das war 1989. Seither ist wenig geschehen. 300.000 Mitarbeiter fehlen allein in privaten Pflegeheimen, klagten die Betreiber vergangene Woche und hoffen auf einen „Herbst der Entscheidung“, der endlich die Einwanderung liberalisieren soll.
Als wären 20 vertane Jahre nur ein saumseliger Tag, fordert Bayerns Ministerpräsident Horst Seehofer in dieser Woche einen Zuwanderungsstopp aus „fremden Kulturkreisen“. Für seinen hessischen Kollegen im Nichtverstehen, Volker Bouffier, ist die Lösung des Facharbeitermangels per Einwanderung „ziemlich absurd“. Im rot-grünen Lager ist die Einsichtsfähigkeit nicht höher. Claudia Roth von den Grünen schwadroniert reflexhaft vom „Rechtspopulismus“ der Union, und SPD-Chef Sigmar Gabriel hält entschlossen den Finger in die Luft, um zu fühlen, wo der Wind der Meinungsumfragen gerade herweht. So hat sich die deutsche Politik seit Jahrzehnten gegenseitig blockiert: Hier die Verleugnung von millionenhafter Einwanderung und Einwanderungsnotwendigkeit – dort der irreale Multikulti-Traum mit der zunehmend gequält wirkenden Verharmlosung der ebenso offenkundigen Problemlagen in den prekären Stadtvierteln mit kaum integrierbaren Gruppen. Es ist ein ritualisierter Schlagabtausch der Politik ohne Rücksicht auf die Wirtschaft.
Die Fakten sprechen eine eindeutige Sprache: 400.000 technische Fachkräfte fehlen schon jetzt, und jährlich schrumpft die Zahl der Deutschen im Alter zwischen 20 und 64 Jahren um weitere 250.000 Menschen. Zudem haben in den vergangenen Jahren 150.000 hoch Qualifizierte im Jahr Deutschland verlassen – während nur 400 ähnlich Qualifizierte eingewandert sind. Sagen wir es ungeschützt: Die geltenden gesetzlichen Regelungen führen dazu, dass die Klugen gehen und die Unwilligen oder schwer Integrierbaren kommen. Folglich muss die Einwanderung von Qualifizierten dramatisch erhöht werden, auch wenn sich die Union gegen jegliche Einwanderung sperrt – und gleichzeitig muss die Zuwanderung in die Sozialsysteme verhindert werden, wozu maßgeblich die Politik von Rot-Grün geführt hat, die die Sozialämter für Migranten geöffnet, den Zugang zum Arbeitsmarkt aber blockiert hat. Die Migration muss sich endlich an den Bedürfnissen der Wirtschaft orientieren. Das liegt auch im Interesse derjenigen, die nach Deutschland wollen: Der Arbeitsplatz, der das eigenverantwortliche und selbstbestimmte Streben nach Fortkommen und Wohlstand für die Familie erst ermöglicht, ist gleichzeitig der wirksamste und beste Integrationsmotor.
Vorbilder gibt es längst und auch Modelle wie etwa den Plan der Süssmuth-Kommission aus dem Jahre 2001 – ein Punktesystem, das die Einwanderung nach Fähigkeiten der Bewerber und den Defiziten des Arbeitsmarkts steuert. Die Union stoppte das Vorhaben aus Ignoranz; Rot-Grün ist dagegen, weil Menschen nicht nach ihrer Tauglichkeit bewertet werden sollen. Dabei wird übersehen, dass Einwanderung sehr wohl dem Einwanderungsland Nutzen bringen soll und dass die Überlastung der Sozialsysteme die Ausländerfeindlichkeit erst anheizt, die anschließend beklagt wird. Ökonomische Wahrheiten dürfen nicht länger mit der Phrasenwelt des Politsprechs überdeckt werden.
Ich persönlich kann und will mir Deutschland nicht mehr ohne meine türkischen und spanischen und osteuropäischen Nachbarn, Kollegen und Freunde vorstellen. Statt neuer Sozialprojekte und Ausländerbeauftragten, an die Stelle dümmlicher Rituale sollten wir darauf setzen: Wirtschaftlich orientierte Menschen nehmen ihre Zukunft schon selbst in die Hand. Die Aufgabe der Politik ist es, dafür die richtigen Weichen zu stellen.
(Erschienen am 16.10.2010 auf Wiwo.de)
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