Laut offiziellen Angaben erlebt die Türkei ein rekordstarkes Wachstum – obwohl internationale Investoren das Land inzwischen meiden, das sich zur Erdogan-Diktatur entwickelt. Analysten bezweifeln nun die offiziellen Daten.
Angeblich ist die türkische Wirtschaft im zweiten Quartal überraschend stark gewachsen – so stark wie kaum ein anderes Land auf der Welt. Vor wenigen Tagen veröffentlichte das Statistikamt Zahlen, wonach das Land am Bosporus im zweiten Quartal 5,1 Prozent Wachstum zum Vorjahresquartal geschafft habe. Das ist „extrem schnell“, wie die Commerzbank schreibt. Angeblich haben die Investitionen in Erdogans Reich sogar mit einer Jahresrate von 24 Prozent zugelegt. Die kurze Rezession nach dem Putsch-Versuch vom Juli 2016 wäre damit völlig überwunden.
Aber kann das stimmen? Es gibt schon länger Zweifel, ob die Türkei vielleicht frisierte Wirtschaftsdaten herausgibt. Denn sie passen gar nicht zu anderen internationalen Statistiken, etwa über die Auslandsinvestitionen.
Anders als die Erdogan-Regierung glauben machen will, geht es dem Land wirtschaftlich nicht gut. Zu den angeblich guten Wirtschafszahlen passt nicht, dass die türkische Lira noch vor kurzem auf den tiefsten Stand ihrer Geschichte fiel. Die Inflationsrate von mehr als 10 Prozent ist doppelt so hoch wie der Zielwert der Zentralbank in Ankara. Die Arbeitslosenquote ist über 11 Prozent gestiegen, die Jugendarbeitslosigkeit liegt bei mehr als 20 Prozent.
Zuvor hatte schon der Türkei-Experte Gareth Jenkins Zweifel an der Verlässlichkeit der türkischen Daten angemeldet. „Ende letzten Jahres hat die Statistikbehörde plötzlich die Methode geändert, nach der die ökonomischen Daten erhoben werden. Auf einmal stand die türkische Wirtschaft viel besser da, als Analysten und Experten gedacht hatten.“ Er verstehe nicht, wie Turkstat die Statistiken kalkuliere, so Jenkins, der für das schwedische Institute for Security and Development Policy forscht.
Ein zweites mysteriöses Feld ist der Tourismus, der für die Türkei ein sehr wichtiger Wirtschaftszweig ist. Mehr als ein Zehntel des Bruttoinlandsprodukts wird mit den Urlaubern aus aller Welt erwirtschaftet. Wegen der russischen Sanktionen Anfang 2016 und dann wegen der Putsch-Unsicherheit stürzte die Zahl der Urlauber von 36 Millionen (2015) auf 25,4 Millionen (2016) ab. In diesem Jahr sei keine große Trendwende zu erkennen, schreibt Commerzbank-Analyst Karpowitz, der nicht an den angeblichen Umschwung glaubt. „Von dem früheren Touristenandrang ist nichts mehr zu spüren. Die türkische Hotelbranche ist schwer angeschlagen. Und selbst der Präsident des Hotelverbands Osman Ayik erwartet nicht, dass es vor 2019 zu einer durchgreifenden und nachhaltigen Erholung im türkischen Tourismussektor kommen wird.“
Zwar kommen derzeit mehr Russen, seit sich Moskau mit Erdogan versöhnt hat (es gab zeitweise Sanktionen nach dem Abschuss eines russischen Kampfjets im türkisch-syrischen Grenzgebiet). Beobachter berichten, wie viele Russen nun an den türkischen Stränden zu sehen sein. Doch die Deutschen – die wichtigste Reisegruppe – bleiben zurückhaltend. Angesichts der jüngsten neuerlichen Spannungen im deutsch-türkischen Verhältnis mit einer türkischen Reisewarnung für Deutschland (!) und scheinbar willkürlichen Verhaftungen von Deutschen in der Türkei überlegt man es sich zweimal, ob man noch an den Badestrand nach Antalya fahren soll.
Mehr als 150.000 Türken wurden seit Juli 2016 aus dem Staatsdienst entlassen, darunter mehr als 10.000 Polizisten, aber auch Tausende oppositionsnahe Richter und Staatsanwälte, die der AKP-Regierung schon vorher ein Dorn im Auge waren. Mehr als 170.000 wurden im Rahmen der angeblichen Putschisten-Verfolgung verhaftet, Ende Juli befanden sich noch mehr als 50.000 in Gefängnissen. Erdogan hat eine Amnestie für inhaftierte Straftäter durchgeführt, um Zellen für politische Gegner freizubekommen. Er will die Zahl der Gefängnisplätze in den nächsten Jahren um 100.000 erhöhen – kein gutes Omen.
Auch Unternehmer sind im Visier der AKP-gesteuerten Justizbehörden. Mehrere Hundert wurden enteignet, vor allem weil sie Gülen-Beziehungen hatten. Zum Teil reichte schon, ein Konto bei einer Bank zu unterhalten, die mit dem Gülen-Netzwerk verbunden sein soll. Gülen-nahe Unternehmer, denen eine besonders harte Arbeitsethik nachgesagt wird, hatten in den Jahren des großen Wirtschaftsaufschwungs nach der AKP-Regierungsübernahme 2003 zunächst sehr stark profitiert, sie erhielten auch früher viele Staatsaufträge. Das ist nun vorbei. Bekannt ist, dass Staatsaufträge an AKP-nahe Unternehmen und Günstlinge des Erdogan-Clans gehen. Bekannt wurde auch (durch mitgeschnittene Telefonate), dass ein Erdogan-Sohn mit seinem Vater darüber beriet, wie man mehrere Zig-Millionen verschwinden lassen könnte, die offenbar aus Korruption stammen.
Wegen der großen Leistungsbilanzdefizite ist die Türkei jedes Jahr auf Milliarden-Zuflüsse aus dem Ausland angewiesen. Diese können entweder aus Direktinvestitionen oder Portfolioinvestitionen stammen. Beide Quellen könnten aber versiegen. Wer will sein Geld in einem Land anlegen, das keine Rechtssicherheit bietet? Der Wechselkurs der türkischen Lira hat in den vergangenen Jahren extrem nachgegeben. Vor drei Jahren musste man 2,70 Lira je Euro zahlen, heute liegt der Kurs bei über 4 Lira je Euro. Der Wertverlust der Lira erschwert den Auslandsschuldendienst, denn ein großer Teil der Kredite privater Unternehmen sind in Dollar oder Euro denominiert. Es ist die Rede von mehr als 400 Milliarden Dollar Auslandsverschuldung der Türkei.
Anders als Erdogan tut, ist sein Land mithin überhaupt nicht so stark, sondern verletzlich. Der angebliche Boom derzeit ist von Krediten getrieben und mit staatlichen Konjunkturprogrammen gestützt. Zögen ausländische Investoren im großen Stil Geld ab und stürzte die Lira weiter ab, würden die Kredite für viele Unternehmen zu Mühlsteinen werden, während die Inflation noch mehr anzöge. Schon mehrfach gab es solche Zahlungsbilanz- und Währungskrisen in der jüngeren Geschichte der Türkei. Erdogans Reich ist auf Sand gebaut. Eine Wirtschaftskrise würde auch seine Popularität des Neo-Sultans erschüttern. Deshalb wird nun offenbar die Statistik manipuliert, um die Lage schöner zu zeichnen, als sie ist.
Robert Mühlbauer ist Volkswirt und Publizist.
Sie müssenangemeldet sein um einen Kommentar oder eine Antwort schreiben zu können
Bitte loggen Sie sich ein
Wie kann man so viele falsche Informationen in einem Bericht zusammenfassen? Das ist doch unmöglich. Selbst wenn nur 10% von dem wahr WÄRE müsste die Türkei schon Pleite sein und die Bürger sich bekriegen. Schaut euch die Megaprojekte an und den Aufbau.
Das ist so traurig dass in BRD die Medien ALLE gleichgeschaltet sind und so tun als ob.
Deutsche, werdet frei!
Komisch, dass nur ein angeblicher Experte – ausgerechnet der Commerzbank – dieses Gerücht in die Welt streut. Die Mehrheit der Experten – gerade aus den USA und Japan sehen das anders und bestätigen das Wirtschaftswachstum der Türkei.
Typisch D(T)äuschland.
Oh, Türken sollen schummeln? Das wäre ja etwas ganz neues!
Na dafür, dass „Erdogans Reich“ angeblich auf Sand gebaut ist, hat es die weltweite Bankenkrise aber erstaunlich gut überstanden. Und Gareth Jenkins sei gesagt, dass die Türkei Ende 2016 im Rahmen der europäischen Harmonisierungsbestrebungen die Statistikberechnung auf die europäische Buchhaltungsrichtlinie ESA 2010 umgestellt hat, so wie das bundesdeutsche Statistikamt bereits im Jahre 2014: https://www.welt.de/finanzen/article124047815/So-rechnet-Europa-seine-Schulden-klein.html
„…die im Jahr 2016 um 29,9 Prozent auf 12,3 Milliarden Dollar gesunken sind…[…] Vielmehr gab es nochmal ein Minus von 8 Prozent auf knapp 5 Milliarden Dollar.“
Entweder bin ich viel schlechter im Prozentrechnen als ich befürchtet habe oder aber hier hat sich jemand anderes verrechnet.
Das totalitäre Regime es mit der Wahrheit nicht so genau nehmen ist jedoch nichts neues.
Na ja, dann dürften bald wieder Banken, welche in der Türkei Kredite vergeben haben, „gerettet“ werden. Draghi kauft ja neben Staatsschulden (richtig) auch Unternehmensschulden (falsch) auf.
Bittere Realität und haargenau auf den Punkt, dennoch frustrierend.
„Analysten bezweifeln nun die offiziellen Daten.“
Schade dass im deutschen Fernsehen nur Experten und keine Analysten vorkommen.
– €uro kein T€uro?
– 1,2% Inflation?
– 4% Moslem Anteil an der Bevölkerung?
– etc. etc
Was wohl passiert wenn ein Experte und ein Analyst sich im Darkroom treffen und der Analyst meint der Experte könne sich seine manipulierten Daten in den ….?
Lieber Herr Mühlbauer, für Erdogan zählen doch, wie bei unserer BK, keine Fakten, sondern nur die Ideologie. Ich kenne noch die säkulare Türkei, vor Erdogan. Heute würde ich dieses Land nicht mehr bereisen. Die Türkei wird von Oben gewollt, in eine islamisches Land transformiert, obwohl eine große Zahl von Türken, dies nicht will. Eine florierende Wirtschaft und eine Ideologie aus dem Mittelalter sind nicht kompatibel. Diesen Aspekt, sollten die deutschen Wähler am 24.9.2017 berücksichtigen, denn im Gegensatz zur Türkei, haben wir n o c h die Möglichkeit eine Alternative zu wählen, wenn ich die Diffamierungskampagnen gegen die AfD so beobachte,… Mehr
Natürlich sind die Zahlen getürkt, das glaubt doch keiner. Und in der Türkei passiert momentan das, was hier nach der BT auch passieren wird. Wenn dort schon im letzten Jahr aufgrund der unsicheren lage 6000 Millionäre abgehauen sind, wird sich das auf die Wirtschaftsleistung auswirken. Das wird hier auch passieren. Die Reichen und dann die sehr gur ausgebildeten werden nach und nach das Land verlassen, da Merkel und Co. die Bevölkerung auspressen bis zum letzten. Wer das erkennt, wird vorher seine Sachen packen und sein Vermögen ins Ausland transferieren. Die dann übrig bleiben müssen für den Rest schuften. Die NZZ… Mehr