Jean-Claude Juncker ist ein Meister der Inszenierung. Und er beherrscht die Körpersprache wie kein anderer. Wenn er Ungarns Präsidenten Victor Orbán mit „Hallo Diktator“ und erhobenem Unterarm mit gestreckter Handfläche öffentlich begrüßt, dann soll diese wohl scherzhaft gemeinte Gestik sagen: „Victor, mach Dich nicht wichtiger als Du bist. Hier in Brüssel bin ich der Chef“. Und wenn er dem griechischen Ministerpräsidenten Alexis Tsipras seinerzeit bei seinem Antrittsbesuch in Brüssel die Hand gibt und die andere Hand oben auf die Hand des Griechen legt, dann sagt er damit: „Ich kümmere mich um Dich in Deiner schwierigen Situation. Aber eins sollte Dir von Anfang an klar sein: Ich bin der Stärkere von uns beiden“. Und wenn er jüngst in dieser Woche Tsipras eine kleine Ohrfeige zur Begrüßung gibt, sagt er der ganzen Weltöffentlichkeit: „Du kleiner, frecher Kommunist, ich habe Dich durchschaut. Jetzt ist aber Schluss mit Deinen Unverschämtheiten“.
Schon wieder: 10-Jahres-Pläne
Wenn seine besondere Freundin Angela Merkel gemeinsam mit dem französischen Präsidenten Francois Hollande eigene Vorschläge vorlegt, die eine engere Zusammenarbeit in der Euro-Gruppe ohne eine Änderung der europäischen Verträge anstreben, dann kann Juncker das natürlich nicht auf sich sitzen lassen, denn er ist der Präsident der EU. Er bestimmt die Richtlinien der europäischen Politik und nicht Merkel oder Hollande.
Und deshalb holt er in dieser Woche, wo die Medien rauf und runter über die Folgen eines Grexits berichten und die Aktienmärkte nervös zucken, zum Gegenschlag aus. „In enger Zusammenarbeit“ mit Donald Tusk, Jeroen Dijsselbloem, Mario Draghi und Martin Schulz legt er einen 10-Jahresplan zur Vollendung der Wirtschafts- und Währungsunion Europas vor.
Keiner sollte das ab und an körperliche Schwanken Junckers mit einer geringen geistigen Zielstrebigkeit verwechseln. Er will, aus einem kleinen Land kommend, nicht nur Präsident einer Kommission ohne Land sein, sondern Jean-Claude Juncker will Präsident eines europäischen Superstaates sein. Er will nicht dauernd am Katzentisch der Staats- und Regierungschefs sitzen müssen, sondern vorne – ganz vorne. Er will die Richtlinien der Politik bestimmen, sonst keiner. Dies ist im Kern auch der Duktus des 10-Jahres-Planes der fünf Präsidenten. Sie wollen die Gunst der Krise wieder einmal nutzen, um einen größeren Schluck aus der Zentralismus-Pulle zu nehmen, damit das Ziel der Politischen Union unumkehrbar wird. Spätestens bis 2025 soll die Union ein Hort der Stabilität und des Wohlstandes sein, steht es jetzt geschrieben.
Schon einmal ist dies auf europäischer Ebene versucht worden. Im März 2000 verabschiedeten die Staats- und Regierungschefs der EU in Lissabon ein Programm, das zum Ziel hatte, die EU innerhalb von zehn Jahren, also bis 2010, zum wettbewerbsfähigsten und dynamischsten Wirtschaftsraum der Welt zu machen. Es kam dann doch anders …
Doch vielleicht klappt es ja dieses Mal? Wirtschaftsunion, Finanzunion und Fiskalunion sollen die Grundlage für die Politische Union schaffen. Dafür müsse nationale Souveränität aufgeben und „in zunehmendem Maß gemeinsame Entscheidungen über Teile ihrer jeweiligen nationalen Haushalts- und Wirtschaftspolitik“ akzeptiert werden. Am Ende stehe dann ein Hort der Stabilität und Wohlstandes für alle Bürgerinnen und Bürger der EU-Mitgliedsstaaten, die eine gemeinsame Währung miteinander teilen.
Schnelligkeit vor Größe?
Doch was ist, wenn es nicht klappt? Was ist, wenn die EU als Wirtschaftsraum wie bereits nach dem 10-Jahresplan von Lissabon am Ende nicht zur wettbewerbsfähigsten und dynamischsten Wirtschaftsregion der Welt geworden ist? Kommt dann der neue 10-Jahres-Plan mit noch mehr Zentralisierung und Machtkonzentration in Brüssel? Vielleicht liegt in der Grundannahme Junckers schon der Fehler, warum es erneut nicht klappt wird. Denn nicht die großen Tanker sind meist erfolgreich, sondern die kleinen und wendigen Boote. Warum sind Länder wie Norwegen, die Schweiz oder Neuseeland vielfach spitze? Zumindest gefühlt liegt Neuseeland am Ende der Welt, die Schweiz hat keine Rohstoffe und die Hälfte des Jahres liegt Schnee und in Norwegen ist es im Winter den ganzen Tag dunkel. Eigentlich keine guten Voraussetzungen für wirtschaftlichen Erfolg. Warum gelingt es ihnen trotz politischer und ökonomischer Übermacht großer Regionen wie der USA oder der EU dennoch viel bessere ökonomische Ergebnisse zu liefern? Vielleicht liegt der Erfolg dieser Länder an ihrer geringen Größe und ihrer Überschaubarkeit. Vielleicht führen der Zentralismus, der Superstaat und der 10-Jahresplan nicht zu Wohlstand, sondern zu Fehlinvestitionen, Arbeitslosigkeit und Verarmung.
Ohne Wettbewerb und Markt
Es ist doch entlarvend und bezeichnend, dass im Junckerschen 10-Jahres-Plan nicht einmal die Worte Marktwirtschaft und Wettbewerb vorkommen. Deshalb will ich Juncker und seinen Mannen zurufen, was einer klügsten Köpfe des vergangenen Jahrhunderts, der überzeugte Liberale und Marktwirtschaftler Wilhelm Röpke, über Europa sagte: „Jedes Monolithische, starr Schablonenhafte ist ihm fremd und keine Feststellung ist hier zugleich wahrer wie unbestrittener als die, dass es das Wesen Europas ausmacht, eine Einheit in der Vielheit zu sein, weshalb denn alles Zentralistische Verrat und Vergewaltigung Europas ist, auch im wirtschaftlichen Bereiche.“
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