Weil nach der Anzeige der antisemitischen Tat nichts passiert, wird sie immer öfter unterlassen

Im Stich gelassene Juden verstehen früher oder später, dass die Meldung von antisemitisch motivierten Angriffen sinnlos ist. Als Folge ziehen sie sich zurück und schweigen. So wird die Statistik durch die unsichtbare Hand der Handlungsunfähigkeit des Staates frisiert.

© Carsten Koall/Getty Images

Während des Jahres 2013 führte The European Union Agency for Fundamental Rights (FRA) in acht verschiedenen EU-Mitgliedstaaten (Belgien, Deutschland, Frankreich, Italien, Lettland, Schweden, Ungarn und dem Vereinigten Königreich ) eine Umfrage zum Thema Diskriminierung und Hasskriminalität gegen Juden durch. Das war die erste EU-Umfrage, die nicht das Ausmaß des Antisemitismus skizzieren wollte, sondern dessen Wahrnehmung durch seine Opfer. Zielgruppe der Umfrage war demnach nicht die Gesamtbevölkerung der oben genanten EU-Mitgliedstaaten (bzw. deren repräsentative Stichprobe), sondern die dort ansässigen Juden . Befragt wurden insgesamt 5.847 Personen. Alle waren 16 Jahre alt oder älter.

Mindestens ein Befund ist für die heutige Antisemitismus-Debatte in Deutschland von großer Relevanz, weil er uns Hinweise über die Dunkelziffer, nämlich die Anzahl von antisemitisch motivierten Vergehen, die in keine Statistik auftauchen, liefert.

Jüdische Resignation

Jüdinnen und Juden, die schon Mal Opfer eines antisemitisch motivierten Vergehens gewesen waren, stellten die FRA-Meinungsforscher folgende Frage: Haben Sie oder jemand anderes diesen Vorfall bei der Polizei oder bei einer anderen Organisation gemeldet? 64% derjenigen, die einer antisemitisch motivierten Gewalttat zum Opfer gefallen waren, haben berichtet, den Vorfall nicht gemeldet zu haben. In Bezug auf die Kategorie „Belästigung“ steigt die Anzahl der schweigenden Opfer und liegt bei 76% (!). Diese Tendenz zeigte sich – wenn auch einigermaßen moderater – bei der Meldung von antisemitisch motiviertem Vandalismus. 53% dieser Vorfälle wurden weder der Polizei noch einer anderen Organisation gemeldet. Schlimmer waren die Ergebnisse, wenn es um Diskriminierung ging. Aus denjenigen, die sich aus antisemitischen Gründen diskriminiert fühlten, haben 82% den Vorfall nicht gemeldet. Die Dunkelziffer der antisemitisch motivierten Kriminalität scheint somit gigantisch zu sein.

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Braunschweiger und Spiegel: Importierter Antisemitismus als Tabu
Die Forscher begnügten sich aber nicht damit. Sie wollten wissen, warum die jüdische Bevölkerung auf antisemitische Angriffe jeglicher Couleur mittlerweile total resigniert reagiert. Aus diesem Grund gingen sie einen Schritt weiter und stellten den Befragten, die schon mal eine antisemitisch motivierte Belästigung erlebt hatten, die Frage, warum sie den Vorfall bei der Polizei nicht meldeten. 47% der Befragten haben geantwortet, dass durch die Meldung der Vorfälle sowieso nichts geändert würde. 27% erwiderten ähnlich und zwar, dass „es sich nicht lohnt zu melden, weil es sowieso die ganze Zeit passiert“. Angst vor Rache oder Einschüchterung durch die Täter hingegen hat das passive Verhalten von nur 4% der Befragten erklärt .

Der Mechanismus läuft also wie folgt: Der Rechtsstaat versagt kolossal bei dem Schutz der jüdischen Bevölkerung. Der im Stich gelassene Jude versteht früher oder später, dass die Meldung von antisemitisch motivierten Angriffen sinnlos ist. Als Folge zieht er sich zurück und schweigt. So wird die Statistik durch die unsichtbare Hand der Handlungsunfähigkeit des Staates frisiert.

Schlimmer als jede gefälschte Statistik ist die kurzsichtige, die nicht neugierige Statistik. Sie zaubert ihre Zahlen und Daten nicht aus einem schwarzen Zylinderhut und deswegen werden diese oft als bare Münze genommen. Und tatsächlich verbreitet sie keine reine Unwahrheiten, sondern lediglich faule Wahrheiten. Eine solche faule Wahrheit findet man in der berühmten Feststellung der Berliner Polizei, laut deren Statistik aus den 1.453 gegen Juden gerichteten Straftaten im Jahr 2017, 1.377 auf das Konto rechtsextremer Kreise gehen. Wenn man ein Hakenkreuz oder einen Hitlergruß per se als Zeichen einer rechtsextremistisch motivierten Tat sieht, als würden diese beiden Symbole in der arabischen Presse nicht ständig benutzt, um Israel und Juden zu verteufeln und zu diffamieren, der ist nicht der Lüge zu bezichtigen, sondern lediglich der intellektuellen Faulheit. Das ist aber schlimm genug.


Dr. Eran Yardeni

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Kommentare ( 13 )

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Ralf Poehling
6 Jahre her

Wahre Worte. Permanente Nötigung führt zur Gewöhnung.
Die Feststellung, dass eine Anzeige wegen Nötigung zumeist eingestellt wird, zudem zur Resignation beim Volk und zum Verlust der Legitimation der Staates.
Ein Phänomen, was allerdings nicht nur das Judentum betrifft, sondern die gesamte angestammte Bevölkerung in Europa.
Die durch den massenhaften Import von Menschen aus archaischen Kulturen hervorgerufene Verrohung der gesellschaftlichen Sitten in Europa, führt zur Überlastung des Rechtsstaates und damit zu einem Degenerationsprozess der hiesigen Werte und folglich zur Destabilisierung der ganzen Gesellschaft.
Und so lange diejenigen, die das alles zu verantworten haben, keine persönlichen Konsequenzen ziehen, wird dies fortschreiten.

j.heller
6 Jahre her

„Aller Couleur“. Das musste wohl wieder sein.

giesemann
6 Jahre her

„Faule Wahrheiten“ oder Halbwahrheiten nennt man gerne „bullshit“. Lektüre: Harry G. Frankfurt: „Bullshit“. Dort eine gute Defnition von bullshit auf Deutsch und Englisch.

nachgefragt
6 Jahre her

Wie wäre es eigentlich mal mit einer repräsentativen Umfrage unter Bürgern jüdischen Glaubens, die den Glauben auch durch Symbole nach außen trugen, die mindestens 15 Jahre in Deutschland oder Schwerpunkt Berlin leben? Im Mittelpunkt könnten die Fragen stehen, wie oft und wann sie früher, im Laufe der Zeit und heute die Symbole (ge)tragen (haben) und wie oft es zu Übergriffen durch wen kam. So könnte man sozusagen eine negative Erfolgsquote ermitteln, was die Unsicherheit in Deutschland betrifft und die Anpassung an den Wandel – wenn es den gibt. Also, wenn man früher z.B. mit Kippa ausging, war die Wahrscheinlichkeit eines… Mehr

Snakebite
6 Jahre her
Antworten an  nachgefragt

Auf eine genau solche Umfrage kann ich leider nicht verweisen, aber es gibt eine Umfrage unter deutschen Juden, die besagt, das ca. 80% der körperlichen Übergriffe und ca. 60% der Beleidigungen mutmaßlich (hier können die Opfer ja nur mutmaßen (Aussehen, Sprache, Aussagen…), wenn die Täter nicht dingfest gemacht werden) von Muslimen begangen wurden/werden.
(Ich habe hierzu 2017 einen Artikel auf Fokusonline gelesen, leider ist diese Umfrage (oder Berichte über sie Umfrage) nur SEHR schwer über Google zu finden.)

Snakebite
6 Jahre her
Antworten an  nachgefragt

Hier habe ich einmal ein YouTubeVideo, in dem ab Minute 10 Umfragen unter deutschen Juden bezüglich des Taterkreises gemacht wurden:
https://youtu.be/5_vrG2JXQps
(Mit Quelle der Umfragen)
Gibt zwar keinen Aufschluss über einen möglichen Wandel in der Gesellschaft, aber die Zahlen sprechen eine eindeutige Sprache.

wolleus
6 Jahre her

Ich empfinde das Verhalten dieser Regierungen inzwischen nicht nur demütigend, daß sie in Millionenzahl vollkommen überflüssig jede Menge Juden- & Frauenhasser als Illegale ins Land lassen, diese nicht einmal registrieren können, dabei die Inländer, welche sich wehren dazu noch denunzieren und diffamieren. Der Gipfel ist aber, daß sie total unfähig sind und nur noch saudummes Geschwätz von sich geben, wenn es um die innere Sicherheit im Allgemeinen und um den Schutz der doch relativ wenigen Juden (ca. 150.000) in Deutschland im Besonderen in keiner Weise mehr gewähren können. Schleierhaft ist mir aber auch das Verhalten der Zentralrats der Juden, welcher… Mehr

giesemann
6 Jahre her
Antworten an  wolleus

Tja, bei Friedman sieht man sehr gut, dass Intelligenz nicht vor Dummheit schützt – jedenfalls nicht zuverlässig.

W aus der Diaspora
6 Jahre her

Sehr traurig – aber auch leider sehr wahr!

Robert Schmidt
6 Jahre her

Zerstoben ist der schöne Schein der Eliten mit ewig neuen Beteuerungen wie sehr man jetzt die Juden liebt und schützen will, vor allem natürlich vor dem bösen Volk, dem man bis heute nicht trauen kann. Ich habe selber einen jüdischen Grossonkel in der Familie gehabt und meine Sichtweise ist die, dass auch vor der Nazizeit, die große Mehrheit der Deutschen einen sehr zivilen Umgang mit den Juden hatte, eine Abstimmung, ob man sie umbringen soll, wäre nach meiner Vermutung selbstverständlich auch damals mit überwältigender Mehrheit abgelehnt worden. Der Wurm steckte damals wie heute bei relativ wenigen Leuten, die an den… Mehr

BOESMENSCH
6 Jahre her

Ich habe in mehr als sechs Jahrzehnten in meinem Umfeld persönlich keinerlei Antisemitismus erlebt – und ich habe weder Augen noch Ohren verschlossen.

Damit will ich nicht behaupten, dass es in Deutschland keinen Antisemitismus gibt, aber man sollte auch nicht jede Hakenkreuzschmiererei als politisches Statement werten.

T. Pohl
6 Jahre her

Wenn der Faschismus wiederkehrt, wird er nicht sagen: »Ich bin der Faschismus.« Nein, wer wird sagen: »Ich bin der Antifaschismus.«

Die „Nicht-Verfolgung“ scheint von höherer Stelle gewollt zu sein….. Leider!

nachgefragt
6 Jahre her

Das Phänomen ist allseits bekannt. Es gibt zahlreiche Länder, z.B. Südafrika, wo man (als Weißer) gerade noch in Gated Communities oder mit enormen Sicherheitsaufwand, wie Zäunen, Security, Video-Überwachung usw. leben kann, ohne ausgeraubt oder gar getötet zu werden. Niemand käme auf die Idee, dass es dort generell oder weitgehend noch sicher ist. In Deutschland installieren immer mehr Leute Video-Überwachung, rüsten Fenster und Türen nach. Wenn dann ein Einbruch nicht gelingt, ist es einer weniger in der Statistik. Der Staat hat dann gar nichts geleistet. Und wenn Frauen nun auch nicht mehr in Parks oder am Stadtrand joggen und nach Hause… Mehr