Die Karawane zieht nicht weiter

Joachim Gauck besucht ein Übergangswohnheim für Asylbewerber und Angela Merkel ein Flüchtlingswohnheim. Zwei Welten treffen aufeinander: Audi A8 vs. Badelatschen.

© Timo Rödiger

Der Besuch einer dieser hoffnungslos überfüllten Asylbewerberaufnahmestellen gehört für Politiker heute zum Tagesgeschäft. Bestenfalls dokumentieren Gespräche vor laufenden Kameras mit Flüchtlingen, aber auch mit einheimischen Anwohnern, den guten Willen der Macht. Ein Tag im Leben des Politikers also. Oder die eine schnelle Stunde zwischendurch.

Beim Leserforum ist die Welt noch in Ordnung

Die örtliche Tageszeitung veranstaltet ein „Leserforum“ ausgerechnet in einer missionierenden freikirchlichen Gemeinde nahe der Landesaufnahmebehörde und siehe da: Alles ist gut. Und was nicht gut ist, ist eben tragischer Einzelfall, ein gesamtgesellschaftliches und kein spezifisches Problem. Diese eine Stunde Ortstermin im Leben des Politikers bleibt davon jedenfalls verschont.

So könnte man diese Stunde im Leben der 17-Jährigen S., Asylbewerberin aus Afrika, ignorieren. Aus Sorge, damit möglicherweise Stimmung zu machen. Negative Gefühle auszulösen. Dennoch verdient gerade das Einzelschicksal eine genauere Betrachtung. So liest sich ein Krankentransport-Bericht* zum Notfallgeschehen so:

  • „Pat. wurde im Waldgebiet in der Nähe der LAB (Autor: Landesaufnahmebehörde) von zwei männl. Personen sexuell genötigt; bei Eintreffen war Pat. sichtbar aufgelöst. (…) Erstdiagnose des Notarztes: „psychischer Ausnahmezustand nach sex. Übergriff.“ (* Unterlagen liegen dem Autor vor.)
  • Der Zustand des 20-jährigen Freundes der S. wurde so beschrieben: „Pat. hat seine Freundin begleitet, als diese im Wald von 2 Unbekannten Männern sexuell genötigt wurde. Bei Eintreffen Pat. leicht aufgeregt, soll lt. Aussagen von Zeugen vorher kurz synkopiert (Autor: ohnmächtig) sein (…) Erstdiagnose hier: „Kreislaufdisregulation + psych. Erregungszust.“

Besagte örtliche Zeitung weiß später, dass einer von den beiden Tätern (Schwarzafrikaner), inhaftiert wurde. Als der erste Polizist im Wald am Tatort eintraf, befand er sich in einem Funkloch und musste seine Kollegen mit einem Signalschuss aus seiner Dienstwaffe über seinen Standort informieren. Anwohner dachten zunächst, es sei ein Jäger unterwegs gewesen – denn es gibt Rotwild im Forst.

Ein Fall, der nicht berichtenswert ist

In einer etwa 40 Kilometer entfernten LAB wird in der gleichen Woche ein 17-jähriger männlicher Nordafrikaner bewusstlos und vergewaltigt in der Dusche aufgefunden. Die Zeitung berichtet nicht. Niemand berichtet. Nur ein Polizist gegenüber Bekannten. Berichtet er wahrheitsgemäß? Jedenfalls sind die Opfer in beiden Fällen Minderjährige. Alleinreisende? Gilt der 20-jährige Freund der 17-jährigen nach deutschem Gesetz als ausreichende Begleitung? Oder liegt hier im Zweifel eine Aufsichtspflichtverletzung der Behörden vor?

Engagierte Anwohner organisieren ein großes internationales Fest vor der LAB. Menschen der Siedlung kommen zu Kaffee und Kuchen, zu Spielen und Gegrilltem mit den Fremden zusammen. Ein großer Erfolg, bestätigen beide Seiten. Aktuell wird gerade eine Sprayergruppe gegründet, man will zunächst gemeinsam mit jungen Asylbewerbern ein überdimensionales „Welcome“-Schild gestalten. Die Einheimischen sind also zum Dialog mehr als bereit. Sie wollen, dass sich die Dinge zum Positiven hin wenden oder das, was bereits positiv ist, allen zugute kommt. Wer dagegen etwas zu sagen hat, der braucht gute Argumente oder eine ziemlich düstere Auffassung von menschlichem Zusammenleben. Nein, das Engagement dieser Leute ist aller Ehren wert.

Ohne Willkommenskultur geht es nicht

Der Vorort hat 4.000 Bewohner. Hinter dem nahen Waldstück leben jetzt fast noch einmal so viele, wo eigentlich nur maximal 650 vernünftig untergebracht werden können. Eine Sachverhalt, den man nicht schön reden kann. Nicht für die Menschen, die dort ankommen und etwas völlig anderes erträumt hatten. Ebenso wenig wie den Menschen, die schon da und bisher zufrieden sind, wie es ist. Der Leiter der Landesaufnahmebehörde hat für die örtliche Zeitung dann allerdings einen merkwürdige Erklärungsansatz zu den Schlägereien seiner Bewohner in und außerhalb seiner LAB: „Das ist dem natürlichen Sinn eines Menschen und einer entsprechenden Solidarisierung zu Gruppen mit den selben Einstellungen und Ansichten geschuldet.“

Zu einer Massenschlägerei unter Asylbewerbern mitten im Wohnviertel heißt es in einer gesonderten Stellungnahme der Rettungstransporter:

  • „Vor Ort herrscht zunächst ein ausgedehnter Tumult. Mehrere Personen (ca. 20) waren in eine Auseinandersetzung verwickelt. (…) Aufgrund der Situation vor Ort, versuchten wir uns auf dem dortigen ALDI-Parkplatz im hinteren Bereich in Sicherheit zu bringen, da wir auf unseren Eigenschutz primär Wert legten. Bei diesem Vorhaben beobachteten wir, wie mehrere Beteiligte Glasflaschen auf dem Boden zerschlugen. Um damit aufeinander loszugehen. Ein Beteiligter entwendete eine Steinplatte aus dem Gehweg und rannte damit hinter einer Person her. Diesen dabei in Wurfbereitschaft über dem Kopf. Während dieser Zeit flog eine Glasflasche (anscheinend gezielt) auf unseren RTW und beschädigte diesen an der Schiebetür rechts. Bis zum Eintreffen der Polizei verblieben wir dementsprechend im Fahrzeug.“
  • Behandelt wurde auch ein Zwanzigjähriger Asylbewerber aus Afrika: „Pat. wach + ansprechbar. Z.n. (Autor: Zustand nach) Massenschlägerei, stehend angetroffen. Schnitt und Platzwunden Schulter RE sowie Augenbraue LI. Spricht kein deutsch. Nur dürftig englisch. Keine genauen Infos möglich! (Schmerzen, CC, Tetanus etc.) Angriff wohl mit einer Bierflasche.“

Lustig wie auf dem Oktoberfest

Die Presse berichtet am Folgetag, die Polizei spreche von einem Wunder, dass bei dieser Massenschlägerei niemand getötet wurde. Auf Facebook werden die Vorfälle mit solchen auf dem Münchner Oktoberfest verglichen – und der absonderliche Vergleich wird binnen Stunden zweistellig geliked. Die Örtliche erhält anonyme Briefe angeblich direkt aus dem Polizeirevier und titelt daraufhin: „Hilferuf aus der Polizei: Wir sind am Ende!“

Ein auf die Schlägereien angesprochener Asylbewerber aus Afrika ist sich sicher, diese „Fights“ lägen daran, dass die Moslems in ihren Herkunftsländern keinen Alkohol trinken durften. Das würden sie jetzt hier alles nachholen. Aber die könnten nichts vertragen. Moslems wären nach einem Bier bereits völlig neben der Spur.

Eine Bürgerinitiative plant jetzt ein Begegnungszentrum auf der Strecke zwischen der LAB und den Einkaufsmärkten zu eröffnen. Ein weiteres Zeichen großen Engagements und bestes Zeichen der Bereitschaft, Dingen nicht ihren Lauf zu lassen, nicht nur zu debattieren und zu lamentieren, nicht zu verzweifeln oder sich in Wut zu verlieren, sondern für alle alles zu tun, was die Kräfte und Möglichkeiten zulassen. Also auch das aller Ehren wert und Spiegel einer Empathie, die wohl zum positivsten gehört, das deutsche Leitkultur heute anzubieten hat.

Der Straßenabschnitt, auf dem die Begegnungsstätte liegt, wird von Anwohnern auch „Die Karawane“ genannt. Das neue Zentrum in einem ehemaligen Kiosk soll Anlaufstelle sein, für die vielen offenen Fragen auf beiden Seiten.

Karawanserei im Büdchen

Nun kann ja die Idee einer Begegnungsstätte nie verkehrt sein. Komplizierter wird es leider, wenn sie direkt an Eigenheime grenzt. Die Zäune der besseren Baumarktqualität sind hier zwar mittlerweile übermannshoch, dennoch erfährt man von einem älteren Herrn mit Langhaardackel, dass von den ungefähr dreißig Häusern an der Karawanenroute angeblich nur zwei noch nicht ausgeraubt wurden. Man braucht jetzt nicht lange mutmaßen, wie die Anlieger auf die neue Einrichtung reagieren werden. Das dachten sich wohl auch die engagierten Initiatoren. Oder sie dachten dabei noch mehr an zureisende Nazis, jedenfalls verriet man bis vor kurzen nicht einmal den Standort, befürchtete man doch einen Brandanschlag schon vor der Eröffnung. 

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