Landtagswahlen in Tirol und Sebastian Kurz

Im Westen nichts Neues lässt sich das Wahlergebnis zusammenfassen. Nach Niederöstereich die zweite Landtagswahl, welche die türkis-blaue Koalition auf Bundesebene als Bestätigung werten darf. Der gemeinsame Nenner als Person ist Kanzler Kurz.

© ALEX HALADA/AFP/Getty Images
Austria's Foreign Minister and leader of Austria's People's Party (OeVP) Sebastian Kurz and his partner are pictured in front of a polling station during general elections in Vienna, Austria, on October 15, 2017

Das Bundesland Tirol stellt etwa zehn Prozent der Wahlberechtigten in Österreich. Wie Landtagswahlen da ausgehen, kommt international nicht in die Schlagzeilen, solange keine Sensationen zu vermelden sind. Auch der Leiter des Innenressorts beim österreichischen Staatsender ORF zeigte sich eher gelangweilt vom Ergebnis, zumal das Landesergebnis für die Partei seiner Sympathie nur einen Achtungserfolg zu verzeichnen hatte. Die SPÖ legte merklich zu und landete vor der FPÖ, die mehr zunahm, auf Platz zwei hinter der Volkspartei ÖVP. Die Details hier. Die Botschaft der Tiroler Wahl: die Koalitionsparteien ÖVP und FPÖ können sich ebenso stabilisiert sehen wie die SPÖ. Die Grünen verlieren leicht. Die Neos kommen in den Landtag, setzen ihre bundesweite Etablierung auf bescheidenem Niveau fort.

Aber ums Wahlergebnis im „Heiligen Land Tirol“ geht es mir mit meinen Zeilen nicht, sondern um Österreichs jungen Bundeskanzler Sebastian Kurz. Dass er bei Wahlveranstaltungen der ÖVP in Tirol auftrat, gehört zu den Üblichkeiten. Aber dass er zusammen mit dem Landeshauptmann und dessen Aktiven ohne jedes Kanzler-Primborium die erste Hochrechnung erwartete, wie jeder im Fernsehen verfolgen kann, gehört nicht zu dem, was der deutsche, französische oder italienische Zuschauer kennt. Dort erscheinen die Bigshots immer erst am späten Wahlabend und selbstverständlich nur in Paris, Rom und Berlin, nicht in einer Provinzhauptstadt. Kurz ist dort in Innsbruck einer unter den anderen inmitten der ÖVP-Aktiven, einer von ihnen.

Schön war's, es hat mich sehr gefreut.
Kurz und Merkel in Brüssel
Wer sich im Internet umschaut, findet erstaunlich wenig über die Person Kurz. Das liegt daran, dass er das Leben eines Durchschnittsösterreichers führt. Er wohnt im 12. Wiener Bezirk, in dem er zur Schule ging, Meidling, einer der klassischen Arbeiterbezirke, Ausländeranteil etwa 20 Prozent, etwas höher als der Wiener Durchschnitt. Seine Eltern kann er zu Fuß besuchen. Mit seiner Freundin aus Schultagen wohnt er um die Ecke. Hobbies: Sport. Es gibt über die privaten Verhältnisse von Sebastian Kurz nichts zu berichten, was ihn aus der Menge der Durchschnittsösterreicher herausheben würde, außer eben das eine, er ist Bundeskanzler. Dass er so geblieben ist wie sie, hebt ihn heraus.

Er war der jüngste Staatssekretär mit 24, über den sich monatelang die üblichen Medien in üblicher Weise das Maul zerissen, bis sie anfangen mussten, ihm gute Arbeit zu bescheinigen. Er brachte die an den gleichen Ermüdungserscheinungen wie die SPÖ (wer sie nicht kennt, kann hier CDU und SPD einsetzen) leidende ÖVP dazu, sich ein Runderneuerungsprogramm verordnen zu lassen, für das er die alleinige Entscheidungsbefugnis erhielt.

Ein halbes Jahr nach Staatssekretär wurde Kurz 2013 Bundesminister für Europa, Integration, Äußeres. Seit 2017 ist er Bundeskanzler. Der rote Faden seines Werdeganges ist ein höflicher und verbindlicher Auftritt gepaart mit viel Geduld und einer unbeirrbaren Entschiedenheit in der Sache. Und eben einem Verhalten wie du und ich. Das Sensationelle an Kurz ist das Unsensationelle (unter den wenigen Portraits finde ich dieses am gelungensten).

Kurz fliegt zu Frau Merkel nach Berlin und den Unionisten nach Brüssel in der Holzklasse, kein Regierungsflieger, keine Airforce One kutschiert ihn durch die Welt. Wer nun sagen will, ja, ja, bloß eine andere PR-Masche, irrt. So selbstverständlich kann das nur einer tun, weil es authentisch ist. Dass er sich der Wirkung bewusst sein wird, spricht nicht dagegen. Wer seinen Lebensstil nicht ändert, nur weil er so hoch aufsteigt, findet in seiner von Kindheit vertrauten Umwelt im Arbeiterbezirk Meidling, bei seiner Großmutter im Vierkanthof im Waldviertel in Niederösterreich immer wieder die Erdung, die den klassischen Aufsteigern längst fehlt.

Ich bin ganz ähnlich groß geworden, als Arbeiterkind aus dem Schulbuch, für das nichts schöner war, als die zwei Monate Sommerferien auf dem kleinen Bauernhof der Großtante verbringen und einfach mitarbeiten zu dürfen.

Das ist nicht der Moment, über ein Thema zu schreiben, das mich immer mehr beschäftigt: Heimat. Sebastian Kurz hat seine Heimat. Ich bin sicher, darin steckt die in sich ruhende Unbeirrtheit, mit der er sein Amt führen kann. Heimat ist keine Gegend, sondern das ganze kulturell-soziale Netz, in dem wir uns geborgen finden. Wer keinen solchen festen Bezugspunkt hat, sollte am Besten keine wichtige Aufgabe für viele Andere innehaben.

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Kommentare ( 57 )

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taliscas
6 Jahre her

Tu felix Austria….

Ostfale
6 Jahre her

Hoffnung durch Macron – worauf ? Der feine Herr ist Merkels Bruder im Geiste, mehr vielleicht noch ihr Verführer zur Zustimmung der dusseligen Deutschen, noch mehr Geld und Selbständigkeit zu verbrennen oder staatliche Eigenständigkeit an Brüssel abzugeben.
Der Typ ist einer der heftigsten und ergebendsten Vertreter subversiver Etablierung der Neuen Weltordnung, zuständig für den Kontinent Europa.

Christina Hatzoglos
6 Jahre her

unschwer zu erraten, warum wir in Österreich zu einem Kurz gekommen sind.
Ganz einfach: wir haben ihn gewählt! Da spielt es keine Rolle,dass er ein absoluter Politneuling war – will heissen, wir haben das tote Pferd begraben

Maja Schneider
6 Jahre her

Und eben diese Heimat als Ort der Geborgenheit in einem sozial-kulturellen Netz, wie Sie es beschreiben, lieber Herr Goergen, wird uns schleichend genommen durch eine aberwitzige von allen anderen Ländern ungläubig zur Kenntnis genommene Migrationspolitik, die von einer Hand voll PolitikerInnen und ihrer medialen Gefolgschaft stur weiterverfolgt wird.

Seneca
6 Jahre her

Tu felix Austria !

Luisa
6 Jahre her

Heimatverbundenheit läßt uns mit beiden Füßen auf dem Boden bleiben – egal wie weit wir von ihr entfernt sind. Unvorstellbar, wenn man nach Reisen nicht mehr weiß, wo man zuhause ist. Wobei man sich ein Zuhause überall einrichten kann, Heimat jedoch gibt es nur einmal, weshalb diese verteidigt werden muss. Das sind wir schon unseren Vorfahren schuldig. Aus Ihren Zeilen spricht auch, wie wichtig eine behütete Kindheit doch ist. Die Berliner Großkopferten scheinen das nicht zu kennen – arme Egomanen!!!!

karel
6 Jahre her
Antworten an  Luisa

Die Preisgabe des Begriffs Heimat begann mit dem Wirken
der 68er. Bei ihrem Marsch durch die Instutionen, 1998
endlich an die medialen und politischen Schaltstellen angekommen,
war die Heimat-, die Familien- und Technikfeindlichkeit fester
Bestandteil des politischen Handelns.

Wie wichtig heutzutage eine „behütete“ Kindheit geworden ist,
läßt an der „Kita“-Entwicklung der letzten 20 Jahre ablesen.
Getreu dem Motte des einstigen SPD-Generalsekretärs Scholz
in der Regierung Schröder,
nun endlich die „Hoheit über die Kinderbetten“ zu erringen

Die Weichenstellungen für die so konsequent beklagten Probleme
fanden schon längst vor den heutigen „Großkopferten“ statt.

Ralf Reske
6 Jahre her

Meine Stimme hätte er auch. Aber sowas sind nur Träume.

Alexander Brandenburg
6 Jahre her

Ja, Herr Goergen, Sie haben recht, wenn Sie eine Grundierung oder Erdung eines Spitzenpolitikers in einem kulturell und sozial geprägten persönlichem Netzwerk einfordern. Das verhindert ein Denken, das jedes und alles für machbar und voraussetzungslos hält und Verantwortung für die eigene Familie und den Nachbarn nicht kennt. Die differenzierte Nähe eröffnet allererst den Blick für das Verstehen der Ferne. Die herrschende „tabula rasa -Politik“ bedeutet: Es gibt keine historisch- spezifischen kulturellen und moralischen Gegebenheiten und Differenzen, sondern nur eine One World und eine entsprechend abstrakte Moralisiererei. Solche Weltbilder ermöglichen leichter, jedes Experimentieren auf jedem Gebiet zu machen und dabei die… Mehr

elly
6 Jahre her

Alle, die Österreich um ihren neuen Kanzler beneiden, sollten sich fragen, ob ein Politiker wie Kurz im linken Deutschland eine Chance hätte.
Ich glaube nicht. Leider.

Ostfale
6 Jahre her
Antworten an  elly

Stimmt genau – deshalb haben wir ja auch keinen.

Rita
6 Jahre her

Wertschätzung und innere Verbundenheit, das ist es wohl, was daran beeindruckt. Dazu gehört auch das Großprojekt, seine Jugendliebe in die Zukunft gerettet zu haben. Für die notwendigen Veränderungen braucht es hohen Gestaltungswillen und große Einsatzbereitschaft, was sich nur lohnt, wenn die innere Wertigkeit der zu bewahrenden Sache erkannt wurde, die dann weniger mit anderen Modellen konkurrieren muss. Ich fühle mich meiner Heimatstadt verbunden. Oft höre ich: „Woanders ist es doch viel schöner.“ Dieser Ort muss aber nicht schön sein, um mir zu gefallen, weil er gar nicht in Konkurrenz steht. Er hat einen Wert, der für sich steht, und er… Mehr

Mabell
6 Jahre her
Antworten an  Rita

Danke dafür, Rita, besonders der Abschnitt über ihre Heimatstadt ist schön. Mir geht es genauso. Ich bin in Duisburg aufgewachsen, wohne immer noch dort, und jeder kann es wissen. Und meine drei erwachsenen Kinder denken genauso, und wollen eigentlich nicht weg von hier, es sei denn, es geht beruflich nicht. Ich kenne durchaus die Problemzonen, und es tut weh, wenn ich sehe, was aus manchen Ortsteilen geworden ist. Deswegen möchte ich trotzdem nicht weg von hier, ich lasse mich nicht von Menschen vertreiben, die hier eigentlich nichts zu suchen haben, um es ein bißchen agressiver zu sagen. Es gibt viele… Mehr