Die Spirale des Hasses auf Facebook darf sich nicht weiter drehen. Und denen, die sich über den Hass auf Facebook so schrecklich erregen, sei gesagt: Facebook rückt nur die Elendshochhäuser in ihren Vorgarten.
Auf Facebook hält die dunkle Seite der Gesellschaft Einzug und steckt viele mit ihrem Hass an. Gegenhass macht ihn aber weder unsichtbar noch weniger. Die Spirale dreht sich im Gegenteil nur weiter. Die Demokratie darf sich vom Hass nicht infizieren lassen. Und wenn sich Justizminister Heiko Maas neuerdings darüber erregt, muss er sich von der FAZ fragen lassen, ob er auf dem einen Auge blind ist – Hate Speech gibt es schon länger und insbesondere aus den ihm nahestehenden Kreisen.
Vor etwa sieben Jahren erhielt ich eine Mail von meinem Bruder, ich möge mich doch bitte auch endlich mal bei Facebook anmelden. Unsere Nichte sei schon dort und es würde wirklich Spaß machen. Na gut, schaue ich mir das also mal an, dachte ich mir. Also Konto eröffnen und umsehen. Nach und nach hat sich dann mein gesamter Bekannten- und Freundeskreis bei Facebook wiedergefunden. Verabredungen wurden dort getroffen, Diskussionen offen geführt zur Erbauung aller Vorbeikommenden bzw. –lesenden, viel kommentiert und angereichert. Über Bücher, Filme, Musik oder über die neuesten Beiträge in den Medien ausgetauscht; Bilder von Reisen geteilt oder vom Abendessen mit Freunden bei 20 Jahre altem Rotwein. Streitbare Rechtsanwälte posteten Bilder ihrer Langstreckenflüge in der ersten Klasse und aus dem First Class Terminal der Lufthansa in Frankfurt.
Mit der Zeit wurde dann auch mal mehr oder weniger Sinnvolles mit zunehmend Sinnentleertem gefüllt. Bzw. der Person, die ihre Beiträge in die soziale Medienwelt rauspustet, wird das schon ganz sinnvoll erscheinen: Abends draußen auf einer Matte sitzend, sich die Füße maniküren und dabei in die Sterne schauen. Zusammen mit dem Kommentar: „It’s a wonderful world.“ Ok. Ob das wirklich jeder wissen muss, was man in jedem Moment des Tages macht, ewig für die Nachwelt dokumentiert? Die neue Belanglosigkeit wird ein Riesenevent. Sei’s drum. Mir liegt diese Art von Zurschaustellung nicht. Privat habe ich Facebook zwei Monate lang genutzt. Für Marc Zuckerberg gelte ich als durch den Rost gefallen.
Deutschland wird sich verändern – Ihr Lieblingsmedium Facebook wird es auch
Ich stehe da ziemlich allein. Immer mehr drängt es geradezu zu Facebook. Es gibt eine unübersehbare stetige Zuwanderung des Prekariats in Facebook. Diese Gruppe bleibt mit ihren Sprüchen nicht mehr weit draußen im Globus-Markt, sondern pöbelt und krakeelt auf dem Bildschirm, der auf IHREM Designer-oder Antik-Tisch steht! Facebook ist die dunkle Seite der Gesellschaft; Partizipation hat auch was Ungehobeltes.
Die meisten Leser dieser Seite können sich nicht im entferntesten einen Eindruck davon machen, wie es ist, in einer Hochhaussiedlung, in der 15. Etage mit 18-20 anderen Familien auf einem Flur zu leben. Wie der penetrante Essensgeruch aus den verschiedenen Wohnungen strömt, sich auf dem Flur zu einem undefinierbaren Gestank vermischt, zusammen mit der Pfütze aus Urin, die jemand im Gang hinterlassen hat und dem Müll, der vor vielen Tagen vor einer Wohnung abgestellt wurde.
Wie sollen sie sich das auch vorstellen können, wenn sie noch nicht an solchen Orten zu Besuch waren. Wo jeder Tag aus lautem Geschrei und noch lauteren Gegengeschrei besteht und wo man „zu Penny geht für Axe“, wenn man sich ein Deodorant kaufen gehen möchte. Und nicht immer ist Axe überhaupt eine Option. An diesen Orten ist es niemals still, Rückzugsmöglichkeiten der Ruhe gibt es nicht.
Draußen am Hochhaus fällt die Verkleidung in großen, zerborstenen Stücken von der Fassade und legt den Blick frei auf die dürftige Wärmedämmung aus den 70er Jahren. Auf dem Gehweg vor dem Eingang quälen ungewaschene und strubbelige Jungs in abgerissener Kleidung aus Langeweile und Frust einen kleinen Hund und beschimpfen sie wüst, wenn sie sie darauf hinweisen.
Das sind Gegenden, wo man nicht mal anhalten, geschweige denn aus dem Auto aussteigen möchte.
In diesen heruntergekommenen Baracken an den Stadträndern hausen Menschen. Einige arbeiten. Der gefühlte Großteil macht es nicht. Man begegnet sich im speckigen Unterhemd auf dem stinkenden Hausflur oder schnauzt sich lautstark und unflätig von Balkon zu Balkon an in einer Sprache, die kein Deutsch mehr ist, sondern Ghettoschlurf: eine beinahe bis zur Unkenntlichkeit abgeschliffene Sprache, die weitgehend ohne Subjekt, Prädikat, Objekt auskommt. Nicht vielen davon gelingt der Absprung aus solchen Wohngegenden. Manche haben Glück, bekommen von Ämtern bessere Wohnungen in kleineren Wohneinheiten in Stadtteilen, die nicht so prekär sind. Wenige Tüchtige können sich da raus arbeiten und auf bessere Wohnungen bewerben. Vermieter sind nicht gerade erbaut, wenn sie sehen, unter welcher Adresse derjenige gerade noch oder vorher zu erreichen war. Stigmatisierung durch die Anschrift, das ist auch Realität.
Das Hochhaus steht jetzt in Ihrem Vorgarten
Seit drei Jahren etwa findet zunehmend immer mehr „der Plebs“ seinen Weg auf Ihre beliebte Social Media Plattformen Facebook und Twitter. Na klar, auch in dieser Gesellschaftsschicht findet das Smartphone immer stärkeren Einzug, dazu eine Internet-Flatrate – und dann strömen naturgemäß auch alle dorthin, wo eben schon alle anderen sind: zu Facebook.
Und das ist nun auch der Zeitpunkt, um festzustellen, warum der Umgangston auf Facebook immer weiter verroht. Endlich können, ohne die Schranken rund um das Bildungsbürgertum überschreiten zu müssen, Leistungsempfänger und Hauptschulabbrecher in den Dialog mit Leistungszahlern und Hochschulabsolventen treten und ihnen sagen, wie „Arsch“, „Hurensohn“, „Nutte“ oder wie „Rassist“ die sind.
Differenzieren und ruhiges Diskutieren spielt keine Rolle; wie auch, wenn das niemals, wirklich niemals erlernt und von niemandem vermittelt wurde? Wenn Worte schlichtweg fehlen. Hier zählt nur, wenn man lauter alles rausschreit als der andere, man dadurch gefühlt der Gewinner ist. Und man hat auch soviel nachzuholen. Jahrzehnte der gesellschaftlichen Unterdrückung und Ausgrenzung brechen sich da jetzt zunehmend Bahn.
Und diese Menschen vom Rande unserer Gesellschaft begegnen ihnen nun genau dort, wo sie nicht mit ihnen gerechnet hätten: auf Facebook. Und da wundern sich dann jetzt alle, was los ist.
Sinnbild: Das Hochhaus ist jetzt in Ihrem schnieken Vorgarten. Und seine Bewohner nörgeln herum, sobald Sie ihren Bildschirm hochfahren und Facebook sich aufklappt.
Wir haben in den letzten zwei Wochen mal eine sehr ausführliche Liste mit Hatewords für die Blacklist der Seite erstellt. Ok. Genauer gesagt: ich habe mich freiwillig gemeldet. Danach musste ich einen langen Spaziergang an der frischen Luft machen. Sehen Sie auf vier DIN A4 Seiten die Variationen an Beleidigungen und wahrhaft unterirdischen Begrifflichkeiten aneinandergereiht, kommagetrennt, vor sich und visualisieren sie dabei einen Menschen, der in einer solchen Welt lebt, dessen Wirklichkeit das ist und der sich dieser Wörter bedient, dann schüttelt es sie nicht nur.
Nun prallen also die Gesellschaftsblasen aufeinander, mit denen man vorher keinerlei Überschneidungen hatte. Weder spielen sie, geschätzter Leser, mit per Hubschrauber von Ort zu Ort reisenden Top-Managern in einer Liga, noch bewegen sie sich am wirklichen Rand der Gesellschaft. Nur ein Bruchteil von ihnen weiß, wie diese Menschen leben. Die meisten würden das noch nicht mal als Leben bezeichnen, sondern es mehr mit „vegetieren“ umschreiben. Mittach aufstehen. Ab auf Couch. TV. Einkaufen. DVD. Computer bis nachts um 4. Schlafen. Mittach aufstehen.
The lost generation of white trash
Es ist sehr leicht sich in diesen Tagen darüber zu erheben und es ist noch leichter mit einer zusätzlichen begrifflichen Steigerung wie „widerlich“ und „Pack“ einen größtmöglichen Abstand zwischen sich und Menschen, die in einer solch anderen Wirklichkeit leben, zu schaffen.
Sie werden jetzt öfter mit der Wut und auch mit dem Hass von Menschen zu tun haben. Ob sie oder ich dafür Verständnis haben oder nicht, ob sie oder ich das verurteilen oder nicht, ob wir das mit weiteren Abwertungen belegen oder nicht. Es ändert nichts an der Tatsache, dass diese Schicht ihre Stimme gerade gefunden hat und ein Loch mitten in unsere Gemütlichkeit und in die Selbstgerechtigkeit vieler gerissen hat. Bedenklich? Ja, das ist es.
Sie können das hassen und verabscheuen und sie können sich auch einreden, dass das nicht Deutschland ist. Damit blenden sie jegliche Realität aus und drücken sich vor jeder Verantwortung, die sie nun – alles neu macht der Resetknopf – einem Einwanderer zukommen lassen. Sei’s auch nur laut gebrüllt auf Facebook und auf Twitter.
Die, die abgehängt oder zurückgelassen wurden, die, die diese Zuwendung und diese Welle an Hilfsbereitschaft nie gesehen und nie erfahren haben, reagieren mit höchst primitiven und mit den ihnen bekannten nackten menschlichen Reaktionen: mit Neid, mit Wut – und mit dem Hass, den sie auf sie zurückwerfen. Da werden neue Strafandrohungen unseres Justizministers „gegen Rechts“ nicht viel ändern – er ist wenigstens so realisisch, zwischen „linker“ und „rechter“ Gewalt zu differenzieren. Der Pöbel hat eine Stimme.
Weder kann noch darf man akzeptieren, dass Menschen beschimpft, an Leib und Leben bedroht und angegriffen werden. Ich weiß sehr genau, wovon ich spreche, ohne damit hausieren zu gehen.
Von „White Trash“ erwartet man es leider nicht anders. Was ich an dieser Stelle allerdings sehr zu bedenken geben möchte, ist, in welcher Form vermeintlich gebildete Menschen, Menschen in Vorbildfunktion, in den sozialen Medien und in den Medien darauf reagieren: Mit noch mehr Beschimpfungen, mit blankem Hass, mit noch mehr Ausgrenzung. Diese Reaktion ist natürlich. Aber sie hilft nicht. Sie hilft einfach nicht. Das ist wie die Euro-Krisenpolitik. Das Problem wird größer zurückkehren. Siehe auch „Leute als „Pack“ zu beschimpfen, ist nicht fair“ mit Henryk M. Broder auf WELT.de/N24.
„All you fuckers who are against refugees in our country: I hope yall dipshits get shot an yall families should burn in hell.“ oder „I pray to Jesus, I hope yall Nazi dipshits get killed. I hope your families and pets get stabbed and burned,“ schreibt Tim Morris auf Twitter. Der Tweet wird favorisiert von einem jungen Mann, der sich hier als Autor der Zeitschrift FREITAG, herausgegeben von Jakob Augstein, vorgestellt hat. „Well said“, schreibt der Kollege*, dem man seine Jugendlichkeit nachsehen mag, er ist ja links. Erkennen Sie das Problem? Das steht dem Hatespeech von Rechts einfach in nichts mehr nach. Das Hochhaus steht zwar in ihrem Vorgarten, aber eigentlich sind sie mental schon eingezogen.
„Nein, bitte kein Wutbürger-Wettbewerb! Schimpfen und Schreien können die anderen besser. Wer ihnen entgegentritt, sollte sich nicht das Niveau der Auseinandersetzung diktieren lassen. Und außerdem: Politiker werden nicht für’s Reden bezahlt, sondern fürs Handeln.“, schreibt Thomas Kröter in der Berliner Zeitung im Pro und Contra.
Geht die halbwegs gesittete Sprache und der Umgang miteinander zugrunde, wird die Diskussion von denen aufgekündigt, von denen man Vernunft erwarten kann und darf, stehen wir vor noch weitaus größeren Herausforderungen und Problemen als vor den aktuellen.
Ist das die Sprache, ist das der Umgang, den unsere neuen Mitbürger erwarten können? Jetzt kommen 800.000 Kriegsflüchtlinge und Wirtschaftszuwanderer, für welche tausende Schulen und tausende Lehrer (wo aktuell allein in NRW 3.560 Lehrer fehlen) gefunden werden müssen – und tausenden Wohnungen und menschenwürdige Unterkünfte, bevor die Kälte des Winters in wenigen Monaten zuschlagen wird.
Ich frage jetzt mal so herum: Solche Schulen und Lehrer, die schon beim White Trash und bei den Hasssprechern Beispiel oben ganze Arbeit geleistet haben auch für Neuankömmlinge?
Der Pöbel ist auch ein Produkt unseres Schulsystems. Und da kann einem mit Blick auf 800.000 Kriegsflüchtlinge und Wirtschaftszuwanderer Angst und Bange werden. Ich wünsche jedem Zuwanderer Schulen und Lehrer, die sie davor bewahren, in die deutsche Unterschicht abzurutschen. Allein, ich sehe diese zusätzlichen guten Schulen und Lehrkräfte nicht. Und in der Kombination der Überforderung wird es zur Hölle.
* Nachtrag: In der Zwischenzeit hat Herr Hartmann seinen Zustimmungstweet gelöscht und als Fehler eingeräumt.
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