Journalisten beschreiben nicht nur, was sie sehen und erfahren; sie analysieren und spekulieren auch. Besonders beliebt bei Schreibern wie Lesern sind die Personal-Spekulationen: Wer wird wann was? Wer wird wann und warum gestürzt? Und so weiter und so fort. Dabei helfen Fakten und Informationen. Doch ganz ohne Phantasie geht’s auch nicht. Doch allzu häufig geht mit manchen politischen Analysten die Fantasie durch.
Zu den beliebtesten Ratespielen in Berlin zählt: „Wie lange bleibt Angela Merkel noch Kanzlerin?“ Der sehr ehrenwerte Chefredakteur einer seriösen politischen Zeitschrift behauptete schon vor fünf Jahren, Angela Merkel werde spätestens ein Jahr vor der Bundestagswahl 2013, also im Herbst 2012, ihr Amt an Ursula von der Leyen übergeben. Er ließ sich auch auf eine Wette ein – und hat sie dann ohne zu klagen bezahlt.
Zitaterfolge für den Spiegel…
Beim Merkel-Raten hat jetzt der „Spiegel“ eine weitere Runde eingeläutet. „Merkel will die vierte Amtszeit“, meldet das Magazin in der aktuellen Ausgabe. Dort wird auch behauptet, zwischen CDU und CSU wären sogar schon Details des Wahlkampfes besprochen worden, zum Beispiel, dass der Wahlkampf vom Konrad-Adenauer-Haus aus geführt werde soll und nicht in einem eigens eingerichteten Wahlkampf-Hauptquartier. Auch sollen angeblich schon „erste Helfer angesprochen worden“ sein.
Der „Spiegel“ hat erreicht, was er wollte: Schon vor Erscheinen des Heftes wurde diese „Nachricht“ eifrig zitiert und kommentiert. Mit der Merkel-Meldung habe das Magazin „Zitaterfolge erzielt“, lästerte der Politikchef von „Bild“, Béla Anda in seinem „Hauptstadtbrief“. Und weiter schreibt der ehemalige Schröder-Sprecher: „Besonders dicke war die Quellenlage nicht. Sei´s drum. Es ist Sommer.“
Dünne Quellenlagen gab’s schon öfter, wenn Journalisten und Politiker im vermeintlichen Epizentrum der Welt, also in den Kaffeehäusern und Spesenrestaurants in Berlin-Mitte, über die Frage spekulierten, wie „ewig“ Merkel denn noch regieren werde. Bei „Bild“ sollte man eigentlich wissen, wie leicht man sich dabei vertun kann. Im Frühjahr 2013 verkündete das Blatt groß auf Seite1, Merkel werde im Falle eines Wahlsieges in der Mitte der Legislaturperiode abtreten. Das hätte sie also jetzt tun müssen, zwei Jahre vor der nächsten Bundestagswahl.
…und die Quellenlage
Die „Quellenlage“ 2013: ein Merkel-Buch des damaligen „Bild“-Redakteurs Nikolaus Blome. Der stellte durchaus einleuchtende Überlegungen an, warum sich die Kanzlerin für einen „Ausstieg 2015“ entscheiden könnte. Ähnlich einleuchtende Überlegungen, warum sie das nicht tun werde, unterdrückte er dagegen. Blome räumte im Buch offen ein, er habe für seine These keinen „gerichtsfesten Beweis“. Doch gebe es „zahlreiche handfeste Hinweise und Plausibilitäten“. Nun ja, trotz dieser „Quellenlage“ schaffte es das Ausstiegszenario auf die Titelseite von „Bild“. Als Buch-Werbung nicht schlecht. Nur: Merkel dachte nicht daran, vorzeitig zurückzutreten. Und ob sie 2017 nochmals antreten wird, weiß allenfalls sie selber – wenn sie sich überhaupt schon entschieden hat.
Bisher hat noch kein deutscher Kanzler den richtigen Zeitpunkt zum freiwilligen Rückzug erwischt, auch nicht die beiden Langzeitkanzler Konrad Adenauer (14 Jahre) und Helmut Kohl (16 Jahre). Adenauer wurde 1963 von der eigenen Partei auf recht ruppige Weise aufs Abstellgleis geschoben, weil auch der Koalitionspartner FDP ihn loshaben wollte: „Der Alte muss weg“. Kohl wurde 1998 vom Wähler ziemlich rüde abgewählt. Mit bald 10 Jahren Amtszeit liegt Merkel bereits auf Rang 3. Noch hat sie es in der Hand, ob sie aus freien Stücken aufhört oder im Amt bleibt, bis sie gestürzt wird – sei es von der eigenen Partei, sei es vom Wähler.
Ob Angela Merkel bei der Bundestagswahl 2017 wieder antritt oder nicht, wird sie frühestens rund 18 Monate vor der Wahl bekanntgeben. Dabei dürfte dann auch die politische Großwetterlage eine Rolle spielen. Anders als Kohl wird sich die kühle Rechnerin nicht sehenden Auges in eine Wahlschlacht stürzen, die die Union – siehe 1998 – nur verlieren kann. Merkel, die die CDU eher als Machtinstrument denn als politisch-emotionale Heimat ansieht, wird sich ebenso wenig als Spitzenkandidatin opfern, falls sich im Frühjahr 2016 im Wahlvolk eine ausgemachte Wechselstimmung breit machen sollte und alle Zahlen der Demoskopen auf einen Regierungswechsel hindeuten. Einen Opfergang antreten? Nein, so weit geht die Liebe der Vorsitzenden zu ihrer Partei wohl kaum.
Angela Merkel hat sichtlich Spaß am Regieren. Deshalb spricht alles dafür, dass sie 2017 abermals antritt. Aber nur unter der Bedingung, dass die Chancen für einen Wahlsieg deutlich größer sind als die Risiken ihrer vierten Kanzlerkandidatur. Deshalb können Merkel-Spekulationen derzeit die Phantasie beflügeln und das Sommer-Loch etwas füllen; ernst genommen werden sollten sie dagegen nicht.
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