Längst ist es klar, dass der Grexit für Griechenland wie für Europa die bessere Lösung wäre – und dass die Einigung auf dem europäischen Gipfel über weitere Hilfen keine nachhaltige Lösung bringt. Es fehlt jede Vorstellung, wie Griechenlands Wirtschaft in Gang gesetzt werden soll. Ein Interview mit der Braunschweiger Zeitung.
Herr Tichy, Sie haben der Einigung in der griechischen Schuldenkrise ein vernichtendes Zeugnis ausgestellt. Sie schade allen. Wie kommen Sie zu diesem Urteil?
Griechenland wird seine Schulden nie begleichen können. Das politische, wirtschaftliche und gesellschaftliche System in Griechenland ist nicht tragfähig. Offiziell wird es irgendwann darum gehen, Tilgungen auszusetzen oder Zinssätze zu senken. Das streckt dann die Rückzahlung. Dadurch verliert das Geld der europäischen Geldgeber immer weiter an Wert. Im Klartext: Das Geld ist weg. Was mich dabei besonders ärgert, ist, dass sich die griechische Regierung bewusst gemeinschaftsschädigend verhalten hat.
Sehen Sie keinen Ausweg?
Ich habe nicht das Gefühl und die Zuversicht, dass Griechenland wieder auf die Beine kommt. Allein die Entscheidung der griechischen Regierung, die Banken zu schließen, ist fatal. Ohne Banken ist die Wirtschaft tot. Deshalb würde es mich nicht wundern, wenn die Wirtschaft weiter deutlich einbricht. Ein Rückgang der Wirtschaftsleistung um 30 Prozent wäre für mich keine Überraschung. Mir ist völlig unklar, wie die Wirtschaft Griechenlands wieder in Gang gesetzt werden könnte.
Das wäre doch eine zentrale Aufgabe für die griechische Regierung.
Sie hat aber keinerlei Maßnahmen ergriffen, damit zum Beispiel neue Unternehmen gegründet werden. Im Gegenteil: Viele Unternehmen wandern ab oder gehen pleite. Ob der Tourismus wieder auf die Beine kommt, ist fraglich. Zudem hat sie den großen Fehler gemacht, die Banken zu schließen. Vor diesem Hintergrund stellt sich die Frage: Welches Unternehmen aus dem Ausland investiert noch in Griechenland?
Hat sich die griechische Regierung in den Verhandlungen mit den Geldgebern verzockt?
Ja, und das war ein weiterer großer Fehler. Sie hat nur darauf gesetzt, dass Europa nachgibt. Sie hätte drei Wochen früher auf die Forderungen der Geldgeber eingehen müssen, dann wären die Folgen längst nicht so dramatisch wie jetzt.
Wie kann der griechischen Wirtschaft nun geholfen werden?
Zunächst werden wohl Geldkisten nach Athen geflogen, um die Banken zu versorgen. Die Banken müssen wieder kapitalisiert werden, schließlich sind sie das Herz der Wirtschaft. Diese Kosten werden die Steuerzahler der geldgebenden Länder übernehmen müssen. Also wir alle.
Und dann?
Europa kann kaum mehr unternehmen, um Griechenland zu unterstützen. Durch die Entwicklungen der vergangenen Monate ist das Vertrauen in Griechenland zerstört, der Wirtschaftsstandort Griechenland ist schwer beschädigt. Griechenland hat keinen industriellen Kern mehr, zuletzt ist die Baustoffindustrie nach Bulgarien abgewandert. Der Tourismus reicht nicht aus, um das Land wieder auf die Beine zu bringen. Am besten wäre der Grexit in Kombination mit einem Schuldenschnitt gewesen, um das Land von unten wieder aufzubauen. Der Euro ist für Griechenland eine Bleiweste, weil er die Illusion vom Wohlstand vermittelt.
Inwiefern?
Der Euro hat die Erwartung genährt, dass überall in Europa das gleiche Geld für die gleiche Arbeit gezahlt werden kann. Das hat die Löhne in Griechenland auf das Niveau westeuropäischer Länder getrieben. Allerdings kann diesen Geld in Griechenland nicht erwirtschaftet werden und hat viele Unternehmen somit in die Knie gezwungen.
Was müsste die griechische Regierung unternehmen, um die Wirtschaft anzukurbeln?
Sie müsste zunächst einmal wirtschaftspolitische Visionen entwickeln. Die fehlen bislang gänzlich. Hinzu kommt, dass es in Griechenland viele ungelöste Eigentumsfragen gibt, weil ein Katasteramt fehlt. Unternehmerische Tätigkeit wird mehr blockiert als gefördert. Das Steuersystem funktioniert nicht. Seit 2010 gibt es das Angebot Deutschlands, 150 Finanzbeamte sozusagen als Entwicklungshelfer zu entsenden. Das Angebot wurde nie angenommen. Außerdem ist der Beamtenapparat in Griechenland stark aufgebläht.
Griechenland wird für seine Schulden stark kritisiert. Dabei sind auch Länder wie die USA stark verschuldet, ohne dass darüber laut diskutiert wird. Sind Schulden vielleicht gar nicht so schlimm?
Grundsätzlich gilt: Es gibt nicht zu viele Schulden, solange ich jemanden finde, der mir Geld gibt. Der Unterschied zwischen den USA und Griechenland ist, dass die USA ausreichend Geldgeber finden, weil die die Gewissheit haben, nicht enteignet zu werden. Außerdem sind die USA noch immer die größte Weltwirtschaft. Und aus dem USA kommen weiterhin phantastische Innovationen.
In der deutschen Öffentlichkeit wird die Bundesregierung mitunter für ihre angebliche soziale Kälte und übertriebene Härte gegenüber Griechenland kritisiert. Stimmt diese Einschätzung?
Nein, sie ist wohl eher Folge des Fluchs der guten Tat. Die Bundesregierung hat stets vermieden, die Kosten für die griechischen Bürgschaften offenzulegen. Mittlerweile summieren sich die deutschen Bürgschaften auf etwa 100 Milliarden Euro. Die Auswirkungen auf den deutschen Haushalt wären immens, müssten die Bürgschaften bedient werden. Dann könnte es Aufschläge auf die Lohn- und Einkommensteuer von 5 Prozent oder 10 Prozent gegeben. Spätestens dann würde sich wohl auch die Haltung der derzeitigen Kritiker ändern.
Was halten Sie von der Idee eines Solidaritätszuschlags für Griechenland?
Ich würde sie sofort unterstützen, wenn ich das Gefühl hätte, dass das Geld sinnvoll verwendet wird und an den richtigen Stellen ankommt. Aber dafür fehlt mir die Perspektive.
Wie geht es nun mit Europa weiter?
Die Überaggressivität der griechischen Regierung hat Europa beschädigt. Es ist völlig in Ordnung, sich auf politischer Ebene zu streiten. Allerdings müssen dabei Regeln eingehalten werden. Der Streit darf nicht zu aggressiv geführt werden, sonst zerbricht die Gemeinschaft. An diese Regeln hat sich die griechische Regierung aber nicht gehalten. Sie hat ständig Kriegsrhetorik eingesetzt, von Krieg und Terrorismus gesprochen. Auch die Nazi-Vergleiche mit Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble waren völlig unangebracht. Die Brutalität der Auseinandersetzung hat Europa zurückgeworfen. Ich glaube, dass sich die Idee eines „mehr Europa“ derzeit kaum noch vermitteln lässt.
Die europäische Schuldenkrise wird vor allem mit Niedrigzinsen bekämpft. Müssen sich Sparer darauf einstellen, dass ihr Vermögen wegen der geringen Zinserträge weiter jährlich schrumpft?
Ja, darunter leiden alle, die zum Beispiel eine Lebensversicherung oder einen Bausparvertrag haben. Weil diese Sparformen von vielen Menschen als Alterssicherung gewählt wurden, steigt nun die Gefahr der Altersarmut. Es gibt eine Umverteilung des Geldes von den Sparern nach Griechenland.
Raten Sie den Menschen daher, in spekulative Anlageformen wie zum Beispiel Aktien auszuweichen?
Nein, wer jetzt zur Sparkasse geht und wild Aktien kauft, begibt sich in ein nicht zu kalkulierendes Abenteuer. Die Menschen müssen sich mit dem Thema Geld mehr und intensiver auseinandersetzen und sich Gedanken darüber machen, wie sie es anlegen wollen. Das ist zwar harte Arbeit, aber ich halte es für absolut notwendig, in diesem Bereich eine Mindestkompetenz zu entwickeln.
Das Interview ist in der Braunschweiger Zeitung erschienen.
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