Eigentlich sollte die Politik draußen bleiben. Jetzt muss Bundespräsident Weidmann beim EZB-Rat alle fünf Monate draußen bleiben.
„Man ändert heut‘ sein G‘Spusi,
wie sein‘ Lieblingsmusi,
per Saison.“
Mit der Treue geht es wie generell mit der Moral schon länger bergab, wenn man dem melancholischen Filmlied „Sag beim Abschied leise Servus“ aus dem Jahre 1936 folgt. Warum sollte es beim Euro, der genau so auf Vertrauen basiert wie eine gute Beziehung, anders sein? Mit einer ganzen Serie von vielen leisen „Servus“ verabschiedet sich die gemeinsame Währung von den ehernen Treueschwüren der frühen Jahre.
Es lohnt sich, die Treueschwüre Revue passieren zu lassen – wie sich der alternde Casanova die Bilder von Verflossenen in Erinnerung ruft: So stabil wie die D-Mark sollte der Euro werden; Haushaltsdisziplin sollten seine Mitglieder einhalten, Stabilität im Vordergrund stehen, die gestrenge Deutsche Bundesbank mit ihren Geldregeln ihren Segen dazu geben, fremde Dritte, wie die Politik, draußen bleiben. Jetzt muss der Präsident der Deutschen Bundesbank beim EZB-Rat alle fünf Monate draußen bleiben.
Bundesbankpräsident Jens Weidmann darf dann zwar von der Hinterbank aus noch mitreden, aber nicht mehr mitstimmen. Nach der jetzt gültigen Satzung der EZB rotieren die Zentralbankchefs; mal dürfen sie mitstimmen, mal eben nicht, um nach der Aufnahme Lettlands in die Eurozone die Zahl der Entscheider nicht zu groß werden zu lassen. Das ist ein starkes Stück; denn immerhin hält Deutschland 27,6 Prozent des tatsächlich eingezahlten EZB-Kapitals und haftet damit auch für den größten Teil der Rettungsmilliarden aus den diversen Hilfsschirmen.
Verantwortlichkeit und Haftung werden entkoppelt, wenn bestimmt, wer dann nicht zahlen muss. Denn im EZB-Rat fallen die wichtigen geldpolitischen Beschlüsse, und zwar möglichst einstimmig. So wichtig sind diese Entscheidungen, dass auch nur eine abweichende Stimme schon zum Politikum wird. Wir wissen von zwei Fällen, in denen ein deutscher Bundesbankpräsident die Einigkeit in Frage stellte; in beiden stemmten sie sich gegen eine inflationäre Ausdehnung des Anleihekaufs. Das ist der vorläufige Tiefpunkt des Bundesbank-Einflusses auf den Euro, mehr „Servus“ geht kaum.
Dabei hatte es so ganz anders begonnen. 1998 wurde Ottmar Issing, bis dahin im Bundesbank-Direktorium, zum Chefvolkswirt in das Direktorium der EZB berufen. Der geldpolitische Falke leitete den Aufbau, prägte die Zentralbank. Nach acht Jahren, 2006, folgte ihm Jürgen Stark, ebenfalls ein geldpolitischer Hardliner aus der Bundesbank. 2011 sollte Bundesbankpräsident Axel Weber EZB-Chef werden. Das war der Höhepunkt des deutschen Einflusses: Erst warf Axel Weber die Kandidatur weg, dann trat Stark aus Protest zurück. Es folgte, schon nicht mehr in der herausragenden Rolle des Chefvolkswirts, Jörg Asmussen, der nur noch für den EZB-Neubau und internationale Beziehungen zuständig war. Auf ihn folgte, da ihm Familie wichtiger ist, Sabine Lautenschläger. Sie ist kompetent, aber eben doch nur Kraft Frauenquote in dieses Amt ohne besondere Aufgabe und damit ohne besonderes Gewicht geraten.
Personen sind immer auch Programm. Und das Programm der heutigen EZB ist die Finanzierung der immer weiter ungebremsten Staatsverschuldung. Seit 2007 sind die Staatsschulden in der Eurozone kontinuierlich gestiegen und werden in diesem Jahr einen Höchststand von 96 Prozent des Bruttoinlandsprodukts erreichen. Das ist möglich, weil es noch nie so billig war, sich zu verschulden: Gerade noch 2,8 Prozent Zinsen zahlt Italien für einen zehnjährigen Kredit, so wenig wie noch nie und nur ein Drittel des Wertes von 2012.
Möglich macht das die Niedrigzinspolitik der EZB, die mit jeder ihrer Entscheidungen weiter von den ursprünglichen Eckwerten abweicht. Die Folgen spüren vor allem die Sparer in Deutschland, dem größten Nettogläubiger in der Eurozone: Die Lebensversicherungen, Riesterrenten und Geldanlagen der Babyboomer, die sich davon einen sorgenfreien Lebensabend erhofften, werden ausradiert – die „finanzielle Repression“, wie es die Volkswirte nennen, erwischt sie in jenen entscheidenden Jahren, in denen das Ersparte möglichst hohe Zinserträge erwirtschaften sollte.
Längst hat sich die EZB von ihrer ursprünglichen unbedingten Neutralität verabschiedet. Sie folgt immer bereitwilliger den südeuropäischen Forderungen. In Frankreich, Italien und Griechenland hat immer schon die Zentralbank die Staatsschulden bereitwillig finanziert, sie mit einer hingenommenen Inflation erträglicher gemacht und über Abwertung die Exporte gesichert. Nur leider wurden darüber die Politik immer leichtsinniger sowie Wirtschaft und Gewerkschaften vor dem Wettbewerb beschützt. Es ist der Abschied von einer EZB nach Bundesbank-Muster und der Beginn einer neuen Liebe zu einer lateinischen, sprich aufgeweichten Union. Aber wie heißt es doch in dem Lied:
„Sag’ beim Abschied leise ‚Servus’,
nicht ‚Lebwohl’ und nicht ‚Adieu’,
diese Worte tun nur weh.
Doch das kleine,
Wörter’l ‚Servus’,
ist ein lieber letzter Gruß,
wenn man Abschied nehmen muss.“
Erschienen am 03.07.2014 im Hauptstadtbrief
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