OP der Zukunft: Neue Software für den Chirurgen

Augmented reality trifft Medizin mit beispiellosen Fortschritten. Erweiterte und virtuelle Realität verschaffen einen erheblichen Informationsgewinn während operativer Verfahren.

 

Patienten sollten nicht erschrecken, wenn sich ihnen in Zukunft ihr Arzt mit einem solch ungewöhnlichen Monstrum auf dem Kopf nähert. Es sieht aus wie eine Brille für Computerkids, die virtuell das neueste Spiel zocken. Es ist auch eine Brille, die eine Augmented Reality vorgaukelt, eine neue Realität. Sie verhilft dem Chirurgen zu dem, wovon er schon immer träumte, nämlich zu einem wesentlich genaueren und detaillreicheren Blick in das Innere des Körpers als bisher. Im Operationssaal der Zukunft soll ihm diese neue Technik helfen, besser und sicherer als bisher zu arbeiten. Der Chirurg soll genauer in den Organismus blicken und sich während der Operation exakt orientieren können: Mit ihr gewissermaßen durch den Körper und seine einzelnen Organe sehen.

Mit einem Scanner tastet er das Innere des Bauchraums ab. Auf wundersame Weise spiegelt ihm der Computer den Blick ins Innere vor; er sieht sogar wie in einem virtuellen Spiegel, wie es dahinter aussieht – und das sogar in 3D. Augmented reality trifft Medizin mit beispiellosen Fortschritten. Erweiterte und virtuelle Realität verschaffen einen erheblichen Informationsgewinn während operativer Verfahren. Die Auflösung ist mit einem bis zwei Millimeter ziemlich genau, in der Neurochirurgie schafft die Technik noch ein wenig mehr.

Navigation mit Augmented Reality in der Chirurgie spart auch Röntgenaufnahmen und damit kritische Röntgenstrahlen. Diese Systeme sind bereits Routine in der Neurochirurgie. Dort sieht der Neurochirurg ziemlich genau, wo der Hirntumor sitzt und kann ihn präzise herausschneiden. Beim Einbau künstlicher Hüftgelenke helfen solche Navigationssysteme auch, genau den Winkel einzustellen, mit dem die künstlichen Hüfte eingebaut wird.

Dahinter steckt ausgefeilte Technologie: Der Computer lagert Bilder übereinander, einmal die mit modernen Bildgebungsverfahren wie Magnetresonanz-Tomografie und Computer-Tomografie produziert wurden, und mit den Bildern, die mit dem 3 D-Sichtgerät auf dem Kopf des Chirurgen produziert werden.

Prof. Nassiv Navab vom Lehrstuhl für Informatikanwendungen in der Medizin & Augmented Reality der TU München: „Deshalb ist eine richtige augmented Umgebung dazu da, dass wir versuchen, die Daten zu präsentieren, so aufzubereiten und genau da zu zeigen, wo sie hingehören, zum Beispiel den Tumor genau an seinem Ort. Weitere Informationen kommen aus der Röntgentechnologie oder vom CT. Sie liegen genau an der richtigen Stelle. Die Verbindung mit der Bewegung des Chirurgen und seiner Wahrnehmung – das ist die Herausforderung.“

Denn die Darstellung muss in Echtzeit geschehen. Selbst sehr geringe zeitliche Verzögerungen würden die Wahrnehmung des Chirurgen entscheidend stören. Technologisch erweist es sich jedoch als extrem kompliziert, mit Bilderkennung die Anatomie genau zu orten und zu verfolgen. Denn die ist nicht wie in der Mechanik starr und gleichförmig, sondern immer unterschiedlich und verändert sich laufend.

Die dreidimensionale Visualisierung hilft zum Beispiel auch dem Orthopäden, der einen Knochen mit einem Nagel durch das Mark stabilisieren muss. Wie auch jeder Heimwerker weiß, ist es schwierig, zu sehen, wie weit man bohren kann, ohne dahinter Liegendes anzubohren.

Mit überlagerten Ansichten der Augmented Reality kann sich der Orthopäde am Röntgenbild orientieren und sozusagen »hinter die Anatomie« schauen. Diese Technik, eine Art virtueller Spiegel, erlaubt dem Chirurgen präziser bei Knochenbrüchen zu operieren.

Navab: „Der Chirurg kann mit einer Funkmaus in den Patienten hineinfahren und alle Innenansichten generieren, die Sie sich vorstellen können. Es ist wie ein richtiger Spiegel: Sie fühlen vollständig eine dreidimensionale Information in dem, was wir in situ nennen, genau den richtigen Platz des Werkzeuges genau in der richtigen Schritten des Arbeitsablaufes. Das ist keine Unterhaltung, das ist phantastische Visualisierung. Für den Chirurgen ist es nur ein Werkzeug, um genau die notwendigen Informationen zu bekommen.“

Prof. Ekkehard Euler, Unfallchirurg am Klinikum der Universität München: „Wichtig ist das zum Beispiel bei Wirbelsäulen-Operationen. Wenn Sie sich vorstellen, ich setze eine Schraube in einen Wirbelkörper hinein und bin nicht in der Lage, die Grenzen des Wirbelkörpers zu kontrollieren, und gerate mit meinem Bohrer über die knöcherne Grenze hinüber, besteht die große Gefahr, dass man lebenswichtige Strukturen, wie zum Beispiel die Bauchschlagader verletzt.“

Realitäten werden gemischt – bisher allerdings nur im Labor, weil die Geräte wie Brillen noch zu groß und unhandlich sind. Doch diese Instrumente gelingen immer kleiner und damit brauchbarer.

Diese neuen Technologien bedeuten für Ärzte eine ähnliche Umstellung wie zu Beginn des »Röntgenzeitalters«. Sie müssen sich künftig daran gewöhnen, mit merkwürdigen Geräten ihre Patienten zu durchleuchten. „Der technologische Aufwand jedoch bedeutet einen enormen Zugewinn an Sicherheit und Genauigkeit bei operativen Prozeduren“, sagt Euler.

Nehmen Sie im Video einen Blick in das Labor in München, in dem Informatiker und Mediziner an der Zukunft arbeiten.

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