Maaßen: „Zivilcourage“ – auf einmal nicht mehr gefragt

Dieses Jahr jährt sich zum 50. Mal die "68er-Revolte". Seit 50 Jahren bekommen wir erklärt, wie lebenswichtig ziviler Ungehorsam und Zivilcourage für ein demokratisches Gemeinwesen seien. Für Maaßen soll genau dies nicht gelten.

Hannibal Hanschke/AFP/Getty Images

Der „autoritäre Charakter“ ist seit 1968 verpönt und als erste Bürgerpflicht gilt seitdem, sich „einzumischen“. Der Beamte mit „Kadavergehorsam“, der stur Befehle ausführt und der Obrigkeit gehorcht, galt als Relikt – wahlweise aus der Kaiserzeit oder der ebenso verpönten Adenauerzeit. Manch ein linker Politiker meinte sogar, ein Beamter mit „Obrigkeitsdenken“ sei damit schon „faschistoid“. Bekannt wurde Oskar Lafontaines Ausspruch: „Helmut Schmidt spricht weiter von Pflichtgefühl, Berechenbarkeit, Machbarkeit, Standhaftigkeit. […] Das sind Sekundärtugenden. Ganz präzis gesagt: Damit kann man auch ein KZ betreiben.“

Gefragt und hoch im Ansehen war der engagierte Bürger, der „Gesicht zeigt“. Er sollte nicht blind der Obrigkeit gehorchen, sondern selbstständig Position beziehen – gegen die „Herrschenden“, gegen die „Mächtigen“. Vor allem sollte er „unbequem“ sein. „Der Unbequeme“ galt als besonderer Adelstitel in rotgrünen Kreisen. Jeder, der einen Film drehte, in dem dumpfe Vorurteile von Deutschen gegen Ausländer angeprangert wurden, galt als „unbequem“ und „engagiert“, obwohl dazu eigentlich nicht viel Mut gehörte. Sogar Soldaten sollten nicht mehr Befehlsempfänger sein, sondern kritische „Bürger in Uniform“. Der Philosoph Jürgen Habermas idealisierte den „herrschaftsfreien Diskurs“ als Grundvoraussetzung einer demokratischen Gesellschaft.

Und dann kommt jemand, ein hoher Beamter, der so dreist ist, es zu wagen, eine offensichtliche Falschaussage der Bundeskanzlerin bzw. ihres Regierungssprechers anzuzweifeln – und dies auch noch öffentlich! Und genau die gleichen Leute, die uns eben noch erklärt hatten, wie wichtig Beamte seien, die eigenständig denken, kritisch sind, die unbequem sind und Position beziehen, bewerten dieses Verhalten genau so, wie zur Kaiserzeit die Majestätsbeleidigung bewertet wurde. Kennen Sie das Märchen von „des Kaisers neuen Kleidern“, in dem ein kleines Kind sagt: „Der Kaiser ist nackt“?

Enttäuscht von Lindner

Natürlich werden – wie immer in solchen Fällen – Vorwände gesucht, um solche unbequemen Geister loszuwerden. Wie bei allen Skandalen werden jeden Tag neue Vorwürfe laut und jeder baut sich seine eigene Erklärung, warum der Skandalisierte unbedingt schnellstens zurücktreten müsse. Wenn es zehn verschiedene Begründungen gibt, warum jemand zurücktreten muss, ist Skepsis angebracht.

Enttäuscht war ich von einem Politiker, den ich schätze, nämlich Christian Lindner. Er begründete seine Meinung, dass Maaßen zurücktreten muss, so: Ein Teil der Regierung und auch ein Teil der Bevölkerung vertraue dem Verfassungsschutz-Präsidenten nicht mehr. „Und wenn jemand so in den Schlagzeilen ist und so Vertrauen verspielt hat, dann wäre es eine politisch sinnvolle Maßnahme, ihn auszutauschen“, sagte FDP-Chef Lindner dem NDR. Das ist eine eigenartige Begründung: Da wird eine hysterische Kampagne von SPD, Linken, Grünen und großen Teilen der Medien inszeniert. Die Vertreter jener Partei, die noch vor wenigen Jahrzehnten die Stasi kommandierte, erklären uns täglich im öffentlich-rechtlichen Fernsehen, wer als Chef des Verfassungsschutzes geeignet sei und wer nicht. Die Kanzlerin ärgert sich maßlos, dass Maaßen ihr widersprochen hat. Und der Vorsitzende einer liberalen, freiheitlichen Partei meint dann achselzuckend, wenn jemand „so in den Schlagzeilen ist“ und ein Teil der Regierung ihm nicht mehr vertraue, müsse er halt weg. Nach dieser Logik war es auch richtig, dass Bundespräsident Wulff gehen musste, dann war es richtig, dass Bundestagspräsident Jenninger gehen musste – dann ist es einfach richtig bei jedem, gegen den eine Kampagne gemacht wird, dass er gehen muss. Kann das richtig sein?

Unterstützung
oder

Kommentare ( 83 )

Liebe Leser!

Wir sind dankbar für Ihre Kommentare und schätzen Ihre aktive Beteiligung sehr. Ihre Zuschriften können auch als eigene Beiträge auf der Site erscheinen oder in unserer Monatszeitschrift „Tichys Einblick“.
Bitte entwerten Sie Ihre Argumente nicht durch Unterstellungen, Verunglimpfungen oder inakzeptable Worte und Links. Solche Texte schalten wir nicht frei. Ihre Kommentare werden moderiert, da die juristische Verantwortung bei TE liegt. Bitte verstehen Sie, dass die Moderation zwischen Mitternacht und morgens Pause macht und es, je nach Aufkommen, zu zeitlichen Verzögerungen kommen kann. Vielen Dank für Ihr Verständnis. Hinweis

83 Comments
neuste
älteste beste Bewertung
Inline Feedbacks
Alle Kommentare ansehen
Zahlmeister
6 Jahre her

Herr Lindner macht genau das, was seine Parteigenossen schon immer getan haben: Ihr Fähnlein nach dem Wind zu drehen.

Georg51
6 Jahre her

Wahre Worte sind nicht schön,
schöne Worte sind nicht wahr.
So Konfuzius.
Wir haben noch standhafte Männer, jedoch keine standhaften Politiker.
Ich sehe nur noch anbiedernde Heuchler, eben Populisten. Und hier nehme ich ausdrücklich die AfD raus. Die machen Oppositionspolitik vom Feinsten; leider nicht die FDP. Sie sind nicht mehr das Zünglein an der Waage sondern leider nur noch ein kleines verrostetes Gewicht.

Mela
6 Jahre her

Ideologen sind immer totalitär. Egal ob sie in einem braunen, roten oder grünem Gewande daher kommen.

T. Scholz
6 Jahre her

Die Hybris linker Ideologen im Rausch des Umbaus einer Offenen Gesellschaft zu einer Diktatur. Die 68′ Generation blickte mit Verachtung auf die Vätergeneration um sich der Kommunistischen Ideologie anzubiedern. Nützliche Idioten. Vor der Haustür eines der Ergebnisse dieser Diktatur und auf den Strassen Mao und seinesgleichen anhimmeln…sehr Therapie bedürftig…nun folgt das nächste Puzzleteil.

F. Hoffmann
6 Jahre her

Die FDP kapiert eines nicht, nämlich wenn sie mit dem Strom (Mainstream) schwimmt braucht sie kein Mensch. Wenn sie es nicht schafft sich ein eigenes Profil zu erarbeiten, kann man sie vergessen. Und Opposition gegen die Opposition zu machen, ist überflüssig, das ergibt kein eigenes Profil und AfD-Wähler gewinnt sie damit auch nicht. Ein paar Wähler kann sie vielleicht! noch bei enttäuschten Christdemokraten abgreifen, aber es ist mit ihrer gegenwärtigen Politik eher Ende Gelände. Z.B. könnte sie die Abschaffung des NetzDG im Bundestag beantragen und wenn die AfD das Gleiche will, ist es halt so. 2+2 bleibt 4 auch wenn… Mehr

Ordoliberal
6 Jahre her

Na, das wurde aber auch langsam Zeit! Endlich scheint es Ihnen zu dämmern, was für einer Partei Sie immer noch die Stange halten, verehrter Herr Zitelmann! Herr Lindner repräsentiert bis ins Detail die Werte der FDP: Feigheit, Opportunismus, Hedonismus, Egoismus, intellektuelle Seichtheit und gut sitzende Anzüge.

Anne
6 Jahre her
Antworten an  Ordoliberal

„Herr Lindner repräsentiert bis ins Detail die Werte der FDP: Feigheit, Opportunismus, Hedonismus, Egoismus, intellektuelle Seichtheit und gut sitzende Anzüge.“ Ich stimme Ihnen zu, ergänzend jedoch noch Folgendes: Die FDP hat seit ihrem Wiedereinzug in den Bundestag keine Oppositionspolitik betrieben, sondern im Bündnis mit all den anderen Altparteien lediglich AfD-Bashing. Es war bspw. auch die FDP, die sich gegen die von der AfD geforderte Grenzschließung aussprach. Von ihren angekündigten Untersuchungsausschüssen zur Grenzöffnung und zum BMF-Skandal ist außer der Ankündigung nichts übergeblieben. Herr Kubicki hat zwischenzeitlich die sympathetische Wirkung von Claudia Roth entdeckt –„Eine Frau, die vor Herzlichkeit nur sprüht und… Mehr

WolfgangZ
6 Jahre her

Wie kann man von einem taktischen Opportunisten wie Lindner enttäuscht sein? Der Rückzug aus den Koalitionsverhandlungen verdankte sich der Einsicht, im Kabinett hinter den Grünen am Katzentisch sitzen zu müssen, nicht neben ihnen. Der Rückzug hatte nichts mit Rückgrat zu tun. Lindner wird niemals gegen den Strom schwimmen. Auch er horcht erst einmal, was Merkel vorgibt.

jorgos48
6 Jahre her

Die Lindner und Kubicki dieser FDP sind keine Opposition, sie gehören wie die der Rest der Regierungsparteien, der Linken zur neuen „Nationalen Front des Demokrstischen Deutschland 2.0“. Ach wie gern wären diese Politikdarsteller Minister geworden. Ob die bei der kommenden BTW nochmal die 5% Hürde schaffen ? Zur Zeit krepeln sie bei 7% herum.

Udo Kemmerling
6 Jahre her

Was glaubt der feine Herr Lafontaine denn, mit welchen Sekundärtugenden seine Gesinnungsgenosen den Gulag geführt haben???

permanent error
6 Jahre her

Herr Lindner ist eine Enttäuschung, nicht nur im Fall Maaßen. Glücklicherweise habe ich die FDP in weiser Voraussicht nicht gewählt.