1,5 Billionen für die Wiedervereinigung - eine gewaltige Summe. Nun soll man ja nicht kleinlich sein, wenn die Weltgeschichte an der Tür klopft, aber wär's ne Nummer kleiner auch gegangen? Auf diese Frage des Wessis eine klare Antwort - und auch ein Ausblick auf die gegenwärtige Flüchtlingsflut.
Wie teuer ist eigentlich die Wiedervereinigung? Was haben wir uns darüber gestritten! Der Jammer-Ossi kann nicht genug kriegen und nichts ist im gut genug, sagen die im Westen: Wir zahlen Steuern, Sozialbeiträge und Soli, und alles umsonst, denn der „Osten“ holt und holt nicht auf. Das jedenfalls bilanziert die Ostbeauftragte der Bundesregierung, Iris Gleicke zum 25-jährigen Wiedervereinigungsjubiläum. Kein Wunder, der Besser-Wessi ist hat alles kaputt gemacht, heißt es im Osten.
Wie immer, wenn die Weltgeschichte an der Tür klopft, wird`s teuer. Und vor dem Zahlen kann man sich meist nicht drücken. Aber es hat sich trotzdem gelohnt, und zwar für beide Seiten! Das rechnet der Volkswirtschaftprofessor Ulrich Blum von der Martin Luther Universität Halle-Wittenberg vor.
Billig war es zwar nicht. 1.500 Milliarden sind in den Osten geflossen; vermutlich der stärkst Geldregen pro Quadratkilometer in der Geschichte. Straßen wurden gebaut und die komplette Infrastruktur neu, die Städte neu, es wurden Renten- und Arbeitslosengeld bezahlt. Aus den rauchenden Trümmern des Sozialismus wurden wieder strahlende Städte und auf Mallorca wie in Berchtesgaden sind die Hotels voll mit redefreudigen Ossis.
Alles hat der Westen bezahlt, oder?
Blum rechnet anders. Denn auch die Ossis haben dafür geschuftet und Steuern bezahlt. Sein Trick: Er rechnet mit, was 2 Millionen als Arbeitskräfte im Westen geleistet haben. Sie haben dort die Fabriken ausgelastet, die Produktivität erhöht, Steuern und Sozialbeiträge entrichtet. Aber nicht nur das: Die Wiedervereinigung hat die Konjunktur angekurbelt – und zwar im Westen. An den Westprodukten, die in den Osten gingen, wurde kräftig verdient in Hamburg, München und Schwäbisch Hall. Während die Ost-Betriebe durch die Treuhand abgewickelt wurden, hat der Westen Arbeitsplätze gewonnen und gut verdient an der neuen Bonanza Osten. Das alles hat der Westen gerne eingesackt. Von den 1,5 Milliarden haben damit die Ossis in Westland schon 1,3 Milliarden zurückerwirtschaftet. Es dauert also nur noch ein paar Jahre, und die Rechnung ist ausgeglichen. Es kommt aber noch besser.
Zwar geben die Ossis immer noch 10 Prozent mehr aus, als sie verdienen, auf Kosten des Westens und des Soli. Aber das kommt daher, dass viele Ossis auch direkt an den Westen bezahlen – etwa weil viele Wohnungen in Dresden oder Ostberlin Wessis gehören, die die Mieten kassieren. Bliebe die Miete aus Dresden in Dresden, statt dass sie nach Stuttgart überwiesen wird, wäre die Rechnung noch besser für den Osten. Und: Längst wird im Osten nicht mehr investiert; Autobahnen werden jetzt wieder im Westen asphaltiert und Brücken in Bayern repariert. Damit dürfte im Jahr 25 nach der Wiedervereinigung „der businesscase geschlossen“ sein, sagt der Professor.
Sie hat sich also gelohnt, die Wiedervereinigung, sogar rechnerisch. Manchmal holen die Zahlen eben doch die Herzen ein. Auch wenn es 25 Jahre dauert.
Blum berechnet die Kosten der Wiedervereinigung
„Die Nettotransfers (schwarz) ergeben sich aus den Bruttotransfers minus der Steuer- und Abgabeneinnahmen des Ostens. Viele der Ausgaben sind gesamtstaatlich, so dass nur rund 15% wirklich im Investitionssinn „aufbauwirksam“ wurden – der Rest war konsumtiv (Renten, Arbeitslosenunterstützung, …). Höchster Wert der Transfers war 2003: 86 Mrd. Euro. Die Spitze 2009 kommt vom Konjunkturprogramm. Die Gesamtsumme ist (unverzinst und nominal) 1,5 Billionen Euro; mit einem normalen Kapitalzins sind das etwa 2,5 Billionen Euro. Dann wurden die BIP-Beiträge der ostdeutschen Beschäftigten (Netto-Migranten, etwa 2 Mio.) (rot) im Westen eingetragen. Der Wert steigt stetig an. Der BIP-Beitrag ergibt sich aus der Netto-Migration multipliziert mit der pro-Einwohner-Produktivität. Schließlich sind die Multiplikatoreffekte des westdeutschen Exportüberschusses nach Westdeutschland eingetragen (grün). Geht man von einer Abgabenquote von etwa 40 bis 50 % aus (erst höher, dann niedriger), kommt man zu den zusätzlichen Steuern und Abgaben im Westen aus Exportüberschüssen und Nettobeschäftigungseffekten (blau).
Das Leistungsbilanzdefizit wird durch Kapitalimporte (höchster Wert: 1995 mit 74 Mrd. Euro) und durch Transfers gedeckt. Kurz nach der Wiedervereinigung lag die Nachfrage beim Doppelten der Produktionsleistung – das Leistungsbilanzdefizit also bei 100%! Heute liegt die Nachfrage etwa 10% über der Produktionsleistung. Über den Daumen: Einkommen 80%, Produktivität 70% des Westens.
Man sieht, daß die Nettotransfers West->Ost (rot) seit 2006 unter den Steuereffekten (blau) liegen, der „business case“ ist damit „closed“.
Nimmt man die Summen, dann stehen den nominal 1,5 Billionen Transfers von 1990 bis 2014 Steuern aus ostdeutscher Beschäftigung im Westen ein Exportüberschuss von 1,3 Billionen gegenüber. Theoretisch wäre diese Lücke damit bis zum Ende des Jahrzehnts erledigt, von da an wäre die Wiedervereinigung „profitabel“. Aber: Da inzwischen im Osten nicht mehr richtig investiert wird, fließt inzwischen Kapital ab – Gewinnmitnahmen. Deshalb muss mehr transferiert werden als erforderlich – vereinfacht: Bliebe die Miete aus Dresden in Dresden, würde sie dort in den Wirtschaftskreislauf gehen; da sie aber nach Frankfurt fließt, muß die Lücke geschlossen werden.
Wie ist das mit der aktuellen Migration?
Das alles also hat der Westen gerne eingesackt. Von den 1,5 Milliarden haben damit die Ossis in Westland schon 1,3 Milliarden zurück erwirtschaftet, und den Rest zahlen sie Miete. Sie hat sich also gelohnt, die Wiedervereinigung – selbst rechnerisch. Manchmal holen die Zahlen eben doch die Herzen ein. Auch wenn es 25 Jahre dauert. Die deutsch-deutsche Migration hat daher ausgeglichen, was durch die Fehler der Wirtschaftspolitik angerichtet wurde: Die des-industrialisierung der neuen Länder. Die schnell steigenden Löhne haben den maroden Treuhandbetreiben keine Chance gelassen. Die Arbeitskräfte wanderten zu den neuen Arbeitsplätzen im Westen; die Arbeit wird getan, nur eben anderswo.
Und, wird jetzt sofort gefragt, geht das mit den vielen neuen Flüchtlingen auch so? Nahtlose Eingliederung in die Wirtschaft?
Hier ist es noch zu früh für die Rechnung. Allerdings: Entscheidend ist die Qualifikation. Die Ex-Bürger der DDR standen in Fragen Qualifikation den Brüdern und Schwestern im Westen in Nichts nach; im Gegenteil. Sprachbarrieren gab es keine. Erst wanderten besonders Qualifizierte in den Westen, um dort die Arbeitsplätze zu besetzen. Ängste löste das hauptsächlich bei den damaligen Gastarbeiter-Generationen aus, die sich sozial nach unten abgedrängt sahen. Wirtschaftlich gesehen war die Migration nach der Wiedervereinigung für den Westen ein Glücksfall, der den heutigen Wirtschaftsboom mit ausgelöst hat.
Heute dagegen spricht von den Neuankömmlingen nach ersten Erhebungen praktisch keiner deutsch oder auch nur englisch. Jeder Fünfte, vielleicht auch jeder Dritte ist Analphabet. Die Mehrheit kennt nur arabische Schriftzeichen. Die Berufsausbildung ist mangelhaft; die Sprachbarriere enorm: Das gilt auch für Ärzte und Pflegepersonal, das gerne als Beispiel herangezogen wird. Allenfalls 10% der Migranten sind auf dem deutschen Arbeitsmarkt vermittelbar, schätzt Sozialministerin Andrea Nahles. Ein produktiver Beitrag kann erst nach entsprechender Qualifikation erwartet werden.
Fazit: Wirtschaftlich gesehen wird es nicht eine, sondern mindestens zwei Generationen dauern, wenn überhaupt, bis positive Erträge darstellbar sind.
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