Raus aus der Filterblase!

Die Gesellschaft hat immer mehr Mühe, mit verschiedenen Meinungen umzugehen. Das hat auch mit der Filterblase zu tun, in der wir uns mit Gleichgesinnten verschanzen.

 

Man kann mit Menschen, mit denen man in sämtlichen politischen Fragen uneins ist, ein tolles Verhältnis haben. Man kann diese Leute lustig und intelligent finden und sie wertschätzen. Das ist nicht das Ergebnis langjähriger Studien, die Erkenntnis stammt aus meinem persönlichen Erfahrungsfundus. Und auch wenn ich Gefahr laufe, einen Frömmigkeitsvorwurf zu kassieren: Lassen Sie sich gelegentlich einmal auf einen Gedankenaustausch mit der anderen Seite ein. Mit der Seite, deren Ansichten und Argumentation von Schnappatmung bis Migräne alles in Ihnen auslöst. Und auch wenn es Ihr Nervenkostüm möglicherweise strapaziert: Eine andere Weltansicht kann einen Horizont erweitern.

Einige werden sich jetzt fragen: Wieso soll man mit linken „Gutmenschen“ diskutieren? Jemand, der Merkels Politik gut findet, hat doch nicht alle Latten am Zaun. Jemand, der den privaten „Flüchtlings“-Aktivismus unterstützt, ist doch von Haus aus bescheuert – nein, das ist er nicht. Oder wieso soll man mit rechten Hetzern reden? Jemand, der AfD wählt, ist doch ein Nazi – nein, auch das muss er nicht sein.

Natürlich: Um seinen geistigen Wohlbefinden gerecht zu werden, schützt man sich, so gut es geht, vor allzu hartnäckigen „falschen“ Meinungen. Wir konsumieren oft nur Artikel und folgen in den sozialen Medien nur jenen, die unsere Weltsicht bestätigen. Sich mit der anderen Seite auseinanderzusetzen, ist anstrengend, viel einfacher ist es, „Kommunist!“, „linker Gutmensch!“ oder „rechter Hetzer!“ zu quieken – oder bei Twitter gleich zu blocken. Auch Journalisten blocken sich dort gegenseitig, sogar öffentlich-rechtliche Medienanstalten blockieren aufmüpfige Follower (wobei es zwischen Blocken und grosser Twitter-Liebe ja durchaus Abstufungen gäbe, wie etwa simples Ignorieren oder die Funktion „Stummschalten“. Blocken jedoch lässt keinen Spielraum für Zwischentöne zu).

Wider moralische Selbstgewissheit
Gesucht: Stimmen der Vernunft
Wer die sozialen Medien, mehr oder weniger das Abbild der Gesellschaft, ein bisschen verfolgt, der kann beobachten, wie sich die Gesellschaft in politischen Fragen ungefähr in zwei Lager teilt: In Gut und Böse, je nach Blickwinkel, wo man politisch steht. Diese Lager, die sich nicht wahnsinnig sachlich gesonnen sind und beide um die Deutungshoheit ringen, haben, so scheints, überhaupt keine geistigen Schnittmengen mehr. Reizthemen wie Mesut Özil, Flüchtlinge oder Klimaerwärmung – sie sind zu unüberwindbaren gesellschaftlichen Barrieren geworden. Dabei ist es gar nicht immer so, dass die beiden Lager nicht dasselbe Ziel hätten. Oftmals haben sie das gleiche Ziel, nur ist ihr Weg dahin ein völlig anderer. Mit der Folge, dass man das Ziel des anderen dann grundsätzlich ablehnt.

Statt uns einzulassen mit doofen Meinungen doofer Menschen, sperren wir sie lieber aus, verschanzen wir uns in unserer kleinen Meinungsnische, der Filter Bubble. Dort haben wir uns ein behagliches Örtchen unter Gleichgesinnten erschaffen. Fremde Einflüsse können unser Weltbild hier nicht zum Kippen bringen. Und so werden fremde Gedanken in die ewige Verdammnis entsandt, bevor sie überhaupt gründlich durchdacht werden können. Das Resultat: Die Gesellschaft hat immer mehr Mühe, mit verschiedenen Meinungen umzugehen.

Und wenn man dann einmal etwas anderes liest, ist man in höchstem Grade schockiert – wie etwa bei dem umstrittenen Essay einer Zeit-Redaktorin, den ich im letzten Beitrag erwähnte. Gerade an dem Beispiel konnte man ja wunderbar beobachten, wie oftmals gar nicht auf das Argument eingegangen wurde, stattdessen argumentierte man gegen etwas, das die Person nie gesagt hat – oder wenn, dann in einem völlig anderen Kontext.

Dass die Filter Bubble zwar innerhalb der Gruppe verbindet, die Gesellschaft aber in zwei Lager spaltet, bestätigt auch der US-Autor und Politologe Eli Pariser in seinem Buch „Filter Bubble“. Darin warnt er davor, dass wir uns in unserer Filterblase vom Rest der Welt abschotten, auch von neuen Ideen und Informationen. Das habe eine Verengung der Weltsicht zur Folge, die gefährlich sei für die Gesellschaft, da es den Diskurs erschwere.

Ich gestehe, ich bin da teilweise nicht besser. Wenn in Leserkommentaren meine Ansichten bestätigt werden, gefällt mir das ungemein. Umgekehrt beschleicht mich manchmal fast eine heimliche kleine Freude, wenn ein Autor in seinem Text meine Weltanschauung teilt. Als liberal gesinnter Mensch versuche ich aber, zumindest offen zu sein für andere Meinungen, versuche, das Motiv dahinter zu verstehen. Sei es bei Social Media oder bei Zeitungsartikeln, ich bemühe mich, Ansichten aus dem gesamten politischen Spektrum zu lesen – auch wenn ich mich dabei teilweise fürchterlich aufrege oder es meine Vorurteile bestätigt.

Interview
Egon Flaig: Über die Toleranz
Leider kann das Bemühen, auch seine Followerschaft zu öffnen für andere Ansichten, zünftig in die Hose gehen, wie ein aktuelles Beispiel aus den USA zeigt. Schauspieler Mark Duplass („Zero Dark Thirty“) hatte seiner Twitter-Fangemeinde, für einen Hollywoodler fast schon todesmutig, den meinungsstarken konservativen Journalisten Ben Shapiro zum Folgen empfohlen: „Wenn ihr interessiert daran seid, den Gang zu überqueren, empfehle ich euch Ben Shapiro. Ich stimme mit ihm nicht in vielem überein, aber er ist eine ehrliche Person, er beugt die Wahrheit nicht. Seine Absichten sind gut.“ Der Tweet war sozial nicht sehr ergiebig. Gelinde gesagt. Der Shitstorm des getriggerten Internet-Mobs war so heftig, dass Duplass den Tweet löschte und sich entschuldigte – ein Impuls, den er besser unterdrückt hätte, denn etwas Gutes über einen politischen Gegner zu sagen, beweist Toleranz und Großmütigkeit.

In den USA zeigt sich die Spaltung der Gesellschaft besonders deutlich, Liberale und Konservative haben zu den meisten zentralen Themen eine 180 Grad entgegengesetzte Meinung. So ganz anders ist es bei uns ja nicht. Darum braucht es mehr starke Persönlichkeiten, die nicht einknicken bei Gegenwind. Natürlich ist das einfach gesagt; bei 1.000 bösen Tweets, Morddrohungen oder Firmen, die sich von einem distanzieren, zieht man sich lieber zurück. Aber das Aushalten ist so unheimlich wichtig für unsere Meinungsfreiheit.

Nach dem Shapiro-Schema sollte es nicht ablaufen. Und selbstverständlich kann man nicht immer objektiv sein. Aufeinander zugehen heisst auch nicht, seine eigenen Positionen aufzugeben. Aber neue Impulse aufzunehmen, fremde Ideen ein bisschen open minded und pragmatisch anzugehen, das ist nicht so unvernünftig. Man muss nicht alles gut finden, um vor jemandem Respekt zu haben.

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Kommentare ( 73 )

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djings
6 Jahre her

als hätte es nicht auch früher schon zeiten gegeben, wo der sommer eben aus mehreren wochen bestand, wo hitze herrschte und es nur wenig geregnet hat. ich bin in einer landwirtschaft aufgewachsen. damals wurde sehr darauf geachtet, dass die böden nicht über gebühr beansprucht wurden. sondern dass ausgeklügelte anpflanzungen dafür sorgten, dass erholungszeiten für die felder möglich waren. ich möcht nicht wissen, was durch die monokulturen alles kaputt geht. dass solche dürrewochen dort mehr schädigen, ist ja wohl klar.

djings
6 Jahre her

tja, die filterblase… wenn man seinen nachkommen gern ein land hinterlassen würde, in dem diese auch gerne leben werden, ist es nicht so einfach, in ruhe denen zuzuhören, die dafür sind, weiterhin offene grenzen zu bieten…

Wolfgang M
6 Jahre her

Man sollte dem Gegenlager nicht nur zuhören, man sollte deren Meinung auch anhören und man sollte Goodwill unterstellen. Es gibt zu strittigen Punkten verschiedene Meinungen. Darüber darf und muss man streiten. Man darf dabei nur nicht persönlich werden. Wer anderer Meinung ist, ist kein schlechter Mensch. Man muss die freie Meinung des anderen akzeptieren, wenn man ihn nicht überzeugen kann. Manchmal gelingt es sogar auf über die Zeit, den anderen zu überzeugen. Manchmal auch umgekehrt.

Eberhard
6 Jahre her

Die Filterblasen haben Politiker und ihre die Medien aufgebaut und jede neue Technik gestaltet sie noch intensiver. Solange Medien nicht annähernd neutral und realistisch, sondern irgendwelchen Geldgebern verpflichtet, wird das auch so bleiben. Misstrauen wird geweckt, wenn Themen öffentlich von Gruppierungen von vornherein von Diskussionen ausgeschlossen und mit Tabus belegt werden. Schlimmer noch, wenn sofort persönlich diffamiert und längst vergangen geglaubte Schubladen dazu benutzt werden. Nur die wenigsten heute haben noch einen echten Nazi, Rassisten usw. kennen gelernt. Allein schon die Anwendung des Wortes Rassist für alles was Auseinandersetzung und eventuelle Kritik an Religionen, Kulturkreis oder fremde Gesellschaftsformen betrifft, zeigt… Mehr

Indigoartshop
6 Jahre her

Das Gegenteil von Gut ist bekannterweise nicht schlecht oder böse, sondern gut gemeint. Ein solcher Ansatz ist zweifellos der Versuch, sich mit der Gegenseite – hier rotgrünes Gelichter – auseinanderzusetzen. Das Leben ist kein Kindergeburtstag.

Wie reagierte noch Al Pacino in „Heat“ auf die vage Aussage eines Informanten – : „don’t waste my motherf***ing time.

Ute Iwan
6 Jahre her

Erstens können oder wollen nur die Wenigsten Streitbarkeit und Streitsucht unabhängig voneinander wahrnehmen und zweitens geht das Gros davon aus, dass es bei Meinungsverschiedenheiten/Debatten immer um das Gewinnen oder Verlieren geht.

Nur geht es heute hinsichtlich der Politik nicht mehr um die besseren Argumente und die gebotene Sachlichkeit, sondern es gleitet unaufhaltsam immer wieder vorrangig auf die Gefühlsebene ab. Der Bundestag liefert hier recht anschauliche Beispiele.

Hätten wir mehr vernunftbegabte Mitmenschen, ließe sich vortrefflich auch über die Grautöne dikutieren, es gibt nämlich nicht nur schwarz und weiß und auch nicht nur gut oder böse.

Andrea Dickerson
6 Jahre her

Bei gesellschaftlichen Problemen, und hier operiert Shapiro ja zu meist, können Linke und Progressive ihm in der Debatte kaum beikommen, weil der Junge Zahlen und Fakten im Kopf hat wie kein anderer, und sie im entscheidenden Moment sofort abrufen kann. In so fern ist es verständlich, daß diese Gruppe sich erst einmal mit seinen Argumenten befassen muß, ohne direkt mit ihm konfrontiert zu werden. Es handelt sich hier eigentlich nicht um einen Ausbruch aus Filterblasen, sondern um, wie Grass das nannte, Besetzung von Themen. Ideologie tut sich schwer mit Pragmatismus oder überhaupt freiem Denken.

paul z
6 Jahre her

Naja, der Hauptgrund, warum ich mich als eher links gedrehte Socke hier angemeldet habe ist eben, dass ich meinen Horizont erweitern will. Es ist doch egal, wer welche Ansichten hat, das Wichtigste ist doch, möglichst viele zu versammeln: Die Menschen haben alle zwei Augen im Kopf und ein Hirn, jeder kann sein Puzzlestück zum Panoramabild hinzufügen, je mehr unterschiedliche Kameraperspektiven, desto besser. Deswegen nervt es mich auch, dass mir hier gleich die Hälfte der Kommentare gesperrt wurde – genau deswegen bin ich vom Spiegel weg. Klar, sie haben hier ideologisch absolut nicht reingepasst – aber Ideologie, das sind einige gute… Mehr

djings
6 Jahre her
Antworten an  paul z

welche ideologie meinen Sie jetzt?

Bernhard F.
6 Jahre her

„In einer echten Debatte würde ich alle diese Leute in Minuten intellektuell / analytisch niederringen. Alle.“ Genau das wage ich zu bezweifeln. Meiner Erfahrung nach unterliegt in der Debatte Fakt gegen Bauch regelmäßig der Fakt. Die Fraktion Fakt kommt irgendwann ans Ende der Diskussion. Dann nämlich, wenn alle Fakten genannt sind und zum Abgleich auf dem Tisch liegen. Die Fraktion Bauch fängt dann erst an: „Ja, aber trotzdem“. Stellen Sie sich vor, Sie befänden sich in der Diskussion 200 Jahr zuvor. Es geht um den Einsatz von Schienenfahrzeugen zum Massentransport. Da gab es die Fraktion „das geht gar nicht, weil… Mehr

wolleus
6 Jahre her

Sehr geehrte Frau Wernli, wer fing denn mit der politischen Korrekheit und Nazi-Keule an, welche die Filterblase induzierte? Die Ohrfeige einer Beate Klarsfeld, die sie 1968 Kurt-Georg Kiesinger wegen dessen Nazivergangenheit gab, habe ich damals als Gymnasiast nicht verstanden. Heute schon. Aber was jetzt im 21. Jahrhundert abgeht, übertrifft das alles. Zuerst wird mit politischer Korrektheit der Rechtsstaat in einen Moralstaat gewandelt, dann nimmt man wieder die Sprache um andere zu diffamieren und denunzieren, also mundtot machen zu wollen. Jeder mit einer anderen Meinung als die des linke Mainstream ist hassender Rassist, Ausländerfeind oder Phobiker vor einem gewalttätigen, faschistoiden Ideologie… Mehr

djings
6 Jahre her
Antworten an  wolleus

diejenigen, welche wollen, dass die grundgesetze eingehalten werden, sind für viele schon „nazis“ – ohne jemals einen solchen kennengelernt zu haben…