Abgasskandal durch Grenzwertwillkür?

Bei aller berechtigten Kritik an den Automobilkonzernen darf die eigentlich Ursache der Dieseldebatte nicht vergessen werden. Von der Politik nach Belieben festgesetzte Grenzwerte haben das Dilemma erzeugt, die Fahrzeughersteller haben so getan als ob.

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Medizinisch gesehen scheint die Angelegenheit klar: Stickoxide schädigen die Schleimhäute in den Atemwegen. Die Liste potentieller Folgen ist lang. Durch Stickoxide hervorgerufene Entzündungen können allerlei Infektionen den Weg bahnen und sogar eine chronische Bronchitis oder ein Lungenödem auslösen.

Asthmatiker und andere Vorerkrankte leiden besonders unter dem Reizgas. Das ist nicht gut, wirklich nicht. Aber wie bei allen umweltpolitisch induzierten Hysterien gilt es auch in diesem Fall, mit der wichtigsten Frage zu beginnen: Wie konnte die Menschheit unter dieser Geißel nicht nur ihr Aussterben vermeiden, sondern sogar gedeihen? Offensichtlich sind wir doch nicht so empfindlich, wie manche Aktivisten es sich einbilden.

Angst machen wirkt
Der vorzeitige Todesfall als Herrschaftsinstrument unserer Zeit
Physiologische Resilienzen und effektive, körpereigene Reparaturmechanismen entwickelten sich evolutionär, denn die giftigen Stickoxide sind seit jeher Bestandteil der Atemluft. Sie entstehen, wenn Blitze ihre Energien in der Atmosphäre freisetzen, aber auch Waldbrände, Vulkanismus und der Stoffwechsel diverser Mikroorganismen stellen natürliche Quellen dar. Bemerkenswert wenig weiß die Wissenschaft über das Ausmaß der von diesen Prozessen ausgehenden Belastung. Gut zwanzig Millionen Tonnen jährlich beträgt laut Modellrechnungen allein der Eintrag durch Gewitter. Die weltweiten anthropogenen Emissionen schätzt die UNO auf etwa siebzig Millionen Tonnen pro Jahr, davon die Hälfte verkehrsbedingt, wovon wiederum gut siebzig Prozent dem Diesel zuzurechnen sind, der aufgrund seiner Bauweise mehr Stickoxid produziert als ein Ottomotor gleicher Leistung. Dieselaggregate und Blitze weisen also hinsichtlich der Produktion von Stickoxiden eine ähnliche Potenz auf.

Gleichermaßen interessant wie belanglos. Entscheidend ist nur, was dort geschieht, wo Menschen leben und sich regelmäßig aufhalten.

An dieser Stelle kommen die Toxikologen ins Spiel, die ausgehend vom Stand des medizinischen Wissens Tiere und Menschen unter kontrollierten und reproduzierbaren Bedingungen über unterschiedliche Zeiträume hinweg unterschiedlichen Stickoxid-Konzentrationen aussetzen, um festzustellen, ab wann es wirklich unangenehm oder gar gefährlich wird. Eine Maus beispielsweise stirbt in Luft mit einem Stickoxid-Anteil von 1.800 Milligramm pro Kubikmeter nach zehn Minuten. Lebensgefahr für Menschen besteht ab 40 Milligramm pro Kubikmeter.

Solche und viele andere Resultate führen zu Grenzwerten wie dem für die maximal akzeptierte dauerhafte Belastung am Arbeitsplatz, der in Deutschland bei 0,95 Milli- beziehungsweise 950 Mikrogramm pro Kubikmeter Luft liegt, also bei einem vierzigstel der potentiell letalen Dosis. Auf der Straße aber verlangt der Gesetzgeber weniger als 40 Mikrogramm, obwohl doch die meisten Menschen weit mehr Zeit im Büro beziehungsweise in geschlossenen Räumen zubringen, als in der Nähe der Verkehrswege.

Das Glück fährt im E-Auto?
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Diese Diskrepanz entsteht, weil man in diesem Aspekt der Weltgesundheitsorganisation WHO folgt, die den Außenluft-Grenzwert nicht aus toxikologischen, sondern aus epidemiologischen Untersuchungen abgeleitet hat. Obwohl solche dafür völlig ungeeignet sind. Grob gesagt untersucht die Toxikologie kausale Zusammenhänge, die Epidemiologie aber findet nur Korrelationen ohne Beweiskraft. Sie vergleicht beispielsweise zwei definierte Gruppen, von denen die eine einem vermuteten Risikofaktor, hier dem Stickoxid, besonders ausgesetzt ist, und die andere nicht. Stellt man für die exponierte Gruppe eine höhere Erkrankungsrate an Bronchitis fest, als für die andere, kann man Stickoxide als Auslöser der Krankheit vermuten. Die Epidemiologie liefert dadurch Hinweise auf mögliche Zusammenhänge, die dann von Medizinern und insbesondere Toxikologen zu verifizieren oder zu widerlegen sind. Denn es könnte sich ja auch um Zufälle handeln. Gerade in Bezug auf die Stickoxide weisen epidemiologische Kohortenstudien erhebliche Mängel auf, die den Besonderheiten des zu betrachtenden Schadstoffes geschuldet sind und für die es daher keine Abhilfe gibt.

Stickoxide verteilen sich von ihren Quellen ausgehend sehr ungleichmäßig in der Luft. Schon wenige Meter neben einer vielbefahrenen Straße kann ihre Konzentration enorm sinken, nur um in einem Hinterhof wieder zu steigen, es hängt ganz von der lokalen Bebauung, vom Wind, von der Luftfeuchtigkeit und vielen weiteren Parametern ab. Wer auch immer eine epidemiologische Untersuchung durchführt, vermag daher nie ausreichend genau zu sagen, welche Expositionen seine Vergleichsgruppen denn tatsächlich erlebt haben. Ihm bleiben ja nur punktuelle, ortsfeste Messungen als Referenzen und Menschen sind überaus bewegliche Forschungsgegenstände. Außerdem werden die verkehrsbedingten Stickoxid-Emissionen immer auch von anderen Schadstoffen begleitet. Eine mit Stickoxid korrelierte Häufung von Erkrankungen könnte daher in Wahrheit auf Ruß, Feinstaub, Kohlenmonoxid oder diverse Kohlenwasserstoffe zurückgehen. Epidemiologische Studien sind nicht geeignet, hier zu differenzieren. Allzu forschen Interpretationen seitens ihrer Autoren sollte daher mit großer Skepsis begegnet werden.

Unter Berücksichtigung dieser Aspekte nahm die amerikanische Umweltbehörde EPA die wohl bislang umfangreichste Bewertung der vorhandenen epidemiologischen Literatur über die Gesundheitsgefahren von Stickoxiden vor. Sie veröffentlichte ihre Ergebnisse Anfang 2016, als der Präsident noch Barack Obama hieß, in dessen Auftrag man einen missionarischen Kreuzzug gegen die energetische Nutzung von Kohlenwasserstoffen führte. Gerade vor diesem Hintergrund sind die Ergebnisse der EPA besonders bemerkenswert. Einen kausalen Zusammenhang hat sie nur zwischen der Stickoxid-Belastung und Atemwegserkrankungen identifiziert. Für alle anderen immer wieder erhobenen Behauptungen sind die Belege schlicht zu dünn. Es gibt keinerlei Beweis dafür, dass Stickoxide in den Konzentrationen, wie wir sie auf unseren Straßen messen, zu mehr Herz-Kreislauf-Erkrankungen führen, die Fruchtbarkeit vermindern, Entwicklungsstörungen bei Babys und Kleinkindern hervorrufen oder gar Krebs erzeugen. Und vor allem fehlt eine valide Bestätigung für die These, Stickoxide aus den Auspuffen unserer Autos erhöhten die Sterblichkeit. Wer auch immer mit „vorzeitigen Todesfällen“ argumentiert, die auf das Konto einer unzureichenden Abgasreinigung gingen, vertauscht Wissenschaft mit Demagogie.

Grüne GEZ-Propagandisten
Tiefstpunkt eines "ARD-Energieexperten"
Verblichen ist jetzt nur das informelle Netzwerk aus organisierten Umweltaktivisten, Politik und Automobilindustrie, die einige Jahre sehr gut zusammenwirkten. Ökologisten schürten Ängste jenseits aller Gewissheiten, was Politikern eine Kulisse bot, vor der sie sich als verantwortungsbewusste Kümmerer inszenieren und einen Rahmen festsetzen konnten, der es wiederum den Herstellern ermöglichte, ihre Produkte mit einem zeitgeistkonformen grünen Anstrich zu versehen und zu vermarkten. Das Ende dieses aufgrund völlig unterschiedlicher Motivationen instabilen Dreiecksverhältnisses war zwangsläufig. Der Abgasskandal als Auslöser bietet aber große Chancen für einen Neuanfang.

So könnte die Politik den Gesundheitsschutz endlich konsequent in allen Bereichen auf die Ergebnisse toxikologischer Analysen ausrichten, statt der weniger belastbaren statistischen Kreativität der Epidemiologen zu folgen. Aus wissenschaftlicher Perspektive spricht nichts gegen eine Anhebung der Außenluft-Grenzwerte auf das für Innenräume festgesetzte Niveau. Wodurch erstens die Autobauer die Möglichkeit bekämen, in Ruhe und unter Abwägung aller Vor- und Nachteile schadstoffarme Motoren zu entwickeln, ohne zu Gaukeleien gezwungen zu sein. Und was zweitens den Ökohysterikern die Geschäftsgrundlage entziehen könnte. Als Ergebnis eines Abgasskandals wäre das dann doch noch ein echter Lichtblick.

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Kommentare ( 57 )

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7 Jahre her

So ganz kann ich Ihrer Logik nicht folgen:
Bei Messerstechereien geht es um Interaktionen zwischen Menschen. So ist es wohl kaum erstaunlich, dass es bei steigender Bevölkerungsdichte mehr Interaktionenen gibt.
Bei einer erhöhten Krebshäufigkeit in Ballungsgebieten ist es naheliegend, dass eine erhöhte Umweltbelastung vorliegt.

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7 Jahre her

Das ist mir klar. Das ist auch bei Krebs so. Trotzdem ist Helmut Schmidt für mich kein Beweis, dass Rauchen gesund ist. Auch bei meiner Krebsbehandlung kann ich mich nur auf statistische Zusammenhänge stützen. Bei wem die Strahlentherapie und die Chemotherapie wirkt ist völlig unklar. Aber da meine statistische Überlebenschance dadurch um 16 % steigt, hab ich mich trotz aller Nebenwirkungen dafür entschieden. Warum werde ich das Gefühl nicht los, dass etliche Foristen hier krampfhaft beweisen wollen, dass es keinen Zusammenhang („Scheinkorrelation (!)“) zwischen Luftverschmutzung und Lungenkrankheiten gibt ? Schon erstaunlich, dass es im Krebsatlas signifikante Häufungen in Ballungsgebieten und… Mehr

Sören Hader
7 Jahre her

Ergo, es gab schon mehrere Abgas-Praxistests auf der Straße. U.a. hat die Automotor und Sport darüber berichtet:

http://www.auto-motor-und-sport.de/testbericht/real-abgastest-sauber-diesel-nox-grenzwert-fahrvebot-eu6-10254994.html

Demnach hat u.a. der BMW 520d 28 mg/km erreicht (ab 2018 liegt der Grenzwert bei 168 mg/km). Selbst der Opel Zafrira schafft mit neuer Software 71 mg. Die Werte von den anderen Modellen kann man selber nachlesen oder googeln. Es sind auch verschiedene Techniken beschrieben.

T. Pohl
7 Jahre her

Nicht zu erwarten. Sie kennt ja nicht mal die Grenzwerte für die maximal Belastung des Wählers durch das substanzlose, ideologische Gelaber aus ihrem Munde…….

Herbert Wolkenspalter
7 Jahre her

Die Reduktion der Verkehrstoten auf 1/100, worauf ich antwortete, stammt von @ZurückzurVernunft. Diesen Exzess haben Sie beim Urheber nicht beanstandet. Zumal auch keine Idee vorhanden ist, wie das erreicht werden soll. Die (verifizierten, belastbaren) Ideen fehlen aber auch schon, wenn es um Faktor 2-3 geht. Man kann Zahlen ja einfach hinschreiben. Dazu kommt noch, welchen Aufwand es bedeutet. Das letzte herausgequetschte Prozent ist immer das teuerste. Dabei ist jede Technik auch noch störungsanfällig, je komplizierter, desto mehr. Wenn man sich beim Überholen darauf verlässt – genau so dürfte es kommen – passiert der Frontal-Crash umso sicherer, wo man bei Selbstkontrolle… Mehr

Fritz Goergen
7 Jahre her

Peter Heller hat mir auf die Antwort, die Ihnen ein Dritter gab, das Folgende gesagt: Grenzwerte beschreiben nicht eine tatsächliche Belastung. Sondern das, was der Gesetzgeber als maximal akzeptabel ansieht. Man bekommt nicht automatisch 40 Mikrogramm ab, wenn man auf die Straße geht. Sondern fast immer fast überall sehr viel weniger. Man bekommt auch nicht 950 Mikrogramm ab, wenn man das Büro betritt. Sondern fast überall fast immer sehr viel weniger. Tatsächlich sind nur wenige Industriearbeitsplätze so hoch belastet. Und wenn man im Büro das Fenster weit öffnet, gleichen sich die Konzentrationen zwischen „drinnen“ und „draußen“ ohnehin an. Der Punkt… Mehr

Sören Hader
7 Jahre her
Antworten an  Fritz Goergen

„Die beiden Grenzwerte sind deswegen so verschieden, weil sie auf Basis völlig unterschiedlicher wissenschaftlicher Herangehensweisen abgeleitet wurden.“ Es liegt vor allem daran, dass wir unterschiedliche Randbedingungen zwischen Innenstadt und Arbeitsplatz haben. Gesundheitsnormen werden immer für die Gesamtbevölkerung gemacht. Die Grenzwerte richten sich da nach Säuglingen, Kindern, alten Menschen, chronisch Kranken. Arbeitsplatznormen richten sich immer an die erwachsene Bevölkerung, die in der Lage sind, 8 Stunden am Tag zu arbeiten. Es ist plausibel, dass Schadstoffbelastungen, die ein gesunder Erwachsener ohne Probleme übersteht für ganz Junge, Alte oder Kranke kritisch sein können. „Und Grenzwerte erscheinen als beliebig, als gewürfelt und verlieren ihre… Mehr

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7 Jahre her

Darf ich daraus schliessen, dass sie Studien kennen (die ich nicht kenne), welche die Gesundheitsgefahren durch NOx und Feinstaub als Verschwörungstheorien entlarven ?
In diesem Fall wäre ich für eine Quellenangabe dankbar.

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7 Jahre her

Wie gesagt:
Beleidigungen wie „dümmliche Sichtweise“, „vollmüllen“ und „Lügenpresse-Manier“ gehören normaler Weise nicht zum Niveau hier auf TE.

Trotzdem schön, dass TE auch solche „Nicht-Argumente“ veröffentlicht und so auch argumentationsschwache Foristen nicht diskriminiert.

Max. B
7 Jahre her

Bekanntermaßen erreicht v.a. Stuttgart seit vielen Jahren aufgrund seiner Kessellage die höchsten Schadstoffwerte aller bundesdeutschen Großstädte, wie zuletzt auch durch die Klagen der DUH vor dem Verwaltungsgericht immer wieder deutlich wurde. Dennoch ist erstaunlicherweise die durchschnittliche Lebenserwartung sowohl für Männer als auch für Frauen dort am höchsten (Männer fast 80 Jahre, Frauen fast 85 Jahre)! Fast könte man meinen, Schadstoffe schaden nicht, sondern beförderten noch die Gesundheit. Zumindest ein Indiz, dass die Korrelation zwischen der Belastung und den Gesundheitsbeeinträchtigungen nicht eindeutig belegt werden kann.

Jörg Themlitz
7 Jahre her

Die EN 131 gilt nicht im privaten Haushalt. Ein Anlagemaß (Leiter) von über 3.000 mm ist darüberhinaus im privaten Haushalt auch seltener zu finden.
Ich verwende grundsätzlich Drehstühle, da ist mir das Risiko bekannt.