Are we still Germans? Oder sind wir schon Amis?

Früher paukte man Englisch-Grammatik, heute zählt die richtige Aussprache, oder was man dafür hält. Was sagt das über uns aus?

Es gibt eine deutsche Eigenart, derer sich die meisten Deutschen (wie so oft) nicht bewusst sind: hierzulande legt man größten Wert auf korrekte Aussprache von Fremdworten. Genauer: auf das, was man für die korrekte Aussprache HÄLT.

Wenn es um’s Englische geht, ist unser Streben nach Korrektheit besonders ausgeprägt: wer es etwa als Kind heute noch wagt, von Donald „DUCK“ statt Donald „DACK“ zu sprechen, darf mit mächtig Dresche auf dem Schulhof und weitreichendem familiären Liebesentzug rechnen. Und wenn wir dann als Erwachsene mal irgendwo komplett englisch reden (müssen), streift der Deutsche allzu gern sein gesamtes phonetisches Erkennungskleid ab und setzt den sprichwörtlichen Cowboyhut auf; bei fast jedem Deutschen, den ich englisch reden höre (leider auch bei mir selbst), ist nicht etwa ein deutlicher deutscher Akzent zu hören, sondern eher ein angeeigneter amerikanischer – klarer Beleg für den allgegenwärtigen medialen Einfluss von der anderen Atlantikseite. Dann glaubt der/die Sprechende ganz fest: „Hey, jetzt klinge ich wie Jay Leno, DAS ist gutes Englisch!“ Really?! !

Was heute wirklich zählt

Ein bemerkenswerter Wandel hat stattgefunden, verbunden mit einem breiten Irrtum: früher achteten Deutsche (mein Vater zum Beispiel) beim Englisch-Reden penibel auf Grammatik, auf einen großen Grundwortschatz, auf das sichere Beherrschen unregelmäßiger Verben und passender Redewendungen. Aber: das „R“ wurde gerollt wie im preußischen Theater, und „th“ gab es für Deutsche schon mal gar nicht. Die Devise war also: Inhalt = wichtig, Aussprache = weniger wichtig. Heute ist das anders: wir imitieren beim Englisch-Reden „Vorbilder“ aus Hollywood, missachten dabei jedoch, welchen Mist wir da mit unserem vermeintlich tollen Englisch inhaltlich radebrechen. „We see us tomorrow“ höre ich bei meinen Jobs im Varieté immer wieder von meinen Landsleuten. Es heißt aber „we see EACH OTHER tomorrow“. Gern fragt der Deutsche beim Speisen nach „flesh“ (statt „meat“), wünscht „good appetite“ (ist im Englischen so nicht üblich) und fragt draußen mit Zigarette im Maul nach „fire“ (statt „light“). Hier lauert der Lapsus: Wir glauben fest daran, uns durch sprachliche Mimikry unseres Deutschseins entledigt zu haben, offenbaren es jedoch mit diesem Fehlglauben umso mehr.

Neulich sprach ich mit Kollegen über die „Amish“, dieses eigentümliche deutschstämmige Völkchen in Nordamerika, das technischen Fortschritt ablehnt. Diese Menschen heißen „Amish“, also mit „A“ gesprochen, also mit DEUTSCHEM „A“, nicht etwa „Äimish“, also mit englischem „A“ wie „Äi“. Got it?! Ungeniert sprach ich also von den „Amish“ und wurde natürlich sofort von allen Seiten abgekanzelt: „Ha, ha, es heißt doch Äimish!“ – Ich: „Nein, es heißt „Amish“ mit deutschem „A“, auf der ganzen Welt heißt es „Amish“, also auch in Nordamerika, überall!“ PAUSE. Es wurde hernach beharrlich weiter parliert über die „Äimish“, und KEINER meiner Mitdiskutanten nahm sich etwas von der Info an, man ignorierte sie einfach. Als ich dann auch noch die Dreistheit besaß anzumerken, dass die „Amish“ heute noch in einer Sonderform des Deutschen miteinander sprechen, war ich unumkehrbar als böser Deutschtümler gebrandmarkt, der sich bitte schleunigst einen anderen Stehtisch suchen möge.

Nicht falsch verstehen: ich wollte und will hier (ausnahmsweise mal) nicht den Oberlehrer geben, ehrlich, ich selbst bin in meinem Englischen voller Fehler! Doch sehe ich jene Verweigerungshaltung, jenes Verschmähen des Eigenen als Sinnbild, in welchem Philologie und Philosophie einander berühren: der Deutsche will korrekt sein, um jeden Preis, also sogar dann, wenn das „Korrekte“ falsch ist. Hauptsache, die Bereitschaft zu totaler Selbstaufgabe wird klar. Oft verraten Kleinigkeiten viel über unseren Seelenzustand …

Mehr von und zu Ludger K. auf: www.ludger-k.de

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