Coole Börsianer, Junckers Visionen, Vermögensverwalter-Sentiment, Katastrophen-Bonds nach dem Hurricane, US-Indizes mit neuen Rekordständen.
Börsianer sind schon ein besonderes Völkchen. Da richtet Kim Jong-un eine nukleare Drohung an Japan (der Nordkoreaner verwendete die Vokabel „versenken“), doch an der Börse geschieht — nichts. Marktteilnehmer haben sich offensichtlich an die Drohgebärden des Diktators gewöhnt. Ähnlich ist das angesichts des Terrors. Bei aller menschlichen Tragik gab es nach dem schlimmen Anschlag in Paris im November 2015 noch ein spürbares Abrutschen der Kurse, hernach (Berlin 2016, Barcelona 2017) reagierte der Markt kaum — das dürfte auch nach dem jüngsten Vorfall am Freitag in London so sein. Man mag das als zynisch empfinden, doch Marktteilnehmer lernen dazu, kalkulieren Neues permanent ein. Deshalb kann etwas so Gewöhnliches wie die jüngsten US-Inflationsdaten eine größere Wirkung an der Börse entfalten als atomares Muskelspiel. Die US-Inflation nimmt etwas Fahrt auf. Der Druck für Notenbanker, die Zinsen zu erhöhen, steigt damit tendenziell. Der Markt wird auch das rasch verarbeiten. Lässt man Katastrophen mal beiseite, stehen die Dinge aus Investorensicht nicht schlecht: Die US-Konjunktur läuft, in Europa zieht die Wirtschaft ebenfalls an.
EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker hat vergangene Woche seine Visionen für die Europäische Union vorgestellt. In Zeiten des Brexit will er die Länder der Europäischen Union enger zusammenführen. Wichtigstes Instrument hierfür soll der Euro sein, den er in allen EU-Ländern einführen will. Bisher wird nur in 19 von 28 EU-Staaten mit der Einheitswährung bezahlt. „Der Euro ist dazu bestimmt, die einheitliche Währung der EU als Ganzes zu sein“, sagte Juncker. Was Juncker gern verschweigt: Die Schuldenkrise in vielen Ländern ist gerade wegen der Einführung des Euro eskaliert und zudem noch lange nicht gelöst. Im Gegenteil: So sind die Verbindlichkeiten in den Eurostaaten zuletzt trotz der wirtschaftlichen Erholung gestiegen. Die Maastricht-Kriterien werden in beinahe allen Mitgliedsländern gebrochen. Und ein Ausstieg der EZB aus der ultralockeren Geldpolitik würde die Belastung durch Zinsausgaben deutlich in die Höhe treiben und vor allem die Peripheriestaaten vor neue Probleme auf dem Kapitalmarkt stellen. Ein in den Problemländern populärer Ausweg aus dem Dilemma wäre die länderübergreifende Vergemeinschaftung der Schulden. Eine Verbreiterung der Basis durch eine Erweiterung der Eurozone wäre da durchaus hilfreich. Ob mögliche neue Eurostaaten wie Polen dies auch so mittragen werden, steht auf einem anderen Blatt. Und auch hierzulande dürfte es erheblichen Widerstand geben. Die Märkte ignorierten Juncker weitgehend. Wahrscheinlich die schlauste Reaktion.
Börsianer eben
Ob sich die wirtschaftliche Situation für die Unternehmen in Europa und der Eurozone weiterhin verbessert, wird von Vermögensverwaltern zunehmend bezweifelt. Das zumindest legen die Ergebnisse aus der monatlichen Umfrage unter internationalen Fondsmanagern nahe, die von der amerikanischen Bank of America Merrill Lynch (BofA) durchgeführt wird. „Das Sentiment für die Eurozone hat sich weniger euphorisch entwickelt, da es Gegenwind durch einen starken Euro gibt“, meint Ronan Carr, BofA-Aktienstratege. Zudem ist der Optimismus der befragten Geldprofis, die insgesamt knapp 630 Milliarden US-Dollar verwalten, für ein stärkeres globales Wachstum in den kommenden zwölf Monate zuletzt deutlich gesunken.
Es war ein katastrophaler Absturz für Katastrophenanleihen, als Hurrikan Irma sein zerstörerisches Werk in Florida fortsetzte. Der Swiss Re Cat Bonds Index stürzte am vorvergangenen Freitag auf einen Schlag um 16 Prozent ab. Dabei gelten Cat-Bonds, mit denen Versicherungen ihre Risiken an den Kapitalmarkt auslagern, als rentables und vor allem sicheres Geschäft für Anleger. In den vergangenen Jahren legte der Index inklusive Zinszahlungen trotz zahlreicher Naturkatastrophen kontinuierlich zu. Vergangene Woche kam nun teilweise Entwarnung für die Cat-Bonds-Anleger. So war die Zerstörungskraft von Irma doch nicht so stark wie anfangs befürchtet. Die Schäden waren daher viel geringer, als ursprünglich erwartet. Das hohe Index-Minus spiegle daher nicht die tatsächlichen Verluste wider, meinen Experten. Wie stark einzelne Cat-Bonds-Portfolios leiden, wird sich erst in einigen Tagen und Wochen herausstellen.
Dow Jones Industrial weiter auf Rekordjagd
Der US-Leitindex Dow Jones Industrial hat am Freitag seine Rekordjagd fortgesetzt und das größte Wochenplus des Jahres eingefahren. Zudem erreichten auch der breiter aufgestellte S&P 500 und der Technologiewerte-Index Nasdaq Composite neue Höchststände. Händler sprachen von einem weiterhin positiven Börsenumfeld. Der Dow stieg um 0,29 Prozent auf 22.268,34 Punkte. Seine zwischenzeitlich erreichte neue Rekordmarke liegt nun bei rund 22.275 Punkten. Auf Wochensicht bedeutet dies ein Plus von 2,16 Prozent. Seit Jahresbeginn gerechnet steht ein Gewinn von fast 13 Prozent zu Buche.
Für den S&P 500 ging es am Freitag um 0,18 Prozent auf 2.500,23 Punkte nach oben. Das Börsenbarometer überwand damit erstmals die Marke von 2.500 Punkten. Der Nasdaq Composite stieg um 0,30 Prozent auf 6.448,47 Punkte. Er war im Handelsverlauf nur haarscharf an einem neuen Rekord vorbeigeschrammt.
Die aktuell veröffentlichten Konjunkturdaten fielen uneinheitlich aus: Während die Einzelhandelsumsätze im August überraschend sanken und der Umsatzanstieg im Juli zudem deutlich nach unten revidiert wurde, trübte sich die Stimmung der Verbraucher im September nicht so stark wie erwartet ein.
Unter den Einzelwerten verschreckte der Ausblick des Softwareherstellers Oracle die Anleger. Die Aktien sackten als Schlusslicht im S&P 500 um 7,67 Prozent ab – sie haben seit Jahresbeginn aber knapp 27 Prozent an Wert zulegt. Demgegenüber schnellten die Anteilsscheine von NVIDIA um gut 6 Prozent auf 180,11 Dollar in die Höhe und waren damit der beste Wert im Nasdaq 100. Das Analysehaus Evercore ISI hatte das Kursziel für die Aktien des Grafikchipherstellers von 180 auf 250 Dollar nach oben geschraubt. Das Unternehmen dürfte von Themen wie künstliche Intelligenz oder autonomes Fahren profitieren, hieß es. Die Papiere des Flugzeugbauers Boeing gingen wieder auf Rekordjagd und schlossen als Favorit im Dow gut 1,5 Prozent höher. Am Indexende wurden die Anteilsscheine des Mischkonzerns General Electric mit einem Dividendenabschlag von 0,24 Dollar gehandelt. Angesichts der enttäuschenden Zahlen zum US-Einzelhandel stieg der Euro über 1,19 Dollar und kostete zuletzt 1,1948 Dollar.
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„Ein in den Problemländern populärer Ausweg aus dem Dilemma wäre die länderübergreifende Vergemeinschaftung der Schulden. … Und auch hierzulande dürfte es erheblichen Widerstand geben.“
Von wem dürfte es Widerstände geben?
Linke, SPD, Grüne: Nein
CDU: Wahrscheinlich, Angela Merkel: Nein (alternativlos)
FDP: Wahrscheinlich ja
AfD: Ja
Also so erheblich schaut das für mich nicht aus.