Täglich treffen in Bayern 10.000 ein, die Jahresprognosen liegen inzwischen über 1 Million. Konturen eines souveränen Umgangs mit der Asylkrise sind ebenso wenig erkennbar wie die einer Zuwanderungspolitik. Mit überflüssigen Regelungen ist die Politik schnell zur Hand, bei der Regelung und dem Management des Wesentlichen geht nichts voran.
„Der Krieg in Syrien geht weiter. Bilder von fliehenden Menschen werden uns noch lange begleiten“, kommentierte Thorsten Schröder im ARD-Nachtmagazin das Bild (oben) und fragte die Zuschauer: „Fällt Ihnen eigentlich auch etwas auf, wenn Sie solche Bilder sehen? Diejenigen, die an Bahnhöfen warten, in Zelten liegen oder an den Essensausgaben stehen, das sind ganz überwiegend… Männer! Sie sind verheiratet, haben Kinder, sind jung. Auch das ist ganz typisch und eigentlich verwunderlich, denn unter den Flüchtlingen weltweit sind die Hälfte Frauen und Mädchen, aber die männliche Dominanz hier in Europa hat ihre Gründe.“
Die jungen Familienväter sind die Vorhut
Dann zeigt ein Filmeinspieler einen jungen Syrer (Name wird genannt). Er erklärt, dass die Männer alleine kommen, weil der Weg nach Europa sehr mühsam und gefährlich ist. Frau und Kinder bleiben im Auffanglager im Libanon. Einspielung Günter Burkhardt, ProAsyl-Chef: „Der Fluchtweg nach Europa ist extrem gefährlich. 3.000 Tote fast in diesem Jahr bei der Überquerung des Mittelmeers. Da sagen viele Familienväter: Dieses Risiko nimmt der Mann auf sich und Frau und Kinder hofft man, dann legal nachziehen zu können.“
Dann sagt eine 18 jährige Irakerin (Name genannt), die nach dem Tod ihres Vaters zwei Jahre zu Fuß alleine aus dem Irak in die Türkei gelaufen ist und sich von dort aus weiter durchgeschlagen hat: Allein reisenden Frauen wird unterwegs alles abgenommen. Constanze Funck, Diakonin der christlichen Flüchtlingshilfe Hamburg, nennt die Details: „Frauen werden … bedroht, von anderen Geflüchteten, von Polizisten, von Behördenmitarbeitern, von Schmugglern. In diversen Berichten wird davon erzählt, dass Frauen unterwegs anschaffen müssen, in die Prostitution gedrängt werden, um für die nächste Schmuggler-Route zu bezahlen und dort einfach nicht entlassen werden.“
Am Ende dieses Teils des Nachtmagazins sieht man den jungen Syrer am Flughafen, er hatte Erfolg. Sein Asyl wurde bewilligt und seine Familie durfte einfliegen. Er schließt seine Frau und vier kleinen Kinder in die Arme. Woher der gut gekleidete alte Herr kommt, der auch alle mit umarmt, bleibt offen.
Syrer – die etwas anderen Flüchtlinge
So lautet die Kapitel-Überschrift in Hans Winklers Büchlein, das in der Reihe Leykam Streitschriften erschienen ist. Der österreichische Journalist präsentiert auf 80 Seiten kompakt Fakten, Zahlen und Zusammenhänge: „Syrer … entsprechen oft nicht dem Klischee vom armen und hilflosen Flüchtling. Sie sind arbeitswillig, fleißig und geschäftstüchtig, sodass sie mancherorts den Einheimischen Konkurrenz und sich damit gleich unbeliebt machen. In der Gegend rund um Zaatari und anderen Lagern in Jordanien und der Türkei ist der Einzelhandel oft in den Händen von Syrern. Die Türkei hat Maßnahmen angekündigt, den Zustrom von syrischen Flüchtlingen einzudämmen.“
Und weiter: „Die Syrer nehmen unter den Flüchtlingen eine Sonderstellung ein, da viele von ihnen wohlhabend sind. Bei Schiffspassagen von Afrika nach Europa wurden sogar ‚Abladungen‘ registriert. Afrikaner wurden wieder vom Schiff gebracht, weil die Schlepper Syrer mitnehmen konnten. ‚Die Syrer zahlen mehr‘, stellte Oberst Gerald Tatzgern, der Leiter des Büros für Menschenhandel und Schlepperei im Bundeskriminalamt nüchtern fest. Zwar stehen die Syrer im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit, sie stellen aber nur 9 Prozent aller Zuwanderer nach Österreich.“
Minderjährige als nächste Vorhut
Schon am 10. September berichtet ZDF-Korrespondent Uli Gack aus einem der Flüchtlingslager im Nordirak, wo eine syrische Frau mit ihrer Familie seit vier Jahren darauf wartet, von ihrem Mann nach Deutschland nachgeholt zu werden, in das Land, das ihr und den ihren als Paradies erscheint. Seit die UNO ihre Hilfen reduziert, werde alles noch schlimmer. Alle, mit denen Uli Gack spricht, wir sehen sie im Bild, wollen nach Deutschland, Gack: „Die Willkommenskultur hat sich bis in den letzten Winkel herumgesprochen, man werde mit offenen Armen empfangen, die Bundeskanzlerin habe ihr Wort gegeben.“
Das Familienoberhaupt sagt Gack, sein Sohn sei schon dort und habe ihm am Telefon berichtet, dass er Geld bekommen hat und eine Wohnung und dass die Deutschen für die noch Kommenden Häuser bauen, also auch für seine zehnköpfige Familie. Der ZDF-Beitrag zeigt die Großfamilie vor dem Fernsehschirm, ihre Erwartungen sind durch die Berichte der arabischen Sender grenzenlos. Nun statten sie ihren 14-jährigen Sohn aus, damit er sich allein auf den Weg macht. Der Clanchef sagt, er hat die besten Chancen, „Minderjährige werden in Deutschland nicht ausgewiesen und dürfen ihre Familien nachholen“. Der Film zeigt, wie der Junge seine Sachen packt, Gack erzählt, dass die Familie Auto und Schmuck verkauft hat, damit er die Schleuser bezahlen kann. Seine Mutter schickt ihn los, obwohl er es schon einmal vergeblich versucht hat.
Dann zeigt Gack den Gouverneur der Provinz Dohuk, der in die Kamera sagt, hätte sein Land nur zehn Prozent der Gelder, die Deutschland für die syrischen Flüchtlinge aufwendet, könnte es deren Leben so verbessern, dass niemand mehr wegwollte.
Zwei klare Hinweise an die Politik: Die Türkei will Flüchtlinge loswerden, die UNO setzt in Anwesenheit der deutschen Kanzlerin neue Millenniumsziele, aber nimmt fatalistisch hin, dass die zugesagten Gelder der Mitglieder nicht eintreffen und kürzt einfach die Hilfen in den Lagern. Chaos überall.
Nach heiterer Anomie gefährlich rechtlose Räume
„Merkels Flüchtlingspolitik – Große Geste, kleiner Plan?“ hieß es gestern bei Anne Will. Um die Frage, wie es zu so etwas wie einer Zuwanderungspolitik kommen kann, ging es dort nicht. Wer Merkel für ihre „Große Geste“ weiter lobt oder nicht mehr so sehr oder vielleicht gar nicht mehr, ein wahrhaftes Luxusthema im warmen Studio: Heinrich August Winklers Plädoyer, nichts zu versprechen, was das Land nicht halten kann – größer kann der Kontrast zu den Erwartungen in kalten Flüchtlingslagern nicht sein. Um einen großen Plan ging es bei Anne Will nicht.
Zu schlechter Letzt Zitate aus dem Morgen-Briefing zweier bekannter Medien-Leute:
Gabor Steingart: „Der erste, der beim Ansturm der Flüchtlinge in die Knie geht, scheint der Rechtsstaat zu sein: Die deutschen Visa-Verordnungen, die Auflagen der Einwohnermeldeämter und die Routineüberprüfungen durch die Sicherheitsdienste sind de facto suspendiert. Tausende von Flüchtlingen stoppen auf offener Strecke Bahnzüge oder verlassen nachts ihre Unterkünfte, um sich als Illegale durchzuschlagen.“
Stephan-Andreas Casdorff: „290.000 Menschen unregistriert im Land, Schutzsuchende, die keiner kennt, die keiner beim Namen nennt. Wenn das keine Herausforderung ist! Sie kommen, ja, und das ist zu schaffen. Da hat die Kanzlerin recht. Aber doch nur, wenn man weiß, mit wem man es zu tun hat. Denn dann – und nur dann – kann man den Menschen gerecht werden. Denen, die kommen, und denen, die bereits hier leben. Ihnen allen die Ängste voreinander zu nehmen, geht nur durch Integration. Ohne Integration geht die Angst vor dem Verlust der Identität nicht weg. Wer das nicht registriert, verliert mehr als Wahlen.“
Nach dem kurzen Sommer der heiteren Anomie hält ein langer Herbst und Winter gefährlich rechtloser Räume Einzug. Der Migrationsmarkt ist eine Bonanza der Fluchtgewinnler – eine Branche, deren verzweigten legalen und illegalen und überlappenden Netzen sich bisher noch kein Investigativteam zugewandt zu haben scheint.
Sie müssenangemeldet sein um einen Kommentar oder eine Antwort schreiben zu können
Bitte loggen Sie sich ein