In Deutschland hat ein merkwürdiger Sozialkonflikt begonnen. Es geht um das Wohnen und die steigenden Wohnkosten in vielen Städten. Der Konflikt stellt Mieter gegen Vermieter, er sät in einzelnen Stadtvierteln Misstrauen gegen jede Investition und jeden Neuankömmling, er lässt Elendsbilder von vertriebenen Mietern über die Bildschirme flimmern. Spätestens seit der Einführung der sogenannten „Mietpreisbremse“ im Juni 2015 hat die große Koalition in diesem Konflikt Partei ergriffen: gegen die Vermieter. Das Bremsgesetz sieht vor, dass in Gebieten mit „angespanntem Wohnungsmarkt“ Mieterhöhungen bei Neuverträgen gedeckelt werden. Die neue Miete darf nicht mehr als 10 Prozent über der ortsüblichen Vergleichsmiete liegen. Das klingt moderat, bedeutet aber eine Grundentscheidung: Der Trend zum Wohnen in der Stadt, der seit einigen Jahren zu beobachten ist, soll nicht mit den Mitteln der Marktwirtschaft gemeistert werden. Dabei gäbe es gute Gründe, in den begehrten Stadtteilen erhöhte Renditen zuzulassen und dadurch Investitionen anzuregen. Darin läge die Chance, dass die Renaissance der Urbanität zu einer Substanzverbesserung führt, zu ansehnlicheren Städten. Diese Chance wird kleinmütig vertan, wenn jetzt ein Spalt zwischen Mieter und Vermieter getrieben wird. Und wenn der stadthistorisch völlig normale Vorgang, dass man umzieht, wenn es die Umstände erfordern, stigmatisiert wird. Der deutsche Wohnungsmarkt ist kein Monopolmarkt. Er bietet genügend Raum, um vor hohen Mieten ausweichen zu können. Die Bandbreite der Angebote quer durch Regionen, Städte und Stadtteile ist groß. Das Bild von der Mietervertreibung ins Nirgendwo, das mancherorts gemalt wird, ist ein finsteres Zerrbild. Es spricht Bände, dass dies Zerrbild ausgerechnet in Berlin besonders schwarz gemalt wird, obwohl die Hauptstadt nach wie vor im deutschen und internationalen Vergleich extrem günstige Miethöhen aufweist. Und es spricht auch Bände, dass der Berliner Senat die Mietpreisbremse sofort für das gesamte Stadtgebiet verordnet hat – auch für Stadtteile mit großem Nachholbedarf bei der Wohnqualität, die seit Jahrzehnten auf Investitionen warten.
Wohnungen sind ein sensibles Gut. Genauer gesagt: Sie sind ein zweischneidiges Gut. Auf der einen Seite wird mit dem Wohnen etwas Elementares verbunden, so wie das auch bei den Nahrungsmitteln der Fall ist. Das Dach über dem Kopf ist überlebenswichtig. Obdachlosigkeit wird als der Inbegriff des Elends empfunden. Mit der Wohnung ist eine ganze Lebenswelt verbunden, die uns vertraut ist und ein Gefühl der Sicherheit gibt. Deshalb werden hier Veränderungen als schmerzhafte Eingriffe erfahren und lösen zunächst Hilflosigkeit aus. Aber es gibt auch ein zweites, völlig anderes Merkmal des Gutes „Wohnung“: Es ist ein kapitalintensives Gut. Es erfordert hohe und vor allem langfristige Investitionen. Dies scheinbar so einfache Gut ist mit einem großen Kapitalaufwand verbunden. Dazu gehört auch ein dauerhafter Zufluss von Erneuerungsinvestitionen. Der angeblich „tote“ Stein bedarf also eines aktiven, unternehmerischen Eigentümers. Der Neubau ist dabei nur der erste Schritt. Erst in den Jahren und Jahrzehnten danach erweist sich, ob eine Wirtschaftsordnung wohnungsfreundlich ist. In den sozialistischen Systemen, wo man die „Kapitalisten“ abgeschafft hatte, hat man gesehen, wie bei den innerstädtischen Wohngebäuden von der Substanz gezehrt wurde. Die Bilder stehen uns noch vor Augen.
Aber, so könnte man einwenden, sollte man nicht die besonders starken Mieterhöhungen – wie wir sie jetzt an einigen Orten sehen – einschränken? Solche Ausschläge am Markt haben tatsächlich etwas Gewaltsames. Doch auf längere Sicht betrachtet fällt die Bewertung anders aus: Was zunächst Zerstörung ist, wird auf Dauer produktiv. Ein Beispiel: Vor kurzem wurde die Hamburger „Speicherstadt“ als Weltkulturerbe anerkannt. Sie entstand im Zuge der Einrichtung des Hamburger Freihafens 1888. Damals mussten 20000 Menschen, die bisher dort gewohnt hatten, zum großen Teil Hafenarbeiter, wegziehen. Ein schmerzvoller Prozess und doch ein kultureller und wirtschaftlicher Gewinn für Hamburg. Heute wird auch wieder in der Speicherstadt auch wieder gewohnt. Ähnliche Vorgänge gibt es eigentlich in jeder Stadtgeschichte. Vieles von dem, was Mieter heute an Stadtteilen mit schönen Fassaden und großzügigen Gebäuden schätzen, hatte einen gewaltsamen Anfang. Sollte man wirklich, aus Angst vor den ersten Schritten auf die dadurch eröffnete weitere Entwicklung verzichten? Diese städtebauliche Grundfrage wird jetzt wieder aktuell.
Ja, es gibt in deutschen Städten Mieterhöhungen, wie man sie lange nicht mehr in dieser Stärke gesehen hat. Aber es wäre sehr kurzsichtig, wenn man daraus eine Wohnungskrise konstruiert und dem Immobilieneigentümer die Schuld gibt. Stattdessen wäre es gerade jetzt besonders wichtig, die Übersicht zu behalten und in längeren Zeiträumen zu denken. Es wäre auch der Moment, wo die Regierenden ordnungspolitisches Rückgrat beweisen könnten – indem sie erklären, warum nur der Markt das notwendige Kapital mobilisieren kann. Dazu gehört auch die Marktbeziehung zwischen Mieter und Vermieter.
Die große Koalition tut mit der Mietpreisbremse das Gegenteil. Das Gesetz mag im Einzelnen noch moderat sein, aber es greift massiv in die Vertragsfreiheit ein. Vor allem kapituliert diese Maßnahme vor der Aufgabe der Aufklärung der Bürger über das, was gegenwärtig in ihren Städten geschieht. Sie lässt ein Ressentiment entstehen, das schnell zum Wahlkampfthema wird und die Eingriffe in die Immobilienwirtschaft immer weiter steigern wird. In Berlin ist das schon in vollem Gang. Das Feindbild des gnadenlosen Vermieters leistet dabei noch einen zusätzlichen Dienst. Es lenkt von den anderen Faktoren ab, die das Wohnen teurer machen: von den Baukosten, die durch immer höhere Standards und die erhöhten Grunderwerbssteuern gesteigert werden; von den Nebenkosten (der sogenannten „zweiten Miete“), bei denen vor allem die teure Energiewende zu Buche schlägt – nicht zu vergessen die kleine, aber schäbige Zwangsabgabe für Rundfunk und Fernsehen, die inzwischen von jedem Haushalt erhoben wird. Nicht ein raffgieriger Vermieter, sondern der brave Staat schlägt hier zu – der gleiche Staat, der sich jetzt zum Chefkontrolleur der Mietentwicklung machen will.
Dieser Beitrag ist zuerst auf der Achse des Guten erschienen.
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