Fußball-WM: Die wollen nur spielen

Alles Fußball! Alles? Nein, die Causa Gündogan und Özil überdauert die beginnende Fußballweltmeisterschaft. Der Begriff „Integration“ hat seine Unschuld verloren, aber der DFB hat es nicht gemerkt und fällt vor allem durch schlechten Stil auf.

© Patrik Stollarz/AFP/Getty Images

Und nun also Fußball. In allen Köpfen, auf allen Kanälen, in allen Gazetten, auf allen Plätzen. Wollen wir nicht heucheln, auch die größten Verweigerer werden aus den Augenwinkeln hinschauen, auf den „au-schon“-Jogi und seine Truppe, auf den Gastgeber, der keinen Spaß versteht – und auf diesen legetimen, weil ebenso unanständigen Nachfolger des geldgierigen Sepp Blatter, FIFA-Chef Gianni Infantino.

Doch schlechter Stil ist nicht allein Sache der Balltreter-Funktionäre: Fußball-Weltmeisterschaften sind immer auch die große Versuchung für die Politik, im Schatten des Balles Dinge zu vollziehen, die niemand merken soll, Gesetze während Deutschland-Spielen durchzupeitschen oder eben abzulehnen. Es regiert sich gut durch, wenn das Bürgervolk vor der WM-Glotze sitzt. Während der WM 2006 war es die Erhöhung der Mehrwertsteuer, 2010 zu Zeiten der WM in Südafrika stieg der Beitragssatz für die gesetzlichen Krankenkassen von 14,9 Prozent auf 15,5. 2014 die Pkw-Maut und der Ökostrom. In diesem Jahr wird’s richtig klebrig und das schlechte Benehmen offenkundig: die Selbstbediener der großen Koalition füllen die Taschen ihrer Parteien, einen Tag nach Start der Fußball-WM wollen sie am Freitag beschließen, dass die Parteien in diesem Jahr bis zu 25 Millionen Euro mehr Steuergeld erhalten, jeweils acht Millionen mehr für CDU und SPD. Ein Liebesdienst der CDU für die nach zahllosen Sonderparteitagen abgebrannten Sozen. Ist es nicht allerliebst?

Aus dem Spiel so oder so
Özil, Gündogan und Erdogan: DFB muss Doppelpassspiel jetzt beenden
So weit, so bekannt und so abstoßend. Doch in diesem Jahr war etwas anders, ist etwas gesellschaftspolitisch Schiefes hängen geblieben, dass auch die Weltmeisterschaft überdauern wird. Der Auftritt der beiden deutsch-türkischen Spieler Gündogan und Özil mit dem Bosporus-Diktator Erdogan hat plötzlich die nationale Identifikation mit der Mannschaft ins Rutschen gebracht. Die Nation ist verwirrt: die Integration Zugewanderter ins deutsche Trikot hat sie gebilligt, die offene Parteinahme für einen Verweigerer von Recht und Demokratie aber nicht. Spielen die nur für uns oder gehören die auch zu uns? Stehen sie auf unserer Seite oder nur auf der Seite des Mammons und der vordemokratischen Heimat ihrer Väter?

Plötzlich gellten Pfiffe und sie werden die deutschen Spiele in Russland vermutlich begleiten. Es hat sich etwas verändert seit 2015 in diesem Land. Diese Gesellschaft nimmt seismographischer als vor der „Flüchtlingskrise” falsche Signale wahr, sie will keine Camouflage mehr, sie will Ehrlichkeit. Der Begriff Integration hat seine Unschuld verloren: wenn schon, denn schon! Wenn schon Nationalmannschaft, dann Bekenntnis zur Nation, für einen Kicker möglichst mit textsicherem Absingen der Hymne.

Die unfassbar peinliche Krisenbewältigung des Deutschen Fußball-Bundes zeigt bis heute, dass diese Veränderungen noch keineswegs überall angekommen sind. Mit einer unsäglichen Arroganz von oben herab, per Ordre de Mufti wollten die Verbandsfunktionäre Ruhe im Karton, „so schlimm ist das doch nun auch wieder nicht, jetzt muss es auch mal gut sein, lasst die Jungs jetzt spielen und fertig etc.“ scholl es aus den Reihen des DFB. Und natürlich springt die Kanzlerin ihrem Sport-Lieblingsverband öffentlich-rechtlich sogleich bei.

Die wollen nur spielen! Der DFB verhält sich ebenso abgehoben und kalt wie es die Politik mit den Regungen des Nationalgefühls in der Gesellschaft auch gehalten hat. Wer jetzt national ist, wer die Segnungen der Integration in Zweifel zieht, ist „rechts“. Was für ein grottiger Stil!

Österreich - Deutschland 2:1
Özil und Gündogan ausgepfiffen
Ganze Stadien, die pfeifen, rechts? Der schlichte Herr Grindel, seines Zeichens Präsident des hundserbärmlich geführten Fußball-Verbandes, dessen stets gravitätischer Auftritt in einem bedauerlichen Verhältnis zu seinem intellektuellen Output steht, besann sich als ehemaliger CDU-MdB wohl des Gebarens seiner Kanzlerin. „Was stellt Ihr Euch so an? Es ist doch nichts passiert. Ich sag, wann’s genug ist. Genug!“ Tja, wer nichts dabei findet, Brot und Spiele des einen Diktators zu huldigen, dem sind auch arrangierte Fotos mit dem anderen Diktator nichts Fremdes. Die Volksseele wird mit einem hastigen Treffen der beiden Kicker beim „richtigen“ Präsidenten beruhigt und jetzt „is a Ruh“!

Ist es nicht. Wer sich einen unpolitischen Sport wünscht, möge sich zurückbeamen lassen in die Sechziger und Siebziger. Hier und heute herrscht ein anderes Bewusstsein, eben kein Nationalistisches, wie sich die „Pfeifer“ gleich von den üblichen Verdächtigen vorhalten lassen mussten. Aber sehr wohl ein Nationales, zu dem sich Integrierte nicht nur bekennen sollen, wenn‘s Pokale und Bimbes gibt.

Wenn also Herr Grindel doch noch irgendetwas verstanden hat und wenigstens noch irgendetwas retten will, dann lässt er die beiden Herren jetzt die deutsche Nationalhymne lernen. Und wer nicht will, bekommt auch etwas: ein Rückflugticket für den gleichen Tag!

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Kommentare ( 79 )

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Anton Weigl
6 Jahre her

Echt jetzt.
Bei mir heißt das: Nicht rasieren.

ttomic
6 Jahre her

Bin selbst, jemand mit dem sogenannten Migrationshintergrund (einem europäischen), und schüttele nur mit dem Kopf und lache nur über Deutschland in diesen Tagen. Deutschland wird immer mehr zu Lachnummer, zu der Karikatur eines Staates. Deutschland schafft sich ab, und zwar in jeder Hinsicht, auch jetzt bei der Fußballnationalmannschaft. Der sofortige Rausschmiss der beiden, Özil und Gündogan aus der deutschen Nationalmannschaft, wäre die einzig richtige Konsequenz gewesen. Punkt. Aus. Denn, mit dem inszenierten Treffen mit Erdogan, haben sich die beiden als Nichtdeutsche geoutet, haben die beiden selbst gezeigt, dass sie dazu nicht gehören, bzw. nicht gehören wollen. Keiner von den (Bio)-Deutschen,… Mehr

Ursula Schneider
6 Jahre her

… und Eintracht Frankfurt will keine AfD-Wähler im Verein. Passt doch!

Rainer66
6 Jahre her

In der Diskussion um diesen Vorfall geht völlig unter, dass die Meinungsfreiheit offenbar keinen Wert mehr darstellt. Selbstverständlich können die türkischstämmigen Fußballer Erdogan gut finden, das ist ihr gutes Recht, und diese Ansicht wird wohl auch von der Mehrzahl der in Deutschland lebenden Türkischstämmigen geteilt, von der Mehrzahl der Deutschen eher nicht. Genausogut könnte jemand Trump schätzen oder der AFD angehören, aber was nach einem solchen Bekenntnis passieren würde, mag ich mir nicht vorstellen. Was wirklich peinlich ist, sind die hilflosen Versuche, die beiden Fußballer im Lager der „guten“ Deutschen zu verorten. Der Besuch beim Bundespräsidenten, Ergebenheitsadressen, diverse lächerliche Kommentare… Mehr

reiner
6 Jahre her

Ehrlich gesagt,habe ich immer weniger Bezug zu den überbezahlten Balltretern.
Mir vergeht ,wenn ich die Nachrichten sehe und höre fast alles.
Gibt es eigentlich irgendwas,was nicht ein Tag später in der Presse verrissen wird?
Würde gerne Mal positiv durchs Leben gehen,schaffe ich nicht mehr trotz sicherem Job.

Hajo
6 Jahre her

Das hat doch schon lange nichts mehr mit sportlichem Ergeiz wie einst in Griechenland zu tun, wo sich tapfere Recken gegenseitig messen wollten, auch zur Erbauung der Zuschauer, denn ohne Publikum macht es eben weniger spaß, was aber heute abläuft ist weit weg vom damaligen Grundgedanken und hier spielen nur noch Kapitalinteressen eine Rolle und die persönliche Überzeugung und Einsatz ist die herrlichste Nebensache der Welt und deshalb ist Fußball und die olympischen Spiele fast pervertiert und das tollste daran ist die Weltanschuung der Zuschauer, denen anscheinend alles egal ist und das hängt auch mit der Geisteshaltung der Leute zusammen,… Mehr

Sonni
6 Jahre her

Die Konfrontation mit der Wirklichkeit ist nirgends dort so hautnah wie beim Fußball. Also pfeift weiter und zwar so laut, wie ihr könnt. Morde, Vergewaltigungen, Messerstechereien, Betrug und Einbrüche – all das kann man herunterspielen und unterdrücken, mundtot machen. Aber ein ganzes Fußballstadion mit Menschen, weltweit übertragen, dass schaffen sie (noch) nicht. Ich erwarte voll Pessimismus den Tag, wo solche Spiele um einige Minuten zeitversetzt ausgestrahlt werden, um sie der gewünschten Politikrichtung per Schnitt anpassen zu können. Und was die Sauereien betrifft, die während des vor-der-Glotze-Sitzens beschlossen werden: Anscheinend scheint das keinen zu interessieren. Denn ein Geheimnis ist das schon… Mehr

Jedediah
6 Jahre her
Antworten an  Sonni

Die Masse ist nicht von Grund auf dumm, aber inkompetent politische Winkelzüge zu durchschauen. Genau diese Erkenntnis machen sich ja die Propagandamedien Tag für Tag zu nutze.

Armin Reichert
6 Jahre her

Wenn ich schon dieses „Rassismus“-Gestammel von Jerome Boateng in seiner Bierwerbung höre, dann weiß ich, dass ich mir nicht eine Sekunde dieser „Mannschaft“ anschauen werde. Und von den beiden Erdogan-Jungen, die ihrem Führer untertänigst gehuldigt haben, ganz zu schweigen.

Abendroete
6 Jahre her

Dem wäre noch hinzuzufügen: Wo sitzen die Saudis überall in DE? Daimler wäre z.B. zubenennen. Und wo noch überall? Tatsache ist: Sie werden eingeladen, denn Geld stinkt bekanntlich nicht. Tatsache ist aber auch, dass die Saudis in DE ganze Ländereien aufkaufen. DE ist ein wunderschönes Land mit Berge, Seen, grüne Landschaften und Mee(h)r. Außer Wüste, was gibt es sonst bei den Saudis? Genauso verhält es sich in Ex-Jugoslawien. Hier wurden von den Saudis ebenso ganze Küstenabschnitte aufgekauft. Früher nannte man Landbesitznahme KRIEG. Heute ist dies ein stiller und leiser Krieg.Das Puzzle vervollständigt sich, warum die Saudis keinen einzigen Syrer aufgenommen… Mehr

Skadi
6 Jahre her

Ich habe in diesem Jahr kein Interesse, DER „Mannschaft“ die Daumen zu halten. Ich könnte mir sogar vorstellen, dass auch das den Oberen und vor allem Erdo wieder in die Hände spielt. Ein nicht zusammenstehendes Volk ist schwach und kann leicht besiegt werden.
Die beiden Türken da oben auf dem Bild sagen mit ihrer Körper- und vor allem Armhaltung schon alles. Da müssen nicht mal Schuhe fliegen.