Ich, Spiegel, (fast) allwissend und deshalb berufen, über (fast) alles zu urteilen.
Ich, Spiegel, (fast) allwissend und deshalb berufen, über (fast) alles zu urteilen. Ich, Spiegel, weiß, dass McKinsey eine bessere Politik machen würde als alle Unterhändler des Jamaika-Bündnisses zusammengenommen. Ich, Spiegel, weiß, dass mit Mütteryoga die Welt unserer Kinder um ein vielfaches besser wäre.
Mag sein, dass sich das Heft am Kiosk gut verkauft. Denn welche werdenden Eltern können sich in Zeiten des gesellschaftlichen Optimierungszwangs entziehen, wenn es darum geht, die Intelligenz des Nachwuchses zu steigern. Wer will sich schon in sieben, acht, zehn oder 20 Jahren nachsagen lassen, in der Schwangerschaft zu wenig für dessen Intelligenz (Schulerfolg) und Aufstiegschancen (Elite-Universität) getan zu haben. Und das in einem Umfeld, in der doch eh alle Kinder hochbegabt sind. Der Wettbewerb der Besten fängt im Mutterleib an.
Wie konnte es nur passieren, dass sich in allen Zeiten intelligente Denker, Erfinder, Journalisten und andere Größen aus Milieus heraus entwickelt haben, die gemäß unseren heutigen soziologischen Begriffen als „arm“ oder „von Armut bedroht“ beschrieben würden. Wie konnte es nur passieren, dass unsere Mütter nie etwas von Yoga gehört und doch tüchtigen Erdenbürgern das Leben geschenkt haben?
Gut, dass der Hirnforscher Harald Hüther sich im Interview „ ‚Zuhause für die Seele‘ “ nicht in die Falle locken lässt. Seine Analyse: „Wir machen andere Menschen zu Objekten unserer Bewertungen und unserer klugen Ratschläge und unsere Kinder zu Objekten unserer Bildungs- und Erziehungsmaßnahmen. Wer aber zum Objekt gemacht wird, verliert die innere Lust daran, sich aus sich heraus zu entfalten, zu lernen und etwas auszuprobieren.“ Sein Schlussplädoyer: „Wir brauchen eigentlich eine andere Kultur des Umgangs miteinander. … Seit Menschengedenken sind Kinder in altersgemischten Gruppen innerhalb von Gemeinschaften herangewachsen. Wenn das fehlt, kann es leicht passieren, dass die Kinder auf Gedeih und Verderb den Schrullen und den Macken ihrer Eltern ausgeliefert sind.“
Ich freue mich tief in meinem Inneren darüber, dass mein Sohn und meine Schwiegertochter in aller Gelassenheit (und ohne Yoga) einen sehr natürlichen Umgang mit der Schwangerschaft und der für Dezember erwarteten Geburt unseres Enkels zeigen.
Jetzt bin ich gespannt darauf, ob nicht McKinsey die SDP in ihrer Neuausrichtung berät. Denn auch die weiß nicht, was sie will. Ebenso wenig wie die CSU. Seit dem miserablen Abschneiden bei der Bundestagswahl ist der Erfolgsgarant aus Bayern in großen Turbulenzen, allem voran der Parteivorsitzende Horst Seehofer. Mit Markus Söder und Joachim Herrmann, der in den Startlöchern steht, in Berlin das neue Aushängeschild der CSU zu werden, stehen zwei Kandidaten für die Nachfolge für den Parteivorsitz bereit. All das ist nicht neu, wird aber von Melanie Amann und Ralf Neukirch in „Beschissen oder ganz beschissen“ brav zusammengeschrieben.
Im Beitrag „Die Kanzlerin zuerst“ setzt Dietmar Hawranek eine letzte Duftmarke; er geht in den Vorruhestand. Zusammen mit den Kollegen Frank Dohmen – im Interview mit der Fachzeitschrift Wirtschaftsjournalist bezeichnet Hawranek ihn in der aktuellen Ausgabe als den am meisten unterschätzten Kollegen – und Simon Hage und Martin Hesse liefert er eine Geschichte, die den VW-Konzern weiter belasten könnte. Die Autoren dröseln detailliert auf, wer wann wo im VW-Konzern über die eingesetzte Schummel-Software informiert war. Vor den Aktionären sollte natürlich erst die Kanzlerin informiert werden. Die war aber leider nicht erreichbar. Aber selbst, wenn Hawranek seinen Dienst quittiert, wird der Spiegel VW weiter auf die Pelle rücken. In „Wolfsburger Schattenspieler“ zeigen Simon Hage, Martin Hesse und Blaz Zgaga, wie der Wolfsburger teilstaatliche Konzern über ein Firmenimperium in der Steueroase Luxemburg alles andere als ein Unternehmen ist, das „good citizenhip“ pflegt.
Im Interview „Abschied vom ‚Immer mehr‘“ warnt Wirtschaftsforscher Rainer Klingholz davor, dass die Wachstumsraten sinken und damit die Leistungen der Sozialsysteme beeinträchtigt sein könnten. Ich erinnere mich an den vor 45 Jahren vom „Club of Rome“ veröffentlichten Bericht „Die Grenzen des Wachstums“. Darin geht es in erster Linie um den Erhalt der Ökosysteme. Dass die Wachstumsgrenzen auch die ökonomischen Systeme bedrohen und damit die Menschen viel direkter berühren könnten, war damals (noch) nicht so gegenwärtig.
In „Macht keinen Aufstand!“ erinnert Christian Esch daran, dass vor 100 Jahren das alte Russland von der Oktoberrevolution weggefegt wurde. Für Putin kein Feiertag; denn er weiß bisher angeblich nicht so recht, wie er mit dem Volksaufstand umgehen soll. Ein Galoppritt durch 100 Jahre russische Geschichte, für den ich mir mehr Tiefgang gewünscht hätte.
Und noch ein Jubiläum: In diesen Tagen erreichen die Feierlichkeiten zum 500sten Jahrestag der Reformation ihren Höhepunkt– da jährt sich 2018 der 400ste Jahrestag des Beginns des Dreißigjährigen Krieges, in dem Katholiken und Protestanten in weiten Teilen Europas um die Vorherrschaft kämpften. Im Spiegel-Gespräch mit Jan Fleischhauer und Cordula Meyer „Mordlust und Glaubensterror“ warnt der Politikwissenschaftler Herfried Münkler vor zu viel Moral in der Politik. Münklers Botschaft für uns heute: „ Wenn es eine Lehre aus diesem Krieg gibt, dann ist es die, dass Fähigkeit zum Kompromiss heißt, sich von der Unbedingtkeit bestimmter Forderungen zu verabschieden. Solange ich darauf bestehe, dass ich im Recht bin, kann es keinen Frieden geben.“
Ich, Spiegel: Da wird das visionäre und epochale Vorhaben des saudischen Scheichs Mohammed Abdulaziz Al Salman bin Abdulaziz Al Saud, mit 500 Milliarden Dollar ein neues wissenschaftliches und wirtschaftliches Zentrum von der Größe Mecklenburg-Vorpommerns in der saudischen Wüste aufzubauen, im Beitrag „26.500 Quadratmeter Zukunft“ von Stefan Kuzmany nur flapsig angerissen. Nun wagt die saudische Regierung etwas Großes, was die Nation von Grund auf modernisieren dürfte. Und dann so etwas. In dem Fall ist FOCUS der Bedeutung des Projekts weitaus mehr gerecht geworden. Mithalten können da nur noch Projekte wie die neue Seidenstraße oder die Visionen eines Elon Musk. In Deutschland scheitern solche Vorhaben leider bereits frühzeitig an den Heerscharen von Kleingeistern, die genüsslich herummäkeln und alles abwürgen. Ich, Spiegel, …
P.S. Dieser Beitrag entstand unter Mitwirkung von Susanne Theisen-Canibol.
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Da haben die Japaner ja auch irgendwo recht, oder?
Aber da es bei uns offiziell ja auch keine Krankenschwestern resp. -pfleger mehr gibt, sondern „Gesundheits- und Krankenpfleger“, ist es konsequent, auch eine normale, gesunde Schwangere für „krank“ zu erklären.
Den Spiegel mag lesen wer will – ich finde, TE sollte ihm durch fortwährende Besprechungen nicht mehr Ehre zukommen lassen als er verdient.