Das integrationspolitische Schattenboxen

Die Dankbarkeit von Özil und seinen Beratern gegenüber Deutschland, das ihm jede Chance eröffnet hat, war von kurzer Dauer: Das integrationspolitische Schattenboxen geht weiter.

Courtesy of Cahit Başar

Wer hätte gedacht, dass ausgerechnet ein beleidigter Multimillionär, der seinen Lebensmittelpunkt längst außerhalb Deutschlands hat, die größte Rassismusdebatte der letzten Jahre lostreten könnte?

Seitdem Mesut Özil über die Sozialen Netzwerke öffentlichkeitswirksam seinen Rücktritt aus der deutschen Nationalmannschaft erklärt hat, diskutiert das ganze Land über die in der Erklärung erhobenen Vorwürfe.

Wer Özils sprachliche Leistungsfähigkeit in Interviews erlebt hat, darf zu Recht Zweifel daran hegen, ob die dreiteilige Erklärung tatsächlich aus seiner Feder stammt. Özil bzw. vielmehr seine Berater, verkehren in dieser Erklärung geschickt die Opfer-Täter-Perspektive. Özil, der ewige Türke, der sich integrieren wollte aber nicht durfte, weil Deutschland so rassistisch ist; nur Özil selbst ist es natürlich nicht.

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Dazu scheint dann perfekt jenes sehr vertraut wirkende Bild mit einem Präsidenten zu passen, der laut internationalen Organisationen wie Vereinten Nationen, Europäische Union oder Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE), sowie führenden Menschenrechtsorganisationen dafür kritisiert wird, in seinem Land die Opposition zu verfolgen, die Grundrechte außer Kraft zu setzen, mit Säuberungswellen seine Macht zu zementieren, die Demokratie auszuhebeln, die Meinungs- und Pressefreiheit einzuschränken und Minderheiten zu verfolgen.

Weil Deutschland in den letzten 80 Jahren zwei Diktaturen durchleben musste, war zu erwarten, dass hier auf das Foto deutlicher reagiert wird. Anders als ihre Bundesregierung, die auf die Entwicklungen in der Türkei mit großer Zurückhaltung, sehr kleinlaut, verklausuliert und im Grunde mutlos reagiert, war die Kritik gesamtgesellschaftlich sehr viel deutlicher. Selbst Özil hätte klar sein müssen, dass sein gemeinsames Foto mit jenem Erdogan für Irritation und Unverständnis sorgen musste. Die Öffentlichkeit machte ihrem Unmut deutlich Luft – und sein Verhalten auf dem Fußballfeld der WM war wenig geeignet, die Stimmung zu seinen Gunsten zu ändern.

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Dass ein beleidigter Özil die Opferrolle annimmt und allen anderen die Schuld gibt, ist weder wirklich erstaunlich, noch erschreckend. Erschreckend jedoch ist, dass vor allem das politische Establishment und Teile der Medien diese Opferrolle gänzlich unreflektiert übernimmt. Reihenweise zeigten sich Politiker und Verbandsvertreter betroffen von dem angeblichen Rassismus, den Özil thematisierte, ohne zu hinterfragen, ob es ihn wirklich in der behaupteten Form gibt. Deutschland nahm die Özil‘sche Schuldzuweisung dankend an und begann sogleich, getragen von üblichen Selbstzweifeln, die Angelegenheit in ihrem Sinne „aufzuarbeiten“.

Kein Migrationsforscher, keine Studie, hat in diesem Land je mehr Gehör gefunden und solch eine Debatte ausgelöst, wie diese Äußerungen eines auf Händen getragenen Kickers.

Sein schwerwiegendster Vorwurf – nicht nur „die Deutschen“, sondern der Deutsche Fußball-Bund insbesondere, sei rassistisch – ist zugleich der erstaunlichste.
Selbst, als nach mittlerweile knapp zwei Wochen Özils Teamkameraden mit Migrationshintergrund ihrem Ex-Teamkollegen weder beipflichteten, noch den Rassismus bestätigen konnten und der Integrationsbeauftragte des DFB, der Deutsch-Brasilianer Claudemir Cacau, Özil sogar offen widersprach, gab es kaum veröffentlichte Stimmen, die Özils unhaltbare Vorwürfe relativierten.
Das integrationspolitische Schattenboxen ging weiter, ohne dass ein Gegner oder konkreter Rassismus sich innerhalb der demokratischen Akteure gegenüber Özil hätte herauskristallisieren lassen.

Abgesang
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Sicherlich gibt es Rassismus in Deutschland, wie in jedem anderen Land. Er muss geächtet werden und dort, wo er strukturell vorhanden ist, thematisiert und gelöst werden. Ich jedoch bin stolz darauf, dass wir in Deutschland gerade beim Thema Rassismus eine große Sensibilität an den Tag legen. Alle demokratischen Kräfte bemühen sich ebenso wie auch die gesellschaftlichen Spitzenverbände, und dazu gehört auch der DFB, Rassismus zu bekämpfen und die Integration zu fördern.

Gerade der DFB hat diesen Vorwurf deshalb nicht verdient.

Rassismus wird nicht unter den Teppich gekehrt, sondern thematisiert; auch dann, wenn es schmerzhaft ist und selbst dann, wenn es wie bei Özil in dieser Form nicht gerechtfertigt ist.

Die Dankbarkeit von Özil und seinen Beratern gegenüber Deutschland, das ihm jede Chance eröffnet hat, war von kurzer Dauer. Jetzt hält jemand anderes seine schützende Hand über ihn. Der türkische Präsident Erdogan bescheinigte Özil eine patriotisch-nationale Haltung, die er gegenüber einem „faschistischen Deutschland“ gezeigt habe.

In dieses „faschistische Deutschland“ wird der türkische Präsident übrigens voraussichtlich im September reisen und sich von der politischen Führung feiern lassen. Schattenboxen in einer absurden Welt.


Cahit Başar (52) ist in Deutschland geboren und aufgewachsen. Er hat u.a. in Großbritannien und den USA Politikwissenschaft, Geschichte und Germanistik studiert und arbeitet als Oberstudienrat in Köln.

Er ist Generalsekretär der Kurdischen Gemeinde Deutschland.

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Kommentare ( 70 )

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Johann Thiel
6 Jahre her

Diese ganze Rassismusdebatte ist totaler Blödsinn. Jeder Mensch auf der Welt ist in der einen oder anderen Weise rassistisch oder anderen Gruppen gegenüber diskriminierend eingestellt. Nach den heutigen Maßstäben der westlichen Welt allemal. Das wird immer so bleiben und gehört einfach zur Natur des Menschen. Wenn wir also den Menschen nicht abschaffen wollen, werden wir damit leben müssen. Das gilt übrigens auch für das berühmte Klima.

Old-Man
6 Jahre her

……………. Nachdem er sich nun mit Donald den falschen Gegner ausgesucht hat,die türkische Lira im freien Fall,wage Ich noch einmal einen kleinen Hinweis zu seiner Vita : angeblich hat er Wirtschafts Wissenschaften studiert,was aber so nicht ganz richtig ist,denn es war ein Islam Studium.Da aber in der Türkey nur „weltliche“ Studiengänge zur Übernahme eines solch hohen Politischen Amtes gelten,wurde schnell umgedichtet-Islam= Wirtschafts Wissenschaften. Wohin so etwas führt zeigt sich nun Tag um Tag deutlicher- der Mann hat außer von Allah absolut keinerlei Ahnung von Wirtschaft. Ein Eichhörnchen flüsterte mir,das die Fakultät an der er angeblich examinierte erst drei Jahre nach… Mehr

Ali
6 Jahre her

Ich bin Özil sehr dankbar. Hat er doch eindringlich bestätigt was ich schon stets vermutet habe.

Die einzigen, die hier in was auch immer für einen Mist „integriert“ werdern sollen, sind die Deutschen und die werden zum Glück von Tag zu Tag rebellischer!

butlerparker
6 Jahre her

Das hängt damit zusammen, daß bei antisemitischen Straftaten den Vorfall „automatisch“ den „Rechten“ zugeordnet wird ohne eine genauere Untersuchung. Hier ein Auszug aus dem faktenfinder der Tagesschau, kaum zu glauben. „Vorfälle mit NS-Bezug seien statistisch fast immer rechts, was dazu geführt habe, dass selbst „ein Hitlergruß von Hisbollah-Anhängern auf der islamistischen Al-Quds-Demo als rechtsextrem eingruppiert“ worden sei.“ https://faktenfinder.tagesschau.de/hintergrund/antisemitismus-147.html oder hier https://www.welt.de/politik/deutschland/article168436745/Zahl-der-antisemitischen-Delikte-in-Deutschland-steigt.html Ergebnis: Glaube nur der Statisti, die du selbst gefälscht hast. Viel bedenklicher hingegen ist, daß die Polizei diese Einwertungen ja auf Anweisung der Politik so vornimmt. Im Artikel wird auch beschrieben, daß die Politik davon weiß, aber wohl gut… Mehr

Herbert
6 Jahre her

Ozil? Ist dieser reichlich überbezahlte Balltreter so wichtig, dass wir uns ständig mit seinen “Befindlichkeiten“ beschäftigen müssen?
Wir sollten das Thema “Özil“ endlich zur Seite legen, denn es gibt wichtigeres im Land – den Mann einfach vergessen und unsere Aufmerksamkeit verstärkt der irrsinnigen Politik der Kanzlerin widmen.

RUEDI
6 Jahre her
Antworten an  Herbert

Nein! – Denn ÖZIL ist exemplarisch für das gesamte Thema Migration, Integration, Assimilierung, Parallelgesellschaft. Leitkultur, Ghettoisierung und Islamisierung- wie in einem Reagenzglas unter dem Bunsenbrenner, in dem es brodelt, dass, wenn man nicht aufpasst, expodieren und das ganze LABOR in Brand setzen kann, mit der Laborleiterin MERKEL, die das EXPERIMENT am lebenden Menschen und der Nation beschleunigen will, Ziel: Abwarten-mal sehen was da rauskommt. Und wenns schief geht – dann bin ich mal weg – und die Anderen waren schuld – die Praktikanten. – Ich bin jetzt auf dem Jakobsweg und mein Mann ist Sauer.

Antigruene
6 Jahre her

Mesut Özil wurde mit dem BAMBI 2010 für Integration geehrt, darüber hinaus wurde ihm zweimal das Silberne Lorbeerblatt verliehen und er wurde als Weltklassespieler in die Rangliste des Fußballs 2016/17 eingestuft. Wenn der beleidigte Mesut plötzlich meint, der DFB wäre rassistisch und er fühlt sich nicht integriert, dann sollte er o.g Ehrungen zurückgeben. Ich denke, er hat es sich sehr einfach gemacht und lässt andere sprechen, nachdem Erdogan ihn für seine Zwecke benutzt hat. Mit dieser T-Shirt-Intrige hat Erdogan genau das erreicht, was er wollte, nämlich die Niederlage der Deutschen Fußballmannschaft bei der WM. Demotivierte und frustierte Spieler können nicht… Mehr

Norri
6 Jahre her
Antworten an  Antigruene

Bei ihrem vorletzten Satz sei der Zusatz erlaubt, dass es sich nicht nur immer um Türken handelt, sondern gemeinhin allen möglichen Vertretern aus Ländern, in denen der Islam grassiert.

Mozartin
6 Jahre her

Läuft das nicht als Anteil dieser Gruppen am Aufkommen der hiesigen Akademiker etc. insgsamt, zudem Eignung? Ich habe deutlich gemacht, wo ich Kompetenz vermute.
Weitläufigkeit/Kommunikationsfähigkeit schadet allerdings nicht.
Das geht aber auch über Kooperationen.
Es sollte jedenfalls nicht darüber laufen, dass unsere hier zu verortende Intelligenz künstlich zurückgedrängt wird.
Ich brauche hier nicht „Klein-Istanbul“, „Klein-New York“ oder wie sie alle dazwischen heissen.
Dann hätten wir uns Kommunikationsmittel insgesamt sparen können und nur auf Völkerwanderungen setzen sollen…
Ach so, macht man ja jetzt?

Andreas Koch
6 Jahre her

Verstehe die ganze Aufregung überhaupt nicht. Die, die sich den Schuh des „Rassismusvorwurfs“ allzu willig angezogen haben, sind ewig Gestrige. Leute, die sich seit Jahrzehnten moralisch überhöht als die wahren guten Menschen, „die schon länger hier leben“, fühlen und ihre Umwelt unermüdlich zu besseren Menschen erziehen wollen. Dabei ist der Rassismusvorwurf eine billige, seit Jahrzehnte beliebte und schon etwas in die Jahre gekommene Methode die Deutschen gefügig, spendabel oder einfach nur runter zu machen. Ein plumpe Retourkutsche eines gekränkten Fuballtreters, der mit Deutschland nie richtig warm geworden ist. Hätte es die aufgeregten links-grünen Medien (und Medienschaffenden) nicht gegeben, wäre der… Mehr

Emmanuel Precht
6 Jahre her

Nur ein weiterer Baustein im „größten Sozialpolitischen Experiment“ der Geschichte, um der Aufnahmegesellschaft für die Millionen die da noch kommen sollen, den Widerstand zu rauben. Schmierentheater!
Dagegen war die sogenannte Annexion der Krim ein Witz.
Wohlan…

jansobieski
6 Jahre her

„Die größte Integrationsdebatte“? Man muss dabei immer fragen, wer, warum diskutiert hat. Dem Durschnittsdeutschen war`s recht wurscht, dass linksverblendete Journalisten diskutieren, so wie bei den meisten Themen dieser Klientel.