Wie Kretschmann und Co die Republik umbauen

Für Kretschmann – und er ist da nicht der einzige – steht in der Bundesdeutschen Verfassung: „Die Bundesrepublik Deutschland ist ein multiethnischer Multi-Kulti-Staat“. Steht da aber nicht.

© Alexander Hassenstein/Getty Images

Schon häufiger wies ich darauf hin: Oftmals sind es scheinbar unbedeutende Sätze und Aussagen, die in der Menge der Informationslawine untergehen – und die dennoch maßgeblich sind zur Entschlüsselung der Ziele und Auffassungen jener, die sich den Staat zur Beute gemacht haben.

Jüngstes Beispiel sind einige wenige Sätze eines Mannes, der mit Großvater-Attitüde und Fistelstimme den Eindruck erweckt, als könne er kein Wässerchen trüben. Dabei möge man sich nicht täuschen: Der Mann, von dem hier die Rede sein wird, erlebte – wie so viele seiner politischen Freunde – seine politische Sozialisation beim maoistischen „Kommunistischen Bund Westdeutschlands“ (KBW).

Mao – wir erinnern uns – war jener Machtusurpator, der noch vor Hitler und Stalin als größter Massenmörder der Geschichte im Guiness-Buch der Rekorde seinen Platz verdient hätte. Schon 1958 rühmte sich dieser Chinese, 46.000 Intellektuelle „lebendig begraben“ zu haben. Hunderttausende waren auf Grund ihrer „falschen“ Weltsicht um ihre Existenzgrundlage gebracht und in Lagern ohne Wiederkehr inhaftiert worden. Maos „Großer Sprung nach vorn“ kostete zwischen 1958 und 1962 rund 45 Millionen Chinesen das Leben. Die von ihm ausgelöste „Kulturrevolution“ – Neusprech für eine der größten Kulturvernichtungsaktionen der Menschheit – machte Kinder zu den Mördern ihrer Eltern. Weitere zwei Millionen sollen dabei dem Kollektivismus-Wahn des Mannes, der in einem  Dorf in der zentralchinesischen Provinz ohne Bildung und Kultur aufgewachsen war, zum Opfer gefallen sein.

Die Maoisten kannten Mao

All das war bekannt, als jener Jungmaoist zwischen 1973 und 1975 sein Herz für Maos mörderische Gewaltphantasien entdeckte – und es änderte daran auch nichts, dass er später zu der zutreffenden Erkenntnis gekommen sein will, dass die „68-Sozialisation ein fundamentaler politischer Irrtum“ gewesen sei.

Die Rede ist von Winfried Kretschmann, seit 2011 für die notorisch totalitären Weltverbesserer der Grünen Ministerpräsident im einst schwarzen Baden-Württemberg. Dieser Winfried Kretschmann – von Freund und politischem Gegner liebevoll „Kretsche“ genannt, besuchte dieser Tage das seiner Partei so verhasste Trumpland USA. Anlässlich einer Diskussion mit dem Migranten und früheren Bundestrainer Jürgen Klinsmann in der kalifornischen Westküstenstadt San Francisco, in dem beide über den Heimat-Begriff schwäbelten, zelebrierte „Kretsche“ seinen Sorgen um eben diese Heimat.

„Wir sind sozusagen in einer schweren Krise in Europa. Überall gewinnen die Rechtspopulisten an Boden“, befand der Alt-Maoist, der in den späten Siebzigern und frühen Achtzigern des vergangenen Jahrhunderts wie viele seiner Kampfgefährten den Weg vom KBW zu den „“Alternativen Listen“ fand – also zu jener Alternative für Deutschland, welche als Bewegungen des zivilen Ungehorsams gegen die Parteidemokratie seinerzeit von denen initiiert worden war, denen die damalige Volkspartei SPD zu brav, staatstragend und zu wenig progressiv war. Diese 68er-Alternative für Deutschland wandelte sich, nachdem sie Massentauglichkeit und Totalitätsanspruch der von den etablierten Parteien vernachlässigten Umweltproblematik erkannt hatte, strategisch geschickt zu „den Grünen“, als deren Vertreter nun Mao-Freunde wie Kretschmann die Geschicke ganzer Bundesländer bestimmen dürfen.

Die Sache mit der Dachlatte

Damals, in den späten 1970ern und frühen 80ern, verstanden die etablierten Politiker, die es sich in den gut dotierten Regierungsstuben bequem gemacht hatten, die aus radikal-kollektivistischem Studentenmilieu entstehende, politische Alternative als Angriff auf ihre Pfründe. Das ging so weit, dass selbst die heute längst von den Grünen ins Ghetto der Ewig-Gestrigen verdammten Sozialdemokraten über drastische Gegenschläge sinnierten. Unvergessen des hessischen Ministerpräsidenten Holger Börners 1982 gefallener Satz über die grün-inspirierten Antifa-Vorläufer an der Startbahn-West: „Ich bedauere, dass es mir mein hohes Staatsamt verbietet, den Kerlen selbst eins auf die Fresse zu hauen. Früher auf dem Bau hat man solche Dinge mit der Dachlatte erledigt.“

Mittlerweile – über dreißig Jahre später – sind jene, die führende SPD-Vertreter seinerzeit noch gern mit Dachlatten aus dem demokratischen Prozess entfernt hätten, selbst dort, wo einst die Börners saßen. Und wieder gibt es politische Gruppierungen, die sich als Alternative für Deutschland begreifen. Und wieder einmal  – auch darin wiederholt sich Geschichte – sind es nun jene Etablierten, die um ihre Stühle und Pfründe bangen, und denen fast jedes Mittel recht scheint, diese zu verteidigen.

Viel geändert hat sich seit Börners Tagen allerdings zumindest bei der SPD nichts. Jedenfalls dann nicht, wenn man den Blick auf das geistig-rhetorische Niveau ihrer Protagonisten wirft. So gab ein ansonsten unbedeutender Langzeitabgeordneter aus Hamburg, der dort seinen Wahlkreis wie ein mittelalterlicher Du-ut-des-Fürst führt und die Ämter des dazu gehörenden Verwaltungsbezirks als Lehen fehlinterpretiert, dieser Tage den Börner der Gegenwart. In einer hemmungslosen Wutrede ohne jeglichen Inhalt qualifizierte er die auf demokratischem Wege von 12,6 Prozent der Wähler in das Bundesparlament entsandten, aktuellen Alternativen pauschal als „rechtsradikal“, „hässlich“ und „unappetitlich“. Da fehlte nur die Dachlatte, um das Schmähwerk zu vollenden  – vielleicht aber auch deshalb, weil die neuen Alternativen sich im Gegensatz zu den alten nicht dadurch qualifizierten, gezielt mit brutaler Gewalt gegen „Bullenschweine“ vorzugehen. Offenbar liegen bei sozialdemokratischen Regionalfürsten wie jenem Johannes Kahrs die Nerven angesichts einer Konkurrenz, die gezielt in das eigene, sicher geglaubte Wählermilieu greift, ebenso blank wie einst bei den Börners einer klassischen Arbeiterpartei. Auch weil es heute eben genau dieses klassisch-konservative SPD-Milieu der arbeitenden Bevölkerung ist, welches nach Alternativen sucht, während es zu Börners Zeiten die sich progressiv verstehende Anhängerschaft aus dem nicht-arbeitenden, studentischen Milieu gewesen ist, die der behäbigen Brandt-Schmidt-SPD den Rücken kehrte.

Kretsches Ausflug ins Trumpland

Doch zurück zu „Kretsche“ und seinem Ausflug ins Trumpland. Immerhin nicht ganz so angefasst wie die Bundestags-Amokläufer der SPD beschränkte er sich bei seinem Blick auf die neuen Alternativen auf die Bezeichnung „Rechtspopulisten“ – wobei wir uns keinen Illusionen hingeben sollten: Gemeint ist damit dasselbe, was Kahrs mit „Rechtsradikalen“ bezeichnete. Von dort – also „rechts“ – gebe es „wieder ganz massive Ansagen, dass nur homogene Gesellschaften funktionieren, nicht plurale“, so der Südwest-MP. Und: „Das ist natürlich ein enormer Angriff auf das, was wir im modernen Verfassungsstaat glaube.“

Nun sollten wir nicht davon ausgehen, dass ein altgedientes, in den maoistischen Kaderschmieden des KBW erzogenes, politisches Altgestein wie Kretschmann nicht wisse, was er sage. Weshalb diese kurze Aussage durchaus als grundlegendes Statement eines Mannes zu begreifen ist, bei dem die Grundvoraussetzung zur Wahrnehmung seines öffentlichen Amtes das Bekenntnis zur Verfassung der von ihm vertretenen Republik sein müsse – wobei hier mangels staatsrechtlich relevanter Verfassung das Grundgesetz als Substitut herangezogen werden soll auch dann, wenn der von den Verfassungsgebern ursprünglich zwingend als mit der Vereinigung der Deutschen vorgesehene Prozess einer Verfassunggebenden Versammlung nach 1990 irgendwo auf der Strecke geblieben ist.

Scheinbar beruft sich „Kretsche“ nun auf dieses Verfassungs-Substitut. Und unterstellt durch die Hintertür jenen neuen Alternativen, nicht auf dem Boden derselben zu stehen. Denn wenn die „Ansage, dass nur homogene Gesellschaften funktionieren“, ein “enormer Angriff“ auf die Verfassung ist, dann sind selbstverständlich jene, denen eine solche „Ansage“ zugesprochen wird, nichts anderes als Verfassungsfeinde. Jene wiederum  – da trifft sich „Kretsche“ mit Kahrs – sind nicht nur „in diesem Parlament nicht nur ein Problem“, sondern “unappetitlich“.  Mit anderen Worten und um bei des Kahrsens hamburgischen Lokalkolorit zu bleiben: Feudel holen und die Kotze wegwischen!

Vom Unnatürlichen des „natürlich“

Doch schauen wir einmal genauer hin, was „Kretsche“ im sonnigen Kalifornien von sich gegeben hat. Da sei als erstes auf jenes mittlerweile inflationär in den deutschen  Sprachgebrauch eingedrungene „natürlich“ hingewiesen.  Dieses kleine Wörtchen findet sich mittlerweile fast in jedem Statement öffentlich sich äußernder Personen. Manchmal sogar, wie beispielsweise bei der CDU-Generalsekretärin, zigfach in einem einzigen, gesprochenen Absatz.

Man mag über dieses „natürlich“ im ersten Moment nicht stolpern – und doch sollte man es tun, denn es verrät viel über Ziel und Absicht – aber auch über die Unsicherheit jener Personen, die es inflationär in ihre Sprache aufgenommen haben. Ursprünglich besagte dieses „natürlich“ – so sein Wortstamm –, dass etwas damit Beschriebenes seinen Ursprung in der Natur habe. Das wiederum vermittelt in der Assoziation des Angesprochenen nicht nur Ruhe und Gelassenheit, sondern auch jenen angestrebten, reinen Ursprung aller Dinge. Natur ist das, was ist, bevor der Mensch seine Hand daran anlegt. Und so ist „natürlich“ das Synonym dafür, dass die nun behauptete Aussage von ursprünglicher, vollkommener Reinheit sei – unverdorben und ohne durch des Menschen Hand in irgendeiner Weise entstellt und auf diesem Wege ent-natürlicht worden zu sein.

Dieses dauerpräsente „natürlich“ ist insofern die sprachliche Inkarnation der grünen Öko-Ideologie. Es verknüpft den vorgeblichen Anspruch der Ökos, die seit mindestens 10.000 Jahren von Menschen kultivierte Erde zurück in ihren Ursprung zu bringen, mit dem Dogma des Unanfechtbaren. Deshalb besagt dieses „natürlich“, wenn es von unseren Politikern beständig im Munde geführt wird, nur eines: Diese meine Aussage, die ich mit dem Attribut des Natürlichen versehe, darf von niemandem angezweifelt werden – es sei denn, er betrachte sich als Feind der Natur und stelle sich derart außerhalb des Konsenses der menschlichen Gemeinschaft.

Kurz: „Kretsches“ Aussage darf von nichts und niemandem in Zweifel gezogen werden – denn wer dieses täte, erwiese sich als Menschenfeind.

Die pluralistische Gesellschaft

Womit wir uns nun dem eigentlichen Kern der Aussage des Alt-Maoisten zuwenden. Diese lautet: Eine „plurale Gesellschaft“ sei Verfassungsgebot – und der Angriff auf diese „plurale Gesellschaft“ ein Angriff auf die Verfassung.

Diese Aussage allerdings ist nicht nur kühn – sie ist absurd.

Das beginnt damit, dass „Kretsche“ klammheimlich einen staatsrechtlich relevanten Begriff durch einen anderen ersetzt – und damit den Verfassungsinhalt gleichsam auf den Kopf stellt.

Tatsächlich ist das 1949 verabschiedete Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland das eines pluralistisch aufgebauten Verfassungsstaates. Pluralismus besagt in der politischen Theorie, dass in dem Gemeinwesen die tatsächlich vorhandene Vielfalt an politisch-gesellschaftlichen Vorstellungen auf friedlichem Wege um die Gestaltung des Gemeinwohls ringen. Eine pluralistische Gesellschaft muss in der Lage sein, von radikalen Extrempositionen über eine gemäßigte Mitte ein weit gefächertes Spektrum politischer Auffassungen und Ziele zu ertragen und zum Kompromiss zu führen. Die Funktionsfähigkeit dieser pluralistischen Gesellschaft ist maßgeblich dann gegeben, wenn die gemäßigten Positionen in der Mitte der Gesellschaft dominant sind und von der breiten Mehrheit der Bevölkerung in der Sache getragen werden. Das war in der Bundesrepublik trotz erheblicher, politischer Auseinandersetzungen über lange Jahre der Fall.

In Gefahr gerät die pluralistische Gesellschaft dann, wenn in der Gesellschaft eine bestimmte Auffassung zu dominierend wird. Das ist beispielsweise dann der Fall, wenn die staatstragenden, politischen Gruppen die Breite der in der Bevölkerung vertretenen Anschauungen nicht mehr abbilden und so den Raum schaffen für neue Gruppierungen, die nunmehr jene nicht mehr repräsentierten Auffassungen übernehmen. Eine solche, in etablierten Gesellschaften durchaus nicht unübliche Entwicklung hatte ich 1982 in einem Schaubild zu „Erziehung – Rebellion – Gesellschaft“ als klassischen Prozess aufgezeigt.

Die Vernichtung des Pluralismus

Sobald sich in der pluralistischen Gesellschaft nun der offene Streit um das Gemeinwohl in ein Meinungsdiktat wandelt, vernichtet dieses den Pluralismus – und im konkreten Falle der pluralistisch gedachten Bundesrepublik letztlich den Verfassungsstaat. Ein solches Meinungsdiktat, welches notwendig immer und grundsätzlich totalitär sein muss, findet sich dann, wenn bestimmte politische Zielsetzungen als unausweichlich, alternativlos und am besten eben als „natürlich“ behauptet werden. Die unvermeidbare Folge solcher Zielsetzungsdiktate ist die bewusste und vorsätzliche Ausgrenzung all jener Positionen, die sich diesen Zielsetzungsdiktaten nicht anschließen. Geht eine solche Entwicklung auf dem Gebiet des politischen Diskurses in einer scheinbar diskussionsoffenen, pluralistischen Gesellschaft einher mit einer Manifestation des „natürlich“ Unvermeidbaren in weitestgehend gleichgeschalteten Kommunikationsorganen, dann kann von einer pluralistischen Gesellschaft nicht mehr die Rede sein. Vielmehr ist die durch den Meinungsstreit notwendige Ungewissheit der Ergebnisoffenheit pluralistischer Gesellschaften dann durch einen totalitären Gewissheitsanspruch ersetzt worden – und jene, die sich diesem Gewissheitsanspruch nicht zu unterwerfen bereit sind, werden gleichsam als Parias aus dem behaupteten gesellschaftlichen Konsens (welcher faktisch nicht mehr existiert) ausgegrenzt. Kurz: Die pluralistische Gesellschaft ist durch eine Meinungsdiktatur ersetzt worden.

„Kretsche“ zwischen homogen und plural

„Kretsche“ nun bekennt sich mit seiner kurzen Aussage vorbehaltlos zu diesem Prozess der Ausgrenzung – und dieses in mehrfacher Hinsicht.

Er ersetzt den Begriff des Pluralismus durch den Begriff „plural“ – und vermittelt dabei den Eindruck, genau diesen politischen Pluralismus zu meinen. Dabei weiß der maostisch geschulte Dialektiker genau, was er hier tut. Denn er verändert gezielt den ursprünglichen Verfassungsanspruch in seinem persönlichen Sinne. Kretschmanns „plurale Gesellschaft“ hat mit dem politik-theorischen Pluralismus nichts zu tun. Das macht der immer so verbindlich daher kommende Ideologe dadurch deutlich, dass er das Gegensatzpaar „homogen-plural“ zur Definition seines Verfassungsbegriffs heranzieht.

Homogenität beschreibt in der Soziologie Menschengruppen, die gemeinsame Eigenschaften aufweisen – also über eine gemeinsame Identität ihrer Existenzdefinition verfügen. So bilden beispielsweise klassische Stämme, wie sie noch heute in Teilen Afrikas, Asiens und Amerikas anzutreffen sind, homogene Gruppen. Auch Völkern oder Nationen wird soziologisch Homogenität zugesprochen – wobei dieses selbst in soziologischer Betrachtungsweise angesichts der menschlichen Migrationsgeschichte ebenso wie der Geschichte der Kommunikation fragwürdig ist dann, wenn diese Homogenität beispielsweise auf die äußere Erscheinungsform der Menschen bezogen wird.

„Kretsches“ Nationalismus

Wenn „Kretsche“ nun jedoch von einer „homogenen Gesellschaft“ spricht, dann ist das für ihn lediglich eine Umschreibung dessen, was in weniger intellektuell gebildeten Köpfen als „nationalistisch“ bezeichnet wird. In dieser ideologischen Sicht, die von der entsprechenden Definition des Nationalismus lebt, beschreibt die Homogenität eine „rassereine“, gleichgeformte Gesellschaft.

Mit anderen Worten: Jene, die dieses Bild einer „homogenen Gesellschaft“ als Schreckbild nutzen, bedienen sich dessen, was beispielsweise der Kollektivismus der nationalen Sozialisten als Zielperspektive einer „rassereinen Arier-Gesellschaft“ definierte. Womit nun in der Denkwelt des maoistischen Dialektikers der nächstfolgende Schritt unvermeidbar wird: Wer eine „homogene Gesellschaft“ anstrebt – also „Nationalist“ ist – der ist zwangsläufig auch „Nazi“. Das wiederum bietet die Begründung dafür, jene neuen Alternativen ohne weitere Qualifizierung und Prüfung ihrer inhaltlichen Positionen als „Nazis“ zu diffamieren – was Kretschmann mit seinen kalifornischen Aussagen nicht nur bezogen auf den Hassgegner AfD, sondern auf all jene, die er als „Rechtspopulisten“ bezeichnet, durch die Hintertür getan hat.

Ethnische Pluralität als Verfassungsgebot?

Das allein könnte man vielleicht sogar noch dem Ministerpräsidenten eines deutschen Bundeslandes durchgehen lassen, wenn man es wie einst bei Börner als Angstreflex eines etablierten Politikers vor einem für ihn unerwartet erstarkenden, politischen Konkurrenten versteht. Und dass Kretschmanns nur begrenzt vorhandene Visionsfähigkeit das Erstarken dieser neuen Alternative nicht erwartet hat – das belegte er selbst in Flower-Power-County mit dieser Aussage: „Das hätte ich mir mit meinen 70 Jahren nicht vorstellen können, dass wir in diese Situation noch mal kommen.“

Doch der Trumpland-Reisende belässt es eben nicht bei seiner fragwürdigen Herabqualifizierung eines für ihn unerwartet auftretenden, politischen Gegners. Vielmehr geht er daran, die bundesdeutsche Verfassung – also das Grundgesetz – in seinem Sinne umzuschreiben.

Hierzu wird einmal mehr ein Begriff der Staatstheorie durch einen Begriff aus der Soziologie ersetzt. Denn Kretschmers Pluralität ist ausschließlich in der Soziologie  als Beschreibung sinnvoll anzuwenden und meint in der Verknüpfung mit Homogenität nicht politische, sondern ethnische Vielfalt. Für den deutschen Südwester ist – so seine Aussage – diese ethnische Vielfalt Verfassungsgebot, welches er durch die „massive Ansage“ des Funktionierens homogener Gesellschaften „massiv angegriffen“ sieht.

Durch die Verkehrung des Begriffs „Pluralismus“ in den Begriff „plural“ in Verbindung mit Homogenität erweckt der Gymnasiallehrer Kretschmann den Eindruck, dass die Bundesrepublik nicht durch politischen Pluralismus, sondern durch ethnische Pluralität definiert werde.

Die Bundesrepublik als Multi-Kulti-Verfassungsstaat

Doch auch hier laviert der Demagoge perfekt um die Tatsachen herum. Wohl wissend, dass es im Grundgesetz an keiner Stelle ein Anti-Homogenitäts- oder ein Multi-Kulti-Gebot gibt, fasst er seinen Angriff auf die bundesdeutsche Verfassung in eine nebelkerzenartigen Aussage, wonach die „massive Ansage, dass nur homogene Gesellschaften funktionieren, natürlich ein enormer Angriff auf das [sei], was wir im modernen Verfassungsstaat glauben“.

Da ist es also wieder, Merkels „postfaktisches Zeitalter“. Bei Kretschmann geht es nicht um das, was als nachzulesendes Wort in einer Verfassung steht – es geht um das, von dem er glaubt, dass es im Sinne seines Gesellschaftsverständnisses von einer „modernen Verfassungsstaat“ in einer solchen zu stehen hätte. Kretschmann spricht nicht vom Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland, sondern von einem fiktiven Verfassungsmodell, welches er in seinem Kopf als „Glaubensmodell“ eines für ihn „modernen Verfassungsstaats“ entwickelt hat.

Mit anderen Worten: Der maoistisch geschulte Hochschullehrer und Ministerpräsident eines deutschen Bundeslandes bewegt sich nicht (mehr – falls er das jemals getan haben sollte) auf dem Boden des Grundgesetzes dieser Bundesrepublik Deutschland – er bewegt sich vielmehr auf dem Boden einer von ihm „geglaubten“, also gewünschten, Verfassung, welche durch keinerlei Faktenlage aus dem bestehenden Verfassungssubstitut gedeckt sein muss. Kretschmann – nur so sind seine Aussagen zu verstehen – hat sich jenseits dessen, was in diesem bundesdeutschen Basiswerk des Rechts steht, seine eigene Verfassung zurechtgeschraubt – und die schert sich nicht um politischen Pluralismus der Meinungen, sondern zeichnet sich durch eine ethnisch-plurales Gesellschaftsverständnis aus.

Zusammengefasst: Für Kretschmann – und er ist da nicht der einzige – steht in der Bundesdeutschen Verfassung: „Die Bundesrepublik Deutschland ist ein multiethnischer Multi-Kulti-Staat“.

Noch ist Deutschland das Land der Deutschen

Nun – dass es derartige Bestrebungen, die bundesdeutsche Verfassung als Grundgesetz der deutschen Nation auf den Kopf zu stellen, sogar in der schwarzroten Bundesregierung gibt, hatte ich bereits anlässlich des Versuchs der damaligen, von der SPD gestellten, türkisch-stämmigen „Integrationsbeauftragten“ des Bundes dargelegt. Ginge es nach dem unter Beifall der Frau Bundeskanzler vorgestellten Papier einer Mehrheit der demokratisch nicht legitimierten MigrantenNGO, so würde in der Verfassung das deutsche Volk durch die „Einwanderungsgesellschaft“ ersetzt. Das wäre dann tatsächlich jenes von Kretschmann und Co. geglaubte Verfassungsmodell, an dem sich er und seinesgleichen orientieren.

Noch aber – und kein Weg führt daran vorbei – steht in der Präambel Grundgesetz Folgendes:

„Im Bewußtsein seiner Verantwortung vor Gott und den Menschen, von dem Willen beseelt, als gleichberechtigtes Glied in einem vereinten Europa dem Frieden der Welt zu dienen, hat sich das Deutsche Volk kraft seiner verfassungsgebenden Gewalt dieses Grundgesetz gegeben.

Die Deutschen in den Ländern Baden-Württemberg, Bayern, Berlin, Brandenburg, Bremen, Hamburg, Hessen, Mecklenburg-Vorpommern, Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz, Saarland, Sachsen, Sachsen-Anhalt, Schleswig-Holstein und Thüringen haben in freier Selbstbestimmung die Einheit und Freiheit Deutschlands vollendet. Damit gilt dieses Grundgesetz für das gesamte Deutsche Volk.“

Nun mag man trefflich darüber streiten, ob diese erst nach dem Beitritt der Länder der DDR zur Bundesrepublik in einem fragwürdigen Akt durch die Mehrheit der Parlamentarier am Volk vorbei geänderte Formulierung nicht ein rassistischer Affront jenen gegenüber ist, die sich als ethnische Deutsche diesem Deutschen Volk zugehörig fühlen mögen, auch wenn sie nicht Staatsbürger der Bundesrepublik sind – doch unabhängig davon schreibt das Grundgesetz unmissverständlich fest:

Die Verfassung dieses Landes geht davon aus, dass es ein Deutsches Volk gibt! Sie schreibt nicht vor, dass dieses deutsche Volk aus weißhäutigen Europäern bestehen muss. Doch sie geht davon aus, dass in diesem Deutschland das Staatsvolk von einer Nation gestellt wird, welche sich in homogener Eintracht als Deutsches Volk versteht. Die Verfassung – so steht es geschrieben und so sollte es folglich auch betrachtet werden – geht davon aus, dass es ein deutsches Volk gibt. Und Völker, auch daran führt kein Weg vorbei, mögen sich nicht zwangsläufig durch ethnische Gleichheit auszeichnen – doch sie eint eine gemeinsame, nationale Identität, die in diesem Falle sie sich selbst als Deutsche verstehen lässt.

Die eigentlichen Verfassungsfeinde

Wenn die Kretschmänner dieser Welt nun daran gehen, diese Homogenität einer deutschen Identität, die Grundlage der bundesdeutschen Verfassung ist, nicht nur in Frage zu stellen, sondern sie als Angriff gegen die Verfassung zu betrachten, dann greifen sie selbst – und niemand anderes – die bestehende Verfassung an. Nicht jene, die die Homogenität einer nationalen Identität als Verfassungsgebot betrachten, sind die Feinde der Verfassung, sondern jene, die sich ihre private Verfassung zurechtglauben in der Wahnvorstellung, dass nur ein unkoordiniertes Neben- und Gegeneinander der unterschiedlichsten Kulturen als Verfassungsgebot zu verstehen sein dürfte.

Eigentlich – und damit schließt sich ein Kreis, der gleichzeitig eine der scheinbar absurdesten Debatten dieser Tage zu erklären vermag – müsste der Verfassungsschutz Menschen wie Kretschmann beobachten, weil sie mit ihren geglaubten Verfassungsmodellen definitiv nicht auf dem Boden des Grundgesetzes stehen. Wenn nun Hans-Georg Maaßen als oberster Schützer eben dieser von einem homogenen Volk ausgehenden Verfassung abgeräumt werden soll, dann ist dieses nichts anderes als ein weiterer Angriff auf die bundesdeutsche Verfassung seitens jener, die sich eine andere Republik erträumen und in metaphysischer Trance daran glauben, dass die bestehende Verfassung eine ganz andere sei als jene, die auf dem Papier geschrieben steht.

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Kommentare ( 74 )

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KF Lankl
6 Jahre her

Ist zwar schon alt, eher älter, aber dennoch: Welche „Bundesdeutsche Verfassung“ meint der Autor? Ich kenne da keine!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!

Absalon von Lund
6 Jahre her

Es fühlt sich an wie im Chicago der 20 und 30er Jahre. Ich glaube, wir haben es hier mit einem maoistischen Paten zu tun und seinen Freunden, die wie Al Capone in besten Anzügen herumlaufen und in schwrzen Limousinen die Gegend unsicher machen. Die grüne Partei ist die politische Camorra Deutschlands und der Capo heißt Winfreid Kretschmann!

MartinS
6 Jahre her

Wie ich schon öfter festgestellt habe, den Boden des Grundgesetzes haben die Protagonisten der etablierten Parteien längst verlassen. Bedauerlicherweise fühlen sich auch die Verfassungsrichter nicht mehr an den Wortlaut der Verfassung gebunden. Insoweit ist es nur eine Frage der Zeit, bis Kretschmanns Verfassungsinterpretation höhere Weihen erfährt.

Rebell
6 Jahre her

Spätestens seit seiner Liaison mit Gülen sollte auch der dümmste begriffen haben, wie gefährlich solche Leute wie dieser Herr Kretschmann für jeden sind, der sich seine Freiheit nicht beschneiden lassen will.

Sapere Aude
6 Jahre her

Das wollen Sie bestimmt hier nicht aus falscher Bescheidenheit stehen sehen. Aber was für eine intellektuelle Kraft Sie sind! Chapeau, Herr Spahn. Ich habe aus Ihrem Artikel wieder viel dazu gelernt. Vielen, vielen Dank! Unfassbar, wie subtil diese Typen wie Kretschmann vorgehen. Und einfach genial, wie Sie das auseinandergenommen haben.

friedrich - wilhelm
6 Jahre her
Antworten an  Sapere Aude

……ja, politik hat viel mit analyse und damit verbundenem denken zu tun! da sollte man zuerst einmal daran gehen das denken selbst zu zerlegen um zu sehen, welches instrumentarium es bereitstellt, um die wirklichkeit zu erfassen, zu beschreiben und zu gestalten! somit: well done, mr. spahn! logische folgerung: mathematik gehört für mich zu den geisteswissenschaften!

best regards friedrich – wilhelm, cambridge/mas.

stolzerSachse
6 Jahre her

Also „Kretsche“ is ja nu keine gelungene Formulierung. Unser Kretsche=Handball hat bestimmt mehr für die internationale Popularität DE’s geleistet als der langsamsprechende Gelbfüßler 😉 Es ist immer wieder interessant zu sehen, daß nicht wenige der mit Maofibel und Kommunistischen Manifest wedelnden Rotgrünen diametral zu ihren Erzeugern stehen. (Trittin, Gauck, Gabriel,etc pp) Das sie deshalb ins andere Extrem verfielen war ihnen gleichgültig. So sahen die 68-sechziger auch keine besondere Verwerflichkeit in den Taten der RAF, sie unterstützten sie sogar. Unter anderem als bekennende – Ströbele, Schily. Fischer, etc. (den Schröder nicht zu vergessen) sogar vor Gericht als Verteidiger der roten Mörder.… Mehr

bfwied
6 Jahre her

Die Frage ist auch, warum die so hochgekommen sind! Erst still und leise, dann griff die Marktschreiertatik: Wer am lautesten brüllt, vor dem stehen die meisten Leute – er könnte ja recht haben!! Von den Grünen kommt eigentlich nur Unsinn, und wenn sie mal etwas Sinnvolles von sich gaben, Naturschutz, Schutzgebiete, dann strichen/streichen sie das schnell wieder für einen neue Sau, die sie durchs Dorf treiben – derzeit immer noch „regenerierbare Energie“-Unsinn.

bfwied
6 Jahre her

Exzellent! Es sind die Früchte der 68er, die damals, in den 70er-Jahren in den Universitäten versuchten Seminare und Vorlesungen zu sprengen mit ihren Thesen, die uns nahezu allen so verschroben und irre erschienen, dass wir sie nicht ernst nahmen und diese Leute nur nach kurzer Zeit ins Freie scheuchten. Sie verherrlichten damals schon die Internationale, eine grenzenlose Welt, in der der gutverdienende Akademiker, so ihre Worte, die Früchte seiner Arbeit, die nicht nur 8 Stunden pro Tag betrug (und betragen), mit allen anderen zu teilen habe, und zwar mit allen auf der Welt! Die Leute des Kommunistischen Bundes haben sich… Mehr

Ursula Schneider
6 Jahre her

Brillante Analyse, lieber Herr Spahn! Was bedeutet denn Multi-Kulti oder „homogene“ Gesellschaft, die heute ja eh schon bunt genug ist? Regeln und Gesetze brauchen m. E. die gleichen Wertvorstellungen, um überhaupt zu funktionieren. Wenn dies nicht der Fall ist, sind ständige Konflikte im Alltag des Zusammenlebens vorprogrammiert – ob in den Schulen, am Arbeitsplatz, vor Gericht oder sonstwo. Zum Beispiel funktioniert unser Grundrecht auf Religionsfreiheit nur so lange, wie Religion Privatsache bleibt und nicht andere behelligt. Gleichberechtigung kann nur da gelebt werden, wo keine Machokultur herrscht. Die Würde der Menschen verträgt sich nicht mit dem Recht des Stärkeren oder der… Mehr

Kassandra
6 Jahre her
Antworten an  Ursula Schneider

Ich lese gerade das Kapitel über Syrien in Scholl-Latours „Lügen im heiligen Land“ aus dem Jahre 1997 und finde darin seine deutlichen Beschreibungen und Warnungen vor dem Islam mit Scharia und brutalen Welteroberungsaufträgen und besonders heimtückischer, schon immer angewandter Taqiyya und dass sich Europa davor schützen müsse.

Keiner wird je sagen können, er hätte nicht gewusst, was da immer weiter auf uns losgelassen wird und zudem schon heftig im Land brodelt. Die werden sich mit Sicherheit von niemandem benutzen lassen, auch wenn solche wie Kretsche mit ihren schädigenden Hintergründen und Gedankenmustern dies glauben mögen.

nhamanda
6 Jahre her

..und gibt man solchen ideologischen Dogmatikern die ganze Macht, dann werden sie Gründe finden, warum politische Gegner erschlagen oder erschossen werden „müssen“. Und sie werden es „tun lassen“.