Neu-Versailles feiert auf dem Oberdeck – doch das Schiff ist leck

Während Deutschland immer tiefer in die Krise rutscht, feiert die politische Elite hinter verschlossenen Türen. Ein Unternehmer lädt 300 Gäste aus Politik, Medien und Wirtschaft ein – Gespräche streng vertraulich. Die Öffentlichkeit erfährt davon: nur wegen der Ausfälle des Gastes Kanzler Scholz. Wie Demokratie der Oligarchie weicht.

IMAGO / Winfried Rothermel
Symbolbild

Deutschland geht es schlecht – und zunehmend schlechter. Immer häufiger drängt sich dem historisch Bewanderten die Analogie zur römischen Dekadenz, zum Niedergang und Fall Roms auf. Deindustrialisierung, Preisexplosion, eine Mittelschicht, die von Tag zu Tag weniger weiß, wie sie über die Runden kommen soll, ein Mittelstand, dem vom Verwirtschaftungsminister das Rückgrat gebrochen wird. Über 200.000 junge, gut ausgebildete Deutsche suchen mittlerweile jährlich ihr Glück im Ausland – und mit ihnen Unternehmen, insbesondere aus der chemischen Industrie.

Währenddessen nutzen Minister wie Annalena Baerbock und die Regierungspartei der Grünen alle Mittel, um die Turbomigration in die Sozialsysteme weiter zu beschleunigen. Die innere Sicherheit bricht zusammen, Terror und Mord geschehen – nicht nur zur Weihnachtszeit – auf offener Straße und bemächtigen sich des öffentlichen Raums. Das Gesundheitssystem kollabiert. All das bringt das Land in eine gefährliche Unwucht. Und was macht die Regierung? Sie verursacht und befeuert den Niedergang. Und was unternimmt sie, wenn sie sich von ihrem destruktiven Werk erholt, wenn sie nicht zuvörderst ihre Macht und Privilegien sichert?

Die Antwort ist bekannt. Wie jede dekadente, wie jede dysfunktionale Elite feiert sie – und feiert sich selbst, möglichst exklusiv, weil sie Abgehobenheit mit Kultiviertheit verwechselt. Neu-Versailles ist in Partylaune, mag im Lande geschehen, was will. „’S ist mal bei mir so Sitte, chacun à son goût!“ Selten jedoch erfahren die Bürger etwas über die Lustbarkeiten von Neu-Versailles, die sie am Ende finanzieren. Selten – weil die Brandmauer die Eliten nicht nur vor dem politischen und demokratischen Wettbewerb schützt, sondern auch verhindert, dass die Wähler über deren Absprachen in exklusiven Zirkeln informiert werden. Die Politiker der Grünen, der SPD, der Union und der FDP sind sich in Wahrheit näher als ihren jeweiligen Wählern, mögen sich die Damen, Herren und Diversen der classe politique in der Öffentlichkeit auch balgen, wie sie wollen. Sprenkel für die Drosseln.

Der Abend ist anders als der Morgen, der Morgen ist anders als der Mittag, und der Mittag anders als der nächste Abend. Am Abend des 30. Januar genießen Annalena Baerbock und Friedrich Merz ein tête-à-tête beim Wein in Laschets lauschiger Wohnung. Am 31. Januar üben die Parteien der schwarz-rot-grünen Koalition in spe am Morgen ihre gute Zusammenarbeit – zu enormen Lasten und zum Nachteil der Bürger –, indem sie das TEHG-Europarechtsanpassungsgesetz beschließen, bevor sie sich am frühen Nachmittag eine Gigantomachie mit viel Talmi, mit viel unechter Rhetorik liefern angesichts des Antrags zum Beschluss des Zustrombegrenzungsgesetzes.

Kehrte am 31. Januar der Parlamentarismus ins Parlament zurück, oder veranstalteten die Brandmauerparteien nur eine gewaltige Show für die Wähler? Denn zwei Tage später feiert tout Berlin schon wieder zusammen. Eingeladen hatte der Unternehmer Harald Christ, der es passend fand, dass sich 300 Gäste, unter ihnen Vertreter aus Politik, Kultur und Medien, zur privaten Feier seines Geburtstages im Berliner Capital Club einfanden. Der Mann hielt Hof. Was für ein gewaltiger, was für ein übermächtiger Mann muss das sein, der die classe politique, die Medien und die Kulturschaffenden zu seinem Geburtstag empfängt? Darauf ein Bundesverdienstkreuz! Selbst der Bundeskanzler eilt beflissen zum Empfang des Unternehmens- und Kommunikationsberaters. Scholz hat ja sonst nichts zu tun, der Niedergang des Landes läuft inzwischen auch von allein.

Christ teilte auf X mit:

„Unter den rund 300 Gästen aus allen Parteien der demokratischen Mitte, Wirtschaft, Kultur und Medien, die am 2. Februar der privaten Einladung zu meinem Geburtstagsempfang gefolgt sind, waren auch Bundeskanzler Olaf Scholz und Kultursenator Joe Chialo.“

Auf diesem Fest fielen Scholzens Worte über den Berliner Senator, die seit gestern Medien und Anwalte beschäftigen. Heerscharen von Exegesen untersuchen mit der Lupe, ob Scholzens Äußerung rassistisch oder nur etwas rassistisch oder so ganz oder gar nicht rassistisch gewesen sei, als sei das wirklich Deutschlands wichtigstes Problem.

Der eigentliche Skandal besteht nicht in der Äußerung, sondern in der Veranstaltung selbst. Der unermüdliche Unternehmer Christ, der wie Scholz lange Zeit in Hamburg tätig war, scheint ja selbst seinen Geburtstag in den Dienst der Transformation gestellt zu haben, die Deutschland derzeit durchläuft – und gut an Merkels zweitem Sargnagel für Deutschland zu verdienen. Im Bereich „Sustainable Strategy & Governance“, einer Beratung, die Unternehmen nur deshalb benötigen, weil die EU-Bürokratie sowie Scholz und Habeck die grüne Ideologie in Gesetze gegossen haben, verspricht Christ:

„Über die Erstellung und Positionierung von Nachhaltigkeitsberichten hinaus, sorgen wir für eine passgenaue Ausrichtung der Finanzierungserfordernisse entlang der Ziele der „Sustainable Development Goals“ sowie der Pariser Klimaschutzziele.“

Die EU oder Habeck und Co. verpflichten die Unternehmen, ein fünftes Rad zu führen, und Christ berät, wie das fünfte Rad zum Einsatz kommt. Zu Christs Unternehmen gehört übrigens auch „Joschka Fischer & Company“.

Harald Christ spricht von den „Parteien der demokratischen Mitte“. Was zunächst die Frage aufwirft, was Christ unter der demokratischen Mitte versteht und was in diesem Zusammenhang die undemokratische Mitte wäre. Zumindest darf man an Christs Demokratieverständnis Zweifel anmelden, wenn er in seiner Begrüßung sagt: „Die Voraussetzung für einen Abend, bei dem offen miteinander geredet werden darf und soll, ist, dass über persönliche Gespräche öffentlich nicht berichtet wird.“ Kennt man eigentlich nur von Geheimbünden und von Verschwörern, oder? Christ gehe es in diesen polarisierten Zeiten darum, einen geschützten Raum für kontroverse Gespräche zu schaffen. Klar, was gehen das Volk auch die Kungeleien und Absprachen der neuen Oberklasse in Neu-Versailles an, solange sie nur brav zahlen.

Wenn Christ einen Abend für Politiker und Medienleute veranstaltet, an dem „offen miteinander geredet werden darf und soll“, heißt das, dass Politiker und Medienleute in der Öffentlichkeit nicht offen reden, dem Souverän also nicht die Wahrheit sagen? Sagen die Damen, Herren und Diversen von Neu-Versailles also im vertrauten Kreis anderes als in der Öffentlichkeit? Existieren also in Deutschland nur noch zwei Parteien – die Parteien innerhalb der Brandmauer und der demokratische Souverän, das Volk, außerhalb der Brandmauer? Diese Diskussionen, die Christ ermöglichen will, gehören eben nicht in den noblen Berliner Capital Club, sondern in den Bundestag, in die Öffentlichkeit. Das ist der Sinn der Demokratie.

Das Grundprinzip der Demokratie besteht in der res publica, in der Öffentlichkeit. Das Grundprinzip der Oligarchie darin, dass die Abmachungen, die getroffen werden, nicht öffentlich werden. Christ erklärte: „Mir ging es darum, einen geschützten Raum zu schaffen, wo man auch kontrovers miteinander diskutieren kann.“ Kann man im Bundestag, im öffentlich-rechtlichen Fernsehen nicht kontrovers diskutieren? Geht es die Bürger nichts an, was die Politiker denken und was sie aushandeln? Wozu benötigt eine funktionierende Demokratie einen geschützten Raum? Vor wem muss die neue Aristokratie geschützt werden? Vor wem? Vor denen da draußen? Vor dem Volk?

Irgendwie fühlt man sich an die Operette von Johann Strauss „Die Fledermaus“ erinnert, wenn Fürst Orlofsky singt:

„Ich lade gern mir Gäste ein,
man lebt bei mir recht fein,
man unterhält sich, wie man mag,
oft bis zum hellen Tag.
Zwar langweil‘ ich mich stets dabei,
was man auch treibt und spricht;
indes, was mir als Wirt steht frei,
duld‘ ich bei Gästen nicht!
Und sehe ich, es ennuyiert
sich jemand hier bei mir,
so pack‘ ich ihn ganz ungeniert,
werf‘ ihn hinaus zur Tür.
Und fragen Sie, ich bitte,
warum ich das denn tu‘?
‚S ist mal bei mir so Sitte,
chacun à son goût!“

Man kann sich des Gefühls nicht erwehren, dass man in diesen Kreisen vom Bürger, von denen man lebt, nicht allzu viel hält.

Das Land geht unter, den Reisenden im Zwischendeck steht das Wasser schon bis zur Hüfte, doch auf dem Oberdeck wird noch trockenen Fußes getanzt und fließt der Champagner in Strömen. Man kann auch in Ruhe feiern, denn für die Reisenden des Oberdecks wurden die Rettungsboote bereits gesichert, die für die anderen leider nicht mehr reichen.


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Kommentare ( 45 )

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45 Comments
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Thorsten Maverick
1 Monat her

So wie das sein soll, läuft das aber nie. Egal worum es geht, sind die ganzen Gremien und öffentlichen Entscheidungsprozesse nur Fassade. Grundsätzlich wird alles vorher untereinander ausgekungelt und abgesprochen. In ganz seltenen Fällen klappt das nicht, weil die Beteiligten versagen. Dann gibt es unschöne Bilder, weil Konflikte an die Öffentlichkeit kommen und dort ausgetragen werden. Wie Horst Seehofer richtig festgestellt hat, entscheiden Leute, die nicht gewählt sind, und die, die gewählt wurden, haben nichts zu sagen. Ich habe das lange nicht verstanden und dachte immer, das würde so laufen, wie das in den ganzen Gesetzen, Richtlinien, Satzungen etc. festgelegt… Mehr

ceterum censeo
1 Monat her

Est igitur res publica res populi – es ist der Staat Sache des Volkes. Das wusste schon Cicero. Nur, dass die römische Republik von den Kaisern, und damit von Diktatoren und Tyrannen, abgelöst wurde um dann nach und nach (auch durch die Größe des Imperium Romanum, nicht nur wegen deren Dekadenz) zu zerfallen. Parallelen sind durchaus evident: das Volk – der sog. Souverän – wird nach und nach ausgeschlossen, derweil die „Elite“ Party macht. Rom regierte von Spanien bis an den Bosporus, von der schottischen Grenze bis Nordafrika. Die EU und deren Elite wird in ihrer Großmannssucht und deren Arroganz… Mehr

DDRforever
1 Monat her

Ich könnte mich jeden Tag totlachen über die BRD Bürger, Politdarsteller und ihre Medien. Vor allem darüber wie sie über die DDR Bürger, Politdarsteller und ihre Medien hergezogen sind und immer noch herziehen.

schmittgen
1 Monat her

Harald Christ. Nie gehört. Das ist also einer dieser Vertreter des Deep State, an dessen Fäden die Abziehbilder von Politik und Medien hängen.
Scholz, Ronzheimer, Fischer, Merz.
Alles Kerle nach meinem Geschmack.
Man kann gar nicht soviel fressen, wie…. Na, Sie wissen schon

haqus b.
1 Monat her

Da hat halt jemand Hof gehalten, der auf jedenfall weiter Aufträge erhalten will, egal wer gerade formal regiert.

Logiker
1 Monat her

übernehmen eigentlich die Altparteien die Krankenhauskosten für die Anschlagsopfer und die Unterbringung der Attentäter?

Juergen P. Schneider
1 Monat her

Wie auch immer, sehr geehrter Herr Mai, den Untergang dieses Landes hat das verblödete Wahlvolk mit seinen grenzdebilen Wahlentscheidungen möglich gemacht. Es wird auch am 23.2.2025 so sein. Die Wahlprognosen sind da recht eindeutig. Die Mehrheit der Untertanen hat noch lange nicht genug von wirtschaftlichem Niedergang, tagtäglichen Mordanschlägen, explodierenden Energiepreisen, Gender-Gaga-Schwachsinn und sonstigen links-grünen Idiotien. Der Ersatz-Olaf aus dem Sauerland wird für Kontinuität im Niedergang sorgen, die Mehrheit will es so.

Jens Frisch
1 Monat her

Schon Knigge kannte sie – er nannte sie „Hofleute“ und beschrieb sie dergestalt: „Leider wird dieser Ton, den Fürsten und Vornehme von solcher Art, wie ich sie im ersten Kapitel dieses Teils beschrieben habe, angeben und ausbreiten, von allen Ständen, die einigen Anspruch auf feine Lebensart machen, nachgeäfft. Entfernung von Natur; Gleichgültigkeit gegen die ersten und süßesten Bande der Menschheit; Verspottung der Einfalt, Unschuld, Reinigkeit und der heiligsten Gefühle; Flachheit; Vertilgung, Abschleifung jeder charakteristischen Eigenheit und Originalität; Mangel an gründlichen, wahrhaftig nützlichen Kenntnissen; an deren Stelle hingegen Unverschämtheit, Persiflage, Impertinenz, Geschwätzigkeit, Inkonsequenz, Nachlallen; Kälte gegen alles, was gut, edel und… Mehr

MeHere
1 Monat her

Laut seinem Eintrag bei Wikipedia, war er überall dabei … Signa, Postbank, etc …

Punti
1 Monat her

Und wieder ein Mai zum Ausdrucken und Rumreichen. Danke!