Breitscheidplatz – 19. Dezember 2017

Wasserwerfer, Absperrungen, Poller hinter Weihnachtsbäumen, Krankenwagen, offensichtliche Zivilfahnder, traurige Gesichter, schlimme Erinnerungen. Über Polizei-Mannschaftswagen Lichter mit dem Wort „Weihnachtsmarkt“.

© R. Zitelmann

Ich war heute dort. Vor einem Jahr, kurz vor dem Anschlag, war ich auch ganz in der Nähe, zwei Minuten vom Ort des Schreckens entfernt. Da war noch alles normal – oder schien so. Wir wussten ja nicht, dass ein Krimineller und Terrorist, der seit langem im Visier der Behörden war, einen schrecklichen Terroranschlag vorbereitete.

Beim Gang über den Kudamm heute, ein Jahr danach, gehen mir Fragen durch den Kopf. In diesen Tagen wird viel darüber diskutiert, wie mit den Opfern und den Angehörigen umgegangen wird. Und warum Angela Merkel erst in diesen Tagen, ein Jahr nach dem Anschlag mit ihnen spricht. Fühlt sie sich irgendwie verantwortlich und wich dem Gespräch deshalb so lange aus? War der öffentliche Druck zu groß geworden?

Merkel direkt für den Anschlag verantwortlich zu machen, ist unfair. Aber sie von aller Verantwortung frei zu sprechen, wird der Sache auch nicht gerecht. Kanzler und andere Staatsoberhäupter reklamieren gerne und schnell die Verantwortung für alle möglichen Dinge, mit denen sie nichts oder nur wenig zu tun haben, wenn diese positiv sind. So etwa für die gute Wirtschaftslage (zu der Merkel jedoch wenig beigetragen hat). Politiker tragen jedoch auch eine Mitverantwortung für Fehlentwicklungen. Die Verantwortung liegt darin, zu lange weggesehen zu haben, zu lange Probleme bagatellisiert zu haben und Prioritäten falsch zu setzen.

Musste sie 364 Tage daran arbeiten?
Merkel mimt Empathie-Kompetenz
Mir gehen die Bilder von den Angehörigen und Überlebenden durch den Kopf, die am Sonntag in einer ergreifenden Dokumentation im Fernsehen gezeigt wurden: Von dem Mann, der verzweifelt im Baumarkt Schrauben einsortiert, weil er irgendwie vergessen will, was er erlebt hat. Von der Angehörigen, die sich entschieden hat, bei der Feuerwehr anzufangen, die ihr geholfen hat. Von dem Mann, für den der Breitscheidplatz für immer der „Eingang zur Hölle“ bleiben wird, wie er sagt. Von dem Mann, der alle Zeitungsausschnitte über das Versagen der Behörden und der Politik in einem dicken Ordner sammelt, sorgfältig eingepackt in Plastikfolien. Sie alle leben in der schrecklichen Gewissheit, dass der 19. Dezember 2016 hätte verhindert werden können.

All die Absperrungen und der massive Sicherheitseinsatz heute wirkten hilflos auf mich. Sicherheit soll suggeriert werden, wo es keine gibt. Die Wahrscheinlichkeit, dass hier und heute, am 19. Dezember 2017 am Breitscheidplatz Berlin, ein weiterer Terroranschlag stattfinden wird, ist vermutlich geringer als zu jeder anderen Zeit und an jedem anderen Platz. Terroristen schlagen niemals dann und dort zu, wo man es erwartet. All die Maßnahmen sind keine Taten, sie sind weniger – sie sind die Illusion einer Tat.

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Kommentare ( 35 )

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EinSödernUndKaudernHier
6 Jahre her

Warum wird im Kontext der Berichterstattung immer der anstiftende V-Mann des BfV in den „Skat“ gedrückt ?

Friedrich - Wilhelm
6 Jahre her

alles schön und gut, herr zitelmann, aber sie sollten sich auch einmal fragen, was die liberale jugend in norddeutschland zum verbot der polygamie sagt. diese polygamie würde sie nämlich eingeführt sehen wollen. damit stellt sie sich in die gleiche reihe, wie die mohammedaner! und das ist fast so schlimm, wie islamische gewalt gegen einheimische!!

Gudrun Lüttich
6 Jahre her

Frau Merkel ist verantwortlich, sie hat die Grenzen geöffnet und nicht wieder geschlossen! Jeder aus allen Herren Ländern kann nach Deutschland kommen mit oder mit gefälschten oder gar keinen Pässen. Sie haben hier unglaubliche Rechte ,stellen Forderungen ( wie jetzt in Deggendorf , besseres Essen schlechte Hygiene u.s.w. )und werden von uns Steuerzahler subventioniert. Selbst Kriminelle und sogar Ex Taliban werden nicht abgeschoben. Ihnen könnte ja in ihren Heimatländern Unrecht geschehen. Aber hier laufen sie frei unter uns herum, wir Eingeborene werden nicht vor ihnen beschützt. Täterschutz vor Opferschutz !!! Die Grenzen müssen kontrolliert werden . Menschen, die keine Aussicht… Mehr

Sonni
6 Jahre her

Wenn ich alle Voraussetzungen dafür erfülle, die Verbrechen jeglicher Art Tür und Tor öffnen, diese Verbrechen dann aber von anderen als mir selbst ausgeführt werden, wäre es unfair, mir die Schuld zu geben?
Nene, solch eine Sicht der Dinge ist dem Gesetz nach m.E. aber anders, Beihilfe nennt man so was wohl.
Außer bei Merkel und Co. natürlich.

Knipser
6 Jahre her

Auf den Fotos und Filmchen von Merkels gestrigem „Besuch“ dort sieht man ihr die Aufgesetztheit, ja Falschheit und Verlogenheit in dem Moment dort, tief ins Gesicht geschrieben, deutlich an. Sie ist direkt verantwortlich für den „Vorfall“ im letzten Jahr dort, aber es ist ihr egal und für sie nur ein lästiger Kollateralschaden. Ähnlich einem Fleck Farbe, der trotz Folie beim malern irgendwie zum Teppich durchgedrungen ist.

Henryke
6 Jahre her

Den im Artikel gezeigten Fotos möchte ich eines hinzufügen; ein kleiner Funken Licht, das zwar schnell ausgelöscht wurde und dennoch ein Zeichen setzte:
https://www.welt.de/politik/deutschland/article171744110/Identitaere-Bewegung-stellt-Grabsteine-vor-Brandenburger-Tor.html

Doris die kleine Raupe Nimmersatt
6 Jahre her

„Merkel direkt für den Anschlag verantwortlich zu machen, ist unfair. “

Eine junge Mutter lässt die Haustür und die Wohnungstür weit offen stehen und geht derweil zum Kaffeetrinken ins nahe gelegene Cafè. Da kommt von der Straße ein Mann ins Haus, steigt zwei Stockwerke hoch, geht in die offene Wohnung und vergeht sich dort an der schlafenden 5jährigen Tochter der Frau.

Jeder normal denkende Mensch würde die junge Mutter für direkt verantwortlich halten. Sie nicht?

Arno Schäfer
6 Jahre her

Es gibt seit dem Ende des „bleiernen Herbst“ der 1970er kein Ereignis, das so dermaßen das Versagen der deutschen Politiker aufzeigt, wie der Terroranschlag vom Breitscheidplatz: Alles, wirklich ausnahmlos ALLES, was man falsch machen kann, wurde falsch gemacht: Vor dem Anschlag, während des Anschlages und erst recht nach dem Anschlag! Und? Ist deswegen ein einziger Beamter oder gar Politiker zur Verantwortung gezogen worden? Gab es Anklagen wegen fahrlässiger Tötung und Körperverletzung gegen Behörenvertreter? Musste auch nur ein einziger Beamter seinen Hut nehmen? -Nein, vertuscht und „zwangsvergessen“ wurde das ganze, zur Petitesse degradiert, bloß nicht innehalten, hinschauen, Verantwortung übernehmen, Ursachen bekämpfen,… Mehr

Michael M.
6 Jahre her

„Merkel direkt für den Anschlag verantwortlich zu machen, ist unfair. “

Ist es fair, unschuldiges opfer eines terroranschlags zu werden, der in verantwortung der kanzlerin zumindest massivst begünstigt wurde?

FräuleinBea
6 Jahre her

„In diesen Tagen wird viel darüber diskutiert, wie mit den Opfern und den Angehörigen umgegangen wird. Und warum Angela Merkel erst in diesen Tagen, ein Jahr nach dem Anschlag mit ihnen spricht.“ Vielleicht ist es ja für die Opfer und deren Angehörige ein Trost, dass Merkel nicht in jedem Fall so saumselig agiert, denn nachdem in Dresden am 26.09.2016 ein Sprengsatz an der Tür der Fatih-Moschee explodiert war, wobei die Tür leicht beschädigt aber niemand in irgendeiner Weise verletzt wurde, besuchte die Kanzlerin bereits nach einer Woche den Ort des Geschehens und traf sich mit dem Imam dieser Moschee und… Mehr