Österreich: Türkis-blaue Regierung mit neuem Stil

Bei der gemeinsamen Präsentation vor der Presse legten Kurz und Strache Wert auf einen unaufgeregten Start: Sie könnten und wollten nicht alles anders machen, aber vieles besser.

© Alex Halada/AFP/Getty Images

In der Republik selbst haben Sebastian Kurz und Heinz-Christian Strache die dortigen Medien mit einem neuen Stil bekannt gemacht. In aller Ruhe und sehr konzentriert verhandelten sie mit ihren Vertrauten und Experten. Dem alten Spiel, das die Medien in Wien und den Landeshauptstädten bisher immer genauso spielten wie in Berlin, entzogen sie den Boden: durch fast lückenlose Vertraulichkeit. So fehlte den Medien der Stoff, mit dem sie innerparteiliche Opponenten gegen Kurz und Strache, andere Interessen in den Kammern, Bünden, Länderregierungen und so weiter gewohnt waren, gegeneinander in Stellung bringen zu können.

Dieses alte Spiel lief auch deshalb ins Leere, weil die ÖVP Kurz bei seiner Wahl zum Vorsitzenden (Parteiobmann) mit den von ihm ausbedungenen Vollmachten ausstattete, die seine (formelle) Handlungsfähigkeit garantierte, wie sie seit Bruno Kreisky (informell) kein österreichischer Parteichef mehr hatte.

  • Über die Zusammensetzung der Liste Kurz der „neuen Volkspartei“ mit der neuen Farbe Türkis entschied Kurz allein.
  • 36 der 62 Mitglieder des Nationalrats der neuen ÖVP sind neu im Parlament, darunter etliche Quereinsteiger.
  • Sieben der acht künftigen ÖVP-Kabinettsmitglieder kommen erstmals ins Amt, vier sind Frauen.
  • Bei der Personenauswahl spielten zum ersten Mal die alten Machtzentren der alten ÖVP keine Rolle: die berufsständischen Bünde und die Landesverbände.
  • Alle EU-relevanten Kompetenzen liegen in Zukunft in ÖVP-Ressorts. Kurz hat mit Strache zusammen dieses öffentlich heiße Thema maximal entschärft.

Auf dem Internetportal des Boulevardblattes Österreich schreibt dessen Herausgeber Wolfgang Fellner unter anderem:

Der weiße Rauch der Zigaretten von HC Strache ist aufgestiegen, der Hund von Präsident Van der Bellen hat nicht zugebissen – wir haben nach nur 60 Tagen seit der Wahl eine neue Regierung. Selten war eine Koalitionsverhandlung so professionell, so zielorientiert, auch so amikal wie diese für Türkis-Blau …

Noch klingt das Regierungs-Programm etwas (zu) verhalten. Noch fehlen die großen Visionen etwa in der Bildung, bei der Steuerentlastung, auch bei der direkten Demokratie. Diese Regierung geht ihren Job vorsichtig, jedenfalls nicht rechtsextrem oder ultrakonservativ an. Das ist durchaus gut so.“

Kurz und Strache haben mit ihren Leuten offensichtlich persönlich und sachlich in einem Stil verhandelt, der Vertrauen schuf. Können die beiden Teams diesen Stil im Großen und Ganzen in den kommenden fünf Jahren fortsetzen, täte dies einer neuen Politik gut und könnte sogar erzieherisch auf den Stil der Medien ausstrahlen. Journalisten, die ohnedies lieber kritisch in der Sache berichten und kommentieren wollen, bekämen eine echte Chance gegenüber jenen, die von Streit und Skandälchen von Personen leben.

Austria Felix
Österreich: neue Regierung
Der größten Gefahr ist sich Sebastian Kurz bewusst, jener der überhöhten Erwartungen, die auch besteht, wenn er selbst sie gar nicht schürt. Dass in den Verhandlungen auch darüber gesprochen wurde, dokumentiert ein Satz von Heinz-Christian Strache – ganz sicher im Einvernehmen mit Kurz – bei der gemeinsamen Präsentation vor der Presse: „Wir wissen beide, dass wir keine Zauberer und Wunderwuzzis sind.“ Noch ein Satz von Strache unterstreicht das Interesse der beiden Regierungspartner in spe an einem unaufgeregten Start: Sie könnten und wollten nicht alles anders machen, aber vieles besser. Eine Ansage mit Stil.

Die hübscheste Frage bei der Präsentation stellte der Korrespondent der Frankfurter Allgemeinen: Welche Bedeutung die Wahl des Präsentationsortes am Kahlenberg habe. Außer Kurz und Strache dürften die meisten im Raume die Frage nicht verstanden haben. Die Schlacht am Kahlenberg 1683 war der Beginn vom Ende des Osmanischen Reiches. Kurz‘ Antwort war kurz und typisch (Strache lächelte verschmitzt), er habe so manches in den Verhandlungen beeinflusst, die Wahl des Kahlenbergs nicht (von ihm hat man übrigens einen prächtige Ausblick auf die Stadt).

Auf Welt online ist zu lesen: „Per Twitter forderte der Präsident das neue Kabinett dazu auf, proeuropäisch zu agieren.“ Damit folgt die Welt dem verengten Blickwinkel vieler deutscher Medien, die neue Regierung in Wien an ihrer Distanz zu Merkels und Macrons EU-Politik zu messen. Wahr ist vielmehr, dass Kurz, Strache und van der Bellen in allen Phasen der Verhandlungen kontinuierlich miteinander sprachen, so dass der Bundespräsident und die Verhandlungsführer stets wussten, was die eine Seite von der anderen erwarten durfte. Den von WON genannten Tweet ließ van der Bellen erst los, nachdem sich die drei über alle EU-relevanten Fragen einig waren.

Welche EU?
Donald Tusk und Viktor Orbán
Es würde mich nicht wundern, wenn Bundespräsident, Kanzler und Vizekanzler hier schon eine Routine der andauernden Zusammenarbeit gefunden hätten, von der sie noch gar nicht wissen, dass eine in der Sache ruhige große Gemeinsamkeit der österreichischen Politik einen neuen Stil bescheren könnte – bei der der politische Einfluss des Präsidenten größer ausfiele, als van der Bellen selbst erwartet hat. Am Ende werden die drei noch „best friends“. Dem persönlichen Stil von Sebastian Kurz entspräche das, dem des inzwischen als Staatsmann agierenden Heinz-Christian Strache auch und dem des nie zum Krach neigenden Alexander van der Bellen ebenfalls.

Für die Spitzenpersonen der Oppositionsparteien wie vom Krach lebende Journalisten wären das schlechte Nachrichten. Aber so ist das Leben.

Fußnote: Auf eine Kommentierung des Regierungsprogramms verzichte ich, hier können Sie sich selbst ein Bild machen. Über die öffentlichkeitsträchtigen Punkte im Regierungsprogramm schreibe ich getrennt.

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Kommentare ( 35 )

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Gero Hatz
6 Jahre her

Gehen wir mal davon aus, dass die neue Wiener Regierung Erfolg haben wird. Merkels Alternativlosigkeit wird dann sehr schnell zum Alleinstellungsmerkmal eines Deutschland, dass von Politikern geplagt wird, die nicht im Stande sind eigene Fehler zu erkennen.

Wahlwiener
6 Jahre her

Ich glaube, wir geben uns mit zu wenig zu schnell zufrieden. Wien und im Gefolge ganz Österreich hat nur noch ein kurzes Zeitfenster, dann hat der Konservatismus und Liberalismus keine Chance mehr, weil demographisch erledigt.

An der Bewältigung dieser nationalen Herausforderung sollte man die Koalition messen und nicht daran, ob die Herren auf dem Parkett miteinander harmonieren.

Ich vermisse den großen Ehrgeiz und auch den Biss, der nötig ist, um dem Linksbuntglobalismus die Stirn zu bieten.

B. Krawinkel
6 Jahre her

Mit Dank an den Autor für den Artikel und als kleinen OT-Einwurf zum Thema an die werten Mitforisten die Frage, in welchem österreichischem Nachrichtenportal man sich als Deutscher tagesaktuell, aber halbwegs ideologiearm informieren kann?

Der Umweg über NZZ scheidet seit einigen Monaten durch starken deutschen (Links-) Einfluß nun auch aus.

Und als Ausländer vermag man die politische Position der unterschiedlichen Portale nicht ganz leicht zu durchschauen.

Auch das wäre vielleicht mal einen ganzen Artikel hier wert.

B. Krawinkel
6 Jahre her

Mit Dank an den Autor für den Artikel und als kleinen OT-Einwurf zum Thema an die werten Mitforisten die Frage, in welchem österreichischem Nachrichtenportal man sich als Deutscher tagesaktuell, aber halbwegs ideologiearm informieren kann?

Der Umweg über NZZ scheidet seit einigen Monaten durch starken deutschen (Links-) Einfluß nun auch aus.

Und als Ausländer vermag man die politische Position der unterschiedlichen Portale nicht ganz leicht zu durchschauen.

Auch das wäre vielleicht mal einen ganzen Artikel hier wert.

Felix Schmidt
6 Jahre her

Jamaika, GROKO, KOKO… es ist ein Trauerspiel in Deutschland. Wann endlich wird die Hauptverursacherin, Frau Merkel, entmachtet? Ohne Merkel hätten wir schon längst eine neue Regierung.
So bleibt uns nur der neidische Blick auf Österreich.

Morpheus
6 Jahre her

Die linken Demokratinnen und Demokraten zeigen heute in Wien wieder ihre Fratze.
Wenn das Ergebnis einer freien und demokratischen Wahl nicht den eigenen Vorstellungen entspricht, dann wird gewalttätig demonstriert und Millionen von Wähler der schwarzblauen Regierung als Nazis diffamiert.
Das sie selbst die Faschisten sind, darauf kommen diese Trottel nicht.
Vieles kann man mit der Jugend erklären, aber Gewalt gegen Andersdenkende nicht!

mlw-reloaded
6 Jahre her

Herr Goergen, ich bin auf Ihren Artikel zu den Inhalten gespannt. Ich persönlich habe mich sehr darüber aufgeregt. Und zwar deshalb, weil alles sinnig und durchdacht, realisitisch aber auch mutig auf mich wirkte. Und mir klar wurde, dass mein Land so etwas nie zustande gebracht hätte.

Bert
6 Jahre her

Friede, Freude, Eierk….sorry, Palatschinken in Österreich.
Seriöse, ruhige und professsionelle Regierungsbildung. Und dazu noch ein gutes
Einvernehmen mit dem grünen Van der Bellen. Wenn die jetzt noch ein solides Programm haben, wird unsere Chaostruppe in Berlin vor Wut schäumen.

Ghost
6 Jahre her

„überhöhte Erwartungen“
Das ist sicherlich, allgemein betrachtet, der Fall, kommt aber übrall vor, der normale Reflex nach einer Wahl. Die Menschen meinen wohl, die neu gewählte Regierung habe so etwas wie einen Zauberstab in der Tasche. Aber ich finde, die Österreicher haben diesmal gut gewählt, das Ganze sieht vielversprechend nach Veränderung aus. Man sollte dieser neuen Regierung viel Glück und gutes Gelingen wünschen.

Marc Hofmann
6 Jahre her

Der Punkt „Umwelt“ im Regierungsprogramm ist der Selbstmord dieser Regierung… Wir setzen alle internationalen Verträge zum Klimaschutz (Kyoto, Paris etc.) um und beachten die UN-Nachhaltigkeitsziele („Sustainable Development Goals“). Wir sehen darin nicht nur die Verantwortung für einen konsequenten Dekarbonisierungspfad bis 2050, sondern auch die besondere Verantwortung Österreichs, sich dafür einzusetzen, dass auch weiterhin keine finanziellen Mittel für die Atomkraft bereitgestellt werden und die Agenda 2030 gesamtstaatlich berücksichtigt wird. Über den Finanzmarkt werden wir durch verschiedene Finanzinstrumente (wie z.B. Green Bonds) und Maßnahmen zur Erleichterung von nachhaltigen Investitionen sowohl für institutionelle als auch private Anleger konkrete Investitionsmöglichkeiten für Grüne Technologien und… Mehr

Kassandra
6 Jahre her
Antworten an  Marc Hofmann

Naja- schauen Sie doch mal, wie die Österreicher ihren Strom heute schon erzeugen können. Im Unterschiede zu Deutschland.

Marc Hofmann
6 Jahre her
Antworten an  Kassandra

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Mit Gas-Baypass von Rußland….Österreich will im Wettbewerb bestehen bei steigenden, Energie- Lebenshaltungskosten und stagierenden und fallenden Löhnen in Europa…und gleichzeitig fallenden Energie- und Arbeitskosten in den USA und den Großteil der restlichen Welt.
Wohin werden sich also die Energieintensiven Konzern wie Voest Alpine in Zukunft also wenden….in die USA…die energieintensive Grundstoff Industrie…werden massiv unter dieser „Umwelt- und Energiepolitik“ zu schaden kommen und die, die es sich leisten können, werden ihre Arbeitsplätze ins Ausland verlagern…auch und erst recht nach der Trump Steuer- und Energiereform in die USA.