Angela Merkel irrt disruptiv

Wenn man Innovation staatlich erfinden und verwirklichen könnte, wäre die Sowjetunion nie auseinandergebrochen und die DDR nie untergegangen.

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Angela Merkel hat das Thema Digitalisierung neu für sich entdeckt. Schon auf dem Weltwirtschaftsgipfel Anfang des Jahres in Davos sprach sie von einer „Sozialen Marktwirtschaft 4.0“, denn, so die Kanzlerin: „disruptive technische Veränderungen verändern auch unsere Gesellschaft disruptiv.“ Diesen Gedanken hat sie jetzt in ihrem Interview in der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung als Antwort auf die EU-Vision von Emmanuel Macron nochmals unterstrichen und auf die deutsch-französische Initiative für disruptive Innovationen hingewiesen, „also solche Innovationen, die bisherige Technologien ersetzen oder verdrängen und ganz neue Geschäftsmodelle schaffen“, wie sie betont.

Freilich unterliegt die Kanzlerin einem Irrglauben. Dem Irrglauben, die französische oder deutsche Regierung, oder gar die EU-Kommission wüssten, welche künftigen Innovationen bisherige Technologien ersetzen oder verdrängen werden. Wenn man Innovation staatlich erfinden könnte, wäre die Sowjetunion nie auseinandergebrochen und die DDR wohl auch nie untergegangen. Gerade diese Systeme sind ja davon ausgegangen, dass ihr staatlich gelenktes Vorgehen besser funktioniert als der Ideenreichtum der Vielen. Doch hier ist die Kanzlerin nicht ganz alleine. Viele Landesregierungen glauben, sie könnten Innovationen fördern und entwickeln. Die Folge sind meist teure Mitnahmeeffekte für Maßnahmen, die so oder ähnlich eh stattgefunden hätten, und im schlimmsten Fall Fördermittel-Vernichtung in Innovations-Sackgassen.

Doch viel interessanter ist eigentlich die Grundthese Merkels. Stimmt es überhaupt, dass „disruptive technische Veränderungen auch unsere Gesellschaft disruptiv verändern“? Ich meine: Nein! Neue Technologien kommen nicht über Nacht. Sie ersetzen Bestehendes nicht von heute auf morgen. Es gibt hier kein Schwarz oder Weiß. Die Blockchain wird vielfach als eine disruptive Innovation bezeichnet. Doch ist sie wirklich disruptiv? Also unterbricht sie Bisheriges und stellt es damit auf den Kopf. Nein, die Anwendung der Blockchain ist mindestens 10 Jahre alt und ist mit der Entwicklung der Kryptowährung Bitcoin populär geworden. Inzwischen gibt es zahlreiche Kryptowährungen und Anwendungsversuche, die aber das Wirtschaftsgeschehen bislang nicht disruptiv verändert haben. So ist es mit vielen Innovationen. Sie entwickeln sich nicht disruptiv, sondern evolutionär. Die Anwendungen werden erst von Wenigen genutzt. Bewähren sie sich, dann springen weitere auf und in einem Prozess von Versuch und Irrtum entwickelt sich über einen längeren Zeitpunkt eine neue Technologie, die die alte verschwinden lässt.

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Anders als es die Kanzlerin meint, gibt es jedoch tatsächlich disruptive Prozesse in einer Gesellschaft. Sie kommen allerdings nicht aus der Wirtschaft oder von den Universitäten, sondern aus der Politik. Nur sie ist disruptiv. Der Angriff der USA auf den Irak war disruptiv. Er hat den Nahen Osten in ein bis heute anhaltendes Chaos gestürzt. Die Folgen für die gesamte Welt sind fatal. Auch die Brexit-Entscheidung ist für die Bürger Großbritanniens und der EU disruptiv. Der Austritt wird zwangsläufig persönliche oder zumindest ökonomische Folgen auf beiden Seiten haben, deren Ausgang heute nicht klar ist. Auch die Entscheidung Angela Merkels, im Herbst 2015 die Migranten und Flüchtlinge an der ungarischen Außengrenze der EU nach Deutschland durchreisen zu lassen, war ein disruptives Ereignis, das Folgen für alle Menschen in Deutschland hat, ob sie es wollen oder nicht. Die jüngste Entscheidung Donald Trumps, Strafzölle auf Aluminium- und Stahlprodukte zu erheben, ist ein disruptives Ereignis. Es verändert plötzlich den Handel zwischen Menschen in den USA und der EU. Und auch die Antwort der EU darauf ist disruptiv. Wer Harley Davidson-Motorräder oder amerikanischen Whisky in der EU vertreibt, kann ein Lied davon singen. Er wird von heute auf morgen in seiner Existenz bedroht.

Lassen wir uns nicht Angst machen vor evolutorischen Veränderungen durch technischen Fortschritt. Dieser erleichtert meist unser aller Leben. Beschäftigen wir uns lieber mit der Unberechenbarkeit der Politik. Deren Macht zu bändigen, wäre aller Mühe wert, weil deren Entscheidungen, die teilweise über Nacht getroffen werden, unsere Freiheit plötzlich und unmittelbar einschränken oder sogar zerstören. Daher hilft es, die Worte des britischen Liberalen Lord Acton aus dem 19. Jahrhundert zu vergegenwärtigen: „Geschichte ist kein von unschuldigen Händen gewebtes Netz. Unter allen Ursachen, die Menschen abwerten und demoralisieren, gehört Macht zu den beständigsten und lebendigsten.“

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Kommentare ( 49 )

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benali
6 Jahre her

Neuland Internet…
Herr Schäffler, 2013 war das Internet noch Neuland für Angelika Merkel. Ihre politischen Fehlleistungen haben belegt, dass AM wenig lernfähig zu sein scheint. Deshalb glaube ich auch, dass Sie völlig falsch liegen, wenn Sie ausführen „Angelika Merkel hat das Thema Digitalisierung neu für sich entdeckt“.

Der Satz müsste wohl eher lauten „Angelika Merkel hat das Wort Digitalisierung neu für sich entdeckt“.

Dr. Friedrich Walter
6 Jahre her

Ich hoffe, daß es möglichst bald zu einer „disruptiven Veränderung“ im Kanzleramt kommt. Diese Frau ist nicht mehr zu ertragen.

Karl Friedrich
6 Jahre her

man sollte der Kanzlerin mal erklären , dass der Mensch ein analoges Wesen ist
und bis zum Ende seiner Tage auch bleiben wird .
Eine andere Sache ist die Digitalisierung der Technik derer wir uns bedienen !

Karl Heinz Muttersohn
6 Jahre her

Na da kann ja wirklich nichts mehr schief gehen. Wenn Mutti ihre geballte Kompetenz, Intelligenz und Weitsicht in die Waagschale wirft, werden wir uns vor Innovationen kaum noch retten können. Das wird so ähnlich, wie mit dem Zuzug hochqualifizierter Fachkräfte aus islamischen Staaten: Ein grandioser Erfolg, wenn auch ein paar Messerstecher dabei sind.

Luisa Nemeth
6 Jahre her

„A ngela D orothea M erkel – die Disruptive“. Eine Persönlichkeit, der kulturelle Werte fremd sind und alles in Jahrhunderten Bewährte auf den Kopf stellt. Möglichst digital, modern, unverständlich. Die gerne ein sprachgewandtes Fremdsprachen-Lexikon sein möchte, weil ihr die deutsche Sprache zu einfach und deren Tugenden ihr fremd sind. Kurzum – eine Regentin, die alles demokratische abschaffen möchte. Am liebsten alles zerstört, um der Nachwelt ein anonymes NICHTS zu hinterlassen. Ohne mich auszukennen, vermute ich mal, dass sie dementsprechende Vorbilder hat und sich in deren Gedenken als „Rachegöttin“ gerne auch von kapitalistischen „Rache-Eliten“ einspannen läßt. Lt. Duden: englisch disruptive = störend,… Mehr

Winni
6 Jahre her

Herr Schäffler, Hut ab. Eigentlich wollte ich ihre Beiträge nicht mehr lesen. Der ist richtig gut, alles auf den Punkt gebracht. Dachte die FDP wäre schon wieder am Ende. Jetzt noch den narzistischen Beau als Vize-Präsidenten des Bundestages entmachten und es könnte was werden mit mir als Wähler.

Thomas
6 Jahre her

Sie ist sehr besonnen.
Hab ich grad noch gelesen bzgl. der Volkskammer Fragestunde.

Nico Laus
6 Jahre her

Also, liebe Ingenieure, am Donnerstagnachmittag erfindet ihr etwas ganz Geniales – Befehl aus dem Kanzleramt! Das Alte habe ich schon abgeschafft – jetzt seid ihr dran, Eure Alternativlose und Unberührbare. (Sarkasmus off)

Fragen hilft
6 Jahre her
Antworten an  Nico Laus

Ich bitte um Entschuldigung, der Donnerstag ist rum und mein Patent ist immer noch nicht fertig. Ich arbeite die Nacht durch.

Hajo
6 Jahre her

An ihren Früchten kann man sie erkennen und man sollte nicht allzuviel hinein interpretieren was ihre geistigen Fähigkeiten anbelangt, aber in der Beurteilung scheint sie einen besonderen Typ darzustellen, vielleicht vergleichbar mit Kollegen und Vorgesetzten im täglichen Leben und da zeigen sich auch die Merkmale wie Bauernschläue, Arroganz, Rücksichtslosigkeit und Arglist und von anderen Attributen scheint nicht viel vorhanden zu sein, denn allein die Sozialisation scheint nicht die beste Voraussetzung zu sein um ein großes Land wie Deutschland zu führen und daß sich Kohl in dieser Entscheidung geistig verirrt hat, hat er noch in seinen Memoiren begründet, indem er ihr… Mehr

Luisa Nemeth
6 Jahre her
Antworten an  Hajo

Er soll auch gesagt haben „sie ist arm an Charakter“ – zu spät hat er sie durchschaut.

Fragen hilft
6 Jahre her
Antworten an  Luisa Nemeth

Helmut Kohl lange Zeit in den Sack zu stecken, ist ja auch ein Talent.

Fragen hilft
6 Jahre her
Antworten an  Hajo

Bitte stecken Sie die Bauernschläue nicht in das Umfeld von Arroganz,Rücksichtslosigkeit und Arglist. Die Bauernschläue beruht auf sorgfältiger Beobachtung des Lebens und beinhaltet Bodenständigkeit. Der Bauer bekommt auch sofort durch schlechte Ernten die Strafe für dämliches Handeln. Davon träume ich immer in Bezug auf Journalisten, Moderatoren. Ja es gibt auch redliche Journalisten und ich bin kein Bauer. Schönes Wochenende

Gabriele Kremmel
6 Jahre her

Nun, es ist ja doch ein Unterschied, ob eine sinnvolle Neuerung in Erscheinung tritt und das Alte ersetzt oder ob zuerst das Alte für obsolet erklärt und abgeschafft wird während man noch darauf hofft, dass sich eine machbare Neuerung schon finden würde.

Staatlich verordnet werden müssen nur untaugliche Neuerungen, die guten setzen sich nämlich von ganz alleine durch.

Absalon von Lund
6 Jahre her
Antworten an  Gabriele Kremmel

Beim Lesen fällt mir dazu ein selbst erlebtes Beispiel ein. Vor ca. 25 Jahren wollte ein amerikanischer Hersteller spezieller optischer Materialien eine alte Produktionslinie durch eine neue ersetze. Die alte wurde sorglos abgeschaltet, die neue brachten sie nicht zum Laufen.