Jamaika Papers

Das ist das Papier, das die Schwampelianer in dieser Nacht verhandeln. Noch ist vieles offen, aber: Das Sondierungsprotokoll ist in Widersprüche über Widersprüche verstrickt, dafür aber so lang und kompliziert formuliert, dass es niemand durchliest.

© Odd Andersen/AFP/Getty Images

Als erstes fällt auf, dass die äußere Form der Jamaika-Sondierungs-Unterlage für diese Nacht genau so aussieht wie die Entwürfe, wie sie Parteitagen vorliegen, eingeführt vom SDS in den Hochzeiten der APO und dann sukzessive übernommen von allen Parteien: Nach Zeilen durchnummerierte Texte, um sie auf Patrteitagen Zeile für Zeile abstimmen zu können. Nach der Methode, in Zeile 111 das Wörtchen und durch oder ersetzen. Mehr als symbolisch, dass vier Parteien quasi EIN Parteiprogramm verabschieden wollen, Koalitionsvertrag oder so genannt.

Der Wortlaut des Jamaika-Sondierungsgespräche trägt diese Überschrift, das Papier finden Sie am Schluss.

2017-11-15_Ergebnis-der-Sondierungsgespraeche

Es beginnt mit dem großen Blabla, das aus der Not der verlorenen Wahl der CDU/CSU ein Projekt machen soll: „Uns eint die Verantwortung für die Menschen und Zukunft unseres Landes“, beginnt es, man habe „um Antworten gerungen. wir wollen aus unterschiedlichen Auffassungen neue und überzeugende Antworten gewinnen.“ Genau die findet man nicht auf den 2.172 Zeilen. Es ist eine Aneinanderreihung von Einzelmaßnahmen quer durch die Politik, die keiner Idee folgt. Nicht einmal die Grünen würden offen bestreiten, dass sie die „Leistungsfähigkeit der Wirtschaft stärken wollen“ – das Gegenteil wäre die Nachricht.

In vielen Fällen widerspricht das Einzelergebnis den Sprüchen vom Eingang: Da ist von Entlastung der „Menschen“ (Tiere kommen in der Abteilung Landwirtschaft getrennt vor) bei Steuern, Abgaben und Bürokratie die Rede. Aber dann kommt genau das: Eine immer noch kleinteiligere, kleinlichere, kleinmaschigere Bürokratie. Unter „Entlastung“ wird mehr Kindergeld verstanden, statt niedrigere Steuern; und der Soli kippt, aber nur in drei komplizierten Stufen.

Wie groß und einfach wäre es gewesen: „Der Soli wird gestrichen“. Aber zu solchem Wurf kommt es nicht – das Kleinklein des Taktierens überwiegt. Jeder kriegt ein Stück von der Beute. Die Grünen dürfen sich rühmen, die Versorgung mit medizinischem Haschisch zu entbürokratisieren; es soll also auch leichter für nicht-medizinische Zwecke verfügbar sein. Es ist eine Verbeugung vor Chrystal-Beck, der wohl auch Staatssekretär werden wird, da er ja kein Bundestagsmandat kriegte. Dafür soll der Zuckerverbrauch reduziert werden – sollte man das nicht doch besser den Bürgern überlassen, die es ja nicht mehr gibt wegen lauter „Menschen“?

Das Papier dient der „Aufnahme von Koalitionsverhandlungen“. Die werden kaum besser werden; das Kleinklein wird dann noch einmal gehäckselt werden. Und so wackelt das Papier von ganz groß zu ganz klein: Da ist von „Anreize zu Eigenverantwortung und Leistungsbereitschaft sowie Chancengerechtigkeit als Grundlage für Investitionen, nachhaltigem Wachstum und Arbeitsplätze“ die Rede,  nur drei Zeilen später springt man zu „Batteriezellen“, die „bei uns und in Europa besser erforscht, entwickelt und produziert werden“ sollen. Knopfzellen als Anreiz zu Eigenverantwortung? Liebloses, nicht-durchdachtes Aneinandergereihe, das Politik ersetzen soll.

Deutschlands Wohlstand basiert auf der Idee der Ordnungspolitik – die trennt zwischen Staat und Markt und gibt Leitplanken vor. Hier wird alles vermummelt zu Sätzen wie „Soziale Marktwirtschaft fördert keine Monopole.“ Wie jetzt – wer fördert denn Monopole? Und dann leiert es bedeutungsschwanger weiter: „Soziale Marktwirtschaft heißt auch, die Verzahnung von Ökonomie, Ökologie und sozialen Aspekten“. Das Soziale nur noch Aspekt? Ökologie mit solchen „Aspekten“ verzahnen, was ist das? Man stopft halt in den Begriff „Soziale Marktwirtschaft“ noch schnell Grünes rein, was solls: Es ist ja nur Billigpolitik aus der Sprüchemaschine.

Der autoritäre Staat
Jamaika: Rasendes politisches Handeln ohne Bürger und Parlament
Es ist das verschwurbelte Deutsch, das nicht verdaute Gedankenbruchstücke zu halbierten Sätzen zusammenklebt. „Deutsche Produkte sind nachhaltig“. Sind sie das, weil in Deutschland hergestellt? Nachhaltigkeit als Nationaleigenschaft von Produkten? Kinder, Kinder, was für ein Schmarren trieft aus allen Zeilenzahlen; und man freut sich, dass auf der selben Seite „überprüft“ werden soll, ob sich Steuerbelege digitalisieren lassen. Ist das der Rest der Digitalisierungsstrategie? Dafür soll die Gesetzgebung statt der „One-in-one-Out Regelung zu ggf. „one-in-two-Richtlinien“ umgestrickt werden; das klingt doch englisch gleich viel besser, aber leider konnte man sich darauf nicht verständigen. Eckige Klammern beherrschen das Geschehen; Einigkeit herrscht nur beim Unbestimmten.

Aber es fehlt auch was: Viel ist von Medien die Rede, Presse- und Medienfreiheit seien „fundamentale demokratische Werte, die es unter allen Umständen zu schützen“ gilt. Klingt gut. Aber von der Streichung des Netzdurchdringungsgesetzes, einer geradezu klassischen Zensurmaßnahme im virtuellen Zeitalter, um regierungskritischer Äußerungen zu ächten, davon ist keine Rede. Es sind die Sprüche der FDP geblieben. Vor der Wahl. Dafür soll der Staatssender „Deutsche Welle“ „weiter“ gestärkt werden. Na denn. Vage angedeutet werden Hilfe für Presse, aber es kann auch ein Freibrief für ARD und ZDF sein: Jeder kriegt etwas. Deshalb bleibt im Haushaltskapitel nichts konkretes übrig an Steuersenkungen. Der Soli wird stufenweise verhandelt; wer viel zahlt, soll nicht entlastet werden. Das ist die Kopfstehende Logik. Der Staat jedenfalls wird noch fetter. Denn Entlastungen sind Zuschüsse – statt Geld beim schuftenden Bürger zu lassen wird es erst auch die Abgreifmaschinen der Bürokratie geleitet, um hinten einen Rest abzusondern.

Bei Klima, Energie und Umwelt ist so gut wie alles in eckigen Klammern. Nicht viel anders sieht es aus bei „Familien und Kinder, Frauen, Senioren und Jugend“: die alten Gefechte, was darf noch im Elternhaus stattfinden.

Bei Rente flüchtet Jamaika in eine Arbeitsgruppe, der bis Ende 2018 Zeit hat, und in eine Rentenkommission mit dem Zieldatum Ende 2019.

In eckigen Klammern: Die Grünen wollen einen Polizeibeauftragten des Bundestages, noch ein Amt und wie geboren für eine grüne Ombudsfrau.

Innen, Sicherheit und Rechtsstaat: Die Schwampelianer eiern in eckigen Klammern.

NetzDG „grundlegend überarbeitet“ ist das Maximum, also Verschlimmbesserung. FDP ade.

Flucht und Asyl, Migration und Integration: Die Grünen sind gegen Steuerung und Begrenzung. Die Formulierungen insgesamt: ungenau, ungenauer, am ungenauesten – Garantie für endlose Auslegungsstreitigkeiten.

Was zum Beispiel heißt dieser Satz? „Legale Zugangswege wie etwa Resettlement wollen wir ausbauen, sowohl im Sinne unserer humanitären Verpflichtung als auch im Sinne der Steuerung“. Die Zeilen 1.016 bis 1.280 habe ich durchgelesen und keine Antworten auf alle heißen Fragen finden können. Nicht einmal diese Zeilen können weder heute Nacht noch in einer ganzen Woche zu einem klaren Ergebnis gebracht werden. Mehr noch: die 200.000 Zuwanderer, die die Union dem Land verordnen, sind den Grünen noch zu wenig. Familiennachzug für Alle ist das Programm in Klammern; kaum ein Wort über die Belastung von Bürgern und Kommunen. Es geht nicht um Familiennachzug, der wird gar nicht bestritten, sondern um noch mehr Familiennachzug. Aber diese sprachliche Ungenauigkeit dient der Vernebelung des Problems.

Also werden die Schwampelianer ein Jamaika-Partei-Programm nach Verhandlungen vorlegen, das sich noch mehr als das Sondierungsprotokoll in Widersprüche über Widersprüche verstrickt, dabei aber so kompliziert und lang wird, dass es niemand durchlesen wird. Die Medien verkünden ohnehin, was ihnen vom Kanzleramt vorgekaut wird. Es ist ja schwierig, diesen Text zu lesen, so liefert eben das Bundespresseamt die Lesehilfe.

Unterstützung
oder

Kommentare ( 27 )

Liebe Leser!

Wir sind dankbar für Ihre Kommentare und schätzen Ihre aktive Beteiligung sehr. Ihre Zuschriften können auch als eigene Beiträge auf der Site erscheinen oder in unserer Monatszeitschrift „Tichys Einblick“.
Bitte entwerten Sie Ihre Argumente nicht durch Unterstellungen, Verunglimpfungen oder inakzeptable Worte und Links. Solche Texte schalten wir nicht frei. Ihre Kommentare werden moderiert, da die juristische Verantwortung bei TE liegt. Bitte verstehen Sie, dass die Moderation zwischen Mitternacht und morgens Pause macht und es, je nach Aufkommen, zu zeitlichen Verzögerungen kommen kann. Vielen Dank für Ihr Verständnis. Hinweis

27 Comments
neuste
älteste beste Bewertung
Inline Feedbacks
Alle Kommentare ansehen
TICHYS EINBLICK : Merkel 1999 in der FAZ: „Die Partei muss laufen lernen“ – Und 2017? – offene Bürgermeinungen aus Sachsen-Anhalt
6 Jahre her

[…] DER ALBTRAUM DIESER NACHT Jamaika Papers […]

Jo
7 Jahre her

Ich habe Papiere und plane auch nicht, dort irgendjemandem auf der Tasche zu liegen. Insofern geht Ihr Hinweis an mich fehl.
Dass unsere Politdarsteller die analpabetischen Wirtschaftsmigranten ohne Papiere ins Land lässt und diese mehrheitlich bis zum Sanktnimmerleins-Tag alimentiert, ist eine andere Sache und einer der Gründe, warum ich letztlich meinen persönlichen Plan B habe und mein geliebtes Heimatland letztlich doch verlassen werde.

Charly Pedro
7 Jahre her

Nicht unbedingt, auch wenn das bestimmt der Plan ist. Sie werden eigene Parteien gründen aber das ist auch nicht besser.

Wolfgang Selig
7 Jahre her

Doch, das kommt mir schon in den Sinn. Inszenierungen gehören aber in der Politik immer dazu, das ist wie bei Tarifverhandlungen. Dennoch haben diese Verhandlungen neben der Inszenierung auch noch einen unabgsprochenen Teil, z.B. bei Migration und Finanzen. Und auf den kommt es mir an, denn die nächsten vier Jahre wird der Bundestag dann einen Koalitionsvertrag nur noch handwerklich umsetzen bzw. schrittweise abnicken. Nichts langweiliger als das, solange nichts Unvorhergesehenes passiert.

Siegfried Motzer
7 Jahre her

Schwachsinn. Merkel will Deadlines setzen. Aber da versteht sie was falsch! Es geht nicht um Deadlines, es geht um Inhalte. Und die Kanzlerin sollte die Schwerpunkte und Ziele der CDU herausarbeiten. Für was steht denn die CDU? Wirbel machen nur die kleinen Parteien. Voran die Grünen. In jedes Mikrofon „Wir sind kompromissbereit“ rufen und dabei auf für den Bürger und Wähler irrealen Nachzugsforderungen bestehen.

Betreutes Denken
7 Jahre her

Glaube ich nicht. Wenn die FDP bei ihrer marktwirtschaftlichen Position bleibt, folgen ihr ihre Wähler auch bei Neuwahlen oder in der Opposition. Wenn sie zu viel Grünen Klamauk toleriert, erfolgt das nächste Kreuz bei der AfD. Das weiß die FDP ganz genau.

josefine
7 Jahre her

Danke. Wird sofort gemacht.

Carsten Keth
7 Jahre her

Armes Deutschland!

Lindner und Kubicki machen sich bei dem Kasperletheater zu Deppen,

schade um meine verschenke Stimme!

?

elly
7 Jahre her

nicht einmal 9% der Wähler/Innen haben die Grünen gewählt. 91% der Wähler/Innen bekommen, was 9% der Bevölkerung wählte. Das ist Jamaika.

H. Hoffmeister
7 Jahre her

Glauben Sie mir, der Teil der Wirtschaft, der jeden Tag um die Aufrechterhaltung seiner Wettbewerbsfähigkeit wegen tagtäglich hinzukommender Fallstricke und Kostenerhöhungen kämpft, bemerkt dies. Leider wird in der Wahrnehmung vieler Menschen in diesem Lande ein MSM- und Politik-gefälliger Zetsche (als Synonym zu verstehen für die vielen unterwürfigen bis pseudoschlauen „Spitzenmanager“ unserer Großunternehmen, Ausnahmen bestätigen die Regel) mit den vielen anonymen, aber fleißigen Verantwortungsträgern des Mittelstandes gleichgesetzt. Dies ist falsch.