Kulturkampf für die Kuh – In Indien eskaliert der Konflikt über Fleischverbote

Im Bundesland Gujarat muss, wer eine Kuh tötet, mit lebenslanger Haftstrafe rechnen. Vijay Rupani, Ministerpräsident des Teilstaates: „Der Schutz der Kuh ist das wichtigste Prinzip, um die ganze Welt vor moralischem und spirituellem Niedergang zu retten.“

© Christian Baitg/Getty Images

Anfang April lynchte ein aufgebrachter Mob im westindischen Rajasthan den Milchbauern Pehlu Khan. Die virale Verbreitung in den sozialen Netzwerken verschaffte dem brutalen Akt nationale Prominenz. Übergriffe sogenannter „Kuhbeschützer“ gegen all jene, die in welcher Form auch immer kommerziell mit Rindvieh zu tun haben, gehören zum traurigen Alltag in Indien.

Die tödliche Gewalt gegen den Muslim Pehlu Khan symbolisiert einen neuen Tiefpunkt in einem eskalierenden Kulturkampf. Häufig ist es für die Betroffenen ein Kampf um Leben und Tod, wenn radikale Hindu-Nationalisten mit klammheimlicher Duldung örtlicher Behörden auf Treibjagd gehen: Die Opfer sind in der Regel Angehörige der kopfstarken muslimischen Minderheit oder Dalits, jener Menschen ohne Kastenzugehörigkeit, die lange als „Unberühbare“ diffamiert wurden. Anders als für Angehörige der Mehrheitsreligion ist für diese Inder die Kuh ein normales Tier, Rindfleisch ein vergleichsweise günstiger Lieferant von Eiweiß.

„Ein Lynchmord ist die Methode der Merheitsbevölkerung der Minderheit zu verstehen zu geben, dass das Gestz für sie kein Schutz bietet“, schreibt Aatish Taseer in einem Kommentar in The New York Times. Die Übergriffe gegen die Minderheit sind Taten von Einzelnen. Doch sie entfalten gewaltige gesellschaftspolitische Sprengkraft – und vergiften das innenpolitische Klima nachhaltig.

Muslime und Dalits spielen in Indiens boomender Fleisch-Industrie – das Land gilt international als führender Fleischexporteur – eine herausragende Rolle: Nicht nur beim Schlachten und Häuten der Tiere sind sie unentbehrlich, wichtig ist ihr Einsatz auch beim Transport des Viehs von einem Landesteil ins andere: auf den Landstraßen sind sie leichte Beute für gewaltbereite Kuh-Vigilanten (cow vigilantes), wie die Eiferer genannt werden.

Hindus gegen Muslime und Dalits
In Indien zementieren die Hindu-Nationalisten ihre Macht
Der Lynchmord an Pehlu Khan ist ein Symptom für eine stark polarisierte Gesellschaft: Indien ist politisch und gesellschaftlich geteilt, auf der einen Seite stehen die Anhänger einer säkularen Ordnung, für die Religion zweitrangig ist und die dazugehörigen Essgewohnheiten ebenso. Immer mächtiger werden andererseits die Hindu-Nationalisten, für die der Hinduismus das Maß aller Dinge ist.
Politischen Ausdruck findet die Volksbewegung in der Bharatiya Janata Partei oder BJP von Ministerpräsident Narendra Modi. Mit ihm als Galionsfigur will die Partei ihre Macht in der größten Demokratie der Welt auf Dauer sichern. Wiederholte Wahlerfolge in regionalen und lokalen Wahlen weisen darauf hin, dass der Plan durchaus eine Basis hat. Die Zielrichtung ist primär politisch, der Einsatz für die Kuh zeigt aber auch, dass Kultur und Religion wichtige Elemente der Langzeitstrategie sind.

Die Kritiker Modis, die in der englisch-sprachigen Presse mit ihren liberalen Kommentaren eine weltoffene intellektuelle Minderheit bedienen, sprechen von „majoritarianism“. Sie verurteilen ein System, in dem die Mehrheit die verbrieften Rechte der Minderheit übergeht: Fleischverbote seien nur ein – womöglich das symbolträchtigste – Exempel der Majorisierung. Tatsächlich hat die Partei Narendra Modis immer wieder bewiesen, dass für sie die Anliegen vor allem der Muslime allenfalls zweitrangig sind. Um Wahlen zu gewinnen, ist die Hindu-Partei nicht auf die Stimmen der religiösen Minderheit angewiesen. Nur vereinzelt erscheinen muslimische Kandidaten auf den BJP-Listen, in Regierungsämtern sind sie unterrepräsentiert.

In vielen Gesellschaften bestimmen kulturelle und religiöse Traditionen, was auf den Esstisch kommt und was dort nichts zu suchen hat. Vermutlich in keinem anderen Land der Welt ist die Speiseordnung derart politisiert wie in Indien.

Politiker im Priesterrock

Der Mord Pehlu Khans passierte wenige Tage, nachdem ein politisches Erdbeben Indien aufgerüttelt hatte: Bei den Landtagswahlen in Uttar Pradesh, dem bevölkerungsreichsten Bundesstaat des Landes mit über 200 Millionen Bewohnern, errang die Modi-Partei einen Erdrutschsieg und beeilte sich sodann, einem radikalen Hindu-Priester die Regierungsverantwortung zu übertragen.

Das war eine alles andere als normale Personalie: Yogi Adityanath hatte zuvor mit anti-muslimischen Ausfällen nationale Prominenz erreicht. Für viele liberal gesinnte Inder, vor allem Angehörige religiöser Minderheiten, ist seine Beförderung eine Provokation. Der Politiker im Priestergewand zögerte nicht lange, seine umstrittene Programmatik in die Tat umzusetzen. Ein erstes Angriffsziel des Yogis war die Fleischindustrie des Bundesstaates: Medien berichten, 17 von 41 fleischverarbeitende Betriebe mussten in Folge amtlicher Eingriffe die Tore schließen, 30.000 Mitarbeiter verloren den Job.

Von Heiligen Kühen
Indien: „Unberührbare“ begehren auf
Die Mehrheit der Betroffenen sind Nicht-Hindus. Ihre Interessenvertreter werden nicht müde, die humanitären und volkswirtschaftlichen Schäden der Anti-Fleisch-Kampagne zu betonen – bislang mit wenig Erfolg. Der ansonsten um das Ansehen des Investitionsstandortes Indien so bemühte Ministerpräsident Modi hüllt sich in Schweigen. Modi ist nach außen nicht der Anführer des Kulturkampfes für die Kuh. Es besteht indes wenig Zweifel, dass er und seine Berater im Hintergrund die Fäden ziehen.

Uttar Pradesh ist mit seinem Kreuzzug für die Kuh kein Einzelfall. In allen Bundesstaaten, in denen die BJP regiert, ist der Schutz der Kuh ein wichtiges Thema. Im Aktionismus gegen Fleischverzehr und die damit verbundene Industrie erlebe Indien einen „kompetitiven Fundamentalismus“, lamentieren The Times of India in einem Leitartikel. Raman Singh, der Ministerpräsident von Chattisgarh, drohte jedem, der eine Kuh tötet, mit dem Tod durch den Strang. Im Bundesland Gujarat, in dem Ministerpräsident Modi lange regierte und wo in diesem Jahr Landtagswahlen geplant sind, blieb es nicht bei verbalen Warnungen. Wer eine Kuh tötet, muss fortan mit lebenslanger Haftstrafe rechnen, so das Gesetz. Die Begründung für die drakonische Strafe lieferte Vijay Rupani, der Ministerpräsident des Teilstaates, gleich mit: „Der Schutz der Kuh ist das wichtigste Prinzip, um die ganze Welt vor moralischem und spirituellem Niedergang zu retten.“


Dr. Ronald Meinardus leitet das Regionalbüro Südasien der Friedrich Naumann Stiftung für die Freiheit (FNF) in Neu Delhi. Zuvor verbrachte er viele Jahre im Nahen Osten, in Ostasien und Griechenland. Der gelernte Hörfunkredakteur nennt journalistisches Schreiben ein Hobby. Für ihn ist die Informierung interessierter Menschen in Deutschland über die Partnerländer auch Teil seines beruflichen Auftrags. Das gelte besonders für Indien, das in den deutschen Medien nicht die Beachtung finde, die ihm wegen seiner Größe, vor allem seines enormen Potentials zustehe.

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Kommentare ( 37 )

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37 Comments
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Bill Miller
7 Jahre her

Allerdings haben Pinker, Dawkins, Krauss et al. nie verlangt, Gläubige zu erschlagen. Und die Kommunisten, falls Sie das entgegnen wollen, waren einfach nur Anhänger einer säkularen Religion.

satya_prevails
7 Jahre her
Antworten an  Bill Miller

Die Guillotine war keine Erfindung von Atheisten? Wie viele Köpfe sind unter dem Banner von Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit gerollt ?
Davon abgesehen hat die Aufklärung, so nötig sie auch war, den Menschen etwas genommen, was eine präventive Kraft gegen Gewalt gegen andere ist. Die Intuition das alle miteinander durch den Schöpfer verbunden sind. Sie hat den Materiellen Verstand zum Gebieter erhoben. Grob und sehr vereinfacht ausgedrückt: Die Atheistische Wissenschaft, hat dem Menschen zwar die Instrumente gegeben das Leben materiell zu entfalten, aber gleichzeitig ihm auch die Gewissheit genommen, durch den in ihm innewohnenden Gott, das eigene Potenzial auszuschöpfen.

fein_geist
7 Jahre her

Ich darf mich Ihnen anschließen

Bernd Schreller
7 Jahre her

‚Mein Kampf‘ könnte vielleicht mithalten. Adolf ist in muslimischen Ländern gar nicht ueberraschend recht beliebt.

Maik Mugato
7 Jahre her

Genau DAS schnallen unsere Islamkuschler ja nicht, reicht man dem Muselmann den kleinen Finger, reißt er einem den Arm mitsamt Schulter raus. ABER : bei uns wird das natürlich GANZ anders laufen, als überall auf der Welt. Aus reiner Dankbarkeit vor unserer Toleranz! Hihihi!

Maik Mugato
7 Jahre her

Ich hab eigentlich noch nie gehört, dass radikale Atheistengruppen für ihren (un)glauben missionieren und/oder töten gehen…

satya_prevails
7 Jahre her
Antworten an  Maik Mugato

Nun ja, z.B. unter Mao sind ungefähr soviele Chinesen umgekommen, wie unter Hitler und Stalin zusammen. Die wurden dann nicht als Ungläubige, sondern als Konterrevolutionäre betittelt. Es läuft auf das selbe hinaus: Das Dogma pervertiert die Idee. Oder ganz privat: Wie viele Familiendramen ereignen sich weltweit täglich weil der eine denkt, der / die andere hätte ihn / sie verraten oder missbraucht? Das läuft dann unter dem Glaubensbekenntnis der Menschlichen Liebe. Die Liste ist sehr, sehr lang. Atheisten haben ebenso ihre Bekenntnisse wie Theisten und wenn das Weltbild ins Wanken gerät und die Verzweiflung kommt, dann handeln sie ebenso gegen… Mehr

Pe Wi
7 Jahre her

Palitana ist das Heiligtum der Jainas. Die essen nur vegetarisch, deren Religion verbietet jeglich Tötung. Eine Ameise oder Fliege ist ebenso schützenswert, wie jedes andere Tier. Eigentlich haben die auch ein Tuch vor dem Mund, dass man nicht versehentlich ein Fliegelchen verschluckt. Habe ich zwar so nicht gesehen, wurde uns aber so erzählt. Das ist eine ganz andere Religion, die einen Guru hat. Die Jainas gehören aber mit zu den wohlhabendsten Bürgern Indiens.

Till Eulenspiegel
7 Jahre her

Biologisch ist der Mensch ein Allesfresser!
Deshalb kann vegetarische Ernährung nicht artgerecht sein.

Nicht-mehr-mein-Land
7 Jahre her

„Das heißt, wenn spezielle Vitamine fehlen, ist das Unterernährung und wird in die Statistik zur Hungersnot einberechnet. Hat man da etwas geschummelt?“ Ich bin überrascht über so viel Unwissenheit und offensichtliche Fehlkonzepte. Alle Vitamine erfüllen im Körper lebenswichtige Funktionen und bei langfristigen Mängeln kann es zu den unterschiedlichsten Schäden bis zum Tod kommen. Das ist je nach Vitamin sehr unterschiedlich, was auch daran liegt, dass „Vitamine“ keine einheitliche Stoffklasse im chemischen Sinne sind, sondern teilweise komplett unterschiedliche Substanzen. Es macht also selbstverständlich Sinn, bei einem gewissen Ausmaß an Vitaminmängeln von Hungersnot zu sprechen, weil ja de facto auf Grund die… Mehr

Als Gast
7 Jahre her
Antworten an  Nicht-mehr-mein-Land

Richtig gelesen und nachgedacht haben Sie nicht. Wieso reden Sie erst von „Unwissenheit“ und schreiben dann das gleiche? Ich habe nicht die Vitamine einzeln genannt sondern zusammengefasst. Es ist nicht nur Vitamin B12. Weil andere Pflanzen auch verboten wurden, fehlen noch mehr Vitamine und andere Stoffe. Fehlen sdie dann hat das nichts mit Hungersnot zu tun. Das ist Unterenährung und Mangelernährung, aber nicht Hungersnot. Informieren Sie sich umfangreicher über die Unterschiede dieser Begriffe. Durch die statistische Zusammenfassung zum Begriff Hungersnot, wird in vielen Fällen, etwas behauptet, was nicht stimmt. Das führt zu fehlerhaften Aktionen. 2007 hat z.B. die USA 283.000… Mehr

Reimund
7 Jahre her

Würde sagen, späte Rache. Bei der Eroberung Indiens trieben die Muslims die Kühe vor sich her – damit wurden sie unangreifbar.
In D-land dürfen Hündchen und Kätzlein auch nicht verzehrt werden, obwohl es für einige ostasiatische Neubürger die reinste Delikatesse ist.
Ersatzweise können die Eroberer doch die Schweine essen.
Nachdem die Moschee, die die Muslime über dem zerstörten Geburts-Tempel Ramas in Ayodhya dem Geburtsort des Gottes Rama, ihrerseits von frommen Hindus abgerissen wurde, wird wohl wieder ein Hindu-Tempel dort entstehen. So ist das mit intoleranten Religionen. Sowas passiert, wenn man den Besiegten seine Siegestempel über ihren Heiligtümern setzt.

Maik Mugato
7 Jahre her
Antworten an  Reimund

Die islamischen Siegestempel stehen mittlerweile in jedem noch so kleinen deutschen Dorf. Rafft aber keiner, aus reiner toleranzbesoffenheit.

Walter Ernestus
7 Jahre her

Den armen menschen die deshalb Ihren Kopf verlieren ist die Unterscheidung eigentlich Wurst – äh sorry egal!