Volkswagen und der Abgas-Skandal: Wer wußte was?

Volkswagen gibt zu, die Software seiner Diesel-Fahrzeuge in den USA so professionell manipuliert zu haben, dass Abgas-Testsituationen identifiziert werden können und bei Messungen die Motorleistung automatisch herunterregelt wird, damit weniger Schadstoffe ausgestoßen werden - vor allem weniger Stickoxide.

Ach Du je, der Primus, der Musterschüler der Branche, hat nicht einfach nur geschummelt, sondern in einem groß angelegten Betrug gleich mal den Supergau ausgelöst. Stellen wir zunächst fest: So etwas kann nicht einer alleine bewerkstelligen. Dafür müssen etliche Experten eingeweiht und beteiligt gewesen sein. Volkswagen steht mit dem wahrscheinlich weitreichendsten Skandal der Automobilgeschichte vor seiner größten Krise nach 1945.

Sicher, wirtschaftlich passiert das dem Konzern nicht zum schlechtesten Zeitpunkt. Allerdings kann es für so einen worst case keinen perfekten Termin geben.

Sorgenkind auf dem Sorgenmarkt

Nun ist der US-amerikanische Automarkt das Sorgenkind des Volkswagen Konzerns. Während der Absatz der inländischen Marken in den USA kräftige Wachstumsraten verzeichnete, schrumpfte Volkswagen im selben Maße. Wolfsburg gab sich kämpferisch. Pünktlich zur Detroiter Automesse brachte der Vorstandsvorsitzende Martin Winterkorn die Nachricht mit, das Volkswagen die imaginäre Schallmauer von 10 Millionen weltweit verkauften Fahrzeugen 2014 erreicht hatte. Das war bis dato noch keinem Autobauer gelungen. Man kann also sagen, Volkswagen war auf dem Zenit des Erfolgs angekommen, hatte man sich die 10 Millionen doch erst für 2018 vorgenommen.

Der amerikanische Markt allerdings hatte nichts dazu beigetragen. Volkswagen schwächelt zwar auch in Südamerika, in Indien und Russland. Aber in den USA ist der Marktanteil der Kernmarke bei gerade einmal 2,2 Prozent gelandet.

Eine Kampfansage und eine Antwort

Aber wie sollte die Kampfansage aussehen? Was war die strategische Idee? Martin Winterkorn enthüllte in Detroit ein SUV-Coupé – ein Hybrid aus Benzin- und Elektromotor. Kraftvoll, mächtig, aber doch ganz anders, als die plumpen US-SUVs. Und er versprach den Show-Gästen: „VW spielt in den USA wieder auf Angriff. Bis 2018 verkaufen wir dort eine Million Autos pro Jahr“. Aktuell zeigt sich auf brutale Weise, dass man es schwer haben dürfte, dieses Versprechen einzuhalten.

Volkswagen erklärte noch Mitte 2014, man beabsichtige in das neue Werk in Chattanooga (Tennessee) 640 Millionen Euro zu investieren. Damit würde man nicht nur rund 2.000 neue Arbeitsplätze schaffen, für das Geld würde auch ein Planungszentrum mit rund 200 Ingenieuren aufgebaut. Man möchte heute fast zynisch anfügen: Unter ihnen sicher auch etliche IT-Spezialisten mit hohen Verschwiegenheitsklauseln.

Es ist übrigens ebenfalls nur wenige Monate her, da warben die Vertreter der großen Deutschen Autokonzerne vereint für das Freihandelsabkommen mit den USA: Der Gedanke dahinter auch: die automobile Neueroberung eines der wichtigsten Wachstumsmärkte der Welt als weiteres Standbein, als Gegengewicht zu einer wachsenden Abhängigkeit von der Entwicklung auf dem chinesischen Markt. Folgerichtig stellt Winterkorn für Volkswagen fest: „Der nordamerikanische Markt bietet große Chancen, die wir aus meiner Sicht in der Vergangenheit nicht konsequent genug genutzt haben.“

Eine Verzweiflungstat in Wolfsburg?

Nun scheint es tatsächlich noch einmal etwas anderes zu sein, wenn der wichtigste Mann bei Volkswagen ein Ziel formuliert. Wie hoch der Druck bei den Adressaten im Konzern gewesen sein muss, kann man nur erahnen. Jedenfalls augenscheinlich stark genug, die eingeforderte Konsequenz bis hin zum massiven und großflächig angelegten Betrug zu steigern.

Das Schicksal des Musterschülers? Der Guttenberg-Effekt? Das brutale Scheitern am eigenen Selbstverständnis oder doch ein Betrug in Abstimmung und Mitwissen aller anderen führenden Automobilhersteller? Denn natürlich werden die technischen Abteilungen der Mitbewerber keine Gelegenheit verpasst haben, sich die Fahrzeuge der Konkurrenz genauer anzuschauen – nachzusehen, wie es um deren Werte bestellt ist. Und dass man dabei die eingebaute Schranke einer vorinstallierten Software übersprungen hat, darf angenommen werden. Wussten also doch alle Bescheid?

Nun spricht man aktuell von einer festgestellten Schadstoff-Konzentration an den betreffenden Diesel-Fahrzeugen von Volkswagen die 30-fach über dem zulässigen Höchstwert gelegen haben soll. Wohl gemerkt, nicht 30 Prozent, sondern 30-fach, also 3.000 Prozent darüber! Eine unfassbare Zahl unter Berücksichtigung aller relevanten Umweltaspekte. Und angesichts der aktuellen Kehrtwende der US-Regierung in Sachen Klimaschutz viel mehr als nur wettbewerbsverzerrender Betrug, sondern direkt Chefsache: So erklärte Obama noch im August 2015: „Keine Herausforderung stellt eine größere Bedrohung für unsere Zukunft und künftige Generationen dar als der Klimawandel“. Die Regierung sei angetreten die US-amerikanische Führungsrolle im Kampf gegen die Erderwärmung einzunehmen.

Ein gefundenen Fressen? Bis dato gehören die USA zu den weltweiten Klimasündern Nr. 1. Und was kann Obamas angekündigte Umkehr vom Saulus zum Paulus besser flankieren, als der Feind im eigenen Land: Ein Saubermann mit schmutziger Weste. Der erfolgreiche deutsche Autobauer, der heimlich 30 Mal mehr Schadstoffe in die Luft bläst als zulässig.

Betrügerisch, mafiös, gewinnorientiert. Man wundert sich dabei nur, wie schlampig die Kontrollbehörden der USA gearbeitet haben müssen. Und man staunt, wie es die anderen großen Autobauer für ihre Fahrzeuge schaffen, so weit unter dem obszön anmutenden realen Abgaswert der Volkswagen Diesel-Fahrzeuge zu liegen. Alles nur eine Frage der noch schlaueren Software?

Was jetzt allein fehlt, wäre eine rückwirkende Rechtfertigung der Wirtschaftsspionage der NSA. Frei nach dem Motto, wenn wir als NSA weiter gearbeitet hätten wie bisher, wäre uns auch die eine oder andere düstere E-Mail zwischen Chattanooga und Wolfsburg nicht entgangen. Zum Wohle der US-Umwelt. Zum Wohle der Welt!

Wen muss es noch treffen?

Natürlich: Volkswagen wird auch diesen Skandal überstehen. Dafür ist der Autobauer aktuell viel zu gut aufgestellt. Profitieren werden nun aber zunächst die Mitbewerber. Auch die US-amerikanischen, so sie denn eine weiße Weste haben. Aber davon kann angesichts einer 30-fachen Belastung über dem Soll-Wert nicht ausgegangen werden. Bei allem Respekt für die Konkurrenz, wenn german engineering die vorgegebenen Grenzwerte nicht unterschreiten kann, insbesondere im Automobilbau, dann kann das weltweit niemand hinbekommen.

Die Zukunft wird nun zeigen, welche Geheimnisse noch in dieser ominösen Software steckt. Möglicherweise sogar die perfekte Lösung für reduzierte Abgase, für eine reduzierte Motorenleistung auch außerhalb staatlicher Prüfstellen?

Irgendwie beißt sich der Wolf hier aber in den Schwanz. Und dann stellt sich allein noch die Frage, wer diese unerreichbar niedrigen Werte aufgestellt und wer die dafür zuständigen Kommissionen fachlich beraten hat.

Autobauer können es jedenfalls nicht gewesen sein.

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